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RICHARD MÜLLER-FREIENFELS

IRRATIONALISMUS

Kapitel 9

Leipzig 1922 / Verlag von Felix Meiner

(Seitenzahlen im Text am Anfang der Seite in eckigen Klammern mit Link zum Inhaltsverzeichnis)


Inhaltsverzeichnis

zum gesamten Inhaltsverzeichnis

Kap. I.
Grundlegende Verständigung über das Wesen des Erkennens.


Kap. II.
Das natürliche Denken und die Sprache als Erkenntnismittel.


Kap. III.
Das rationalisierende Denken.


Kap. IV.
Das singularisierende Erkennen.


Kap. V.
Das instinktive Erkennen.


Kap. VI.
Die Einfühlungserkenntnis.


Kap. VII.
Das schöpferische Erkennen (Die Intuition).


Kap. VIII.
Die Selbsterkenntnis.

ganz an den Anfang

Kap. IX.
Irrationalistische Philosophie.


[267] 1. Philosophie als Vereinigung aller Erkenntnismöglichkeiten
[269] 2. Einheit des Erkennens im rationalen und irrationalen Sinne
[271] 3. Die genetische Einheit aller Erkenntniswege
[274] 4. Das Zusammenarbeiten der einzelnen Erkenntnismöglichkeiten
[277] 5. Die rationale Darstellungsform der Philosophie
[280] 6. Irrationales Erkennen und rationale Darstellung
[282] 7. Der persönliche „Stil” aller bisherigen Philosophie
[284] 8. Der irrationale Ursprung aller Philosophie
[286] 9. Irrationale Darstellungsmittel in der bisherigen Philosophie
[288] 10. Die Unmöglichkeit des rationalen Absolutismus
[291] 11. Die überindividuelle Bedeutung des irrationalen Philosophierens
[292] 12. Der Fortschritt der Erkenntnis vom Standpunkt des Irrationalismus
[295] 13. Ontologische Perspektiven des Irrationalismus
[298] 14. Erkenntnis und Leben
Kapitel 9 als Text-File

[301] ANDERE WERKE DES VERFASSERS


zum Anfang des Inhaltsverzeichnisses

Kapitel IX.

Irrationalistische Philosophie.

[267]

„Das Gebildete wird sogleich wieder umgebildet, und wir haben uns, wenn wir einigermaßen zum lebendigen Anschaun der Natur gelangen wollen, selbst so beweglich und bildsam zu erhalten, nach dem Beispiele, mit dem sie uns vorgeht.”


„Die Gottheit ist wirksam im Lebendigen,
aber nicht im Toten;
sie ist im Werdenden und sich Verwandelnden,
aber nicht im Gewordenen und Erstarrten.
Deshalb hat auch die Vernunft
in ihrer Tendenz zum Göttlichen
es nur mit dem Werdenden, Lebendigen zu tun,
der Verstand mit dem Gewordenen, Erstarrten,
daß er es nutze.”
Goethe.

1. Philosophie als Vereinigung aller Erkenntnismöglichkeiten

Wir schauen zurück! Statt der einen breiten Straße ins Land der Erkenntnis, die der Rationalismus zu führen versprach, fanden wir mehrere sehr verschiedene Pfade, deren jeder ein eigenes Gebiet erschloß, Pfade, die oft verschlungen und dunkel schienen und jedenfalls weder so gut mit logischen Grundsätzen gepflastert noch mit so viel autoritativen Wegweisern versehen sind wie die Allerweltsstraße des Rationalismus. Im Gegenteil, indem wir ihnen nachspürten, fanden wir, daß man auf diesen Pfaden nicht mit gebundener Marschroute auskommt, daß jeder Erkennende vielmehr aus sich selbst heraus sich den Weg bahnen muß, und daß es stets Sache der Persönlichkeit, nicht der theoretischen Methodik ist, ob Erkenntnis erlangt wird. Wir fanden, daß Erkenntnis nicht so bequem zu erringen ist, wie man Brot beim Bäcker kauft, sondern daß sie ein scheues Wild ist, das sich nur durch ganz persönliche Kunst des Jägers erhaschen läßt. Kurz, wir nahmen dem Erkenntnisbegriff den bequemen, allzu bürgerlichen und allzu methodischen Charakter, den ihm der Rationalismus zugeschrieben, und suchten ihm dafür wieder jenen persönlichen, schicksalshaften, schöpferischen Charakter zu geben, den er für alle echten [268] Forscher je und je gehabt, die Erkenntnis nicht als Rechenaufgabe, sondern als Wagnis, Kampf, Glück, Schicksal empfanden! Mit Recht werden daher die wackeren Methodiker und fleißigen Rechner mit guten Pfründen und bürgerlichen Ehren belohnt, aber allein die großen Entdecker, jene, denen Erkenntnis nicht bloß Methode, sondern persönliches Abenteuer, Leidenschaft„ innerste Notwendigkeit ist, vor allem die großen Philosophen, sind von der Aura jenes ganz persönlichen Ruhmes umwittert, wie ihn schöpferische Künstler und Religionsstifter genießen, deren Werk Ausdruck einer Persönlichkeit ist und, ungeachtet überpersönlichen Wertes, die stolzen Merkmale der Einzigkeit trägt.

Vielleicht aber erwidert man, solch irrationale Erkenntnis sei — was sie auch sonst sein möge — auf keinen Fall „Wissenschaft”, und man denkt wohl damit ein Todesurteil zu sprechen. Ich kann das nicht zugeben; denn ohne die Wissenschaft gering zu achten, zeigten wir doch zur Genüge, daß ihre streng rationale Methode nur ein Erkenntnisweg neben anderen ist, daß sie weite Gebiete der Welt mit ihren rationalen Mitteln allein überhaupt nicht zu fassen vermag, daß sie daher — meist ohne sich darüber klar zu sein — selber irrationale Erkenntnismethoden in sich aufnehmen muß. Demgegenüber erschien es uns wertvoll, klare Scheidung zwischen rationalem und irrationalem Erkennen zu ziehen und, statt trügerische Allgemeingültigkeit vorzuspiegeln, lieber das persönliche Moment in allem, auch dem wissenschaftlichen Erkennen, offen einzugestehen.

Was ich gesucht habe und was das Ziel jeder Erkenntnislehre sein sollte, ist nicht die Beschränkung auf eine einzige Erkenntnismöglichkeit, sondern die Vereinigung aller Erkenntnismöglichkeiten, die den Menschen zugänglich sind. Diese Vereinigung aller, also der rationalen wie der irrationalen Erkenntnismöglichkeiten aber führt zur Philosophie, deren Ziel nicht nur Totalität der Erkenntnis im Sinne der Inhalte, sondern, als Voraussetzung dazu, auch Totalität der Erkenntnismöglichkeiten ist.

Philosophie also ist mir, wie ich bereits mehrfach ausgesprochen, darum nicht bloß Wissenschaft im rationalen Sinne. [269] Sie ist mehr als Wissenschaft; denn sie wird die Wissenschaft so weit als möglich in sich aufnehmen und daneben doch alle außerwissenschaftlichen Erkenntnismöglichkeiten berücksichtigen. Sie ist zwar darin der Wissenschaft besonders verwandt, daß sie auch für das irrational Gefundene möglichst nach wissenschaftlicher Formung strebt, aber selbst nicht einmal der Form nach kann sie bloß als Wissenschaft angesehen werden, sondern hat bei ihren größten Vertretern sich auch der Ausdrucksmöglichkeiten der Dichter, religiöser Propheten oder Sittenlehrer bedient.

Was ich hier anstrebe, ist nicht ein ausgeführtes System, sondern nur eine Erkenntnislehre. Ich wollte in möglichst rationaler Form, also in begrifflicher Sprache, einen Überblick über alle Erkenntnismöglichkeiten schaffen, deren es mehr gibt als gemeinhin angenommen wird. Mein Ergebnis wird also auch nicht den Anspruch der Absolutheit machen, aber es hofft einen größeren Zusammenhang in seinen Gesichtskreis gezogen zu haben als die meisten früheren Untersuchungen, und in diesen weitergespannten Horizonten sieht es seine Daseinsberechtigung.

2. Einheit des Erkennens im rationalen und irrationalen Sinne.

Indessen erhebt sich hier vielleicht der Einwand, wie denn bei der heterogenen Natur der aufgezeigten Erkenntniswege Vereinigung möglich sein solle? Ja, bedeutet nicht am Ende diese Vielfältigkeit der Erkenntniswege geradezu Verzicht auf Einheit des Erkennens?

Das Ideal des Rationalismus ist seit alters ein allgemeingültiges System als Einheit aller Erkenntnisse, das womöglich die Form der „Begriffspyramide” haben soll. Darin wären dann alle möglichen Erkenntnisse verstaut, sorgsam geordnet und so miteinander verklammert, daß niemand daran zu rütteln vermag.

Freilich allzu genau darf man dies „Ideal” nicht betrachten. Wie alle Utopien hat es seinen Zauber nur, solange es nicht erreicht ist. Denn wäre es erreicht, dann wären in dieser Pyramide zugleich für immer beigesetzt der Drang nach Wahrheit, der bedeutenden Forschern von je lockender erschien als der Besitz [270] der Wahrheit, und die „Lust am Trug”, ein Reiz, ja ein Bedürfnis des schöpferischen Lebens, wäre ebenfalls für immer dahin. Die Begriffspyramide wäre ein brauchbarer Wohnort nur für Mumien, nicht für lebendige Menschen.

Aber es ist gesorgt, daß dieser Traum der Rationalisten ein Traum bleiben wird! Denn er schließt eine Voraussetzung ein, die unerfüllbar ist. Er setzt voraus, daß die Welt „fertig” oder wenigstens im Innern ewig gleich und unwandelbar wäre, daß es in der Welt keinerlei Werden, Entwicklung, Freiheit gäbe, daß im Heute alles Morgen und Übermorgen und Dereinst beschlossen oder zum mindesten aus ihm heraus restlos zu überblicken sei. {ich sehe ab von der Öde solchen Ausblickes: aber gerade dieser Voraussetzung steht ja unser irrationales Erleben entgegen, das uns zeigt, wie die nach der einen Seite in der Erkenntnis sich rationalisierende Welt nach der anderen Seite hin sich unablässig singularisiert, sich spaltet in tausend und abertausend Formen; das ferner zeigt, daß wir selbst uns unablässig wandeln, ja, daß wir selbst Neues schaffen, daß das Leben, das in uns und aller Kreatur quillt, selbst schöpferisch ist und daß das Erkennen, weit davon entfernt, diese schöpferische Fülle in einheitlicher Formel bändigen zu können, sich selbst in den Dienst dieser Schöpfung stellt, die Welt also nicht bloß vereinfacht, sondern noch mehr vervielfältigt.

Gewiß braucht der Irrationalist nicht darauf zu verzichten, ein System zu bauen, er braucht das so wenig zu tun, als der Umstand, daß andere Menschen sich andere Häuser bauen, ihn hindern wird und kann, sich ein Haus zu bauen, in dem gerade er und andere, die verwandter Art sind, mit ihm wohnen mögen. Aber er wird nicht behaupten, dieses Haus müsse nun die Schablone abgeben für alle Bürger des Erdreichs. So wenig es darauf ankommt, daß alle Menschen den gleichen Rock tragen, sondern jeder den, der ihm paßt, so wenig brauchen alle Menschen die gleiche Philosophie zu bekennen, wenn sie nur die haben, die ihnen angemessen ist. Das, worauf es ankommt, wird nur sein, daß jede Philosophie wirklich sich einer Totalität so annähert, als es unter heutigen Verhältnissen möglich ist und nicht [271] künstliche Einseitigkeiten für Ganzheit ausgibt. Der Irrationalist wird daneben ebensogut wie der Rationalist nach Einheit streben, ohne sich freilich einzubilden, eine solche im absoluten Sinne gefunden zu haben.

Die Einheit des Erkennens wird überhaupt nicht im Gegenstand des Erkennens, sondern in der Persönlichkeit des Erkennenden zu liegen haben. Es ist der quantitativen wie qualitativen Unendlichkeit der Welt gegenüber ein eitles Unterfangen, sie in ein endliches System von starren Begriffen einsperren zu wollen; wohl aber können wir ihr gegenüber eine Haltung gewinnen, die auch die Unendlichkeit in sich als nicht gelösten Rechnungsfaktor aufnimmt, und bei bewußtem Verzicht auf materiale Abgeschlossenheit eine funktionale, eine persönliche Vereinheitlichung des Erkennens anstreben.

Der irrationalistische Philosoph steht also der Welt nicht mit einem starren System gegenüber, wie die Feldherren des heiligen römischen Reiches mit einem autoritativen, vom kaiserlichen Hofkriegsrat in Wien festgelegten Feldzugsplan in den Krieg zogen: sein Feldzugsplan der Welt gegenüber ist frei beweglich, paßt sich jeder neuen Lage an und empfängt seine Direktiven nicht durch autoritative Normen, sondern aus innerer Notwendigkeit und aus den Forderungen der Situation. Die Einheit der irrationalen Philosophie wird nicht im Erkannten liegen, sie liegt im Erkennenden, sie ist nicht objektive, starre Einheit, sondern subjektive, lebendige, persönliche Vereinheitlichung.

3. Die genetische Einheit aller Erkenntniswege.

Ist nun, indem wir einer objektiven Einheit der Erkenntnis mit Bewußtsein entsagen, wenigstens solche persönlich-subjektive Einheit möglich, wie sie uns von unserem irrationalistischen Standpunkt aus weit wesentlicher erschien? Ist die Vielheit der aufgezeigten Erkenntniswege nicht ein unüberwindliches Hindernis dafür?

Wer unseren Entwicklungen gefolgt ist, sieht die Antwort voraus. Denn so mannigfach die Formen des Erkennens sich [272] darstellten, sie waren doch nur Variationen einer einzigen Grundform, jener, die ich die vital-realistische nannte, das heißt eines Erkennens, das aus vitalen Strebungen heraus sich die Gegebenheiten umschafft zur Wirklichkeit, zum Gegenstand lebendigen Wirkens. Die Welt, die wir in unserem Erkennen erbauen, nicht aus dem Nichts, sondern aus dem Rohstoff des Gegebenen, ist eine solche, daß wir in unablässiger Zusammenarbeit teils sie uns, teils uns ihr anpassen. Sie ist weder „rein objektiv” noch „rein subjektiv”, sie ist ein unablässiges Hinundwiderspiel des Subjektiven und Objektiven, die in einer metaphysischen Einheit zusammenwachsen, also daß Erkennen uns als Faktor des Lebens erschien, eines Lebens, das sich nicht stationär erhalten, sondern immer weiter zu entfalten strebt. So ist uns auch Philosophie nichts dem Leben Entgegengesetztes oder dem Leben Übergeordnetes, sondern ist eine Form des Lebens, in der das in mannigfache Funktionen auseinanderstrebende Erkennen und Wirken sich wieder auf seine Einheit besinnt. Diese Einheit wird aber nicht so erreicht, daß eine gewiß großartige Sonderform, das rationalisierende Erkennen, sich tyrannisch den anderen überordnet und keine Götter neben sich duldet, sondern so, daß alle Erkenntnisformen zur Harmonie zusammengeführt werden. Das Ideal des Philosophen ist seit je, ehe es einseitig intellektualistische Färbung bekommen hat, nicht Hypertrophie des Verstandes, sondern Harmonie des ganzen Menschen gewesen. Möglich aber ist solche Harmonie aller Erkenntnisformen nur darum, weil sie, bei aller Differenzierung, im Innersten wesensverwandt sind.

Als Variationen der Grundform des Erkennens, der vitalrealistischen Auseinandersetzung zwischen lebendem Subjekt und Außenwelt, lassen sich, wie gesagt, alle Formen des Erkennens erweisen:

Dunkel, nur wenig vom Bewußtsein erleuchtet, vollzieht sich diese Auseinandersetzung im instinktiven Erkennen. Hier findet die vitale Organisation dank im Individuum vorangelegter Möglichkeiten Beziehungen zwischen Ich und Nicht-Ich, die seine Selbstbehauptung bewirken. Auf Grund wenig [273] differenzierter Reize antwortet das lebende Subjekt im Sinne seiner Erhaltung und entwickelt jene Kategorien des Dinges, der Kraft, des Raumes, der Zeit, die die Unterlagen schaffen für die feineren Ausgestaltungen des Erkennens.

Im singularisierenden Erkennen differenzieren sich geistig die Reize, die die Instinktreaktion hervorrufen. Die Sinne schärfen sich und die motorischen Reaktionen vervielfältigen sich. Der Geist lernt unterscheiden, wo er zunächst nur auf undifferenzierte Gesamtheiten reagierte. Die Welt, für das instinktive Erkennen nur eine Summe unbestimmter Gegenstände und Kräfte in vager räumlicher und zeitlicher Zusammenordnung, erweitert sich in der Richtung immer größerer Mannigfaltigkeit und Fülle, in einer Richtung, der prinzipiell keine Grenzen zu setzen sind, in der der Mensch, unterstützt durch Instrumente, noch viel weiter vorzudringen vermag, als seine natürlichen Sinne ihm gestatteten.

In entgegengesetzter Richtung bewegt sich das rationalisierende Denken. Auch dies nimmt seinen Ausgang von der unbestimmten Reizung der Sinne und der pauschalen Reaktion darauf im instinktiven Erkennen. Aber unterstützt von der Singularisierung der Welt findet es daneben immer neue Gemeinsamkeiten, die zugleich neue gesichertere Ansatzpunkte für sein Handeln abgeben. Es faßt dank des Gedächtnisses räumlich und zeitlich Getrenntes zusammen, lernt hinter dem Sinnhaften festere Verknüpfungen der Weltelemente kennen, sondert Regelmäßigkeiten der Koexistenz nunmehr bewußt als Dinge, Regelmäßigkeiten der Sukzession als Gesetze aus, es gibt diesen Regelmäßigkeiten im „Namen” stets parate Handgriffe und schreitet in immer größerer Abstraktion in Mechanik, Physik zuletzt zur Feststellung von sicheren Vorausbestimmungen vor, die ihm gestatten, sein Handeln einer Fülle von Möglichkeiten anzupassen, die die anderen Erkenntnisformen nicht kannten; aber dem Handeln, dem Leben dient auch diese Erkenntnisform.

Das aber, was das rationalisierende Erkennen sich nicht unterwerfen konnte, die unberechenbare Welt des Lebens, überhaupt das Innensein, das weder Sinneserkenntnis noch [274] Begriffserkenntnis zu fassen vermögen, erschließt eine weitere Form des Erkennens, dank der sich das Handeln auch dieser Innenwelt hinter sinnlichen Gegebenheiten und ihren Unregelmäßigkeiten, anzupassen vermag: das einfühlende Erkennen. Auch dieses erobert uns Wirklichkeit und dient unserer Wirksamkeit, auch dies ist nur eine Variation der ursprünglichen vital-realistischen Grundhaltung, in der bereits ein dumpfes Gefühl für die „Innenwelt” des Reizgegebenen angenommen werden muß.

Und auch das schöpferische Erkennen, das sich nicht auf die gegebene, sondern auf seinsollende Wirklichkeiten richtet, das im freieren Umspringen mit der durch andere Erkenntnisformen „gegebenen” Wirklichkeit neue erschafft, ist zurückzuführen auf die vital-realistische Grundhaltung. Denn es dient auch dem Leben, weil es verwurzelt ist in vitalen Bedürfnissen, vor allem solchen der Lebensentfaltung, und es ist auch auf Wirklichkeit gerichtet, zwar nicht die fertig gegebene, aber eine kommende, zu erschaffende.

So läßt sich schon rein genetisch eine innere Einheit der auseinanderstrebenden Erkenntnismöglichkeiten erweisen, was zugleich ermöglicht, daß diese Einheit bei aller Differenzierung gewahrt bleibt, wodurch also das Ziel der Philosophie, die Vereinheitlichung der verschiedenen Möglichkeiten, als erreichbar erscheint. Denn auch Philosophie als Gesamtheit aller Erkenntnisformen ist nicht theoretisches Spiel, sondern Stellungnahme zur Welttotalität im Dienste des Lebens, die über die nächste Nachbarschaft hinausschauend eine Orientierung größten Stiles sucht. Philosophie ist bei allen echten Philosophen nie Anhäufung von totem Wissen gewesen, sondern Schaffung eines möglichst umfassenden Wirklichkeitsbewußtseins im Dienste des Lebens und des Handelns.

4. Das Zusammenarbeiten der einzelnen Erkenntnismöglichkeiten.

Die innere, bei aller Differenzierung bestehende Einheitlichkeit der Erkenntnisformen aber tritt noch deutlicher hervor, wenn wir unser Augenmerk (statt auf die gewiß bestehende, von uns aber aus methodischen Gründen überbetonte Getrenntheit) [275] auf ihr Zusammenwirken richten. Die fünf Erkenntnisarten sind nicht nur divergierende Entwicklungszweige einer gemeinsamen Wurzel, auch in ihrer selbständigen Ausprägung wirken sie noch beständig zusammen. Auch das hat unsere Darstellung allenthalben ersehen lassen, es sei jedoch zusammenfassend nochmals herausgehoben.

Daß im dumpfen Instinkterkennen alle differenzierteren Erkenntnisarten im Keime einbeschlossen sind, war bereits gesagt. Das Instinkterkennen schließt sowohl eine vage Singularisierung als daneben eine ebenso vage Rationalisierung ein. Das Huhn „unterscheidet” und erkennt zugleich in der Unterscheidung etwas Gattunghaftes, wenn es einen Wurm aufpickt! Es erfaßt ihn daneben, wenn auch ganz dunkel, als etwas, was mehr als „Sinneseindruck” und „regelmäßige Koexistenz von Sinneseindrücken” ist, als etwas mit einem Innensein, womöglich mit Leben Begabtes, kurz, es vollzieht eine „Einfühlung” primitiver Art. — Daß, wenigstens beim Menschen, auch das schöpferische Erkennen bereits im Instinkt vorgebildet liegt, ist ebenfalls früher bereits bemerkt, denn alles instinktive Erkennen des Menschen birgt ein schöpferisches Moment, da es stets mehr Bewußtseinsgehalt einschließt, als von außen gegeben ist.

Aber auch in den differenzierteren Arten des Erkennens wirken alle übrigen Erkenntnisformen zusammen. In meiner singularisierenden Erkenntnis, wenn ich z. B. einen Gegenstand in seiner Besonderheit erfasse, spielt außer dem diese Singularisierung ermöglichenden Empfindungskomplex zunächst eine Rationalisierung mit, indem ich diese Gegebenheiten kraft des Gedächtnisses als Einheit zusammenfasse und mit gemeinsamem Namen belege. Zugleich aber leihe ich diesem so rationalisierten Empfindungskomplex ein Innenleben (Substanz), das heißt, ich fühle mich darin ein. Darüber hinaus aber verhalte ich mich schöpferisch; denn in gestaltendem Vorstellen schaffe ich mir ein Bild des Gesamtgegenstandes, das vervollständigende Züge enthält, die mir durch keine der anderen Erkenntnisarten „gegeben” sind.

[276] Desgleichen enthält dies rationalisierende Erkennen stets die anderen Erkenntnisarten. Daß alle Rationalisierung auf Grund von Singularisierungsakten vor sich geht, war schon bemerkt worden. Da, wo unterschieden wird, wird auch zusammengefaßt, wo zusammengefaßt wird, wird auch unterschieden, nur daß je nachdem der Nachdruck auf einem der beiden Akte liegt. Desgleichen wird wenigstens dort, wo die Gattung nicht ausdrücklich als Abstraktion behandelt wird, zugleich auch durch Gegen- und Einfühlung eine Verdinglichung, bzw. eine Kausalitätseinordnung vorgenommen. Aber auch schöpferisch ist jede Rationalisierung, denn sie geht über alles Gegebene weit hinaus, alle rationalen Begriffe sind, bei aller Übereinstimmung der Tatbestände, schöpferische Gebilde, vor allem das Wort, aber auch dessen „ideale Bedeutung” sind subjektgeschaffene Symbole.

Das einfühlende Erkennen bleibt stets dem instinktiven Erkennen nahe verwandt. Natürlich aber schließt es auch eine singularisierende wie eine rationalisierende Erkennung ein. Kraft der Rationalisierung erfasse ich den anderen als Einheit, kraft der singularisierenden Erkenntnis erfasse ich seine Besonderheit, auf Grund deren ich das „Fremde” im anderen „gegenfühle”. Indessen ist alle Einfühlung zugleich ein schöpferischer Akt; denn ganz ist uns der „andere” ja nie „gegeben”, freischöpferisch ergänzen wir ihn erst zur Totalität.

Wir brauchen, nur das bisher Gefundene zusammenzufassen, um auch im schöpferischen Erkennen alle übrigen Erkenntnisarten wiederzufinden. Es wurzelt in instinkthaften Faktoren, in Fühlen und Wollen, aber die Inhalte, die es verarbeitet, entstammen der Zusammenarbeit von singularisierender und rationalisierender Erkenntnis. Der schöpferische Künstler, Religiöse, Denker, alle müssen zugleich einen ausgesprochenen Sinn für das Besondere wie für das Typische haben. Und doch darf ihnen das alles nichts „Äußeres” bleiben, sie „beleben” es durch einfühlende Akte, und so erst vollendet sich in dem in seinen Tiefen unergründeten Prozeß der schöpferische Vorgang.

[277] So ist also die Trennung der Erkenntnisarten auch in ihren ausgeprägteren Formen keineswegs so radikal, als daß die Philosophie völlig Heterogenes wieder zusammenschweißen müßte. Auch hier gilt es nur, den Anspruch des rationalen Denkens, das einzig berechtigte zu sein, einzuschränken.

Unschwer läßt sich darlegen, daß alle großen Philosophien aus solchem Zusammenarbeiten aller Erkenntnisarten erwachsen sind, mag auch, wie bei Plato oder Hegel, das rationalisierende, bei Locke das sensualistisch-singularisierende, bei Schopenhauer oder Nietzsche das instinktive, bei Dilthey oder Bergson das einfühlende Erkennen, bei Schelling die freischöpferische Intuition (intellektuelle Anschauung) das philosophische Grunderlebnis gewesen sein. Irgendwie aber haben sie alle auch die übrigen Erkenntnisarten bei Ausgestaltung ihrer Systeme mitreden lassen, mag es auch die Darstellung verbergen. Um dies Zusammenwirken nur an einem Beispiel zu zeigen, so hat Kant zwar die theoretische Vernunft nur auf die beiden Erkenntnisweisen der Singularisierung und Rationalisierung beschränkt, hat jedoch in der „praktischen Vernunft” und in der Urteilskraft auch instinktive, einfühlende und schöpferische Faktoren ergänzend mitwirken lassen, ohne ihnen freilich näher auf den Grund zu gehen. Die Originalität vieler Denker beruht gerade auf der Einseitigkeit, mit der sie einzelne Erkenntniswege bevorzugten: es muß daher die Aufgabe der fortschreitenden Erkenntnislehre sein, diese Einseitigkeiten auszugleichen und ihre relative Berechtigung in möglichst umspannender Betrachtung zugleich aufzunehmen und in einer Totalität aufzuheben. Dadurch wird die objektive Einheit vielleicht, vermindert, aber doch nur zugunsten einer Totalität, die im erkennenden Subjekt eine höhere, umfassendere Einheit finden muß.

5. Die rationale Darstellungsform der Philosophie.

So ist Philosophie in besonderem Sinne Zusammenwirken aller Erkenntnisformen, der irrationalen wie der rationalen. Gewiß ist auf Einzelgebieten des Lebens eine Zurückdrängung der einen oder anderen Erkenntnisform möglich: der Mathematiker [278] mag sich fast ganz rational verhalten; es kann ein Historiker auch wesentlich individualisierend vorgehen, obwohl irgendwie stets auch die anderen Erkenntnisarten eingreifen. Die Philosophie dagegen kann sich unmöglich nur auf eine Erkenntnisart festlegen. Die Welt als Gesamtheit kann man nur erkennen, wenn man auch die Gesamtheit der Erkenntnismittel ins Werk zieht.

Freilich wird man darauf hinweisen, daß gerade die Philosophen oft sehr einseitig eine rationale Methode ausgebildet hätten, daß gerade aus Philosophenkreisen die Theorie des einseitigen Rationalismus stamme. Ist doch die von Philosophen geschaffene und bevorzugte Methodenlehre, die vom Begriff ausgeht und das Individuelle für „zufällig, ja Nichtsein” erklärt, ausschließlich rational orientiert.

Es gilt hier einen Unterschied zu machen, den ich schon früher berührt habe: den zwischen dem Erkennen selbst und der Form der Darstellung. Es ist richtig, daß die Philosophen meist die rationale Form der Darstellung gewählt haben, und dadurch wird eine Weltanschauung eben zur Philosophie, daß sie sich in tunlichst rationaler Form darzustellen sucht. Einerlei, wie die Erkenntnis gewonnen ist, wenn der Philosoph auf möglichst weite Kreise wirken will, seinen Erkenntnissen möglichste „Allgemeingültigkeit” leihen will, pflegt er sich der rationalen Form zu bedienen, er glaubt jedenfalls so am sichersten sein Ziel der größten Festigkeit seiner Gedanken zu erreichen. Es liegt im Wesen des schöpferischen Menschen, daß er geneigt ist, das, was ihm als „wahr” erscheint, auch als „gültig” für alle anzusehen. Der Rausch des Schaffens läßt keine Zweifel aufkommen, der Glaube an die Allgemeingültigkeit ist sogar einer der stärksten Stimulantien für das Zustandekommen jenes Rausches. Und in diesem Rausch des Schaffens zweifelt er nicht daran, daß der Ausdruck seiner Gedanken auch allgemeingültig sei, ja auch in der in Ernüchterung vor sich gehenden Einzeldurchführung muß er jenen Glauben festhalten, und so kommt ihm die rationalisierende Form, die den Anspruch auf Allgemeingültigkeit so stolz verkündet, gerade recht, um [279] seine Gedanken hineinzugießen. Ja, am liebsten gössen viele Denker ihre Lehren in mathematische Form, trügen sie wie Spinoza „more geonietrico” vor, erschüfen sich wie Leibniz eine abstrakte Begriffssprache oder wie Avenarius ein eigenes, an die Chemie erinnerndes Formelsystem.

Es ist also ein durchaus berechtigter Wunsch der Philosophen, ihren Gedanken die Form zu leihen, die ihnen das festeste Gefäß zu sein verspricht. Indessen müssen wir zunächst nachprüfen, ob es möglich ist, alles auf irrationalem Wege Gefundene in rationale Form überzuführen.

Ich habe bisher wesentlich das Erkennen als Vorgang, nicht das Erkannte als Resultat analysiert, oder vielmehr, ich hatte nur die vitale Wirkung des Resultats angesehen. Nun ergab sich jedoch früher bereits, daß diese vitale Wirkung nicht immer sofort eintritt, daß daher das Erkennen sich bis zu gewissem Grade davon loslöst und als theoretische Erkenntnis, als Erkenntnis „auf Vorrat”, sich aufspeichert. Damit eine solche Aufspeicherung für künftige Anwendungsfälle jedoch möglich sei, muß die Erkenntnis selbst gewisse Umwandlungen durchmachen, die sie einerseits über das bloß Momentane, andererseits auch über das bloß Individuelle emporhebt, sie für möglichst viele Situationen und für möglichst viele Individuen verwendbar erscheinen läßt.

Gerade hierin aber beruht der Wert der Rationalisierung, daß sie das Okkasionelle und Individuelle zum Allgemeingültigen zu erheben strebt. Wenn auch die rationale Erkenntnis sich uns keineswegs als „allgemeingültig” im absoluten Sinne erwies, so ist sie ihrem Wesen, nach doch diesem Ideal in mancher Beziehung näher als andere Erkenntnismöglichkeiten, und das ist ohne Zweifel ein großer Vorzug und macht sie geeignet, auch die Form herzugeben, in der sich die anderen Erkenntnisse über Situation und individuelle Geltung erheben. Es ist also prinzipiell nichts einzuwenden gegen das Bestreben, alles Erkannte tunlichst in rationale Form zu gießen: es fragt sich nur, wieweit das möglich ist, ohne die Ergebnisse zu entstellen, und wieweit das Erkennbare in diese Form eingeht.

[280]

6. Irrationales Ernennen und rationale Darstellung.

Unsere Antwort auf die Frage nach der Rationalisierbarkeit irrationaler Erkenntnisse muß, was schon früher angedeutet wurde, dahin lauten, daß sich auch das auf nichtrationalem Wege Erkannte gewiß weitgehend rationalisieren läßt, daß es aber dadurch auch eine Umwandlung erfährt, und daß daneben vieles bleibt, was man überhaupt nicht rationalisieren kann. Als vornehmstes Mittel der Rationalisierung aber erfanden wir schon früher die Sprache, bemerkten auch dort bereits, daß weder alles Erkannte restlos in deren Begriffe eingeht, noch daß diese Gefäße das darin Gefaßte unverändert lassen.

Gehen wir die einzelnen Erkenntnismöglichkeiten daraufhin durch, wie weit ihre Resultate sprachlich-rational faßbar sind, so zeigt sich gleich beim Instinkt erkennen, daß es nur wenig rationalisierbar ist. Denn da die Instinkte in den unbewußten Tiefen unseres Ich wurzeln, wenig ins Bewußtsein treten, meist auch unmittelbar sich in Handlungen umsetzen, so liegen sie sprachlicher Formulierung noch fern. Das Eigentlichste in unserem Lieben und Hassen, Wertschätzen und Verabscheuen, Fürchten und Hoffen ist nie in Worte zu fassen. Wer rationale Worte für seine Liebe findet, bei dem geht die Liebe nicht in die Tiefe. Mit Recht mißtraut man einem Gefühl, das sich in wohlgesetzten Perioden ausspricht. Gewiß lassen sich für viele instinktive Stellungnahmen, besonders das Raum- und Zeiterleben, für Dinglichkeit und Kraft, rationale Formeln finden, aber das ursprünglich Subjektive dabei entgeht; es wird darin schematisiert und seines persönlichen Urgrundes beraubt.

Ähnlich ist's mit dem einfühlenden Erkennen, besonders soweit es sich menschlichen Individuen zuwendet. Gewiß können wir einen Charakter mit Worten beschreiben, aber auch hier geht das eigentlich Lebendige, Persönliche verloren. Auch das schärfste Charakterbild, das ein Historiker mit rationalisierten Begriffen gestaltet, ist niemals eindeutig, es bietet nur Schemata, die der Leser erst mit seinem Blute tränken muß, damit sie Leben bekommen, wie die Schatten der Unterwelt [281] bei Homer. Man kann über die Einfühlungserkenntnisse durch Worte wohl Verständigung erreichen, niemals aber restloses Verständnis.

Ebenso ist's mit den Ergebnissen des singularisierenden Erkennens! Daß die Singularität „ineffabile” ist, gab sogar die alte Logik zu, und wir brauchen dabei nicht zu verweilen. Ich zeigte ja schon oben, daß die Worte, die die Sprache für Sinnesempfindungen bereit hält, nur ungefähre Schemata sind, die nur wenig von der Singularität erfassen. Und daß gar die Erkenntnisse des schöpferischen Denkens in Worte nicht eingehen, ist oft beklagt worden. Selbst die tiefsten Worte der Dichter, Propheten und Sittenlehrer sind nur Anweisungen und Winke, hinter denen der eigentliche Gehalt irrational erfaßt werden muß. Ja selbst die Intuitionen wissenschaftlicher Forscher sind oft recht vieldeutig, und daß diese so oft über Nichtverstandenwerden klagen mußten, ruht zum guten Teil darin, daß ihre Ausdrucksmittel unzulänglich waren, daß die persönliche Notwendigkeit ihres Erkennens darin sich nicht übertrug.

Als Kritiker der Erkenntnis werden wir gewiß den Glauben schöpferischer Denker an die Allgemeingültigkeit ihrer Erkenntnisse, auch ihre Hoffnung, die sie deshalb auf die rationale Form setzen, verstehen, aber wir werden zugleich beides als unmöglich erweisen. Wir werden im Hinblick auf die Philosophie darlegen können, 1. daß keines der bisherigen Systeme rein rational im Sinne absoluter Allgemeingültigkeit ist, daß sie vielmehr alle als zeitlich, völkisch, individuell bedingt und auch sonst relativ zu erweisen sind. 2. Wir können auch innerhalb der scheinbar rein rational gestalteten Systeme deutlich die irrationalen Triebkräfte nachweisen, die bei der Konzeption der Gedanken mitgewirkt haben. 3. Wir können zeigen, daß die scheinbar rationale Form der Darstellung keineswegs den Ansprüchen einer wirklich allgemeingültigen Fassung der zugrunde liegenden Gedanken genügt, daß aber die Philosophen selbst, vielfach wohl unbewußt, deshalb irrationale Darstellungsmittel zu Hilfe gerufen haben.

[282]

7. Der persönliche „Stil” aller bisherigen Philosophie.

Zunächst die historische, völkische, individuelle Bedingtheit und damit auch Begrenzung der Systeme! Die neuere Philosophiegeschichtsforschung läßt uns alles das ja immer deutlicher erkennen. Wir sehen sehr klar, daß auch die scheinbar rationalsten Systeme unverkennbar das Gepräge ihrer Zeit, ihres Volkes, ja der individuellen Persönlichkeit ihrer Schöpfer tragen. Wir sehen heute in Platos Ideenlehre keineswegs eine ewige, zeit- und ortlos geltende Wahrheit, als welche sie ihrem Schöpfer selbst erschienen sein mag; wir erkennen in ihr eine spezifisch griechische, und zwar daneben das Gepräge just ihres Jahrhunderts tragende Schöpfung. Wir sehen, daß sich in ihr dieselbe Geistigkeit auswirkt, die wir in den Statuen des Phidias und zahlreichen anderen Prägungen der Zeit wiedererkennen. Ja, man hat hinter der scheinbar abstrakten Gedankenarchitektur die individuelle Eigenart ihres Schöpfers zu erschauen unternommen. — Oder man nehme das System Kants! Auch dies tritt mit dem (Pathos der Allgemeingültigkeit in die Welt. Aber schon heute, nach wenig mehr als einem Jahrhundert, sehen wir deutlich seine historische und nationale Beschränkung. Wir erkennen darin unabweisbar die Züge des ausgehenden Aufklärungszeitalters wie des Preußentums, auf deren Boden es erwachsen ist, daneben aber auch, ebenso deutlich, ganz persönliche Züge ihres Schöpfers, die wir in dessen übrigen Lebensäußerungen nachweisen können. Und so geht es mit allen Systemen: sie sind in Wahrheit nicht allgemeingültig, sondern haben alle einen zeitlichen, völkischen und persönlichen „Stil”.

Der konsequente Rationalismus sträubt sich natürlich mit allen Kräften gegen solchen „Relativismus”. Indessen ist er durch die Tatsache der großen Verschiedenheiten der Systeme leicht in unbequeme Verteidigungsstellung zu drängen. Denn entweder muß er seine Behauptung der „Allgemeingültigkeit” für die philosophischen Systeme preisgeben und damit den Ast absägen, worauf er sich gesetzt hat; oder er muß die tatsächlichen Verschiedenheiten irgendwie hinwegretouchieren. Er hat [283] in der Regel, soweit er sich auf Diskussion dieser heiklen Fragen überhaupt einläßt, den zweiten Weg eingeschlagen und sich dabei auf drei verschiedene Weisen zu helfen gesucht: Erstens war er bestrebt nachzuweisen, daß alle Philosophen im Grunde das gleiche gemeint hätten. So hat man z. B. versucht, Plato zum verfrühten Kantianer zu machen und auch andere Systeme entweder im Sinne Kants oder eines anderen Systems umzudeuten. Das läßt sich natürlich bis zu gewissem Grade machen, da, wie gesagt, die angeblich allgemeingültige rationale Sprache keineswegs allgemeingültig, folglich dehnbar ist. Man kann aber die Gegenfrage stellen, warum denn spätere Denker sich die Mühe genommen hätten, überhaupt neue Systeme zu erbauen? Auch kann man sehr zweifeln, ob Leibniz, Kant, Fichte, Schopenhauer, überhaupt alle selbständigen Denker damit einverstanden wären, wenn man in ihren Systemen genau dasselbe finden würde, was andere bereits vorher gesagt! Und weiterhin wird man, wenn man jene Behauptung nachprüft, finden, daß die angeblich allgemeingültigen Übereinstimmungen, in Wahrheit — soweit sie überhaupt bestehen — höchst dürftige Allgemeinplätze sind, denen ein besonderer Erkenntniswert kaum zukommt, während eine Fülle der fruchtbarsten Gedanken, die persönliche Prägung der einzelnen Philosophen sind, einfach unter den Tisch fallen müßten.

Man hat deshalb im Ernste auch jene Behauptung kaum durchzuführen unternommen, sondern hat sich zu helfen gesucht durch Aufzeigung einer Entwicklung, auf deren Linie die Wahrheit in einer Richtung emporwüchse, so daß die späteren Philosophen wie die Korallen auf den Fundamenten der früheren weiter bauten. Auch dieser Nachweis geht nur, mit vielen Gewaltsamkeiten, denn offenbar bauen die Philosophen nicht friedlich am selben Turm, jeder auf die Schöpfungen seiner Vorgänger ein neues Stockwerk errichtend, sondern meist fangen sie mit eigenen Fundamenten an, wobei sie sogar die Gebäude der Vorgänger nicht schonen, sondern sie kühn einreißen und die so gewonnenen Trümmer in den eigenen Bau einfügen. Man kann ruhig aussprechen, daß alle Geschichten der Philosophie, die eine einheitliche Entwicklung aufweisen wollen, zwar oft recht [284] geistreiche, aber dennoch Fälschungen sind, wenn wir natürlich die bona fides der betreffenden Historiker gern zugeben. Das Unternehmen versagt selbst dann, wenn man — wie Hegel — sogar in der gegensätzlichen Meinung eine Vorstufe und partielle Bestätigung der kommenden sieht. Gewiß scheinen auch uns die verschiedenen Systeme sich zu ergänzen, aber nicht als Etappen auf einer geraden oder gebrochenen Linie, sondern als selbständige, völlig verschiedene Unternehmungen, womit man die Welt einzukreisen sucht.

Noch unmöglicher aber ist ein drittes Verfahren, das man angewendet hat, um eine scheinbare Übereinstimmung der großen Philosophen vorzutäuschen. Es besteht darin, daß man ein System oder mehrere verwandte als Norm aufstellt und von hier aus alles damit Nichtübereinstimmende als Nichtphilosophie verdammt, so daß man, wenn man z. B. Kantianer ist, Heraklit oder Descartes oder Schopenhauer einfach nicht mitzählt. Ein solches Verfahren ist weder wissenschaftlich, noch gar philosophisch und kann deshalb unbeachtet bleiben.

Der Versuch, innerhalb der Philosophiegeschichte eine latente Allgemeingültigkeit im rationalen Sinne zu erweisen, ist auf jeden Fall zum Scheitern verdammt. Gewiß sehen auch wir in der Philosophiegeschichte nicht einen Trödelmarkt von Gedanken, aber wir sehen die höhere, alle Einzelerkenntnisse überbauende philosophische Einsicht nicht in einer rationalisierenden Gleichmacherei, sondern in einer irrationalen Ergänzung von Verschiedenheiten, so daß sich hinter den tatsächlichen Abweichungen doch eine irrationale Einheit ahnen läßt.

Aber man kann schon heute feststellen: eine absolute Allgemeingültigkeit im Sinne der Rationalisten ergibt kein einziges philosophisches System. Vom Standpunkt des Rationalismus aus müßte also gerade die Geschichte der Philosophie die Unmöglichkeit der Philosophie unwiderleglich dartun, einen Schluß, den wir nicht mitmachen.

8. Der irrationale Ursprung aller Philosophie.

Des weiteren können wir gegen den Rationalismus anführen, daß alle, auch die angeblich rationalen Systeme, keineswegs [285] garantiert rational sind, sondern daß sich deutlich allenthalben irrationale Elemente in ihrem Bau nachweisen lassen.

Das gilt vor allem vom Ursprung der Systeme, dem Ausgangspunkt, der fast nirgends rational ist, sondern jenseits aller rationalen Begründung liegt, irgendwie in schöpferischer Erkenntnis erschaut worden ist. Der Ausgangspunkt aller philosophischen Systeme (wenn auch nicht nach der Darstellung) ist eine Art seherischen Aktes, ein „mystischer Luftsprung”, was Eduard v. Hartmann einmal von sich zugibt und auch zugleich von allen anderen philosophischen Lehren behauptet. Oder sind etwa das [griech.] des Parmenides, die „Ideen” des Platon, die Substanz des Spinoza, die Monadenhierarchie des Leibniz, Kants Pflichtgedanke, Fichtes schöpferisches Ich, Hegels Dialektik, Schopenhauers „Wille”, kurz, welches philosophische Grundprinzip man will, sind die zu beweisen wie der Pythagoreische Lehrsatz oder ad oculos zu demonstrieren wie das Prinzip der Dampfmaschine? Nein, sie alle sind in irrationalem Schöpfungsakt geboren wie nur je ein künstlerisches Werk oder eine religiöse Überzeugung. Ihr oft so widersprechender Erkenntniswert liegt niemals in der Ratio, sondern darin, daß sie in symbolischer Weise eine letzte irrationale Grundhaltung des Lebens schöpferisch gestalten.

Deshalb wird man auch niemals in das Innere eines philosophischen Systems eindringen, wenn man es nur zu denken versucht. Wer rein intellektualistisch Philosophien zu erfassen vermeint, dem bleiben sie im Grunde so stumm und unverständlich wie Kunst oder Religion einem jeden, der ihrer mit reiner Logik habhaft zu werden hofft. Deshalb ertötet auch der landesübliche Betrieb des Philosophiestudiums, in dem der Schüler von außen an der langen Reihe der Systeme entlanggehetzt wird, jeden echten philosophischen Geist. Philosophie lernt man überhaupt nicht von außen, man hat sie im eigenen Wesen, man lebt sie. Sie ist niemals allgemeingültig, sie ist stets persönlich, oder sie ist überhaupt keine Philosophie. Eine Philosophie ist niemals restlos beweisbar, ein Philosoph hat auch nicht „Schüler”, wie ein Handwerker, sondern er wirbt Jünger, die aus einer [286] irrationalen Übereinstimmung heraus seinen Gedanken nachleben, wie ein Künstler oder ein Prophet.

Indem ich also alle Philosophien, auch die dem Angeben nach rationalistischen, im tiefsten Grunde für irrational erkläre, rücke ich sie in vieler Hinsicht der Kunst, der Religion und jeder anderen Möglichkeit, zur Welt als Gesamtheit Stellung zu nehmen, nahe und entferne sie so von der „Wissenschaft”, obwohl auch jede Einzelwissenschaft nur solange rational bleibt, als sie sich auf ein kleines Fleckchen beschränkt. Auch jede Einzelwissenschaft, sobald sie in ihrer Gesamtheit erfaßt wird, stößt überall an irrationale Grenzen; sie muß, sobald sie sich über ihre Prinzipien besinnt, zugeben, daß auch ihr Rationalismus scheinbar ist. Um einen Vergleich zu brauchen, so kann sich gewiß jeder, der seinen Garten bebaut, einbilden, dieser ruhe festverankert im Weltall; sobald er aber nur den Blick erhebt und weiterdenkt, muß er zugeben, daß diese Ruhe nur scheinbar ist, daß auch er im Weltall kreist in ewiger, mannigfachster Bewegung.

Mit den Einzelwissenschaften gemein ist der Philosophie, und darin unterscheidet sie sich von Kunst und Religion, die Form der Darstellung, daß sie sich bemüht, das irrational Erschaffene in rationale Form zu bringen, um sich so der übrigen Menschheit möglichst verständlich mitzuteilen; und oft erging es den Philosophen dabei, daß sie im Streben nach Rationalität den irrationalen Charakter ihres Welterlebens versteckten, ja sogar selbst vergaßen oder sich darüber bewußt zu täuschen versuchten.

9. Irrationale Darstellungsmittel in der bisherigen Philosophie.

Aber niemals kann auch die rationalste Form ganz die Irrationalität des Erlebens verdecken. Nicht nur, daß sie an den unvermeidlichen Brüchen der Darstellung, an denen es in keinem System fehlt, verräterisch herausschaut, zuweilen bricht sie auch ganz offen durch die rationalen Gerüste hindurch und schreitet selbstherrlich einher.

Es ist der offenkundigste Beweis für das Unzulängliche aller rationalen Darstellung philosophischer Schöpfungen, daß die Philosophen selbst der Überzeugungskraft der rationalen Sprache [287] mißtrauen, daß sie spüren, daß mit rein logischen Begriffen niemals das Tiefste und Letzte ihres schöpferischen Erkennens erfaßt werden kann, und daß sie deshalb offen die irrationalen Möglichkeiten der Sprache anrufen, um sich ganz mitzuteilen.

Man muß mit allem Nachdruck darauf hinweisen, daß fast alle großen Philosophen an den Höhepunkten ihrer Darstellung plötzlich der rationalen Begriffssprache entsagen und zu künstlerischen Mitteln greifen. Das ist nicht, wie man wohl gemeint hat, eine anmutige und sympathische, aber belanglose Laune, sondern gerade hierin offenbart sich mit Urgewalt der tiefste, irrationale Charakter alles Philosophierens. Es ist keine Maske, die der Philosoph hier annimmt, sondern gerade hier wirft er die Maske ab, hier erst ist er der „reine” Philosoph, und von je hat man gerade in solchen Teilen der Darstellung, wo zwischen dem Grau in Grau des rationalen Gerüstes die leuchtende Glut irrationaler Ergriffenheit heraussprüht, die wahren Höhepunkte des ganzen Werkes gesehen!

In den Anfängen aller Philosophie ist die Sprache überhaupt nicht die der Wissenschaft, sondern die der Dichter. Die Denker des alten Indien sprechen im Tone der Propheten, die chinesischen Weisen künden in Gleichnissen und geheimnisvollen Wortspielen ihre Lehren, und die ältesten Griechen schrieben in rhythmischer Form. Die gewaltigen Worte des „dunklen” Heraklit, deren Irrationalität schon das Altertum so tief empfand, erinnern, im Tonfall oft an die Reden der Propheten des alten Bundes. Wie seltsam ist es, daß der Erzrationalist Sokrates kurz vor seinem Tode die Worte vernahm: „Treibe Musik, Sokrates!” Wie sind diese anders zu deuten denn als Hinweis aufs Irrationale? Sein großer Schüler Plato nahm sie auf und gern beschließt er seine, um Rationalisierung der Welt sich mühenden Dialoge mit jenen wundersamen Mythen und Bildern, die man je und je als das Tiefste erfaßt hat, was er zu sagen hatte. Von Aristoteles haben wir nur systematische Schriften, aber wir wissen auch von anderen, uns verlorenen, mehr dichterischen Werken, und das Altertum rühmte wohl das „flumen aureum eloquentiae”, [288] das von ihnen ausgegangen sei. Und sind die Schriften der späteren Denker etwa wissenschaftliche Prosa? Redet nicht Plotin in Zungen und Bildern ebenso wie die Mystiker des deutschen Mittelalters? Erst die Neuzeit heischt die Form der wissenschaftlichen Darstellung, aber wir spüren besonders bei Spinoza, daß die geometrische Form nur ein künstlicher Kanal ist, in den er den Strom seines fast mystischen Welterlebens leitet. Selbst Kant durchbricht an solchen Stellen, wo er am tiefsten ergriffen ist, die verschlungenen Perioden seiner Prosa, und gerade jene Stellen, wie den Hymnus an die Pflicht, oder die andere, wo er das moralische Gesetz dem bestirnten Himmel vergleicht, hat man immer besonders herausgehoben. Und wird Fichte nicht oft genug auch formal zum Dichter? Und gibt es nicht in der ehernen Prosa Schopenhauers Stellen genug, die plötzlich in Rhythmen zu wandeln scheinen? Und sind nicht der Mikrokosmus Lotzes auch sprachlich vielfach gedichtet und Fechners Visionen nicht weniger? Und hat nicht Nietzsche in seinem berühmtesten Werke wieder offen die poetische Form gewählt, allem rationalen Zwang sich entschlagend? Die meisten neueren Denker haben sich, dem Geiste des wissenschaftlichen Zeitalters folgend, der Prosa verschrieben. Ob aber ihre Darstellung dadurch gewonnen hat, ob sie überzeugender sprechen, weil sie in Prosa reden?

Ich habe hier nicht zu loben oder zu tadeln, ich stelle nur fest, daß die Philosophie stets dort am tiefsten gewirkt hat, dort am besten verstanden wurde, wo sie nicht bloß rationaler Formen sich bediente, sondern dort, wo sie die irrationale Macht, die in der Sprache ruht, beschworen, um innerstes Erkennen zu künden.

10. Die Unmöglichkeit des rationalen Absolutismus.

Der Irrationalismus wird also offen bekennen, daß er kein allgemeingültiges System bereit hat und nie bereithalten kann, um die ganze Welt wie eine Maus in der Falle darin einzufangen. Allerdings unterscheidet er sich vom Rationalismus nur durch diese Offenheit; denn obwohl der Rationalismus angeblich absolute Systeme zu Dutzenden in die Welt gesetzt hat, hat auch er das absolute Wahrheitssystem nicht gefunden, ja man kann [289] sagen, daß die einzelnen Absolutisten dadurch, daß sie mit gleichen Ansprüchen einander bekämpfen, am eifrigsten bemüht sind, ihre eigene Richtung ad absurdum zu führen. Im Grunde verfährt daher der Irrationalist, der auch den absolutistischen Theorien eine relative Bedeutung beimißt, weit glimpflicher damit als die eigenen Bekenner der absolutistischen Dogmen.

Man muß den Anspruch einer absolutistischen Wahrheitstheorie, auf die jeder Rationalismus hinauskommt, nur konsequent durchdenken um seines Widersinns gewiß zu werden. Nehmen wir die Erkenntnis eines alltäglichen Ereignisses, etwa die richterliche Klarlegung eines Streites zwischen zwei Personen. Von unserem Standpunkt aus, dem Erkenntnis stets Stellungnahme zu einem Gegenstand in der Absicht wertvollen Wirkens ist, besteht Erkenntnis des Falls, wenn die Ansprüche der Streitenden in den Hauptzügen erfaßt sind, so daß daraufhin und auf Grund der bestehenden Gesetze eine Entscheidung möglich ist. Damit ist aber weder behauptet, es bestünde absolute Erkenntnis des gesamten Streitfalls, noch sei das Urteil in absolutem Sinne „richtig”. Es ist nur die praktisch notwendige richterliche Stellungnahme zu den Gegensätzen, soweit sie vom menschlichen Standpunkt aus überschaubar sind. Das nennen wir Erkenntnis, weil solche Erkenntnis im Leben ausreicht.

Was aber wäre absolute Erkenntnis? Sie müßte nicht nur die gesamten seelischen Zustände der Streitenden nebeneinander in das Hirn des Richters versetzen, nein, auch die gesamte ursächliche Determination dieser Charaktere bis in frühere Generationen hinauf; ja, strenggenommen setzt die absolute Erkenntnis des kleinsten Winkels der Welt die absolute Erkenntnis der Gesamtwelt voraus; denn Relationen bestehen von allem zu allem, und man kann nirgends eine absolute Grenze ziehen. Denn daß die Zwei da streiten, hängt auch mit dem Bestehen der deutschen Sprache, diese wieder mit der Entstehung des Menschengeschlechts, diese mit der Entstehung unseres Sonnensystems zusammen, und eine absolute Erkenntnis jenes Streitfalls setzt alles das und noch millionenfache andere Erkenntnis voraus. Eine absolute Erkenntnis wäre also gleichsam eine [290] Neuauflage des Weltgeschehens im Geiste oder — falls die realistische Voraussetzung des Bestehens einer Außenwelt gestrichen wird — die Erzeugung im Geiste. Daß in einem Menschengeiste oder auch dem menschlichen Denken überhaupt derartiges unmöglich ist, kann kein Einsichtiger bestreiten, der nicht absolutistische Scheuklappen trägt. Absolute Erkenntnis setzt auch einen absoluten Erkennenden voraus. Da aber kein Mensch über absoluten Geist verfügt (das wird kaum ein absolutisticher Dogmatiker ernsthaft behaupten), so ist auch absolute Erkenntnis für Menschen unmöglich ¹).


¹) Es ist kaum nötig, auf jenem billigen Einwand einzugehen, der immer wieder gegen den Relativismus erhoben, freilich von den klügeren Absolutisten selbst verschmäht wird: der Relativist stelle selbst eine absolute Behauptung auf, wenn er alles Erkennen für relativ erkläre. Denn das tut kein wirklicher Relativist; er sagt nur, alles menschliche Erkennen sei relativ. Diese Behauptung enthält bereits die Relation auf den Menschen, ist also keineswegs absolutistisch, sondern bleibt durchaus innerhalb des Relativismus.

Nach Meinung der Absolutisten aber verdammt jeglicher Relativismus den Menschen zur Verzweiflung. Nun kann man ruhig solche Leute, die sich deshalb erschießen, ihrem Schicksal überlassen: sie sind lebensuntüchtige Individuen, an denen die Welt nichts verliert. Diese geht nicht aus den Fugen, obwohl nachweislich noch kein Mensch absolute Erkenntnisse besessen hat. So wenig die Bewegungen meines Uhrzeigers an Präzision verlieren, darum, weil nach Einstein alle Bewegung relativ ist, so wenig werden meine tatsächlichen Erkenntnisse, dadurch entwertet, daß letzten Endes alle menschliche Erkenntnis von Absolutheit weit entfernt ist. Ja gesetzt, ein Mensch hätte heute irgendwelche absoluten Erkenntnisse, so wären sie ihm genau so wertlos wie etwa die Kenntnis einer in Jahrtausenden vielleicht zu schaffenden „absoluten” Weltsprache in unserer Zeit, wo es nur „relative” Sprachen gibt und niemand jene verstünde. Alle Erkenntnis wird ja überhaupt erst Erkenntnis dank ihrer Angemessenheit an das erkennende Subjekt und seine Lebensbedingungen, wozu auch die sozialen und anderen jeweiligen Relationen gehören.

[291] Der Irrationalist tritt an die Welt nicht mit idealen Forderungen heran, sondern trägt der Unübersehbarkeit der Realität Rechnung. Er hebt die Einzelerkenntnis als Erkenntnis nicht auf, was jeder konsequente Absolutismus tut, sondern er läßt sie als solche bestehen, sucht sie nur in so weite Zusammenhänge einzufügen, als es praktisch nötig und möglich ist. Als Philosoph aber wird er wissen um die Problematik alles Erkennens, er wird darüber weder andere noch sich täuschen, ja mehr noch, er wird mit einem Gefühle der Ehrfurcht auf diese Grenzen schauen.

11. Die überindividuelle Bedeutung des irrationalen Philosophierens.

Deshalb ist auch unsere Stellung zu den früheren Systemen der Philosophie ganz anders als die des rationalen Absolutisten. Dieser muß alle Philosophie für falsch erklären, soweit sie nicht seinem System, für das er absolute Geltung beansprucht, gemäß ist. Vom Standpunkt eines irrationalistischen Relativismus sind die früheren Systeme gewiß nicht absolut richtig, sie sind aber auch nicht absolut falsch, sondern gelten uns als historisch bedingte, aber vital notwendige Auswirkungen der philosophischen Subjekte. Wie verschiedene Künstler den „gleichen” Gegenstand je in ihrem eigenen Stil zwar objektiv verschieden, aber subjektiv alle mit innerer Notwendigkeit gestalten, so auch die verschiedenen Philosophen ihren Gegenstand: die Gesamtheit der Welt. Und nur die rationale Darstellungsform täuscht über die irrationale Subjektivität der Systeme hinweg.

Wie in der Kunst und auf anderen Kulturgebieten, so gibt es auch im philosophischen Erkennen typische Ausprägungen, die bei aller Relativität überindividuelle Geltung haben. Es ist also nicht so, wie der Absolutismus behauptet, daß wir vor die Wahl: entweder Absolutismus oder individualistisches Chaos gestellt sind, sondern in mannigfachen Ausdehnungen gibt es dazwischen typische Gestaltungen, die zugleich subjektiv und relativ und doch überindividuell und dauernd sind. So, also weder als absolute Allgemeingültigkeiten noch als individualistische Willkürakte, haben wir die philosophischen [292] Systeme vom irrationalistischen Standpunkt aus anzusehen. Die großen Philosophen (wie die großen Künstler und Religiösen) sprechen niemals im eigenen Namen allein, sondern stets als Repräsentanten von Typen, seien diese zeitlicher, völkischer oder zeitlos psychologischer Art. Plato formte gewiß zunächst eine persönliche, darüber hinaus aber zugleich eine für seine Zeit, für sein Volk, für einen ganz zeit- und ortlosen allgemein menschlichen psychologischen Typus repräsentative Weltanschauung. Es sind in neuer Zeit viele Versuche gemacht worden, diese Typen des philosophischen Geistes zu klassifizieren, und es haben sich höchst mannigfache Möglichkeiten dieser Art ergeben. Die Geistesgeschichte gewinnt eine ganz neue Ordnung bei dieser Betrachtungsweise, nicht eine im Sinne linearen Fortschritts, sondern im Sinne der Einkreisung des gleichen Ziels von verschiedenen Seiten. Die Systeme reihen sich nicht auf eine Linie, sondern schließen sich zu einem Ring, der dichter und dichter wird, und in dem sich die menschlichen Möglichkeiten ergänzen.

12. Der Fortschritt der Erkenntnis vom Standpunkt des Irrationalismus.

Noch eine Frage sei beantwortet, die vielleicht der relativistisch-irrationalistischen Betrachtungsweise gegenüber auftaucht: die nämlich, ob wir überhaupt von Fortschritt der Erkenntnis reden können, wenn wir den objektiven Inhalten, die nach der rationalen Ansicht einem ständig sich mehrenden Kapital gleichen, philosophisch so geringen Wert beilegen, wenn wir — unter einer Leugnung der reinen Objektivitätserkenntnis — immer wieder das Persönliche des Erkennens betonen. —

Deshalb noch einmal: die Ergebnisse der Einzelwissenschaften behalten ihren praktischen Wert, auch wenn sie vom philosophischen Standpunkt aus sich zum guten Teil als sehr unzureichend fundiert, als Konventionen, Fiktionen und Hypothesen darstellen. Sie vermögen auch der philosophischen Weltanschauung Farbe und Bereicherung jeder Art zu leihen, und kein Philosoph darf sie ungestraft beiseite lassen: nur für die letzte, eigentümlich philosophische Problematik ist ihre Bedeutung gering. [293] In diesen Dingen gibt es so wenig einen kontinuierlichen Fortschritt wie in der Kunst. So wenig, von Inhaltlichem und Technischem abgesehen, rein als künstlerische Vision die Werke Ibsens oder Hauptmanns einen absoluten „Fortschritt” gegenüber Äschylus oder Shakespeare bedeuten, so wenig sind die neueren Philosophen rein als Philosophen genommen, gewaltiger als Heraklit oder Plato. Im irrationalen Sinne haben diese bereits eine Stellung der Welt gegenüber gewonnen, die wohl ausgebaut und in Einzelheiten gefestigt, aber nicht „überwunden” werden kann. Denn eine Persönlichkeit ist „niemals zu widerlegen”; und auf Persönlichem beruht letzten Endes alle große Philosophie wie alle große Kunst. Mögen sie in Einzelheiten geirrt haben, mag die Systematik neuerer Denker, die gesättigt ist mit den Ergebnissen der Spezialforschung, im einzelnen solider gebaut sein, in der Philosophie kommt es nicht auf die Richtigkeit der Einzelheiten, sondern auf die menschliche Bedeutsamkeit der Gesamtvision an, und diese war bei Heraklit oder Pythagoras schon ebenso vorhanden wie bei E. v. Hartmann oder F. A. Lange. Da diese Gesamtvision aber verwurzelt ist in der persönlichen. Eigenart des Philosophen und ihre Bedeutung zunächst nur für den entsprechenden Typus besteht (mag sie als Ergänzung und fördernder Gegensatz auch für alle anderen Typen wertvoll sein), so ist sie nicht rational, sondern in unserem Sinne irrational.

Förderung der irrationalen Erkenntnismöglichkeiten aber geschieht nicht durch äußeren Drill und Belehrung, sondern muß von innen heraus kommen. Denn jene wurzeln nicht in Inhalten, sondern in dem irrationalen Wesen, das das Göttergeschenk der Natur in uns ist, das der Mensch in seinem rationalen Hochmut oft gröblich vernachlässigt. Diese Fähigkeiten aber sind in sich durchaus entwickelbar.

Überall in unserer Analyse stießen wir auf dieses irrationale Wesen in unserem Innern, das die Instinkte leitet, das uns zur Einfühlung befähigt, das den Menschen schöpferisch macht, für das wir keine rationale Formel fanden, und das doch vorausgesetzt werden muß, um jene Fähigkeiten zu erklären. Ich nenne [294] es das Leben. Die Erkenntnis ist nur eine Funktion dieses Lebens, dem sie zu dienen hat, und das alle möglichen Inhalte des Erkennens erst zur Erkenntnis macht, indem es sie sich unterordnet.

Förderung der Erkenntnis also bedeutet uns in erster Linie Befreiung des Lebens in uns, des Lebens in allen seinen immanenten Tendenzen. Dieser Lebensquell, der verschüttet wird durch die Hypertrophie eines ertötenden Intellektualismus, muß wieder frei gemacht werden, muß zu reiner Entfaltung kommen. Hier, wenn irgendwo, quillt uns der Born eines göttlichen Seins, hier in uns spüren wir einen Weltwillen, der nicht von uns gesetzt ist, sondern aus Tiefen bricht, zu deren Grund kein Senkblei unseres Verstandes hinabreicht. Hier spüren wir die große Strömung am Werke, deren vergängliche Wellen wir sind, von der wir nicht wissen, woher sie kommt, von der wir nicht ahnen, wohin sie geht, und von der wir doch spüren, daß sie strömt. Gewiß wollen wir nicht die Vernunft verachten, wir wollen gern in ihr eine der erhabensten Lebensmächte erkennen, aber sie ist das nur, wenn sie in Einklang bleibt mit den irrationalen Mächten in uns, wenn sie sich nicht losreißt von den tieferen Kräften, die ihr allein Halt und Sinn verleihen.

Die Bedeutung der irrationalistischen Philosophie ist daher überhaupt nicht von ihren Inhalten, ihrer objektiven Seite her, sondern von der subjektiven Seite her zu verstehen. Erkenntnis war uns ja überhaupt keine rein objektive Tatsache, sondern eine lebendige Beziehung zwischen Objekt und Subjekt, die im Subjekt zentriert ist und in ihrer Lebensbedeutung für dieses ihren Wert erhält. Nicht also, daß einer gewisse „Sätze” in seinem Hirn verstaut hat, macht ihn zum Erkennenden (wie der Logismus meint), sondern daß er es vermag, zu der von ihm zu bestimmenden Wirklichkeit Stellung zu nehmen, daß es der Lebenserhaltung und Lebensförderung seines Ich und zugleich weiterer Lebenskreise wertvoll ist.

Die irrationale Philosophie wird also ihr Hauptaugenmerk nicht auf eine angeblich reine Objektivität richten, das wäre Donquichotterie, sondern auf die Beziehungen des Subjekts zur Objektivität, vor allem aber auch auf das Subjekt selbst.

[295] Förderung der Erkenntnis in unserem Sinne wird nicht durch Vermittlung von Inhalten erzielt, sondern zunächst durch Ausbildung des erkennenden Subjekts und seiner Erkenntnisfunktionen, die sich dann selbst ihren Inhalt schaffen werden. Daß solche Erkenntnisförderung sich nicht mit einer Schulung der rational-logischen Funktionen begnügen kann, haben unsere Darlegungen gezeigt. Man kann sehr logisch im Sinne der Scholastik denken und dabei im Leben ein unbrauchbarer Tölpel sein, wenn man nicht zugleich die Fähigkeit der singularisierenden Beobachtung, der instinktiven Reaktion, der einfühlenden Menschenkenntnis und die schöpferischer Intuition hat.

13. Ontologische Perspektiven des Irrationalismus.

Wir waren davon ausgegangen, die Begriffe „rational” und „irrational” als Bezeichnungen bestimmter Erkenntnisarten zu nehmen: indessen ist es sprachbräuchlich — und daher konnte auch in unserer Darstellung ein Mitschwingen dieser Bedeutung nicht vermieden werden —, daß jene Begriffe auch im ontologischen Sinne, als Bezeichnung des im Erkennen „Gemeinten” verwendet werden. Also nicht nur das Erkennen, auch das zu Erkennende nennt man rational oder irrational. Nun wären dabei geringe Schwierigkeiten, wenn man sagen könnte: alles im rationalen Erkennen Erfaßte sei eben rational, alles im irrationalen Erkennen Ergriffene irrational. Die Welt würde sich somit in zwei klar geschiedene Sphären teilen.

Nun sahen wir aber, daß sich schon rationales und irrationales Erkennen nicht haarscharf scheiden lassen: daß in allem rationalisierenden Erkennen irrationale Faktoren und in allem irrationalen Erkennen Rationalisierungen bestehen. Auch ist die Möglichkeit nicht von der Hand zu weisen, daß rationales Sein auch auf irrationale Weise, irrationales auch rational bis zu gewissem Grade erkannt werde. In der Tat stößt, zum mindesten als an eine „Grenze”, das rationale Denken stets an irrationale Gegebenheiten: umgekehrt aber werden auch unsere irrationalen Erlebnisse beständig veranlaßt, sich bis zu gewissem Grade zu rationalisieren. Danach also sieht es aus, als sei das zu [296] erkennende Sein gemischt aus rationalen und irrationalen Faktoren. Und es sei nur eine Anpassungserscheinung, wenn sich in unserem Erkennen ebenfalls Rationales und Irrationales vereinigt.

Trotzdem könnte man geneigt sein, in der Welt des Seins eine Scheidung zu versuchen und den Bereich des Unorganischen als rational, d. h. als in festen Begriffen und Gesetzen faßbar, den Bereich des Organischen dagegen als irrational, d. h. keinen festen Begriffen und Gesetzen unterworfen, zu begreifen.

Indessen bestehen da große Schwierigkeiten. Denn eine scharfe Trennung zwischen Anorganischem und Organischem ist schwer zu ziehen. Organismen zerfallen in anorganische Stoffe und bauen sich aus anorganischen Stoffen auf. Auch könnte man meinen, es läge nur an der Grobheit unserer Sinne, daß wir in der anorganischen Welt Identität wahrnehmen, oder aber es läge nur an der Enge unseres Geistes, daß wir die organische Welt noch nicht in feste Gesetze aufgelöst hätten. Im ersten Falle wäre auch die anorganische Welt irrational, im zweiten auch die organische Welt rational. Im ersten Falle kämen wir zu einem Panvitalismus, im zweiten zu einem Panmechanismus. Daneben besteht noch die Möglichkeit eines Dualismus, der die Welt aus zwei entgegengesetzten Prinzipien, etwa Materie und Leben, bestehen läßt. Eine bindende Entscheidung in diesen Fragen ist nicht zu treffen: es ist, wenigstens bisher und vermutlich noch auf lange hinaus, unmöglich zu sagen, ob es gelingen wird, alles Leben als rational-mechanisch, alle Materie als irrational-vital zu deuten, oder ob in Ewigkeit beide Prinzipien nebeneinander bestehen. Es liegt heute allein in der persönlichen Eigenart des Denkers, für welche Entscheidung er optiert. Wesentlich rational-mathematische Köpfe werden für den Mechanismus stimmen, mehr irrational-künstlerisch veranlagte Naturen werden dem Vitalismus zuneigen. Kritische Vorsicht, die die Wa[a]ge im Gleichgewicht schweben sieht, wird bemüht sein, beiden Parteien eine relative Berechtigung zu geben und höchstens nach einem gemeinsamen Überbegriff zu suchen.

Für die Praxis werden wir jedenfalls gezwungen sein, Gleichheit und Mannigfaltigkeit, Gesetzlichkeit und Freiheit, [297] Rationales und Irrationales nebeneinander und in mannigfachster Wechselbeziehung anzunehmen.

Bemerkenswert ist dabei die verschiedene Bewertung, die das Rationale und Irrationale je nach der persönlichen Anlage des Denkers erfahren. Dem Rationalisten erscheint das Irrationale in der Welt als etwas zu Überwindendes, Beklagenswertes, wohl gar als das „Böse”. Er möchte die ganze Welt der Ratio unterordnen und bekämpft alles dem Entgegenstehende. Dem extremen Irrationalisten widerstrebt gerade alles Regelmäßige, Gleiche, bloß Vernünftige. Er begrüßt alles, was nach Buntheit, Unregelmäßigkeit, Freiheit aussieht. Ginge es nach dem Rationalismus, so gäbe es sicher keine ungeheuren Ozeane, keine schroffen Alpenhöhen und keine Wüsten in der Welt, die Erde würde aussehen wie eine große Schrebergartenkolonie oder eine englische Arbeitervorstadt; der Irrationalist bejaht gerade das, was der Rationalist verneint, er bewundert nicht nur die unübersehbare Formenfülle der organischen Welt, auch das Ungeheure des Ozeans, das Erhabene der Alpen, die grandiose Einsamkeit der Wüste, weil er selbst ihnen gegenüber in sich unfaßbare Lebensmächte sich regend verspürt. Ja selbst in so irrationalen Geschehnissen wie Kriegen sucht er einen Sinn, nicht aus blöder Freude am Chaotischen, sondern weil er überzeugt ist, daß es in der Welt einen irrationalen Sinn gibt, der weit über allen Verstand hinausgeht, und der auch dort schweigend zu verehren ist, wo unser Verstand ihm ratlos gegenübersteht.

Die Lebensstimmung des Rationalisten neigt im allgemeinen zu einem sich selbst betrügenden Optimismus, der das Irrationale der Welt irgendwie wegzudisputieren sucht. Die Lebensstimmung des Irrationalisten ist komplizierter. Sie kann zum Pessimismus führen, sie kann aber auch, indem sie auch das Irrationale bejaht, zu einer „tragischen” Weltanschauung gelangen, die selbst im Untergang des Lebens noch einen höheren Sinn verehrt. Sie kann auch die Stimmung des „Humors” gewinnen, der über die Irrationalitäten nicht mehr klagt, sondern sie nur noch wehmütig belächelt.

[298]

14. Erkenntnis und Leben.

Und trotzdem braucht radikaler Relativismus nicht das letzte Wort zu sein, das sich vom irrationalen Standpunkt aus sagen läßt. Wenn es auch keine rationale Erkenntnis des Absoluten gibt, so gibt es doch vielleicht eine irrationale. Denn die Leugnung der Absolutheit des Erkennens besagt noch nicht die Leugnung eines relativ-irrationalen Erkennens des Absoluten.

Und zwar sind wir berechtigt, in doppelter Richtung nach einem Absoluten zu suchen, ja gerade der Irrationalismus zwingt uns dazu: Wir sahen, daß alles Erkennen eine Beziehung zwischen zwei Polen ist, von deren keinem wir rationale oder absolute Erkenntnis erlangen konnten: zwischen dem erkennenden Subjekt und dem zu erkennenden Objekt. Beide gingen, so sahen wir, niemals ganz ein ins Erkennen, sie sind aber darum auf keinen Fall gar nicht vorhanden oder nur trügerische Erzeugnisse des Erkennens, sondern müssen einen auch vom Erkennen unabhängigen Bestand haben. Das ist gewiß nicht selbst im Erkennen gegeben, aber eine notwendige Voraussetzung alles Erkennens, die sich praktisch mannigfach verifizieren läßt. Ihr Sein ist unabhängig vom Erkanntwerden, und insofern sind Subjekt und Objekt des Erkennens im metaphysischen Sinne absolut. So wenig man deshalb, weil von einem Dutzend Malern jeder einen „anderen” Baum malt, den Schluß ziehen wird, der Baum sei überhaupt nicht da, oder deshalb, weil niemand diesen Baum malt, schließen wird, es gäbe überhaupt keine Maler, so wenig darf man aus der Relativität des Erkennens auf das Nichtvorhandensein eines absoluten Erkenntnisgegenstandes oder auf das Nichtvorhandensein erkennender Subjekte, in denen ein vom Erkennen unabhängiges absolutes Leben sich auswirkt, schließen.

Leugnung einer absoluten Erkenntnis ist also nicht Leugnung des Absoluten. Ein erkenntnistheoretischer Relativismus kann sehr wohl ein metaphysisch Absolutes annehmen, das für ihn nicht völlig unerkennbar, sondern eben nur relativ erkennbar ist. Ja, dieses metaphysisch Absolute ist eine unabweisbare [299] Voraussetzung alles Erkennens, da nur in ihm sowohl das erkennende Subjekt wie das zu erkennende Objekt fundiert werden können. Die Welt braucht deshalb noch nicht in zwei getrennte Sphären des Subjektiven und Objektiven auseinanderzubrechen; es ist möglich, beides in höherer Synthese zusammenzufassen. Ich und Außenwelt stehen sich gewiß gegenüber, aber nicht als totale Verschiedenheiten, sondern als aufeinauderbezogenes Auseinandertreten einer metaphysischen Einheit. Ich stellte früher das Erkennen als einen Lebensvorgang neben andere. Wie der Baum wächst, als ein relativ Selbständiges und doch tausendfach zeitlich und räumlich mit äußerem Sein zusammenhängend und damit in lebendiger Wechselwirkung stehend, so steht das erkennende Ich bei aller Spontaneität auch durch sein Erkennen wie sein physisches Leben in untrennbarem Zusammenhang mit dem Nicht-Ich, es ist zugleich selbständig und Teil, es entfaltet sich erkennend, wie der Baum sich wachsend entfaltet, das Erkennen ist ein Teil des Weltgeschehens wie das Blühen und Früchtetragen der Pflanzen, eine Szene in einem Drama, dessen Fortgang sich ihm im Dunkel der Zukunft verbirgt. Aber daß ein dem Ich übergeordnetes, von ihm nicht bedingtes Sein außer ihm und in ihm existiert, das ist nicht nur Inhalt des Erkennens, sondern unwegdenkbare Voraussetzung. Wie das Erkennen sich einfügt in das überrationale Weltgeschehen, das, was es auch sein mag, sicherlich mehr ist als ein Zufallsspiel, das zu untersuchen ist nicht Aufgabe einer Erkehntnislehre, obwohl auch diese nicht umhin kann, die metaphysischen Wurzeln seiner selbst, die in einem als notwendig zu erschließenden Absoluten ruhen, wenigstens festzustellen.

Es sei mir zum Schlusse gestattet, einem alten Mythus eine neue Deutung zu geben. Es heißt in der Genesis: „Und Gott der Herr ließ aufwachsen aus der Erde allerlei Bäume, lustig anzusehen, und gut zu essen, und den Baum des Lebens mitten im Garten und den Baum der Erkenntnis des Bösen und Guten. Und Gott der Herr nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, daß er ihn baute und bewahrte. Und Gott der Herr gebot dem Menschen und sprach: Du sollst essen von allerlei [300] Bäumen im Garten; aber von dem Baume der Erkenntnis des Guten und Bösen sollst du nicht essen; denn welches Tages du davon issest, wirst du des Todes sterben.” Wir kennen den Fortgang der Sage. Aber sie ist nicht zu Ende mit dem ersten Sündenfall. Denn immer wieder hat der Mensch die Hände gereckt nach dem Baum der Erkenntnis, aber den Baum des Lebens hat er gering geachtet. Wir weisen den Menschen zurück zu diesem anderen Baume, dem Baum des Lebens. Wenn er dessen Früchte erntet, so wird der Fluch des Erkenntnisbaumes seine Gefahren verlieren, dann wird der Mensch auch theoretisch nicht, was er praktisch niemals getan, das Leben dem Erkennen, sondern das Erkennen dem Leben unterordnen, dann wird er nicht starre Dogmen für allgemeingültig und ewig ausrufen, sondern sich jene Freiheit und schöpferische Beweglichkeit des Geistes wahren, wodurch dieser erst fähig wird, in der unendlich wandelbaren Welt der Wirklichkeit sich zurechtzufinden und in immer neue Tiefen vorzudringen, und er wird auch die Ehrfurcht vor dem Unerkennbaren bewahren, die letzten Endes doch die einzige Haltung des Menschen der Totalität der Welt gegenüber bleiben muß.

--- ENDE ---

Berlin-Halensee 1922. Richard Müller-Freienfels.

[301]

--- Werbung aus dem Anhang ---

ANDERE WERKE DES VERFASSERS

Philosophie der Individualität

2. durchgesehene Auflage in Vorbereitung. Verlag Felix Meiner [Ausgezeichnet durch den Ehrenpreis der Nietzschestiftung 1922]
Persönlichkeit und Weltanschauung

Psycholog. Untersuchungen zu Religion, Kunst und Philosophie 2. völlig neubearbeitete Auflage / 1922 / B. G. Teubner
Psychologie der Kunst

2. völlig umgearbeitete u. erweiterte Auflage / 1922 /B.G.Teubner
Band I: Allgemeine Grundlegung und Psychologie des Kunstgeniessens
Band II: Psychologie des Kunstschaffens, des Stils und der Wertung
Band III: System der Künste / Die psychologischen Grundlagen der einzelnen Kunstzweige
Psychologie des deutschen Menschen und seiner Kultur

Versuch einer Volkscharakterologie / 1922 / C. H. Beck, München
Das Denken und die Phantasie

Psychologische Untersuchungen nebst Exkursen zur Psychopathologie, Aesthetik und Erkenntnistheorie / 1916 / Joh. Ambr. Barth
Poetik auf psychologischer Grundlage

6.-10. Tausend / B. G. Teubner
Psychologie der Religion

[Sammlung Göschen 805/806]


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Den Ehrenpreis der Nietzsche-Stiftung der alljährlich den drei besten während des abgelaufenen Jahres erschienenen philosophischen Büchern verliehen wird, erhielt für 1921 an erster Stelle
Richard Müller-Freienfels

Die Philosophie der Individualität

In vornehmem Halbleinenband. 1921. Preis 250 M.

M.-F. zeigt eine wahre Meisterschaft in der Gliederung eines äußerst verwickelten Stoffes; im wohltuenden Unterschied von manchen anderen Denkern, die in ihren Werken mehr Rätsel aufgeben als lösen, weiß er uns die ganze Problematik seines Gegenstandes zu zeigen, ohne ihn uns dadurch wirrer und dunkler zu machen. Man liest das Werk nicht nur mit erheblich intellektuellem Gewinn, sondern auch mit Vergnügen. Der Tag.

Hier haben wir eine höchst geniale und ebenso interessante Theorie des Lebens. New-York Evening Post.

Man legt das Werk, das einen gewaltigen Komplex von Problemen zum ersten Mal von einer bestimmten Seite aus mit der Helligkeit eines Scheinwerfers beleuchtet, mit dem Gefühl aus der Hand, eine ganz ungewöhnliche Klärung, Anregung und Bereicherung erfahren zu haben. Man sieht hundert Dinge in einem neuen Lichte, man hat hundert Fragen auf dem Herzen und fühlt sich gelockt, hier und da die eingeschlagenen Wege weiter zu verfolgen. Kurz, das Buch birgt Leben in sich, es ist fruchtbar und wird fortwirken. Preußische Jahrbücher, Mai 1922.

Gerade diese Vielseitigkeit aber macht das Buch reich und lebendig. Die künstlerisch gemeisterte Sprache, die unbedingte, durch eine Fülle geistvoller Vergleiche und Beispiele gesteigerte Klarheit macht die Lektüre spannend und schon rein formal zu einem Genuß, während die ständige Beziehung zur Alltäglichkeit, zur praktischen Vernunft dem Werk jene Lebensnähe und erzieherische Wirkungskraft gibt, die der Verfasser mit Recht nicht nur als vereinbar mit dem Wesen der Philosophie erachtet, sondern als ihre unerläßliche Bedingung anspricht. Sein Ehrgeiz ging dahin, „möglichst so zu schreiben, daß jeder Gebildete das Werk zu lesen vermag”. Gelungen ist ihm mehr: Man wird das Werk mit Gewinn lesen. Sozialistische Monatshefte.

VERLAG VON FELIX MEINER IN LEIPZIG


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R. MÜLLER-FREIENFELS:
DIE PHILOSOPHIE DER INDIVIDUALITÄT

Dadurch aber hebt sich Müller-Freienfels so hoch Über die meisten, die sich heute Philosophen nennen: daß er seine tiefen und starken Gedanken mit seinem Blute, nicht mit Wörtern nährt. Deshalb regt er mit jedem Satze an, sei es zu lebhafter Beistimmung, sei es meinethalben auch zum Widerspruch. Daher auch funkelt sein Stil und erquickt zugleich durch lautere Klarheit. Kurzum, wir haben eine ungewöhnliche Leistung vielseitigen und gediegenen Denkens vor uns; niemand wird an dem Buche vorbeigehen dürfen.
Julius Schulte in: Kantstudien, XXVII, 1/2.

Nicht unfruchtbare Skepsis, sondern Lebensbejahung ist die Grundstimmung dieses Buches, das gleich weit entfernt bleibt von flachem Optimismus wie von wirklichkeitsfremder Spekulation und Konstruktion. Die Sprache ist so klar und lebendig und in der Formulierung der gewonnenen Ergebnisse oft so schön, daß auch philosophisch nicht geschulte Leser, die an gedankenvoller Lektüre Freude haben, Genuß und Anregung in diesem Werk finden werden.
Vossische Zeitung.

Das Buch, fesselnd, lebhaft und anschaulich wie alle Schriften des Verfassers geschrieben, packt ein Problem, das im Mittelpunkt unserer philosophischen Interessen steht. Und mit einer erfrischenden Energie sucht es ihm in einer Weise beizukommen, die von dem Standpunkt der Betrachtungsweise unserer klassischen und akademischen Philosophie grundsätzlich abweicht. Es ist der Standpunkt des Irrationalismus gegenüber dem Rationalismus, des Lebens gegenüber dem Verstand, der hier mit Entschiedenheit verfochten und durchgeführt wird. Die Individualität erscheint dem Verfasser als etwas Irrationales, das nicht in die Begriffe der traditionellen Logik eingeht, als etwas, das zwar unter mancherlei Gesichtspunkten rationalisierbar ist, aber in seinem tiefsten Wesen sich doch jeder Schablone entzieht, indem es sich als das sich ewig wandelnde, nur relativ sich konsolidierende, unendlich sich spaltende Leben enthüllt. Damit ordnet sich diese Schrift jener Bewegung ein, die als „Philosophie des Lebens” bezeichnet zu werden pflegt und in Bergson und Simmel ihre Wegbereiter besitzt. Seine Stärke liegt in der Eindringlichkeit, mit der es uns den irrationalen Aspekt erschließt. In diesem Sinne kann es aber als sehr geeignet bezeichnet werden, den Fernerstehenden in die moderne Philosophie des Lebens einzuführen.
Deutsche Medizinische Wochenschrift.

Hier rückt der Begriff der Persönlichkeit selbst in den Mittelpunkt der Betrachtung, und wenn man bedenkt, wie oft im praktischen Leben die Individualität Fragestellung ist, versteht man die Bedeutung dieses Buches für alle, die angewandte Wissenschaft betreiben. Gerade das begriffliche und analytisch-psychologische Fundament ist hochwichtig, M.-F. spricht in z. T. sehr neuartiger Weise von der Irrationalität der Individualität (z. B. ihren Erscheinungsweisen, Veränderungen, Spaltungen), von ihrer Rationalisierung, ihrer Beziehung zu Wertinhalten, ihrer Stellung zum Leben. Ueberall herrscht nahe Wirklichkeit, klarer Stil, anregendes Inbeziehungsetzen zu Grenzgebieten. Diese Vielseitigkeit fehlt so viel Sondergelehrten. Es ist kein Zweifel, daß das M.-F.-Buch weit über die engeren Grenzen der Fachleute hinaus Interesse beanspruchen darf und finden wird.
Psychotechnische Rundschau.
VERLAG VON FELIX MEINER IN LEIPZIG


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Gleichzeitig erscheint ein neuer Band von:

Die Philosophie der Gegenwart in Selbstdarstellungen

Herausgegeben von Dr. Raymund Schmidt


Mitarbeiter:
G. Heymans, Wilhelm. Jerusalem, Götz Martins, Fritz Mauthner, August Messer, Julius Schultz, Ferdinand Tönnies

Früher erschienen:

Band I:
Paul Barth, Erich Becher, Hans Driesch, Karl Joel, Alexius Meinong, Paul Natorp, Johannes Rehmke, Johannes Volkelt.
Band II: Erich Adickes, Clemens Baeutnker, Jonas Cohn, H.Cornelius, Karl Groos, Alois Höller, Ernst Troeltsch, Hans Vaihinger.

Tadelloses weißes, holzfreies Papier. Jedem Beitrag ist ein Bildnis des Verfassers beigegeben.

Jeder Band in Halbleinen M. 250.-, in Halbpergament M. 400.-

Aus den Besprechungen:
„The appearance of such a collection in Germany at the present time is at once a welcome insight into the best German thought and feeling since the war, and a contribution towards the reinstatement of international culture.” „The Philosophical Review” in einem drei Seiten langen Aufsatz.

Um Gottes willen, eine Biographie der sämtlichen derzeit in Deutschland amtierenden Ordinarien — war mein erster Gedanke, als ich den Prospekt des Herausgebers las. Bald aber versöhnte ich mich mit dem Unternehmen. Die einzelnen Herren haben das Biographische geschickt, unter Hervorhebung seiner Konvergenz auf ihre Lebensarbeit, behandelt. Und was die Lehre angeht, so wünschte wohl mancher Historiker, er könnte von den toten Philosophen eine ebenso präzise und kurze Auskunft bekommen, wie er sie von den lebenden (z. B. Baeumker, Cornelius, Troeltsch, Vaihinger, Driesch, Natorp usw.) hier erhält. Literarischer Jahresbericht des Dürerbundes.

Ein dankenswertes Unternehmen! Endlich sieht und hört man bedeutende deutsche Philosophen sich einmal frei über ihre philosophische Entwicklung und ihre Ziele aussprechen. In den zwei Bänden kommen sechzehn Philosophen zu Wort. Jeder gibt hier seine beste, maßgebende Lebensbeschreibung. Einige wie Baeumker, Joel, Volkelt schreiben besonders lebhaft. Schon allein von dieser Seite aus bedeutet das Sammelwerk eine kulturgeschichtliche Tat. Kirche und Welt.

VERLAG VON FELIX MEINER IN LEIPZIG
Annalen der Philosophie

Herausgegeben von
Hans Vaihinger und Raymund Schmidt

Zwei Bände sind abgeschlossen
Vom Band III liegen die beiden ersten Hefte vor

Aus dem Inhalt von Band I:
Richard Krückmann, Wahrheit und Unwahrheit im Recht. — Carl Coerper, Die Bedeutung des fiktionalen Denkens für die medizinische Wissenschaft. — Otto Lehmann, Das Als—Ob in der Molekularphysik, — Ernst Tischer, Die mathematischen Fiktionen und ihre Bedeutung für die menschliche Erkenntnis. — Richard Müller—Freienfels, Grundzüge einer neuen Wertlehre. — Anton Wesselski, Philosophie der Tat. — Konrad Lange, Die ästhetische Illusion und ihre Kritiker. — Karl Gjellerup, Zur Entwicklungsgeschichte der Schopenhauerschen Philosophie. — Arnold Kowalewski, Ansätze zum Fiktionalismus bei Schopenhauer. — Hans Kelsen, Zur Theorie der juristischen Fiktionen.

Aus dem Inhalt von Band II:
Richard Müller—Freienfels, Rationales und irrationales Erkennen. — Julius Schultz, Fiktionen in der Elektrizitätslehre. — Max Hüttner, Der biologischen Wert der Illusion. — Arthur Liebert, Frau von Stael, Goethe und die Lehre von den Fiktionen. — Moritz Pasch, Die Begründung der Mathematik und die implizite Definition. — Ernst Bergmann, Der Begriff der Illusion und des „methaphysischen Wagnisses” in der Philosophie Guyaus. — Hans Sveistrup, Ein Platonfund. — Kurt Sternberg, Die Lebenslüge in Ibsens Dichtungen. — Oskar Kraus, Fiktion und Hypothese in der Einsteinschen Relativitätstheorie. — Paul F. Linke, Relativitätstheorie und Relativismus. — Friedrich Lipsius, Die logischen Grundlagen der speziellen Relativitätstheorie. — Joseph Petzoldt, Mechanistische Naturauffassung und Relativitätstheorie. — L. Höpfner, Versuch einer Analyse der mathematischen und physikalischen Fiktionen in der Einsteinschen Relativitätstheorie. — Julius Schultz, Die Fiktion vom Universum als Maschine. — Hans Vaihinger, Ist die Philosophie des Als—Ob Skeptizismus?

Aus dem Inhalt von Band III (Noch nicht abgeschlossen):
Bernhard Fließ, Grenzen und Aussichten der Als Ob—Betrachtung nebst Ansätzen zur Metapsychologie. — Joh. Wegener, Das religiöse Erlebnis als Objekt der Selbsbeobachtung. — M. Pasch, Der starre Körper in der Geometrie. — Eberhard Boerma, Zur logischen Theorie der Fiktionen. — Heinrich Hanky, Über die Beziehungen der Philosophie des „Als Ob” zur mathematischen Naturbeschreibung. — Otto Dempwolff, Fiktion und Hypothese in der Sprachwissenschaft. — Alf Nyman, Giovanni Marchesini (ein Vorläufer der Als Ob—Philosophie). — L. Knopf, Fiktionalismus und Psychoanalyse.”

„Die Zeitschrift bedeutet mehr als eine Sammlung isolierter Arbeiten, sie wird zum Sprechsaal einer wissenschaftlichen Gemeinschaft, wirkt, wie sie von einer Gemeinschaft getragen ist, selbst gemeinschaftsstiftend und ermöglicht mit der Sammlung der Kräfte auch eine Synthese der Resultate”

„Die Herausgeber erstreben gerade durch die Synthese eine ,charaktervolle' Philosophie und wollen ihr durch Konfrontierung der bisher nur zu wenig umeinander bekümmerten Richtungen den Weg bereiten”

„Mit solcher Einstellung werden die ,Annalen' zum Symptom einer Zeit, die nach immer weiter fortgeschrittener Differenzierung und Einzelanalyse um ein neues Prizip besorgt zu sein beginnt, das ihr Wissenschafts- und Weltanschauungsfragmente zu einem einheitlichen Organismus gestaltet, zugleich zum Symptom einer Zeit, die auf allen Gebieten der Atomisierung der Gesellschaft und der Zerpulverung der Kultur abzusagen versucht.” Kantstudien 1920, Heft 2/3.

VERLAG VON FELIX MEINER IN LEIPZIG
HOFBUCHDRUCKEREI F. MITZLAFF, RUDOLSTADT

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Erstellt am 30.12.2010 - Letzte Änderung am 30.12.2010.