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Unsere Zeit gleitet langsam auf die Bahn der Naturphilosophie zurück. Wir haben die Angst vor der verpönten Naturphilosophie verlernt. Sie kann auch nicht mehr so gefährlich werden, wie sie der Wissenschaft in Deutschland vor hundert Jahren wurde. Damals versuchten geistreiche Männer, das ganz unscholastische Ziel einer Naturerkenntniß auf scholastischem Wege zu erreichen; als ob Bacon nie gelebt hätte, als ob Mathematik und Physik, Chemie und Physiologie nicht der exakten Forschung einen überraschenden Aufschwung bereits zu danken gehabt hätten, gingen die deutschen Naturphilosophen darauf aus, durch logische Schlüsse ins Innere der Natur zu dringen, positive Kenntnisse aus der Tiefe des Gemüthes zu schöpfen, aus der Tiefe des Gemüthes die Anatomie des Kamels, aus der Tiefe des Gemüthes die Zahl der Planeten. Wie tausend Jahre vorher, sollte das Denken die Erfahrung und das Experiment, die schlaue Erfahrung, ersetzen. Die Lage der Wissenschaft ist heute ganz anders. Unbekümmert um die alte Naturphilosophie, mit steigender Verachtung gegen alle Philosophie, hatte die exakte Wissen-
*) Aus der Fünften Lieferung des „Wörterbuches der Philosophie (Neuer Beiträge zu einer Kritik der Sprache)", die in dieser Woche bei Georg Müller in Leipzig erscheint. Auf die Bedeutung des Werkes wurde hier schon hingewiesen. Ein paar Sätze des Prospektes sollen sie klarer machen. „Aus den erschütternden Ergebnissen der Sprachkritik folgte für Mauthner und für jeden guten Leser nicht eine lähmende Angst vor der erkenntnißtheoretischen Unzulänglichkeit der Sprache, sondern die lebendige Forderung einer durchgreifenden Revision (zunächst) unserer philosophischen Terminologie. Dieser positiven, gesunden, nothwendigen Aufgabe dient Mauthners neues Werk, das nicht nur ein anregendes Nachschlagwerk für den Fachmann sein wird, sondern auch den gebildeten Laien zu einem besseren Verständnis der philosophischen Fragen verhelfen will. Die Grundbegriffe der Geistes- und Naturwissenschaften werden mit dem Hammer der sprachkritischen Idee auf ihre Festigkeit geprüft und es ist nicht die Schuld des Verfassers, wenn mancher Baustein dabei zerbröckelt, Im „Wörterbuch" wird der Versuch gemacht, zusammenhängende internationale Wortgeschichten zu geben. Und weil der Verfasser seine rebellischen Ideen mit starkem Temperament vertheidigt, ist das „Wörterbuch", trotz seinem wissenschaftlichen Reichthum, ein ganz persönliches Buch geworden, das erlebt wurde und erlebt werden will. Wir erfahren, daß die Geschichte des menschlichen Denkens, auch des höchsten, nur Geschichte der Sprache ist." (Jedes der fünfzehn Hefte umfaßt vier Druckbogen und kostet nur anderthalb Mark.)
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schaft in allen Kulturländern zugleich daran gearbeitet, naturgeschichtliche Thatsachen zu sammeln; vorurtheillos, fast gedankenlos, möchte man sagen, oder doch ideenlos, unermüdlich, oft genug geistlos oder alexandrinisch. Die Kärrner bildeten natürlich die Mehrzahl unter den Forschern. Das Ergebnis; war ein so unübersehbarer Haufe von Einzelthatsachen, daß in genialen und auch in ordnungliebenden Köpfen der Wunsch sich regen mußte, sich einmal darauf zu besinnen, ob die neuen Ergebnisse der exakten Forschung geeignet waren, uns die Natur anders und besser begreifen zu lehren als bisher. Ohnehin war die Philosophie überhaupt dadurch wieder zu Ehren gekommen, daß die bedeutendsten Physiologen und Physiker eingestehen mußten: Die Psychologie Lockes und die Erkenntnißtheorie Kants stimmen sehr gut zu den neusten Untersuchungen über die Natur der menschlichen Sinne. Man scheute das Wort Philosophie nicht mehr und wagte wieder, die Natur philosophisch zu betrachten. Hatte man vor hundert Iahren den romantischen Einfall gehabt, ein aus der Tiefe des Gemüthes geschöpftes System den Thatsachen aufzuzwingen, so will man jetzt eigentlich nur die massenhaften Thatsachen systematisch ordnen. Im Grunde ist es nicht der deutsche Begriff Philosophie, sondern der englische Begriff 'philosophy', der da auf das Naturerkennen angewandt wird. Der lebhafteste und beste Vertreter der wieder zu Ehren gekommenen Naturphilosophie, Ostwald, lehrt in jedem seiner Bücher: Die Natur wäre besser als bisher dadurch zu begreifen, daß man in den verschiedenen Energien die einzigen Ursachen des Weltgeschehens erblickte. Die neue Naturphilosophie ist Energetik.
Ich stehe nicht an, auszusprechen, daß ich die heutige Gewohnheit, überall da von Energie zu reden, wo man noch vor zwei Generationen mit Kraft auskam, für eine Sprachmode halte. Es war allerdings unbequem, die potentiellen Kräfte unter dem so aktiv klingenden Kraftbegriff unterzubringen; das Wort Energie bot aber zunächst die selbe Schwierigkeit; und am Ende sind die beiden Hauptsätze der Energetik, der durch seine Gewißheit fast banal gewordene erste und der immer noch problematische zweite Satz der mechanischen Wärmetheorie, — am Ende, sage ich, sind die Hauptgedanken der Energetik ausgesprochen worden, bevor der Begriff Energie üblich war. Uebrigens kommt es auf die Worte nicht an. Die Naturphilosophen hätten nur die Pflicht, die Begriffe Kraft und Energie so zu definiren oder zu beschreiben, daß eine saubere Scheidung möglich würde.
Zu uns ist das alte Wort Energie auf seiner langen Wande-
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rung über England gekommen, aus dem Land also, wo das Dogma vom klassischen Alterthum noch in ungetrübtem Ansehen steht, wo Aestheten und Forscher noch nicht zu wissen scheinen, daß das Ende der schönen und preiswerthen Renaissance hereingebrochen ist, daß wir uns von der Herrschaft der Griechen so gewiß befreien müssen, wie es uns vor fünfhundert Jahren nöthig war, uns ihrer Führung anzuvertrauen. Drollig ist, daß bei dieser Vorliebe der Engländer für griechisches Denken, oft nur für griechische Worte, politische Sympathien aus der Zeit des Philhellenismus eine entscheidende Rolle spielten, also ein höchst unwissenschaftliches Gemisch von dichterischem Idealismus und geschäftlicher Heuchelei. Der Physiker Young führte das Wort 'energy' zuerst vor etwa hundert Jahren für den Kraftbegriff ein und Thomson (Rankine hatte potentielle und aktuelle Energie unterschieden) gebrauchte es dann zuerst in der neuen Bedeutung: Energie ist die Fähigkeit, Arbeit zu leisten. Man sieht: die alten Vermögen sind unter einem neuen Namen wieder auf dem Plan. Aber die Vorstellungen, die man an die Arbeitleistungfähigkeiten knüpfte, waren doch viel klarer und genauer als Das, was man sich einst bei dem Begriff „Vermögen" vorstellte; und auch die Bezeichnung Energie war nicht schlecht gewählt. Das Wort [griech.] bedeutete im Griechischen so viel wie [griech.] eine Thätigkeit, eine Wirksamkeit; es eignete sich also sehr gut dafür (wie wir gleich sehen werden), die Beziehung zwischen Ursache und Wirkung auszudrücken. Freilich wurde [griech.] von Aristoteles gern in einem Gegensatz zu [griech.] gebraucht; und [griech.] sollte gegenüber der aktiven Energie einen passiven Zustand oder eine Beschaffenheit ausdrücken; darum war potentielle Energie eben so schlecht zu kopuliren wie potentielle Kraft. Aber bei einem Fremdworte hört man nicht so genau.
Die Naturphilosophie, die sich selbst Energetik nennt, ist insofern wirklich eine Abart deutscher Philosophie, als sie darauf ausgeht, den Substanzbegriff aus der Welt zu schaffen, durch den Energiebegriff zu ersetzen und so (wenn das Wort gestattet ist) Etwas wie einen empirischen Idealismus zu lehren. Auf eine solche Konsequenzmacherei wäre englische 'philosophy' kaum verfallen. Die gegebene Aufgabe war, die so durchaus verschiedenen wirkenden Kräfte (Bewegung, Wärme, Gravitation, chemische Affinität, Elektrizität, Magnetismus) unter dem Oberbegriff Energie einheitlich zu definiren und, nachdem die Verwandlungmöglichkeit der verschiedenen Energien in einander erkannt worden war, mehr Einheit als bisher in das Weltgeschehen
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hineinzudenken. Diesen Dienst hat die Energetik binnen ungefähr fünfzig Jahren der Naturwissenschaft geleistet. Man achte einmal auf eine kleine sprachliche Absonderlichkeit, um mit einem Blick übersehen zu können, welche Verwirrung in unseren Vorstellungen von den verschiedenen wirkenden Kräften bis dahin geherrscht hatte; es ist am Bequemsten, dabei auf die romanischen Ausdrücke ZU achten: 'mouvement', 'Gravitation', 'chaleur', 'affinité', 'magnétisme'. Im Lateinischen waren diese Ausdrücke mit Hilfe der so ungleichen Endsilben (mentum, atio, or, tas, ismus) gebildet worden. Eine ganze Welt von mythologischen Begriffen verbirgt sich hinter den Zusammensetzungen mit diesen Endsilben; eine intime Wortgeschichte aller dieser Kraftbegriffe würde lehren, daß jedesmal dominirende Nebenvorstellungen die Wahl der Endsilbe herbeiführten. Der Fall liegt nicht ganz so schlimm wie bei den vier Elementen Feuer, Wasser, Luft und Erde, die bis ins achtzehnte Jahrhundert hinein einer einheitlichen Erkenntnis; der chemischen Verbindungen im Wege standen; aber Sachkenner werden mir zugeben, daß die inkohärenten Namen der Kräfte doch auch dazu beitrugen, die Einsicht in die mögliche Einheit alles Naturgeschehens zu hemmen. Die Bezeichnung Energie war neu, war noch nicht kompromittirt, eignete sich also sehr gut dazu, als Oberbegriff für all diese schlecht benannten Kräfte zu dienen; war nur der Energiebegriff gut definirt, so brauchte man die Namen der einzelnen Energien nicht in einheitlichem Sinn abzuändern (was ein gewagtes und undankbares Geschäft gewesen wäre) und konnte die Definition der Energie auf ihre einzelnen Erscheinungen anwenden, unbekümmert um die alten Vorstellungen, die sich irgendwie unbewußt noch an die verschiedenen Endsilben knüpften.
Wie aber ist die Definition oder Erklärung des neuen Energiebegriffes? Ich will es nur gleich sagen, daß ich den Werth des neuen Begriffes, im Gegensatz zu den Synonymen Vermögen und Kraft, in der Möglichkeit finde, Energie an die Stelle der alten Kausalität zu setzen und so ein schwerfälliges Wort der Scholastik, das durch einen hundertjährigen Streit unersetzliche Verluste erlitten hat, durch einen neuen, noch bildsamen, eine Fülle naturwissenschaftlicher Thatsachen assoziirenden Begriff zu ersetzen.
Der Gegensatz von Hume und Kant in Bezug auf den Kausalitätbegriff war nicht unüberbrückbar. Beide hatten den Ursachbegriff aus der Ontotogie hinausgeschafft und in die Psychologie verwiesen; wir wenigstens dürfen Das so ausdrücken. Hume hatte
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die Ursache eine Gewohnheit des Denkens genannt; viel schärfer und in diesem Punkt ein Ueberwinder Humes, faßte Kant die beiden Korrelatbegriffe Ursache und Wirkung unter Kausalität zusammen, nannte sie selbst eine Kategorie des Denkens, sah in ihr eine Bedingung aller Erfahrung: die Relation zwischen Ursache und Wirkung. Dem kantischen Kausalitätbegriff nun, nicht dem Ursachbegriff allein, möchte ich den neuen Energiebegriff
gleichgesetzt wissen.
Wir haben seit zwei Menschenaltern gelernt, daß sich, zum Beispiel, Bewegung in Wärme, Wärme in Elektrizität verwandelt, streng gesetzmäßig, wenn wir nämlich berechtigt sind, die Erhaltung der nach bestimmten Einheiten gemessenen Quantitäten ein Gesetz zu nennen. Die unter einander unvergleichbaren Erscheinungen der Bewegung, der Wärme, der Elektrizität nannte man früher Ursachen oder Kräfte, ohne sich der anthropomorphischen Herkunft dieser Vorstellungen bewußt zu werden; Bewegung, Wärmeelektrizität waren Kräfte, die irgendetwas Anderes, Fremdes verursachen konnten, wie der Mensch durch seine Körperkraft einen Stein werfen, seinem Mitmenschen einen Schmerz zufügen kann. Innerhalb der Dynamik war es längst bekannt, daß die Kräfte erhalten bleiben und nur ihre Richtungen wechseln. Durch den Satz von der Erhaltung der Energie kam etwas ganz Neues hinzu. Man erfuhr jetzt, daß die sonst unvergleichbaren Energieformen sich in einander verwandeln können, bei Erhaltung der gemessenen Quantitäten. Diese Verwandlung oder Metamorphose der Energieformen scheint mir nun die vorläufig letzte Fassung des Räthsels zu sein, das als Kausalität sowohl Hume als Kant beschäftigte. Hume verzweifelte daran, den Ursachbegriff im Denken überhaupt vorzufinden; Kant gab die Schwierigkeit zu, da die Vernunft auf keine Weise einsehen könne, wie die Beziehungen des Daseins eines Dinges auf das Dasein von irgendetwas Anderem möglich sei, was durch jenes unbedingt gesetzt werde; und Kant, dem sein erster Kritiker Aenesidemus-Schulze nicht mit Unrecht vorwarf, sein System könnte den Namen des Formalismus verdienen, half sich damit, daß er die Kausalität eine Form des Denkens nannte. Die aller Erfahrung vorausging. Er leugnete nicht eine Beziehung zwischen Ursache und Wirkung; er nannte nur diese Beziehung eine Relation, von deren Realität wir nichts aussagen können. All Das trifft auf die Verwandlungen oder Metamorphosen der Energieformen zu. Bewegung verwandelt sich in Wärme, Wärme verwandelt sich in Bewegung; es hängt allein von der Anordnung des Versuches ab, welche von
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den beiden Erscheinungen Ursache und welche Wirkung heißen solle. Auch eine Kreisverwandlung läßt sich leicht konstruiren, bei der dann die Wirkung wieder zur Ursache wird. Ursache aber und Wirkung sind Energie; sind die selbe Energie unter verschiedenen Verkleidungen. Denn Das allein kann doch der Grundgedanke der neuen Naturphilosophie sein, die als Energetik die Erhaltung der Energie lehrt, daß es über allen Energieformen nur eine Energie giebt. Die bleibt erhalten, während ihre Erscheinung als Bewegung, Wärme, Elektrizität und so weiter wechselt. Nun ist es ganz gewiß ein ungenauer, ein bildlicher Ausdruck, wenn man sagt, Energie sei zu gleicher Zeit Ursache uud Wirkung. Die Ursache verschwindet, die Wirkung erscheint. Die Höhenlage des aufgestauten Wassers verschwindet; aber jetzt dreht sich das Rad; dann verschwindet die Drehung des Rades oder der Turbine und im metallischen Draht zeigen sich elektrische Erscheinungen; endlich verschwindet die Elektrizität und das Licht ist da. Die Ursache ist zu Gunsten der Wirkung verbraucht worden. Wenn wir trotzdem an der Formel, die Energie bleibe erhalten, keinen Anstoß nehmen, wenn wir also die Energie der Ursache und die Energie der Wirkung gleichsetzen, so verstehen wir unter Energie nicht Ursache oder Wirkung, auch nicht Ursache und Wirkung, sondern die Beziehung zwischen Ursache und Wirkung, eben die Relation, die Kant unter Kausalität verstanden hat. Darin allein scheint mir der entschiedene Werth des Energiebegriffes zu liegen. Bis auf Hume und Kant hatte die Scholastik nachgewirkt, die in ihrem Wortrealismus der 'causa' fast einen dinglichen Charakter beigelegt hatte; Hume und Kant verwiesen, wie gesagt, den Begriff in die Psychologie, doch so, daß Hume ihn für einen Scheinbegriff hielt, Kant aber die Relation zwischen Ursache und Wirkung in ihrer Bedeutung für unser Denken erkannte und nur über ihr Wesen nichts auszusagen vermochte. Die neuere Physik hat nun über das Wesen dieser Relation doch etwas sehr Wichtiges ermittelt: daß es nämlich in der Metamorphose einer ihrer Quantität nach vergleichbaren Kraft bestehe, besser: in der Metamorphose von Kräften; die alten Worte für diese Kräfte (Kräfte, Vermögen, Ursachen) bezogen sich aber anthropomorphisch immer auf die der Zeit nach vorangehenden Lagen oder Veränderungen oder Bewegungen; es war also ein Bedürfniß der wissenschaftlichen Sprache, für die Umwandlung selbst, für die Metamorphose, die aus der Ursache eine Wirkung machte, einen neuen Ausdruck zu finden. Und diesem Bedürfniß entsprach recht gut das unverbrauchte Wort Energie. Es scheint mir vorzüglich der kantischen
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Erkenntnißtheorie zu entsprechen, wenn wir unter Energie einzig und allein die Kategorie der Kausalität verstehen, die Relation zwischen Ursache und Wirkung. Nur zwei Punkte habe ich bei diesem Vorschlag noch deutlicher zu machen: ich muß den Begriff der Ursache noch einmal prüfen und ich muß die Frage nach der Realität der Energie zu beantworten suchen.
Ich habe aus der Summe der Bedingungen, von denen eine nothwendige Wirkung abhängt, diejenige Bedingung die Ursache genannt, der wir eine auslösende Kraft beilegen. Ich habe da schon den Begriff der Auslösung etwas erweitert und sogar die Lebenskraft im Keim eines Samens eine auslösende Kraft genannt. Aber die neuere Physik, insbesondere die mechanische Wärmetheorie, scheint mir den Begriff der Auslösung noch viel mehr erweitert zu haben. Der alte scholastische Satz 'causa aequat effectum' hat seine Giltigkeit verloren. Wir wissen seit Carnot und Clausius, daß bei der Umwandlung von Wärme in Arbeitenergie ein beträchtlicher Theil der Wärme fruchtlos ausgegeben, nicht in diejenige Wirkung verwandelt wird, die wir als Wirkung gewollt haben. Läßt sich dieses Gesetz verallgemeinern, so bleibt der theoretische Satz von der Erhaltung der Energie zwar bestehen, aber die Ursache ist der Wirkung (der uns interessirenden Wirkung) nicht mehr gleich; die Ursache wird in zwei Kräfte zerlegt, von denen die eine eine Wirkung auslöst, die andere nutzlos verschwindet. So nähert sich der Energiebegriff, unbekümmert um Menschenzwecke, den wirklichen Beziehungen zwischen 'causa' und 'effectus' viel mehr, als der anthropomorphische Ursachbegriff es zu thun vermochte. Also führt auch diese Erwägung dazu, die Einführung des Energiebegriffes für einen Fortschritt der Physik zu halten.
Was nun die Realität des Energiebegriffes betrifft, so hat Kant zwar gegen Hume erklärt, daß er die Nothwendigkeit der Kausalität durchaus nicht für bloßen Schein halte, daß aber die Vernunft diese Beziehung gar nicht fassen könne, daß er also (Das ist wohl der Sinn) über die Realität des Kausalitätbegriffes nichts aussagen könne. Wenn nun (nach Ostwald) der Energie Realität zugeschrieben werden muß, so kann Energie entweder nicht identisch sein mit dem kantischen Kausalitätbegriff, mit der Relation zwischen Ursache und Wirkung, oder Ostwald hat die letzten Fragen viel gründlicher beantwortet als Kant. Was ja möglich wäre; Wundt hat es ja seinem Mitarbeiter an der „Kultur der Gegenwart" („Systematische Philosophie") Schwarz auf Weiß zugesichert, daß Dieser, Ostwald, ein MetaPhysiker sei. Ostwald hat nun zugestanden, daß der Allgemeinbegriff der Energie abstrakt
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sei; „die einzelnen Energien dagegen sind durchaus real". Er folgert Das daraus, daß die verschiedenen Energien Gegenstände des Handels seien. Man kaufe Elektrizitätenergie und verwende sie nach Bedarf zur Beleuchtung, zur Arbeit oder zur Elektrolyse. An einer Wasserkraft werde das fallende Wasser bezahlt; das verbrauchte Wasser lasse man als werthlos abfließen. Ganz richtig. Damit scheint mir aber nur bewiesen, daß nicht das reale Wasser bezahlt werde, sondern nur die Höhenenergie des von Naturkräften emporgehobenen Wassers. Bewiesen ist nur, daß solche Relationen (die höhere Lage, die höhere Temperatur, die höhere Spannung) einen höheren wirthschaftlichen Werth besitzen; die Realität einer Erscheinung wird nicht dadurch bewiesen, daß es Leute giebt, die Geld für diese Erscheinung ausgeben. Es giebt Leute, die für Ablaß, für Besprechung von Krankheiten, die für den Kommerzienrathstitel oder für Geistererscheinungen Geld ausgeben. Das wäre mir eine schöne Metaphysik, die daraus schließen wollte, Ablaß, Besprechungen, Kommerzienrathstitel und Geistererscheinungen hätten Realität. „Aber die Pächter von Wasserkräften machen doch gute Geschäfte?" Ja; und die Leute, die sich über die Realität des Raumes den Kopf zerbrechen, machen keine guten Geschäfte.
Die gewiß unbewußte Absicht, die Ostwald zu einer solchen Logik führte, war wohl die Tendenz, seinen dominirenden Gedanken wieder einmal zum Ausgangspunkt eines Systems zu machen, eine neue Philosophie aufzustellen, eben die Energetik. Die letzte Gestalt des Materialismus war die mechanistische Weltanschauung gewesen, die den alten Gegensatz von Geist und Körper durch die Begriffe Kraft und Stoff zu überwinden hoffte. Das war wieder ein Dualismus gewesen und hatte abgewirthschaftet. Das neue Schlagwort hieß: Monismus. Bedurfte die Energie eines Trägers, an der sie haftete, einer Substanz, so lief die neue Energetik auf die Lehre von Kraft und Stoff hinaus; man besaß dann nur zwei neue Worte und einige bessere Beobachtungen; war die Energie nur die Relation zwischen Ursache und Wirkung, so blieben alle Räthsel des Sübstanzbegriffes ungelöst weiter bestehen und es war zu fürchten, daß die Erklärung des Geisteslebens durch Substanz und Energie eben so scheitern würde, wie die Erklärung durch Kraft und Stoff elend gescheitert war. Der Monismus mußte helfen. War die Energie nicht nur in allen ihren Formen eine Beziehung (zwischen Substanzen oder Veränderungen, wie man will), war die Energie das eigentlich Reale (Ostwald: „Die Energie", Seite 5), dann verlangte die Einheit des Systems, das man den Energiebegriff über die Physik hinaus
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auf die Realitäten der Biologie und der Psychologie anwandte: und die langgesuchte monistische Welterklärung war endlich fertig. Die Erweiterung des Energiebegriffes über die Mechanik hinaus auf alle Erscheinungen der Physik hatte sich vor Ostwald vollzogen, als die mechanische Wärmetheorie einen Oberbegriff für die verschiedenen Arbeitleistungen gebraucht hatte, die sich gesetzmäßig in einander verwandelten: die fernere Erweiterung des Begriffes auf die Erscheinungen des Lebens und des Geistes sind Ostwalds persönliches Werk. Wir haben noch zu fragen, was durch diese neue Erweiterung des Energiebegriffes etwa erreicht worden ist.
Ich habe schon flüchtig erwähnt, daß die Bezeichnung Energie zuerst auf eine Erscheinung der Mechanik angewandt wurde; man hatte für Das, was außer dem Namen lebendige Kraft vorher viele andere Namen aus der Gemeinsprache, übrigens auch verschiedene Definitionen und verschiedene mathematische Formeln gehabt hatte, nach einem wissenschaftlichen Ausdruck gesucht und die Engländer fanden, wie gesagt, für diese mechanische Gewalt oder den Impetus das Fremdwort Energie. Die Konstanz der lebendigen Kraft war seit Descartes ein Glaubensartikel der Physik. Als nun Nobert Mayer diese Lehre ausdehnte, die Konstanz der nicht blos mechanischen Kräfte lehrte, insbesondere das mechanische Wärmeäquivalent fand, da war es ökonomisch und darum wissenschaftlich richtig, den Energiebegriff auf die Chemie und auf die Imponderabilien auszudehnen und von einer Erhaltung der Energie zu sprechen. Das Gebiet der Physik wurde dabei nicht verlassen. Die Naturwissenschaft wußte nur von physikalischen Energien; erst die neue Naturphilosophie versuchte (getreu ihrem Streben, das Unsichere durch Verallgemeinerung des Gesicherten zu errathen), den Energiebegriff über die Physik hinaus auszudehnen. In einem zweifachen Sinn. Die neue Energetik wollte die Energie an die Stelle des Substanzbegriffes setzen, wobei freilich immer nur ältere Worte durch neuere Worte ersetzt wurden, ohne daß das wissenschaftliche Bild von der Welt irgendwie verändert worden wäre. Aber die Energetik wollte auch das Leben und den Geist für Energieformen ausgeben; und dabei ging es ohne Gewaltsamkeiten nicht ab. Ich bemerke, daß Ostwald in seinen ganz eigenen Büchern diesen Bedeutungwandel des Energiebegriffes sehr energisch betont, daß er aber in dem kleinen Abriß der Naturphilosophie, der in den Sammelband Systematische Philosophie („Kultur der Gegenwart, Theil I, Abt. VI.") aufgenommen worden ist, auf seine Kollegen Rücksicht nimmt und namentlich an einer energetischen Erklärung des Geisteslebens
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verschämt vorübergeht, „da die hier auftretenden Fragen in den anderen Abtheilungen dieses Werkes behandelt werden."
Ostwald hat gut gesehen, daß die Lebenserscheinungen rein mechanistisch nicht zu erklären sind. Zwischen einer Flamme und dem Leben eines Organismus giebt es viele Ähnlichkeiten, die ja oft genug von Poeten und Rhetoren in Worten behandelt worden sind; aber das Leben ist doch noch etwas Anderes, als daß es der Flamme ähnlich ist. Die Erhaltung der Flamme und die Fortpflanzung der Flamme ist rein mechanisch zu erklären; Erhaltung und Fortpflanzung eines Organismus nicht. Nimmt man die Energieform der Chemie zu Hilfe, so wird vielleicht einmal der gesammte Stoffwechsel der Organismen materialistisch erklärt werden und man wird Das dann (weil doch die Energie an die Stelle der Materie getreten ist) eine energitische Erklärung nennen dürfen. Nur das Räthsel des Gedächtnisses wird gewiß auch dann nicht aufhören, Schwierigkeiten zu machen.
Es ist keine Willkür der menschlichen Sprache, zwischen Lebewesen und unorganischen Körpern zu unterscheiden, wenn auch (wie ich öfter zu behaupten gewagt habe) die Kristalle eine Brücke zwischen beiden Gruppen bilden dürften. Die Energiesysteme, die wir lebendig nennen, weisen deutlich andere Eigenschaften auf als die Energiesysteme, die wir unorganische Stoffe nennen. Für die menschliche Betrachtung unterscheidet sich das Leben von der unorganischen Welt durch die Zweckmäßigkeit, zu welcher die Theile eines Organismus geordnet sind. Der Zweckbegriff aber hat meines Erachtens unter keinen Umständen einen Platz unter den Energieformen. Der Zweck, die Endabsicht einer Intelligenz, setzt die Existenz von Energien und einige Kenntniß der Energiegesetze schon voraus; die Intelligenz benutzt die ihr bekannten Energien als Mittel für ihre Zwecke. Die Zweckmäßigkeit ist keine neue Energie; die 'causa finalis' ist keine 'causa'. Man könnte Das auch so ausdrücken: da nach der Anschauung der gegenwärtigen Biologie sämmtliche Energien des Stoffwechsels im organischen Körper verbraucht werden, bleibt keine Energie übrig, die für eine Umwandlung in eine besondere Lebensenergie oder eine besondere Lebenskraft nöthig wäre. Die Reizerscheinungen, die allein an Organismen zu beobachten sind, lassen sich demnach so analysiren, daß die Reizbewegungen jetzt oder dermaleinst aus Energien zu erklären sind, daß die Reizempfindungen aber schon psychische Begleiterscheinungen sind, für deren Zweckmäßigkeit wir keine Erklärung. keine Relation, von Ursache und Wirkung, keine Energie kennen.
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Nun ist freilich durch Darwins Hypothese der große und kühne Versuch gemacht worden, den Zweckbegriff aus der Geschichte der organischen Natur hinauszuschaffen; und der Kampf um den Darwinismus wird und kann sich nicht beruhigen, bevor über den Zweckbegriff nicht volle Klarheit geschaffen ist. Einstweilen ist es uns durch Hering geläufig geworden, die Zweckmäßigkeit der Organismen durch Etwas wie ein unbewußtes Gedächtnis; des organisirten Stoffes zu erklären. Ich lasse die Frage, ob unbewußtes Gedächtniß nicht eine 'contradictio in adjecto' sei, hier bei Seite; offenbar ist es eine bildliche Erweiterung des Begriffes, wieder ein Anthropomorphismus, wenn wir einem Organismus ohne Gehirn und ohne Bewußtsein Etwas wie das menschliche Gedächtniß zusprechen. Aber wir kommen ohne dieses Bild nicht mehr aus. Biologie und Psychologie werden so durch den dominirenden Begriff Gedächtniß zu einer einzigen Gruppe vereinigt; und statt einzeln zu fragen, ob das Leben eine besondere Energieform sei, ob der Geist eine besondere Energieform sei, haben wir nur noch die einzige Frage zu beantworten: Ist das Gedächtniß eine Energieform? Oder besser: Kommen wir in der Erkenntniß weiter, wenn wir das Gedächtniß eine Energieform nennen.
Da muß zunächst gesagt werden, daß gegen die Ausdehnung einer Wortvorstellung an sich nicht viel einzuwenden sein wird, gegen die Ausdehnung des Energiebegriffes auf den Geist oder auf das Gedächtniß weniger als gegen seine Ausdehnung auf das Leben. Im Stoffwechsel scheinen alle chemischen und physikalischen Energien des Organismus restlos verbraucht zu werden; die Reizempfindungen konnte man noch als innere Begleiterscheinungen auffassen. Muskelarbeit konnte noch als eine bisher ungelöste Aufgabe der mechanischen Naturanschauung betrachtet werden. Nicht ganz so die Geistesarbeit, die immer auf Gedächtnßarbeit zurückgeht. Wir fühlen diese durchaus innere Gedächtnißarbeit als eine Anstrengung; und wir glauben, zu wissen, daß es ohne Stoffverbrauch nicht abgeht; wir dürfen also sagen, daß da bei der Gedächtnitzarbeit wieder einmal Energien verwandelt worden sind. In Arbeit sogar. Das mag der richtige Ausgangspunkt von Ostwald gewesen sein.
Was gewinnen wir aber, wenn wir die Geistesthätigkeit eine Energie nennen? Als wir diese Thätigkeit eben Arbeit nannten, haben wir ja schon ahnunglos einen bildlichen Ausdruck gebraucht. Dem ungebildeten Arbeiter oder gar dem Naturmenschen fällt es gar nicht ein, das Nachdenken eine Arbeit zu nennen. Und wir spielen mit Worten, wenn wir zuerst die ihrer Quantität nach
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meßbaren Kraftwirkungen unter dem Oberbegriff Arbeitenergie zusammenfassen und dann die Geistesarbeit, um des Wortes Arbeit willen, eine Energieform nennen. Das ist der springende Punkt. Der Energiebegriff hat nur insofern einen Sinn oder einen wissenschaftlichen Nutzen, als er es uns ermöglicht, die Umwandlungen der verschiedenen Relationen zwischen Ursache und Wirkung mit einem einheitlichen Maße zu messen. Ein gemeinsames Maß zwischen mechanischen Energien und der Geistesarbeit giebt es nicht und kann es nach dem Wesen der menschlichen Sprache nicht geben, weil alle mechanischen Maße zuletzt auf Raumgrößen zurückgehen und weil das geistige Leben keine Relation zum Raum hat. Die Ausdehnung des Energiebegriffes auf das geistige Leben oder auf das Gedächtniß hat also keinen Sinn und keinen wissenschaftlichen Nutzen. Sie ist ein Phantasiegebilde, das man nur ästhetisch bewerthen sollte. Ich möchte noch ein Wenig tiefer bohren, um eine ganz winzige Strecke. Ist meine Definition richtig, ist die Energie nur die Kausalität, wie Kant sie verstanden hat, ist die Energie nur die Relation zwischen Ursache und Wirkung, so bezieht sich der Energiebegriff nur auf Erscheinungen, ist nur eine Menschenvorstellung, sagt gar nichts aus über die wirkliche Natur. Weil wir es bei unseren Werkzeugen und Maschinen, bei unseren Chemischen Fabriken und bei Elektrischen Centralen, beim Kalendermachen und bei Wetterprognosen einzig und allein mit Erscheinungen zu thun haben, darum kommen wir auf allen diesen Gebieten mit dem Energiebegriff und der Lehre von der Erhaltung der Energie recht gut aus. Nach dem Ding-an-sich der Naturerscheinungen fragen die Naturforscher und die Techniker nicht. Nur heimlich meinen sie, durch den Energiebegriff ins Innere der Natur gedrungen zu sein. Wenn wir aber diesen Begriff auf das geistige Leben anwenden, das uns unmittelbar so viel besser bekannt vorkommt als die Naturerscheinungen, so begehen wir den groben Doppelfehler, daß wir die Menschenvorstellung der Relation für eine Erklärung der wirklichen Natur halten und daß wir darum wieder einmal das Ding-an-sich entdeckt zu haben glauben, wenn wir es eine Energieform nennen.
Meersburg am Bodensee.
Fritz Mauthner.