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J. P. Morgan (1837 - 1913)

➷ ein Foto von John Pierpont Morgan - ↑ Nachruf 1913

236 - Die Zukunft 1910.

Morgan.

In einem newyorker Blatt fand ich eine satirische Zeichnung, die den Bettler Rockefeller vor dem König Morgan darstellt. Johnny entkleidet sich der Würde und tritt sie an Pierpont ab. Doch Morgan ist nicht erst seit Harrimans Tode der gewichtigste Finanzmann der Neuen Welt. Er war es schon, als er vor zwei Jahren die Vereinigten Staaten vor einer Katastrophe bewahrte. Was verschafft ihm jetzt neue Bewunderung? Er erwarb die Aktien der Gesellschaft „Equitable". Damit habe er sich die Herrschaft über den amerikanischen Finanzmarkt gesichert. Was die großen Versicherunginstitute, die Equitable, die New Jork Life, die Mutual Life, für die geschäftliche Organisation der Vereinigten Staaten bedeuten, zeigte der Moraltrompeter von Boston, Thomas W. Lawson, in seinem berühmten Feldzuge gegen die „Rasende Finanz". Damals deckte er die Verschachtelungen und Verästelungen des Systems der Insurance Companies auf, die mit ihren Geldern die Trusts und spekulativen Unternehmen der großen Macher nähren. Unkundige schlugen die Hände über dem Kopf zusammen. Die kundigen Thebaner lächelten. Lawson entpuppte sich als einen gerissenen Herrn, der seine Kapuzinaden geschickt mit Hausse und Baissemanövern in Beziehung zu setzen verstand. Der Werth der Versicherunganstalten für die „Nationalwirthschaft" blieb unvermindert; sonst hätte Morgan sich kaum um die Aktien der Equitable bemüht. Diese Gesellschaft war Harrimans Stütze. Er führte seine Eisenbahnschiebungen mit dem Gelde der Equitable durch. Die Finanzirung der Southern Pacific-Bahn wäre ohne die Mittel der Equitable nicht möglich gewesen. Die beherrscht einen Concern von Trustcompanies und ist dadurch, schon vor Jahren, mit Morgans Geschäften in Berührung gekommen. Durch eine Untersuchung wurde festgestellt, daß sich die Equitable für die Gründung des Stahl- und des Schiffahrttrusts (der Internationale Mercantile Marine Company) interessirt hatte. Jetzt leitet Morgan den Equitable-Concern. Die newyorker Finanzblätter haben die Kapitalmacht des Mannes zu errechnen versucht. Die Ergebnisse schwanken zwischen vier und fünf Milliarden Dollars. Das ist für amerikanische Dimensionen noch kein Märchenreich. Der Stahltrust allein hat ja 1500 Millionen Dollars Kapital. Man hat erzählt, John Pierpont Morgan wolle die Leitung der Bankhäuser in New Jork und London am ersten Januar 1910 seinem Sohn Jack übertragen. Das londoner Stammhaus I. S. Morgan & Co. (die newyorker Firma heißt: I. P. Morgan & Co.) nahm einige neue Partner auf (Drexel & Co. in Philadelphia und Greenfell in London) und soll zu noch stärkerer Aktion fähig werden. Außerdem soll die Fusion der Nationalbank of Commerce und der First Nationalbank die Basis für eine Centralbank schaffen. Sollte Morgan sich wirklich der Notenbankreform zuwenden? Die vom Senator Aldrich empfohlene Reorganisirung des amerikanischen Geldwesens war dem großen Finanzmann nicht sympathisch. Eine Centralisirung der Geldmarktkontrole hätte seinen eigenen Einfluß gemindert. Die Vielheit der Notenbanken paßt den großen Spekulanten, die immer irgendein Institut ganz bequem in ihr „System" hineinpraktiziren können. Die Schwenkung Morgans würde Aldrichs Reformplänen rasch vorwärts helfen; auch wenn der große Bankier dabei nur an seinen Profit dächte.

Wer so souverain über den amerikanischen Geldmarkt und über die newyorker Börse herrscht, ist auch auf Europens Effektenmärkten ein mächtiger Mann.

237 - Morgan.

John Pierpont Morgan wurde 1837 in Hartford im Staate Connecticut geboren. Er soll noch ganz frisch und elastisch sein, obwohl er sich niemals Mäßigung im Essen, Trinken und Rauchen auferlegt hat. Kalte graue Augen, die meist ein riesiger, schwarz eingefaßter Kneifer umrahmt; kräftige Nase; schmaler Mund, den ein hängender" Schnurrbart kaum verdeckt; sonst keine besonderen Merkmale. Die untere Hälfte des Schädels läßt auf eine gute Portion Willenskraft schließen. Morgan ist kalt und still; deshalb keine volkstümliche Gestalt wie Rockefeller, Gould, Patten, die mit familiär abgekürzten Vornamen bezeichnet werden. Er ist stets Mr. Morgan. Der 'people' kann an diesen König nicht heran. Seine Entwickelung war auch anders als die der Vorgänger. Harriman, Gould, Rockefeller, Hill fingen mit den berühmten fünf Cents in der Tasche an. Ihr Weg ging vom Stiefelputzer, Zeitungjungen oder Officeboy aufwärts. Das sind die 'selfmademan', die dem jungen Lehrling als leuchtende Vorbilder gezeigt werden. John Pierpont Morgan hatte nicht nöthig, das Zeitungaustragen zu lernen. Sein Vater war Bankier; und der Sohn konnte sich leisten, lyrische Gedichte zu machen und brotlose Künste zu treiben. Er zeigte keinen Sinn für 'business'; nur für Philosophie und Literatur. Welche Perversion des Gefühles! Als Zwanzigjähriger bezog er die Georgia Augusta in Göttingen, an der einst sein Landsmann John Lothrop Motley die Freundschaft Bismarcks gewann. Bis ins Jahr 1871 blieb Morgan den Geschäften völlig fern. Ein Versuch, ihn durch die Uebertragung eines Verwaltungrathspostens für die Geldinteressen zu erwärmen, mißglückte. Der Präsident der Versicherungsgesellschaft stellte dem jungen Mitglied der Verwaltung sehr bald daS Zeugniß völliger Unfähigkeit aus. Morgan selbst fühlte sich, wie er einmal einem Freund seines Vaters sagte, fertig; er sei nicht im Stande, eine Thätigkeit zu übernehmen, die dispositive Fähigkeiten voraussetze. Schließlich ließ er sich doch zum Eintritt in die Bankfirma Drexel überreden. Die ersten zwanzig Jahre brachten kein auffallendes Ereigniß. Erst in den neunziger Jahren regte Morgan die Glieder; er hatte die ungeheure Wirtschaftskraft der Heimath erkannt und wußte nun seinen Weg. Der hat steil aufwärts geführt.

Vielleicht war die Indolenz, die der junge Morgan zur Schau trug, nur Maske, hinter der er ungestört Erfahrungen sammeln wollte. Einerlei: Morgan griff plötzlich in die Geschicke der amerikanischen Eisenbahnen ein und stellte die schwach gewordene Eriebahn wieder auf feste Füße. Die Sanirung war von einer reichlichen Aktienemission begleitet, deren Erfolg den damals noch »kleinen" Millionär die Kunst des Aufbauens von Milliarden gelehrt zu haben scheint. Bald hatte er die Kontrole über ein Schienennetz von 30 000 bis 40 000 Meilen. Als Anhänger Hills schien Morgan ein Gegner Harrimans; doch mögen manche Fäden die zwei kongenialen Persönlichkeiten verbunden haben, ohne daß die Welt davon wußte. Die Bekanntschaft mit Charles M. Schwab ließ in Morgan den Plan zur Gründung des Stahltrusts reifen. Die Art, wie das Unternehmen lancirt wurde, ist ohne Beispiel in der Geschichte der Gründungen aller Länder und Zeiten. Die United States Steel Corporation ist vielleicht der größte Papierbau, der je in die Wolken wuchs. Aber das Papier trotzte allen Stürmen; und die Commonshares, die einst parterre waren, haben jüngst ihre Dividende erhöht. Selbst abgebrühte Yankees meinen, daß ein Unternehmen dieses Umfanges nur von Morgan geschaffen und ausgebaut werden konnte. Der Ozeantrust, die Internationale Mercantile Marine Company, hatte zwar nicht den erhofften Erfolg; bleibt, als erster Versuch einer

238 - Die Zukunft.

internationalen Vereinbarung über den transatlantischen Dampferverkehr, immerhin aber merkwürdig. Als kühler Rechner ging Morgan erst an die Konvention, nachdem er sich eine wichtige Rhederei, die Leylandlinie, dienstbar gemacht hatte. Das gab ihm bei den Verhandlungen eine Position, wie er sie als bloßer Finanzmann nicht gehabt hätte. Die Firma I. P. Morgan & Co. hat in der Zeit des Burenkrieges dem Britenreich geholfen und später unsere 80 Millionen Mark Schatzscheine, die einzige deutsche Anleihe, die im Ausland begeben wurde, untergebracht. Ohne Morgans Intervention wäre die Finanzkrisis des Jahres 1907 nicht so glimpflich verlaufen. Er wurde damals als Retter des Vaterlandes gepriesen; aber er ließ sich die Würde sehr theuer bezahlen. Roosevelts ärgste Niederlage fiel in die Zeit dieser Rettung. Morgan wollte die Macht des Stahltrusts erweitern, dem sich im Süden die Tennessee Coal and Jron Company entgegenstemmte. Die wollte er seiner Korporation gewinnen. Diese Absicht wurde durch die Antitrustpolitik der Regirung erschwert. Roosevelt wollte sich als Trustvernichter populär machen. Doch die Börse fieberte vor Angst um den kommenden Tag. Und Morgan erklärte sich bereit, den Markt zu entlasten, wenn die Regirung seinem Wunsch, die Tennessee Co. mit dem Stahltrust zu vereinigen, keine Hindernisse bereite. Das Antitrustgesetz sollte also für ihn nicht gelten. Roosevelt mußte sich dem Milliardär beugen, der seitdem bewiesen hat, daß ihn kein Gesetz der Welt hindern kann, so viele neue Trustprojekte durchzuführen, wie ihm im Augenblick gerade beliebt.

Daß Morgan ein kultivirter Mann ist, zeigt sein Verhältniß zur Kunst. Seine Galerie ist berühmt und er war wenigstens bemüht, nur gute Kunstwerke zu erwerben. Hat feine Agenten auf allen Auktionen bekannter Kunsthändler und ist der Schrecken aller Museumsdirektoren, da er jedes Gebot überbietet, Wenns ihm paßt. Am Ziel seiner Wünsche wäre er wohl erst, wenn er sagen könnte: „Wir Yankees haben die Kunstwerke; Ihr drüben behaltet Eure Tradition." Die italienische Regirung wurde gegen Morgan mobil gemacht. Sie sollte verhindern, daß er dem Lande die besten Ueberbleibsel großer Vergangenheit entführe. Heute verhandelt der Milliardär mit den Savoyern über den Palazzo Gonzaga in Mantua, der Fräulein Morgan ein netter Wohnort scheint. Zwanzig Millionen Dollars sollen der römischen Regirung noch nicht genügen. Doch ist sehr möglich, daß Papa mit sich reden läßt und Miß Morgan noch einmal in den Gemächern thront, die einst von Jsabella von Este, der Schwester Alfonsos von Ferrara, bewohnt wurden.

John Pierpont Morgan ist kein Alltagsmensch; auch kein Milliardär gewöhnlichen Schlages. Gewissenlose Brutalität ist an ihm nie sichtbar geworden. Er ist klug und gebildet, kühl und kultivirt; der gute Europäer unter den Jankees. Wenn der dürre Sichelmann ihn noch eine Weile schont, wird vom Wirken dieses spät Gereiften noch manchmal zu reden sein. Die Yankeeneigung, sich in höfischem Glanze zu sonnen, ist auch ihm nicht ganz fremd; seine anderen Wesenszüge gehören ihm allein. Er ist heute wirklich ein Weltherrscher. Der erste Geldmann Amerikas; also (da noch keine europäische Börse sich gegen den newyorker Einfluß abzusperren vermocht hat) auch in der Alten Welt eine Großmacht, 'Ave Caesar!' Regt sich drüben irgendwo etwas Neues, so hat sicher Morgan vorher solche Regung gnädig erlaubt Ein Philosoph vom Schlag Harrimans ist er nicht; doch sehr weit auch von dem Schreckbilde des brutalen, ungebildeten, skrupellosen Geldmachers. Ein moderner Mensch aus gemäßigter Zone; und der auch Werth darauf legt, in dieser Wesensart vom Urtheil der Kulturgenossen anerkannt zu werden. Ladon.


Herausgeber und verantwortlicher Redakteur: M. Harden in Berlin. — Verlag der Zukunft in Berlin.
Druck von G. Bernstein in Berlin.



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