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RICHARD MÜLLER-FREIENFELS

IRRATIONALISMUS

Leipzig 1922 / Verlag von Felix Meiner

(Seitenzahlen im Text am Anfang der Seite in eckigen Klammern mit Link zum Inhaltsverzeichnis)


Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Einleitung

[001] 1. Rationalismus und Irrationalismus
[006] 2. Irrationalistische Tendenzen in der Gegenwart
[010] 3. Philosophie des Irrationalismus
[013] 4. Das irrationale Erkennen und die übrigen Lebensgebiete
Vorwort, Inhaltsverzeichnis und Einleitung als Text-File

Kap. I.
Grundlegende Verständigung über das Wesen des Erkennens.


[016] 1. Der Begriff der Erkenntnis als Problem
[018] 2. Die Erkenntnis als Wert (die subjektive Seite des Erkennens)
[025] 3. Die Wirklichkeit als Erkenntnisziel (die objektive Seite des Erkennens)
[029] 4. Das theoretische Erkennen als mittelbares Wirklichkeitserkennen
[033] 5. Subjekt und Objekt des Erkennens. Vitalrealismus
[038] 6. Konfrontation mit anderen Erkenntnislehren
[045] 7. Die Bewußtseinskriterien für die „Richtigkeit” des Erkennens
[052] 8. Zusammenhangsgemäßheit der Erkenntnis
[058] 9. Rationales und irrationales Erkennen
Kapitel 1 als Text-File

Kap. II.
Das natürliche Denken und die Sprache als Erkenntnismittel.


[064] 1. Notwendigkeit einer Erforschung des verwissenschaftlichen Denkens und der Sprache
[067] 2. Aufgabe und Möglichkeit einer Denk- und Sprachkritik
[071] 3. Die Sprache als akustisch-motorischer Tatbestand
[073] 4. Das Problem der „reinen” Sprache
[078] 5. Die verschiedenen Funktionen der Sprache
[084] 6. Das Wesen des sprachlichen Denkens
[092] 7. Die vorwissenschaftliche Rationalisierung
Kapitel 2 als Text-File

Kap. III.
Das rationalisierende Denken.


[096] 1. Wissenschaft und Rationalismus
[098] 2. Die beiden Arten der Rationalisierung
[099] 3. Die Rationalisierung „von unten” (Die Abstraktion)
[104] 4. Die Rationalisierung „von oben” (Die mathematischen Begriffe)
[106] 5. Der formale Charakter der Rationalität
[109] 6. Die Grenzen der Rationalisierung
[112] 7. Rationalität und Irrationalität
[113] 8. Das Typen- und Regeldenken als wissenschaftliche Methode
[117] 9. Die notwendige Korrektur aller Rationalisierung
Kapitel 3 als Text-File

Kap. IV.
Das singularisierende Erkennen.


[119] 1. Die Sinnesempfindungen und die Singularisierung
[120] 2. Die „Gegebenheit” der Sinnesempfindungen
[126] 3. Die sprachliche Rationalisierung der Sinnesempfindung
[131] 4. Das singularisierende Erkennen
[134] 5. Antagonismus und Zusammengehörigkeit von Rationalisierung und Singularisierung
[136] 6. Die Irrationalität der sensorisch-singularisierenden Erkenntnis
[138] 7. Die Unmöglichkeit einer rein sensorischen Weltanschauung
[141] 8. Der Erkenntniswert der Singularisierung
[144] 9. Das singularisierende Erkennen in der Philosophie
[147] 10. Rückblick und Ausblick
Kapitel 4 als Text-File

Kap. V.
Das instinktive Erkennen.


[149] 1. Die Instinkterkenntnis als Problem
[151] 2. Der auswählende Charakter der Instinkte
[154] 3. Spontaneität und Mechanismus im Instinkt
[156] 4. Das emotionale Instinktbewußtsein
[162] 5. Der Erkenntnischarakter des emotionalen Bewußtseins
[164] 6. Das Gegenstandsbewußtsein im Instinkterkennen
[170] 7. Beispiele für Instinkterkenntnis
[172] 8. Instinktives Raum- und Zeiterkennen
[175] 9. Dinglichkeit und Ursächlichkeit als Instinktsetzungen
[181] 10. Der Instinktcharakter der Modalitätskategorien
[181] 11. Das Irrationale des Instinkterkennens
[183] 12. Der Instinkt in der Philosophie
[186] zum Ende des 5. Kapitels
Kapitel 5 als Text-File

Kap. VI.
Die Einfühlungserkenntnis.


[187] 1. Der Tatbestand der „Einfühlung”
[189] 2. Die Einfühlung als Weg zur Erkenntnis fremder Individualitäten
[191] 3. Erkenntnistheoretische Voraussetzungen der Einfühlungserkenntnis
[194] 4. Psychophysiologische Erklärung der Einfühlung
[198] 5. Gegenfühlung und Einfühlung als sich ergänzende Akte
[200] 6. Das Verständnis des Menschenlebens durch Einfühlung
[203] 7. Verständnis des nichtmenschlichen Lebens durch Einfühlung
[204] 8. Verständnis menschlicher Schöpfungen durch Einfühlung
[205] 9. Die Einfühlung gegenüber der anorganischen Welt
[208] 10. Der Einfühlungscharakter der Kategorien
[209] 11. Einfühlung im Raum- und Zeiterkennen
[211] 12. „Gedankenübertragung” als Einfühlung
[212] 13. Einfühlung in der Philosophie
[214] 14. Der irrationale Charakter der Einfühlung
Kapitel 6 als Text-File

Kap. VII.
Das schöpferische Erkennen (Die Intuition).


[216] 1. Das Wesen der schöpferischen Erkenntnis
[219] 2. Die wichtigsten Gebiete des schaffenden Erkennens
[220] 3. Die künstlerische Sonderwirklichkeit u.d. künstlerische Erkennen
[223] 4. Die religiöse Überwirklichkeit und das religiöse Erkennen
[225] 5. Die sittliche Innenwirklichkeit und das sittliche Erkennen
[226] 6. Rationalismus und schöpferisches Erkennen
[231] 7. Die Irrationalität des künstlerischen Erkennens
[234] 8. Die Irrationalität des religiösen Erkennens
[237] 9. Die Irrationalität des sittlichen Erkennens
[240] 10. Das schöpferische Erkennen als psychologisches Phänomen
[243] 11. Das schöpferische Erkennen und die praktische Wirklichkeit
[244] 12. Das schöpferische Erkennen und die Wissenschaft
[249] 13. Das mathematische Erkennen als schöpferisches Erkennen
[251] 14. Die Überrationalität des schöpferischen Erkennens
Kapitel 7 als Text-File

Kap. VIII.
Die Selbsterkenntnis.


[253] 1. Das Problem
[254] 2. Das Organ der Selbsterkenntnis
[256] 3. Die Aspekte des Ich
[258] 4. Mystische Icherkenntnis (Yoga)
[260] 5. Rationalisierende Icherkenntnis in der Psychologie
[261] 6. Uberindividuelles im Ich
[263] 7. Schöpferische Icherkenntnis
[265] 8. Ich und Welt; das Erkennen als Lebensprozeß
Kapitel 8 als Text-File

Kap. IX.
Irrationalistische Philosophie.


[267] 1. Philosophie als Vereinigung aller Erkenntnismöglichkeiten
[269] 2. Einheit des Erkennens im rationalen und irrationalen Sinne
[271] 3. Die genetische Einheit aller Erkenntniswege
[274] 4. Das Zusammenarbeiten der einzelnen Erkenntnismöglichkeiten
[277] 5. Die rationale Darstellungsform der Philosophie
[280] 6. Irrationales Erkennen und rationale Darstellung
[282] 7. Der persönliche „Stil” aller bisherigen Philosophie
[284] 8. Der irrationale Ursprung aller Philosophie
[286] 9. Irrationale Darstellungsmittel in der bisherigen Philosophie
[288] 10. Die Unmöglichkeit des rationalen Absolutismus
[291] 11. Die überindividuelle Bedeutung des irrationalen Philosophierens
[292] 12. Der Fortschritt der Erkenntnis vom Standpunkt des Irrationalismus
[295] 13. Ontologische Perspektiven des Irrationalismus
[298] 14. Erkenntnis und Leben
Kapitel 9 als Text-File

[301] ANDERE WERKE DES VERFASSERS


zum Anfang des Inhaltsverzeichnisses

Vorwort.

[III]
Indem ich hiermit die Umrisse einer irrationalistischen Erkenntnislehre vorlege, möchte ich im voraus bemerken, daß die negative Form des Zentralbegriffes nur eine gewisse Gegnerschaft gegen die Ansprüche des einseitigen, in der Erkenntnislehre übermächtigen Rationalismus zum Ausdruck bringen soll, daß damit aber keineswegs irgendwelchen okkulten Spekulationen das Wort geredet wird; im Gegenteil, es wird sich nur um Erkenntnis handeln, die sich durch ein deutlich aufzuzeigendes Kriterium als solche zu erweisen hat. Das begrifflich-rationalisierende Erkennen, das, in idealisierendem Aufputz, dem herkömmlichen Rationalismus als einziger Erkenntnisweg gilt, wird von uns keineswegs völlig verworfen, sondern, mit gewissen Einschränkungen, als Sonderform eines weitergefaßten Erkenntnisbegriffes angesprochen, eines Erkennens, das in seiner Gesamtheit Leistungen vollbringt, deren ein einseitig rational ausgestaltetes Denken nicht fähig ist. Wären solche Wortbildungen nicht in Verruf gekommen und bestünde nicht der Begriff Irrationalismus bereits als geprägte, wenn auch vielfach in üblen Entstellungen umgehende Münze, so würde ich auch von Überrationalismus sprechen können; doch ist der Hauptgrund gegen diese Wortbildung für mich der Umstand, daß ich auch Erkenntnismöglichkeiten (wie den Instinkt) einbeziehen muß, die wiederum als „vorrational” oder „unterrational” anzusehen sind. Ich hoffe, es wird in meiner Darstellung deutlich hervortreten, daß mein Irrationalismus kein Antirationalismus schlechthin ist, daß ich jenem Begriff in seiner Gesamtheit einen durchaus positiven Sinn unterlege, ähnlich [IV] wie etwa der Begriff des „Immoralismus” in Nietzschescher Prägung ein durchaus positives Moralprinzip bezeichnet.

Weit entfernt davon, „Vernunft und Wissenschaft” geringzuschätzen, suche ich vielmehr die Voraussetzungen zu ermitteln, auf Grund deren „Wissenschaft” überhaupt zustande kommt, allerdings die wirklich bestehende Wissenschaft, nicht die fable convenue einer solchen, die die meisten Rationalisten für ihre Betrachtungen heranziehen. Ich gelange bei einer solchen Prüfung des wissenschaftlichen und zugleich des außerwissenschaftlichen Erkennens zu einem Erkenntnisprinzip, das sich rationalisieren und in überindividuelle Formen eingehen kann, das aber zugleich unablässig diese Formen ausweitet und sprengt wie ein wachsender Baum seine Rinden, um zu neuen Formen zu gelangen und so fort in unendlichem Werden.

Nur die übertriebenen Ansprüche eines einseitigen Rationalismus gilt es zurückzuweisen; die Bedeutung eines nach möglichster Rationalisierung strebenden Denkens und Darstellens ist damit keineswegs verkannt, indem seine Grenzen aufgezeigt werden. Ja, es sei offen eingestanden, und es wird im Buche selbst ausführlich begründet werden, daß der Verfasser es für ein Ziel seines Strebens ansah, in den Anforderungen an die Rationalität seiner Begriffe so weit zu gehen, als es die Sache irgend ermöglichte. Nur der Gegenstand der Untersuchung ist irrational, die Art der Behandlung und Darstellung sucht alles, soweit als angängig, zu rationalisieren. Das scheint mir im Wesen der Philosophie zu liegen, daß sie die Welt soweit als möglich rationalisiert, aber zugleich sich der Grenzen der Rationalisierbarkeit bewußt ist und mit rückhaltsloser Ehrlichkeit diese Grenzen feststellt, wobei ihr freilich zu Hilfe kommt, daß wir außer den rationalen noch andere Erkenntnismöglich-keiten haben. Über den Begriff der Erkenntnis, den unsere Untersuchung zu ergründen strebt, sei bemerkt, daß ich darunter nicht wie die meisten Rationalisten eine angeblich absolute Wesenheit, ein „Gelten”, das von jedem erkennenden Subjekt und womöglich gar von jedem zu erkennenden Objekt losgelöst wäre, [V] verstehe, sondern daß ich zunächst nur das menschliche Erkennen im Auge habe. Ich untersuche die Erkenntnis als Ergebnis stets im Zusammenhang mit dem Prozeß, wie wir zu jener gelangen. Ich leugne dabei gar nicht, daß es auch sehr interessant sein kann, die Struktur einer (fiktiverweise) als absolut angenommenen Erkenntnis zu untersuchen; mir scheint nur, daß dann auch verständlich gemacht werden muß, wie wir Menschen zu jenen absoluten Sphären emporgelangen, was bisher kein „Logist” hat darlegen können. Im Gegenteil, diese weisen jeden Versuch, das zu tun, als „Psychologismus” ab und sind stolz auf die „klare Scheidung”, die sie gegen alle „anthropologische” Erkenntnisbegründung ziehen, obwohl ihr Verfahren ein wenig an das indianischer Medizinmänner erinnert, die da glauben, durch Striche im Sande unangenehme Mächte abhalten zu können. Es ist dies eigentümliche Vornehmtun von Seiten der Logisten, das allerdings etwas Gewaltsames an sich hat und oft wohl eine innere Unsicherheit verbergen soll, was meine eigene Darstellung auch in diesem Buche gelegentlich zu ironischer Haltung verleitet hat; ich betone aber meinen früheren Kritikern gegenüber, daß ich darin nur in Verteidigungsstellung gegen den Logismus bin. Mir wäre es sympathischer, wenn Logisten wie Psychologisten (wie weit ich mich als solchen ansehe, darüber später!) beide ruhig ihren Weg suchten. Dann wird sich zeigen, wer die fruchtbareren Gefilde erschließt, vielleicht sogar, daß sie beide einander näherkommen als es heute bei der Verschiedenheit der Ausgangspunkte den Anschein hat. Das vorliegende Werk bringt nur eine irrationalistische Erkenntnislehre; es besteht jedoch die Absicht, die hier aufgezeigten Denkwege ins Metaphysische hinein weiter zu verfolgen.

Berlin-Halensee, Frühjahr 1922.
Richard Müller-Freienfels.



zum Anfang des Inhaltsverzeichnisses

[001]
Müller-Freienfels, Irrationalismus. Umrisse einer Erkenntnislehre.

Einleitung.

„Schauen, wissen, ahnen, glauben
und wie die Fühlhörner alle heißen,
mit denen der Mensch ins Universum tastet,
müssen denn doch eigentlich zusammenwirken .....”
Goethe.

1. Rationalismus und Irrationalismus.

Je gewaltiger das Reich der Wissenschaft seine Grenzen ausweitet, je stärker es seine innere Organisation ausbaut, um so deutlicher tritt das Bestreben hervor, nur die wissenschaftliche Erkenntnisweise als Erkenntnis gelten zu lassen. Und zwar hält man sich dabei an jene Erkenntnisweise, die in geschlossenster Rüstung einherkommt und deren Weg einer breiten, wohlgepflasterten Straße gleicht, an die des begrifflichen oder, wie ich meist sage, des rationalen Denkens. Man übersieht dabei, daß diese Denkmethode keineswegs die einzige ist, die innerhalb der Wissenschaft geübt wird, ferner, daß es auch außerhalb der Wissenschaft nicht an Möglichkeiten geistiger Betätigung fehlt, die sehr ernsthaft den Anspruch erheben, als Erkenntnis zu gelten. Und man übersieht weiter, daß großen Bereichen, vor allem der Welt des Lebens im weitesten Sinne gegenüber, die rein rationalen Methoden als recht unzulänglich erscheinen. Ich nenne jenes Bestreben, nur die Ratio als Weg zur Erkenntnis gelten zu lassen, Rationalismus. Ich mache aber scharfe Scheidung zwischen „Wissenschaft” und „wissenschaftlicher Weltanschauung”, zwischen „rationalisierendem Erkennen” und „Rationalismus”. Nur ein Tor könnte der Wissenschaft in ihrer Gesamtheit höchste Bewunderung versagen, aber dennoch kann man daneben die tiefe Problematik aller Wissenschaft zugeben und die Grenzen bemerken, wo sie Ergänzung fordert, wenn sie sich zur „Weltanschauung”, zur

[002]
Philosophie erheben soll. Gewiß muß jede Weltanschauung, jede Philosophie bemüht sein, die Wissenschaft in sich aufzunehmen, sie muß aber daneben noch andere Sphären der Welt berücksichtigen und mit der Wissenschaft zum organischen Ganzen vereinen. Wenn ich daher unter dem Worte „Irrationalismus” das Bestreben verstehe, außer dem rationalen Erkennen noch andere Erkenntnismittel zur Geltung zu bringen, so ist darin keine Verneinung des rationalen Erkennens schlechthin, sondern nur des einseitigen Rationalismus als philosophischer Weltanschauung zu erblicken.

Das Ziel des rationalen Erkennens liegt in der Richtung auf Begriffe und Gesetze, für die Allgemeingültigkeit beansprucht wird. Allgemeingültigkeit aber bedeutet erstens, daß jene Begriffe und Sätze nicht bloß für das sie gebrauchende Individuum, sondern womöglich für alle denkenden Wesen schlechthin; zweitens, daß sie nicht bloß in der momentanen Situation, sondern unabhängig von jeder räumlichen und zeitlichen Einordnung gelten sollen; darüber hinaus aber liegt darin der Anspruch, daß sie ohne jede Relation zum denkenden Subjekt eine absolute Objektivität erschlössen. Diese Tendenz zu überindividueller, überokkasioneller, übersubjektiver (d. h. rein objektiver), kurz absoluter Geltung liegt im Wesen des rationalen Denkens, wenn sie auch in der Praxis des Lebens nie ganz verwirklicht wird.) Der Rationalismus aber übersieht das und nimmt die Allgemeingültigkeit und Absolutheit der rationalen Begriffe für erreichte Tatsächlichkeit und damit auch die Voraussetzung, unter der allein jene Begriffe gelten: daß nämlich die „Welt”, der Gegenstand der Erkenntnis, den Tendenzen jenes rationalen Erkennens adäquat sei. Nun offenbart aber unser Erleben allenthalben, daß die Welt sich uns zum mindesten nicht in rationaler Form darstellt, daß sie voll von Unberechenbarkeit, Widersprüchen, Wechsel und Mannigfaltigkeit ist. Davor verschließt der Rationalismus die Augen und stellt die Behauptung auf, daß innerhalb der als unendliche Mannigfaltigkeit in tausendfältigen, subjektiven Brechungen erlebbaren Welt eine in jenen [003] absoluten Begriffen und Gesetzen formulierbare, allen individuellen Beziehungen, aller räumlichen und zeitlichen Besonderung entrückte „wahre” Welt stecke, die das „Wesen” jener erlebten Welt ausmache und der gegenüber die unendliche Mannigfaltigkeit des Erlebens zu flüchtiger „Erscheinung”, wenn nicht zu barem „Nichtsein” verblaßte. Folgerichtig zu Ende gedacht, müßte jeder Rationalismus bei dem unveränderlichen und unteilbaren „Sein” des Parmenides ankommen.

Demgegenüber betont der Irrationalismus, daß die Welt unmittelbar als Mannigfaltigkeit erlebt werde und daß es auch ein Erkennen dieser Mannigfaltigkeit gäbe! Nicht bloß ein von aller individuellen Färbung entblößtes, aller räumlichen und zeitlichen Besonderheit entrücktes Denken verdiene den Namen des Erkennens, sondern es gäbe auch ein persönliches, okkasionelles, relatives Erkennen, das niemals ganz in rationale Begriffe und Urteile eingehe und doch von höchstem Werte für das Leben sei. Als Gegenstand der Erkenntnis dürfe nicht bloß ein Komplex ewiger, unveränderlicher Begriffe und Gesetze gelten, auch das Erfassen des Einmaligen, Persönlichen, Relativen verdiene den Namen der Erkenntnis, ja gerade so erfaßten wir die Welt unmittelbar, während die Welt des Rationalismus daneben nur den Charakter einer Abstraktion habe. Die nach festen Begriffen und Gesetzen suchende Wissenschaft erscheint dann als gewiß überaus wertvolles Mittel, um sich in der Welt, die neben dem buntesten Wechsel gewisse Regelmäßigkeiten aufweist, zu orientieren, aber sie wird keineswegs mit der Welt als solcher gleichgesetzt. Die Welt hört nicht auf, wo die Wissenschaft aufhört, wie der Rationalismus meint. Gewiß erscheint es wertvoll, die Welt soweit als möglich in rationale Gesetzlichkeit aufzulösen, aber man muß auch Sinn haben für das Ungesetzliche, Veränderliche, Singulare und alle subjektiven Beziehungen. Daß in idealer Zukunft, für einen übermenschlichen Intellekt der ganze Weltprozeß sich einmal als streng gesetzlicher Zusammenhang darstelle, besteht als hypothetische Möglichkeit, nicht aber als gesicherte Voraussetzung, wie der Rationalismus meint. Unser menschliches [004] Denken muß zum mindesten mit der Möglichkeit rechnen, daß es auch Durchbrechungen der rationalen Gesetzlichkeit, vielleicht sogar eine Gesetzlichkeit irrationaler Art gibt, ja die erlebte Wirklichkeit stellt sich uns ebensosehr als irrational denn als rational dar. Deshalb wird eine Erkenntnislehre sich nicht auf die Ermittlung rationaler Gesetzlichkeiten beschränken dürfen, sondern wird auch alle Möglichkeiten des Geistes auszubilden haben, um sich in der irrationalen Welt der Mannigfaltigkeit, des Wechsels, des Unberechenbaren zurechtzufinden und zu erhalten. Und das eben ist mit „Irrationalismus” als Erkenntnislehre gemeint: daß es gilt, nicht bloß das rationale Denken, sondern alle übrigen Erkenntnismöglichkeiten in ihrer Bedeutung zu würdigen und nicht in deren Unterdrückung , sondern in ihrer harmonischen Zusammenarbeit mit der Ratio das Ideal des Erkennens zu finden.

Ja, wir werden im Verlauf unserer Untersuchungen darauf geführt, daß rationalisierendes und irrationales Erkennen nicht unvereinbare Gegensätze, daß vielmehr das rationalisierende nur eine Sonderform einer irrationalen Erkenntnisweise ist. Wer nur das rationale Denken im Sinne der Schullogik gelten läßt, verhält sich etwa so wie einer, der als einzige Bewegungsmöglichkeit den Parademarsch ansieht. Nichts gegen diese sicherlich erzieherisch und für die Ausbildung nützliche, für Kasernenhofgeschmack auch ästhetisch wertvolle Gangart! Wer aber glaubt, nur im Parademarsch durchs Leben kommen zu können, wird nicht weit gelangen: er wird keine tiefen Wasser zu überschreiten, keine geheimnisvollen Urwälder zu durchdringen, keine schneeigen Gipfel zu ersteigen vermögen. Das aber wollen wir Irrationalisten, bildlich geredet. Uns ist die Welt kein Paradefeld für formallogische Gymnastik, wir wollen in ihre Tiefen eindringen und ihre Höhen erklimmen auf jedem Wege, den wir erschließen, und mit allen Mitteln, die uns verliehen sind! Wir glauben nicht, daß dort, wo die rationale Logik aufhört, auch die Welt aufhört; wir glauben aber vor allem nicht, daß die [005] Welt ein fertiges, nur allerlei Scheinmanöver ausführendes, unveränderliches Sein sei, das man in ein starres Formelsystem pressen könne. Die Welt ist reicher an Entwicklungsmöglichkeiten und auch wir sind reicher an Erkenntnismöglichkeiten, als die Schullogiker sich träumen lassen. Hätte die Menschheit keinen anderen Besitz als den, den die rationale Logik in die Welt gebracht hat, sie wäre bettelarm und längst verhungert. Auch die schöpferischen Entdeckungen der Wissenschaft, von anderen Gebieten zu schweigen, sind nicht auf dem Wege der Schullogik gemacht; diese Theorie frisiert sie nachher zurecht und gibt sie für ihre Errungenschaft aus, dem Falstaff gleich, der die Siegesbeute des echten Helden aufliest und ohne Verdienst damit großtut.

Ich gebrauche das Wort Ratio in der Bedeutung des „Denkens in nach Allgemeingültigkeit strebenden Begriffen”. Es wäre in meinem Sinne besser mit Verstand als mit „Vernunft” zu übersetzen, denn „Vernunft” hat, besonders in der deutschen Spekulationsphilosophie, einen Sinn erhalten, der auch die Intuition, das später zu kennzeichnende schöpferische Denken, mit umfaßt. Da indessen „Verstand”, intellectus, zuweilen die Sinneserkenntnis mitbezeichnet, so verwende ich den Ausdruck Ratio allein für das abstrakte Begriffsdenken, zumal das Wort Rationalismus in dem hier umschriebenen und weitverbreiteten Sinne diesen Begriff voraussetzt. Als „intellektuell” dagegen bezeichne ich auch die Sinneserkenntnis, besonders das, was ich singularisierendes Erkennen nenne, und stelle diesen Begriff des intellektuellen (begrifflichen und singularisierenden) Erkennens allem emotionalen Denken gegenüber, wozu ich das instinktive, einfühlende und schöpferische Denken rechnen werde.

Es ist anzumerken, daß der Rationalismus in der Konsequenz, wie wir sie ihm hier beilegen, in der Praxis selten durchgeführt ist, daß die meisten sich rationalistisch nennenden Systeme irrationale Faktoren, wenn auch unbewußt oder bewußt versteckt, in sich tragen. Am nächsten kommen dem hier gekennzeichneten konsequenten Rationalismus die Neukantianer, besonders die der Marburger Schule, auf deren Werke, also die Cohens, Natorps, Cassierers, Lieberts usw., ich hier verweise. Auch Husserl und seine Schüler haben einen [006] einigermaßen konsequenten Rationalismus entwickelt. Dagegen ist in dem Rationalismus der Windelband, Rickert, Lask auch dem Irrationalen ein bescheidener Raum gegeben, was in unserem Sinne ein Vorzug sein muß. Daß für die großen älteren Denker, die man als Rationalisten anspricht, wie Plato, Kant, Hegel, diese Bezeichnung nur sehr mit Einschränkung zutrifft, wird später gezeigt werden.

2. Irrationalistische Tendenzen in der Gegenwart.

Freilich scheint es ein gefährliches Unterfangen, gegen eine Weltanschauung anzugehen, die sich in dem gewaltigen Bau der Wissenschaft verschanzt hat. Ist es nicht, als wollte man mit bloßer Stirn gegen Panzerplatten anrennen, wenn man versucht, gegen jene Position vorzugehen?

Und doch wächst zugleich mit der fortschreitenden Rationalisierung der Welt ein tiefes, weitverbreitetes Mißtrauen gegen deren Berechtigung, ja es gehört sicherlich zur Physiognomie unserer Zeit, daß man sich der übergewaltigen Ratio zu entziehen strebt. Nicht nur in der Philosophie, auch in Kunst und Religion, in Politik und Wirtschaftsleben, in Gesellschaft und Erziehung regen sich immer stärkere Tendenzen gegen die Rationalisierung des ganzen Lebens. Man fühlt, die Wissenschaft vermöge es, Sternbewegungen und Atomgewichte zu berechnen, Eisenbahnen und Kanonen zu schaffen, aber nicht „Heimstätten für Menschen” zu bauen, Gesetze für die Welt des Lebens zu ergründen. Versucht sie das, so bleiben ihre Erzeugnisse frostig und nüchtern. Die wissenschaftliche Weltanschauung als einziger Aufenthalt für lebendige Menschen erscheint kasernenhaft und unpersönlich; denn das ist der tiefste Grund aller Gegnerschaft gegen den Rationalismus, daß er die lebendige Persönlichkeit ertötet. Man glaube aber nicht, daß es nur sentimentale Gemüter seien, die sich gegen die rationale Uniformierung des Lebens auflehnen! Nein, aus den Kreisen der Wissenschaft selbst rekrutiert sich nicht zum schlechtesten Teil der Widerstand gegen die einseitige Rationalisierung des Lebens, und gerade diese irrationalen Tendenzen innerhalb der Wissenschaft werden wir uns zunutze machen.

[007]
Mustern wir zunächst einmal die Heerschar, die sich gegen den Rationalismus sammelt! Es ist eine sehr gemischte Truppe von - es sei das von vornherein zugegeben - recht ungleichem Kampfwert. Ja, es ist sogar Gelichter dabei, dessen man sich energisch entledigen muß. Viele Dunkelmänner, denen die rationale Methodik für ihr Geschäft gefährlich erscheint, drängen sich in die Reihen derer, die aus tiefster Lebensnotwendigkeit den Kampf gegen den einseitigen Rationalismus aufnehmen. Da gilt es, mit aller Energie diese falschen Bundesgenossen abzuschütteln. Die hier ausgegebene Parole des Irrationalismus soll nicht Unwissenschaftlichkeit, Unklarheit und Verschwommenheit um ihr Banner scharen; sie wird nur solche Hilfskräfte zulassen, die es ehrlich meinen und gewillt sind, in offenem Kampfe sich dem gewaltigen Gegner zu stellen.

Aber auch die ernstzunehmenden Gegner des Rationalismus sind sehr verschiedener Art und keineswegs untereinander einig. Schon die Angriffsflächen, gegen die ihre Gegnerschaft sich wendet, sind nicht gleich. Die einen stoßen sich hauptsächlich an der Gewaltherrschaft des begrifflichen Denkens, andere empören sich gegen die Unterdrückung des persönlichen Moments im wissenschaftlichen Erkennen, und eine dritte Gruppe bestreitet den Anspruch auf Erschließung einer reinen Objektivität, auf absolutes Erkennen durch die Wissenschaft. Ich gebe zunächst in dieser Gruppierung eine Übersicht über die wichtigsten irrationalistischen Tendenzen, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, rein empirisch vorgehend, mir dabei vorbehaltend, später eine ganz andere Gruppierung unter rein erkenntniskritischen Gesichtspunkten zu schaffen.

Zu denen, die Anstoß nehmen an der Sucht, alles einem Begriffssystem und Gesetzen zu unterwerfen, gehören jene Vertreter des praktischen Lebens, die, wie man zu sagen pflegt, in ihrem Handeln von „Intuition”, oder von Instinkten sich leiten lassen. Es gehören dazu Kaufleute, die mit feinster Witterung für die unablässig schwankende Konjunktur des Geschäftslebens, blitzschnell die Gelegenheiten beim Schöpfe fassen, es gehören dazu die Politiker, die mit unfehlbarem seelischen [008] Takt jeden Gegner durchschauen und danach ihr Handeln einrichten, es gehören dazu die genialen Feldherrn und Schachspieler, ja es gehören dazu auch die Erfinder und wissenschaftlichen Forscher, die ihre Lösungen gleichsam visionär ergreifen, lange ehe sie imstande sind, ihrer begrifflich habhaft zu werden. Sie alle belächeln die strenge Methodik, die da glaubt, die Fülle des Seins in begriffliche Schemata pressen und daraus mit dem Mechanismus der rationalen Logik neue Erkenntnisse gewinnen zu können. Zu der Gruppe dieser Bezweifler des alleinseligmachenden Rationalismus gehören auch viele Vertreter der Spezialwissenschaften, Naturforscher und Historiker, denen die unendliche Fülle der Einzelheiten, die sie feststellen, den Glauben nimmt, es gäbe überhaupt allgemeine Begriffe und Gesetze, die daher die Aufgabe der Wissenschaft nur im Sammeln und Ordnen von Einzelbeobachtungen sehen. Sie wissen, daß der ungeheuren Kompliziertheit des Daseins und seiner unablässigen Wandlung gegenüber auch die feinste Begriffs- und Gesetzeserkenntnis nicht ausreicht, daß hier geistige Fähigkeiten ins Spiel treten müssen, die wenig mit der rationalen Erkenntnis zu tun haben, und die doch Erkenntnis sind. Ihnen erscheint aller Rationalismus als „Ideologie”, um einen Lieblingsausdruck Napoleons heranzuziehen, der selbst ein Meister jenes irrationalen Erkennens war! Die genauere Untersuchung dieser Erkenntnismöglichkeiten sei auf später verschoben, hier gilt es nur ihre vorläufige Aufzeigung.-

Eine andere Gruppe von Gegnern des einseitigen Rationalismus stößt sich vor allem an dessen Bestreben, die Unpersönlichkeit des Erkennens als die alleinige Wahrheit auszugeben, die Allgemeingültigkeit im Sinne der Losgelöstheit vom individuellen Leben als Ideal zu verkünden. Ihnen scheint wertvoller als jene abstrakte Allgemeingültigkeit die persönliche Beziehung des Menschen zum Weltganzen, und diese, die ewig irrational ist, suchen sie gerade. Zu dieser Gruppe von Irrationalisten gehören die meisten Künstler, die nicht die Natur an sich geben wollen, sondern ihr eigenes innerstes Erleben. Einerlei, ob sie als Impressionisten den objektiven Eindruck subjektivieren oder als Expressionisten (ich nehme diese Ausdrücke [009] nicht im schulgemäßen Sinne) das subjektive Erleben objektivieren wollen, sie wissen doch, daß aller künstlerische Wert nicht in allgemeingültigem Naturabklatsch, sondern in ganz persönlicher Verarbeitung liegt, die gewiß über das Nurindividuelle hinauswirkt, aber darum noch lange nicht allgemeingültige Wissenschaft wird. - Es gehören ferner zu dieser Gruppe alle jene religiösen Menschen, deren Glaube nicht im Fürwahrhalten von Dogmen, sondern in lebendiger Beziehung ihres Ich zur Ganzheit der Welt besteht, die über alles Wissen und begriffliche Erkennen hinaus eine Fühlung mit einer Daseinssphäre spüren, deren Sein und Wesen sie höchstens symbolisch andeuten können. Es gehören dazu die Mystiker aller Art. Es gehören dazu auch viele Philosophen, die da spüren, daß „der Kern der Natur des Menschen im Herzen” ist, daß wir niemals ein unpersönliches Abbild von der Gesamtheit der Welt gewinnen können, sondern daß letztes philosophisches Erkennen stets subjektives Stellungnehmen zur Welttotalität ist. - Auch alle diese Typen von erkenntnissuchenden Menschen spüren, daß das rationale Denken ihrem Streben nicht genug tut, daß aber daneben andere Erkenntnismöglichkeiten bestehen. Wieweit man berechtigt ist, die Weltanschauung des schöpferischen Künstlers, des Religiösen, des Mystikers als „Erkennen” anzusprechen, mag vorläufig noch unbeantwortet bleiben. Der Anspruch jedenfalls besteht, daß auch sie Erkenntnis geben, daß - um mit Beethoven zu reden - z. B. Musik „höhere Offenbarung sei als alle Philosophie”.

Als dritte Gruppe von Gegnern des Rationalismus nannten wir die, die sich vor allem an dessen Anspruch stößt, durch seine Begriffe „absolute Wirklichkeit” zu erschließen oder sonst eine „reine Objektivität” zu ermitteln. Diese Gegnerschaft kommt vor allem aus Philosophenkreisen und stützt sich meist auf kritische Analyse des begrifflichen Denkens. Man weist nach, daß die angeblich „apriorischen” Begriffe keineswegs „a priori”, sondern allmählich geworden und unablässiger Wandlung unterworfen sind, daß sie auch nicht ein Reich „reiner Geltung” erschließen, sondern dem Leben dienen, und in diesem Lebenswert, [010] nicht in einer immanenten Logizität, ihre Daseinsberechtigung haben. Man sieht nicht „reine” Erkenntnis in ihnen, sondern „Instrumente”, „Fiktionen”, „Schemata” im Dienste der Lebenserhaltung. Man weist darauf hin, daß sie nur zustande kommen auf Grund der Empfindungen und anderer irrationaler Faktoren. Man will also nicht in ihnen, sondern in den der Begriffsbildung vorausgehenden Elementen die wahre Erkenntnisinstanz sehen und findet sie je nachdem in den Empfindungen, dem Wollen, dem Fühlen oder einem unmittelbaren Erleben. Die Wissenschaft und jede darauf gebaute Philosophie erscheint von diesem Standpunkt aus nicht als absolute Erkenntnis, sondern als menschliche Konstruktion.

Ich habe zunächst diese verschiedenartigen Gegner des Rationalismus zusammengestellt, ohne irgendwie zu ihren Argumenten Stellung zu nehmen. Das kann erst im Verlaufe der Untersuchung geschehen. Indessen treten bereits mehrere Erkenntnisformen heraus, die ich zunächst mit den landläufigen, gewiß nicht wissenschaftlich ganz geklärten Bezeichnungen: Empfindung, unmittelbares Erleben, Instinkt, Intuition, mystisches Schauen benannte, und deren Rechtsansprüche und Leistungsfähigkeit zu prüfen ein Hauptziel meines Buches sein wird. Gemeinsam ist ihnen allen wesentlich die Gegensätzlichkeit zum rationalen Denken; was an eigenen Werten in ihnen steckt, das zu suchen ist mein Problem.

3. Philosophie des Irrationalismus.

Kann es nun bei dieser Mannigfaltigkeit der Erkenntnismöglichkeiten eine einheitliche Philosophie geben? Gemeinsam ist allen Irrationalisten die Überzeugung (einerlei zunächst, woher sie stammt), daß das innerste Sein der Welt, der Außenwelt wie der Innenwelt, durch Begriffe im Sinne der Logik nicht restlos aufzuschließen sei. Bleibt man dabei stehen, so ist man Skeptiker oder Agnostiker. Indessen steckt im Irrationalismus, wie er hier gefaßt wird, ein positives Moment, die Überzeugung, daß der Mensch dennoch zu dem rational nicht faßbaren Sein in Beziehung treten [011] könne. Unsere Untersuchung wird sich also zunächst in zwei Hauptteile gliedern: erstens in den Nachweis, daß rationale Begriffe nicht ausreichen, um die Gesamtheit der Welt zu erfassen, zweitens aber, daß uns dennoch Tore offen stehen, durch die wir weiter kommen als auf den Straßen der rationalen Logik.

Nun könnte es genug scheinen, wenn man einfach auf diese Pfade verweist und es dem einzelnen überläßt, sie soweit zu beschreiten, als er kommt; das aber gäbe uns kein Recht, uns Philosophen des Irrationalismus zu nennen. Denn die Aufgabe des Philosophen ist es, und das unterscheidet ihn vom Künstler, vom religiösen Denker, von dem Manne des praktischen Lebens, daß er sich Rechenschaft zu geben sucht von seinem Welterleben, und daß er die Ergebnisse seines Erkennens in ein, wenn auch elastisches, System zu bringen strebt. Freilich scheinen wir uns dabei in unlösbare Schwierigkeiten zu verstricken: denn einerseits betonen wir als Irrationalisten den persönlichen, okkasionellen, nichtobjektiven Charakter vieler Erkenntnismöglichkeiten, andererseits wollen wir darüber doch eine überindividuelle Verständigung anbahnen, wozu uns wiederum wesentlich die Begriffe der Sprache, also immerhin stark rationalisierte, wenn auch nicht rein rationale Mittel zur Verfügung stehen.

Die Paradoxie dieses Unterfangens ist nicht ganz so schlimm, wie sie erscheint. Denn einerseits ist Irrationalismus ja keineswegs gleichbedeutend mit hermetischer Isolierung des erkennenden Individuums; wenn wir auch nicht glauben, absolute Wahrheiten in die Begriffe und Sätze der Sprache fassen zu können, so sind wir doch von Verständigungsmöglichkeiten überzeugt, die weithin Brücken von Individuum zu Individuum schlagen. Man kann sich sehr wohl über die Verschiedenheit, nicht nur über die Gleichheit von Erlebnissen verständigen. Die Worte und Begriffe der Sprache sind ja nicht Kapseln, in denen die Bedeutung reinlich verpackt wäre, und die man von Hand zu Hand gibt; Worte und Begriffe können auch hindeuten auf Inhalte, die sie nicht zu fassen vermögen, ja sie können (was ich später ausführlich zeige) feinstes, leisestes, vorüberhuschendes Erleben ausdrücken und übermitteln.

[012]
So besteht eine doppelte Möglichkeit: einmal können wir sprachliche Bezeichnungen, rationalisierte Begriffe für irrationale Erlebnisse finden, andererseits aber haben wir auch Denk- und Verständigungsmittel, die selbst irrationaler Natur sind. Ich werde zu zeigen haben, daß die Sprache, so wenig sie dem Ideal der rationalen Logik entspricht, doch beide Möglichkeiten bietet. Die Worte der Sprache sind nicht die starren, künstlich steril gemachten Gefäße idealer logischer Bedeutungen”, wozu alle Scholastik sie machen will. Aber das ist nicht bloß ein Mangel, das ist auch ein positiver Wert. Sie sind außerordentlich bewegliche Gebilde, die sich aufs geschmeidigste dem Erleben, auch dem irrationalen, anpassen, die zwar niemals in absolutem Sinne eindeutig sind, aber doch eine überindividuelle Verständigung ermöglichen. Wir werden uns also nicht einbilden, mit den Worten der Sprache und durch die damit bezeichneten Begriffe absolute Erkenntnis einfangen zu können, im Gegenteil, wir werden die Unmöglichkeit solcher Versuche nachweisen; trotzdem aber hoffen wir es zu ermöglichen, mit den Worten dieser Sprache eine überindividuelle Verständigung zu erzielen, auch über solche Erkenntnisse, die selber sich begrifflicher Formulierung entziehen.

Wir haben also im Hinblick auf den Versuch, eine irrationalistische Philosophie zu schaffen, deutlich zu scheiden zwischen der Art der Erkenntnis und der Art der Darstellung. Die Art der Darstellung wird nach Möglichkeit rationale Formen wählen, d. h. nach tunlichster Allgemeingültigkeit ihrer Sätze streben; daß diese Allgemeingültigkeit nie vollkommen ist, teilt sie dabei mit allen angeblich rein rationalistischen Darstellungen.

Sie unterscheidet sich von diesen jedoch grundsätzlich dadurch, daß sie als Art der Erkenntnis, die in dieser rationalen Darstellungsform vermittelt werden soll, nicht nur das rationale Denken, sondern womöglich alle übrigen Mittel des Menschen, sich in der Welt zu orientieren und Aufschlüsse darüber zu erhalten, heranzieht. Sie wird also danach streben, auch das auf sensorischem, [013] instinktivem, einfühlendem, schöpferisch-intuitivem Wege Ermittelte in ihre Darstellung mit aufzunehmen und wird sogar die Wege von zweifelhaftem Erkenntniswert nicht ungeprüft verwerfen. Stets aber wird sie das auf diesen irrationalen Pfaden Gewonnene mit den Ergebnissen des rationalen Denkens vereinigen: denn irrationale Philosophie bedeutet uns: die Gesamtheit der menschlichen Erkenntnismöglichkeiten harmonisch zu vereinen, um eine tunlichste Gesamtheit der Erkenntnisresultate zu erreichen. Daß bei dem, wie zugestanden, nicht allgemeingültigen Wesen mancher dieser Erkenntnisformen das Gesamtergebnis stets einen persönlichen Charakter haben wird, kann ebenfalls zugegeben werden. Irrationalismus wird also nicht einen fertigen Allerweltsbau für alle Menschen verheißen (was der Rationalismus verspricht, aber nicht zu halten vermag), wohl aber kann er jedem Menschen helfen, den Grund frei zu machen, um zu einem eigenen Bau zu kommen, indem er alle dazu brauchbaren Mittel kritisch sichtet und an ihren bisherigen Erfolgen ihren Wert zu bestimmen sucht. Der Irrationalismus strebt nach weiteren Horizonten als der Rationalismus und ist trotzdem oder gerade darum bescheidener: er behauptet nicht, einen Hauptschlüssel für alle verschlossenen Tore des Daseins zu haben, sondern er weiß, daß nur unendlich mannigfachen Bemühungen sich die unendlich mannigfachen Probleme erschließen, und er verschweigt auch nicht, daß es Fragen gibt, für die menschliches Denken niemals eine vollkommene Antwort finden kann.

4. Das irrationale Erkennen und die übrigen Lebensgebiete.

Der Irrationalismus ist zunächst eine Erkenntnislehre. Aber da das Wie des Erkennens von dem Was des Erkennens nie ganz zu trennen ist, so kann nicht die Frage ausbleiben, ob den Begriffen „rational” und „irrational”, die uns zunächst nur Formen des Denkens sind, auch Formen des Seins entsprechen. Auch dieser Frage kann sich der Irrationalismus nicht entziehen, und so wenig eine metaphysische [014] Untersuchung im Hauptplan dieses Buches inbegriffen war, so wenig werden wir die Ausblicke in jenes Gebiet, die sich uns bieten, verhüllen.

Ebensowenig werden wir an den mannigfachen Beziehungen vorüberkönnen, die zwischen der Art des Erkennens und sämtlichen übrigen Lebensgebieten: Kunst, Religion, Wirtschaft, Politik, Sitte usw. bestehen. Hat doch der Rationalismus, der ursprünglich auch nur Erkenntnislehre ist, nach all diesen Gebieten seine Fangarme ausgedehnt und sie oft so übergewaltig umstrickt, daß er ihnen ein gut Teil ihres Blutes ausgesogen hat. Blicken wir hinein in das Land der Kunst, der Religion, der Sitte, so finden wir überall eine verzweifelte Auflehnung gegen die Tyrannei der Ratio, ja selbst in Politik, Wirtschaft, Recht und verwandten Gebieten läßt sich ein Überdruß gegen jene Tyrannei feststellen. Es soll nicht verkannt werden, was das rationale Denken in der Welt geschaffen hat; man darf aber auch, nicht übersehen, was es ertötet. Das Produkt des „angewandten Rationalismus” ist das Maschinenzeitalter, d. h. auf allen Gebieten die Herrschaft der Quantität über die stets irrationale Qualität. Das aber bedeutet zugleich in der Kunst den Verlust der schöpferischen Instinkte zugunsten eines nüchternen Historismus, Akademikertums oder Naturalismus, wogegen sich jetzt, besonders im sogenannten Expressionismus, irrationale Kräfte oft ungebärdig genug empören. Es bedeutet in der Religion Verlust aller lebendigen Glaubenskraft zugunsten historischer und kritischer Beachtung, die die Religion ersticken wie Schmarotzerpflanzen. Es bedeutet in der Ethik Verlust der sittlichen Instinkte, in der Politik Vorherrschaft des gleichmachenden Stimmzettels, in der Wirtschaft Triumph des Kapitalismus, in der Jurisprudenz ertötenden Formalismus anstatt lebendigen Rechtsgefühls. Kurz, allenthalben droht das blühende organische Leben im öden Mechanismus, der äußersten Konsequenz des einseitigen Rationalismus, unterzugehen. In den auf allen Gebieten sich regenden Gegenströmungen liegt die Hoffnung auf lebensvolle Zukunft. Trotz aller Industrialisierung der Welt, die uns droht!

[015]
Allen solchen Gegenbestrebungen den Rücken zu stärken, zu zeigen, daß der rechnende Verstand und seine Theorie, die rationale Logik, nicht die einzige Macht des menschlichen Geistes sei, daß daneben auch jetzt noch andere Kräfte am Werke sind, das ist unser Ziel. Und in dem Glauben, daß ein Bewußtwerden dieser irrationalen Geisteskräfte zugleich der wichtigste Schritt zu ihrer Stärkung ist, liegt unsere Hoffnung. Noch einmal: Irrationalismus bedeutet nicht einen Kampf der Dunkelmänner gegen Klarheit und Wahrheit, er will nur eine andere Klarheit und eine andere Wahrheit als die einseitige des Rationalismus, und zwar, wie wir hoffen, eine reichere, weitere, freiere. Irrationalismus heißt: Leben wider Mechanistik, Schöpfung wider Berechnung, Persönlichkeit wider Gleichmacherei!

Berlin-Halensee 1922. Richard Müller-Freienfels.



--- ENDE ---

--- Werbung aus dem Anhang ---

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ANDERE WERKE DES VERFASSERS

Philosophie der Individualität

2. durchgesehene Auflage in Vorbereitung. Verlag Felix Meiner [Ausgezeichnet durch den Ehrenpreis der Nietzschestiftung 1922]
Persönlichkeit und Weltanschauung

Psycholog. Untersuchungen zu Religion, Kunst und Philosophie 2. völlig neubearbeitete Auflage / 1922 / B. G. Teubner
Psychologie der Kunst

2. völlig umgearbeitete u. erweiterte Auflage / 1922 /B.G.Teubner Band I: Allgemeine Grundlegung und Psychologie des Kunstgeniessens Band II: Psychologie des Kunstschaffens, des Stils und der Wertung Band III: System der Künste / Die psychologischen Grundlagen der einzelnen Kunstzweige
Psychologie des deutschen Menschen und seiner Kultur

Versuch einer Volkscharakterologie / 1922 / C. H. Beck, München
Das Denken und die Phantasie

Psychologische Untersuchungen nebst Exkursen zur Psychopathologie, Aesthetik und Erkenntnistheorie / 1916 / Joh. Ambr. Barth
Poetik auf psychologischer Grundlage

6.-10. Tausend / B. G. Teubner
Psychologie der Religion

[Sammlung Göschen 805/806]


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Den Ehrenpreis der Nietzsche-Stiftung der alljährlich den drei besten während des abgelaufenen Jahres erschienenen philosophischen Büchern verliehen wird, erhielt für 1921 an erster Stelle

Richard Müller-Freienfels

Die Philosophie der Individualität

In vornehmem Halbleinenband. 1921. Preis 250 M.
M.-F. zeigt eine wahre Meisterschaft in der Gliederung eines äußerst verwickelten Stoffes; im wohltuenden Unterschied von manchen anderen Denkern, die in ihren Werken mehr Rätsel aufgeben als lösen, weiß er uns die ganze Problematik seines Gegenstandes zu zeigen, ohne ihn uns dadurch wirrer und dunkler zu machen. Man liest das Werk nicht nur mit erheblich intellektuellem Gewinn, sondern auch mit Vergnügen. Der Tag.

Hier haben wir eine höchst geniale und ebenso interessante Theorie des Lebens. New-York Evening Post.

Man legt das Werk, das einen gewaltigen Komplex von Problemen zum ersten Mal von einer bestimmten Seite aus mit der Helligkeit eines Scheinwerfers beleuchtet, mit dem Gefühl aus der Hand, eine ganz ungewöhnliche Klärung, Anregung und Bereicherung erfahren zu haben. Man sieht hundert Dinge in einem neuen Lichte, man hat hundert Fragen auf dem Herzen und fühlt sich gelockt, hier und da die eingeschlagenen Wege weiter zu verfolgen. Kurz, das Buch birgt Leben in sich, es ist fruchtbar und wird fortwirken. Preußische Jahrbücher, Mai 1922.

Gerade diese Vielseitigkeit aber macht das Buch reich und lebendig. Die künstlerisch gemeisterte Sprache, die unbedingte, durch eine Fülle geistvoller Vergleiche und Beispiele gesteigerte Klarheit macht die Lektüre spannend und schon rein formal zu einem Genuß, während die ständige Beziehung zur Alltäglichkeit, zur praktischen Vernunft dem Werk jene Lebensnähe und erzieherische Wirkungskraft gibt, die der Verfasser mit Recht nicht nur als vereinbar mit dem Wesen der Philosophie erachtet, sondern als ihre unerläßliche Bedingung anspricht. Sein Ehrgeiz ging dahin, „möglichst so zu schreiben, daß jeder Gebildete das Werk zu lesen vermag”. Gelungen ist ihm mehr: Man wird das Werk mit Gewinn lesen. Sozialistische Monatshefte.

VERLAG VON FELIX MEINER IN LEIPZIG

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R. MÜLLER-FREIENFELS:
DIE PHILOSOPHIE DER INDIVIDUALITÄT

Dadurch aber hebt sich Müller-Freienfels so hoch Über die meisten, die sich heute Philosophen nennen: daß er seine tiefen und starken Gedanken mit seinem Blute, nicht mit Wörtern nährt. Deshalb regt er mit jedem Satze an, sei es zu lebhafter Beistimmung, sei es meinethalben auch zum Widerspruch. Daher auch funkelt sein Stil und erquickt zugleich durch lautere Klarheit. Kurzum, wir haben eine ungewöhnliche Leistung vielseitigen und gediegenen Denkens vor uns; niemand wird an dem Buche vorbeigehen dürfen.
Julius Schulte in: Kantstudien, XXVII, 1/2.

Nicht unfruchtbare Skepsis, sondern Lebensbejahung ist die Grundstimmung dieses Buches, das gleich weit entfernt bleibt von flachem Optimismus wie von wirklichkeitsfremder Spekulation und Konstruktion. Die Sprache ist so klar und lebendig und in der Formulierung der gewonnenen Ergebnisse oft so schön, daß auch philosophisch nicht geschulte Leser, die an gedankenvoller Lektüre Freude haben, Genuß und Anregung in diesem Werk finden werden.
Vossische Zeitung.

Das Buch, fesselnd, lebhaft und anschaulich wie alle Schriften des Verfassers geschrieben, packt ein Problem, das im Mittelpunkt unserer philosophischen Interessen steht. Und mit einer erfrischenden Energie sucht es ihm in einer Weise beizukommen, die von dem Standpunkt der Betrachtungsweise unserer klassischen und akademischen Philosophie grundsätzlich abweicht. Es ist der Standpunkt des Irrationalismus gegenüber dem Rationalismus, des Lebens gegenüber dem Verstand, der hier mit Entschiedenheit verfochten und durchgeführt wird. Die Individualität erscheint dem Verfasser als etwas Irrationales, das nicht in die Begriffe der traditionellen Logik eingeht, als etwas, das zwar unter mancherlei Gesichtspunkten rationalisierbar ist, aber in seinem tiefsten Wesen sich doch jeder Schablone entzieht, indem es sich als das sich ewig wandelnde, nur relativ sich konsolidierende, unendlich sich spaltende Leben enthüllt. Damit ordnet sich diese Schrift jener Bewegung ein, die als „Philosophie des Lebens” bezeichnet zu werden pflegt und in Bergson und Simmel ihre Wegbereiter besitzt. Seine Stärke liegt in der Eindringlichkeit, mit der es uns den irrationalen Aspekt erschließt. In diesem Sinne kann es aber als sehr geeignet bezeichnet werden, den Fernerstehenden in die moderne Philosophie des Lebens einzuführen.
Deutsche Medizinische Wochenschrift.

Hier rückt der Begriff der Persönlichkeit selbst in den Mittelpunkt der Betrachtung, und wenn man bedenkt, wie oft im praktischen Leben die Individualität Fragestellung ist, versteht man die Bedeutung dieses Buches für alle, die angewandte Wissenschaft betreiben. Gerade das begriffliche und analytisch-psychologische Fundament ist hochwichtig, M.-F. spricht in z. T. sehr neuartiger Weise von der Irrationalität der Individualität (z. B. ihren Erscheinungsweisen, Veränderungen, Spaltungen), von ihrer Rationalisierung, ihrer Beziehung zu Wertinhalten, ihrer Stellung zum Leben. Ueberall herrscht nahe Wirklichkeit, klarer Stil, anregendes Inbeziehungsetzen zu Grenzgebieten. Diese Vielseitigkeit fehlt so viel Sondergelehrten. Es ist kein Zweifel, daß das M.-F.-Buch weit über die engeren Grenzen der Fachleute hinaus Interesse beanspruchen darf und finden wird.
Psychotechnische Rundschau.
VERLAG VON FELIX MEINER IN LEIPZIG

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Gleichzeitig erscheint ein neuer Band von:

Die Philosophie der Gegenwart in Selbstdarstellungen

Herausgegeben von Dr. Raymund Schmidt Mitarbeiter:
G. Heymans, Wilhelm. Jerusalem, Götz Martins, Fritz Mauthner, August Messer, Julius Schultz, Ferdinand Tönnies

Früher erschienen:

Band I:
Paul Barth, Erich Becher, Hans Driesch, Karl Joel, Alexius Meinong, Paul Natorp, Johannes Rehmke, Johannes Volkelt.
Band II: Erich Adickes, Clemens Baeutnker, Jonas Cohn, H.Cornelius, Karl Groos, Alois Höller, Ernst Troeltsch, Hans Vaihinger.

Tadelloses weißes, holzfreies Papier. Jedem Beitrag ist ein Bildnis des Verfassers beigegeben.

Jeder Band in Halbleinen M. 250.-, in Halbpergament M. 400.-

Aus den Besprechungen:
„The appearance of such a collection in Germany at the present time is at once a welcome insight into the best German thought and feeling since the war, and a contribution towards the reinstatement of international culture.” „The Philosophical Review” in einem drei Seiten langen Aufsatz.

Um Gottes willen, eine Biographie der sämtlichen derzeit in Deutschland amtierenden Ordinarien — war mein erster Gedanke, als ich den Prospekt des Herausgebers las. Bald aber versöhnte ich mich mit dem Unternehmen. Die einzelnen Herren haben das Biographische geschickt, unter Hervorhebung seiner Konvergenz auf ihre Lebensarbeit, behandelt. Und was die Lehre angeht, so wünschte wohl mancher Historiker, er könnte von den toten Philosophen eine ebenso präzise und kurze Auskunft bekommen, wie er sie von den lebenden (z. B. Baeumker, Cornelius, Troeltsch, Vaihinger, Driesch, Natorp usw.) hier erhält. Literarischer Jahresbericht des Dürerbundes.

Ein dankenswertes Unternehmen! Endlich sieht und hört man bedeutende deutsche Philosophen sich einmal frei über ihre philosophische Entwicklung und ihre Ziele aussprechen. In den zwei Bänden kommen sechzehn Philosophen zu Wort. Jeder gibt hier seine beste, maßgebende Lebensbeschreibung. Einige wie Baeumker, Joel, Volkelt schreiben besonders lebhaft. Schon allein von dieser Seite aus bedeutet das Sammelwerk eine kulturgeschichtliche Tat. Kirche und Welt.

VERLAG VON FELIX MEINER IN LEIPZIG
Annalen der Philosophie

Herausgegeben von
Hans Vaihinger und Raymund Schmidt

Zwei Bände sind abgeschlossen Vom Band III liegen die beiden ersten Hefte vor

Aus dem Inhalt von Band I:
Richard Krückmann, Wahrheit und Unwahrheit im Recht. — Carl Coerper, Die Bedeutung des fiktionalen Denkens für die medizinische Wissenschaft. — Otto Lehmann, Das Als—Ob in der Molekularphysik, — Ernst Tischer, Die mathematischen Fiktionen und ihre Bedeutung für die menschliche Erkenntnis. — Richard Müller—Freienfels, Grundzüge einer neuen Wertlehre. — Anton Wesselski, Philosophie der Tat. — Konrad Lange, Die ästhetische Illusion und ihre Kritiker. — Karl Gjellerup, Zur Entwicklungsgeschichte der Schopenhauerschen Philosophie. — Arnold Kowalewski, Ansätze zum Fiktionalismus bei Schopenhauer. — Hans Kelsen, Zur Theorie der juristischen Fiktionen.

Aus dem Inhalt von Band II:
Richard Müller—Freienfels, Rationales und irrationales Erkennen. — Julius Schultz, Fiktionen in der Elektrizitätslehre. — Max Hüttner, Der biologischen Wert der Illusion. — Arthur Liebert, Frau von Stael, Goethe und die Lehre von den Fiktionen. — Moritz Pasch, Die Begründung der Mathematik und die implizite Definition. — Ernst Bergmann, Der Begriff der Illusion und des „methaphysischen Wagnisses” in der Philosophie Guyaus. — Hans Sveistrup, Ein Platonfund. — Kurt Sternberg, Die Lebenslüge in Ibsens Dichtungen. — Oskar Kraus, Fiktion und Hypothese in der Einsteinschen Relativitätstheorie. — Paul F. Linke, Relativitätstheorie und Relativismus. — Friedrich Lipsius, Die logischen Grundlagen der speziellen Relativitätstheorie. — Joseph Petzoldt, Mechanistische Naturauffassung und Relativitätstheorie. — L. Höpfner, Versuch einer Analyse der mathematischen und physikalischen Fiktionen in der Einsteinschen Relativitätstheorie. — Julius Schultz, Die Fiktion vom Universum als Maschine. — Hans Vaihinger, Ist die Philosophie des Als—Ob Skeptizismus?

Aus dem Inhalt von Band III (Noch nicht abgeschlossen):
Bernhard Fließ, Grenzen und Aussichten der Als Ob—Betrachtung nebst Ansätzen zur Metapsychologie. — Joh. Wegener, Das religiöse Erlebnis als Objekt der Selbsbeobachtung. — M. Pasch, Der starre Körper in der Geometrie. — Eberhard Boerma, Zur logischen Theorie der Fiktionen. — Heinrich Hanky, Über die Beziehungen der Philosophie des „Als Ob” zur mathematischen Naturbeschreibung. — Otto Dempwolff, Fiktion und Hypothese in der Sprachwissenschaft. — Alf Nyman, Giovanni Marchesini (ein Vorläufer der Als Ob—Philosophie). — L. Knopf, Fiktionalismus und Psychoanalyse.”

„Die Zeitschrift bedeutet mehr als eine Sammlung isolierter Arbeiten, sie wird zum Sprechsaal einer wissenschaftlichen Gemeinschaft, wirkt, wie sie von einer Gemeinschaft getragen ist, selbst gemeinschaftsstiftend und ermöglicht mit der Sammlung der Kräfte auch eine Synthese der Resultate”

„Die Herausgeber erstreben gerade durch die Synthese eine ,charaktervolle' Philosophie und wollen ihr durch Konfrontierung der bisher nur zu wenig umeinander bekümmerten Richtungen den Weg bereiten”

„Mit solcher Einstellung werden die ,Annalen' zum Symptom einer Zeit, die nach immer weiter fortgeschrittener Differenzierung und Einzelanalyse um ein neues Prizip besorgt zu sein beginnt, das ihr Wissenschafts- und Weltanschauungsfragmente zu einem einheitlichen Organismus gestaltet, zugleich zum Symptom einer Zeit, die auf allen Gebieten der Atomisierung der Gesellschaft und der Zerpulverung der Kultur abzusagen versucht.” Kantstudien 1920, Heft 2/3.

VERLAG VON FELIX MEINER IN LEIPZIG
HOFBUCHDRUCKEREI F. MITZLAFF, RUDOLSTADT

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Erstellt am 08.12.2010 - Letzte Änderung am 30.12.2010.