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Rudelsburg.
(Singweise von: Heute scheid ich ec.; Mäßig bewegt. F. G. Fesca. 1823.)

1. An der Saale hellem Strande stehen Burgen stolz und kühn. Ihre Dächer sind gefallen, und der Wind streicht durch die Hallen, Wolken ziehen drüber hin.

2. Zwar die Ritter sind verschwunden, nimmer klingen Speer und Schild; doch dem Wandersmann erscheinen in den altbemoosten Steinen oft Gestalten zart und mild.

3. Droben winken holde Augen, freundlich lacht manch roter Mund. Wandrer schaut wohl in die Ferne, schaut in holder Augen Sterne, Herz ist heiter und gesund.

4. Und der Wandrer zieht von dannen, denn die Trennungsstunde ruft; und er singet Abschiedslieder, „Lebewohl“ tönt ihm hernieder, Tücher wehen in der Luft.

Franz Kugler. 1826.


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Der Artikel als Text
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Maximilian Harden: Geboren: 20. Oktober 1861, Berlin. Gestorben: 30. Oktober 1927, Montana VS, Crans-Montana, Schweiz. - Ein deutscher Publizist, Kritiker, Schauspieler und Journalist. Harden war der Herausgeber der Wochenschrift Die Zukunft. Er strengte Prozesse gegen Berater und Freunde des Kaisers Wilhelm II. an, die zu mehreren Rücktritten führten. Wikipedia
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Heinrich Spiero: Geboren am 24.3.1876 in Königsberg; gestorben am 8.3.1947 in Berlin. - Der promovierte Jurist, Sohn eines jüd. Unternehmers, war 1911-1914 Dozent an der Hamburger Landeskunstschule. Er schrieb wichtige biographische Beiträge über die Literatur des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Quelle: Killy Literaturlexikon
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Franz Theodor Kugler war ein deutscher Historiker, Kunsthistoriker und Schriftsteller. Kugler war auch als Kunstreferent des preußischen Kulturministeriums tätig und konnte seine Ansichten in die Praxis der Kunstverwaltung umsetzen. Sein weitverzweigtes Netz von Bekannten und Freunden unter den Berliner Schriftstellern der Zeit, von Emanuel Geibel und Paul Heyse bis zum jungen Theodor Fontane, illustriert eine paradigmatische Verbindung von Literatur- und Kunstbetrachtung, die von der Zusammenarbeit mit Adolph Menzel an der Geschichte Friedrichs des Großen (1840) oder aber von seinen eigenen Gedichten weiter dokumentiert wird.
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Heinrich Theodor Fontane war ein deutscher Schriftsteller, Journalist und Kritiker. Er gilt als bedeutender Vertreter des Realismus. Wikipedia
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Postkarte, Zürich den 26.07.1916

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Rudelsburg.
(Singweise von: Heute scheid ich ec.; Mäßig bewegt. F. G. Fesca. 1823.)

1. An der Saale hellem Strande stehen Burgen stolz und kühn. Ihre Dächer sind gefallen, und der Wind streicht durch die Hallen, Wolken ziehen drüber hin.

2. Zwar die Ritter sind verschwunden, nimmer klingen Speer und Schild; doch dem Wandersmann erscheinen in den altbemoosten Steinen oft Gestalten zart und mild.

3. Droben winken holde Augen, freundlich lacht manch roter Mund. Wandrer schaut wohl in die Ferne, schaut in holder Augen Sterne, Herz ist heiter und gesund.

4. Und der Wandrer zieht von dannen, denn die Trennungsstunde ruft; und er singet Abschiedslieder, „Lebewohl“ tönt ihm hernieder, Tücher wehen in der Luft.

Franz Kugler. 1826.
Franz Theodor Kugler war ein deutscher Historiker, Kunsthistoriker und Schriftsteller.


Hermann Allmers: Auf der Rudelsburg,
in: Allgemeines Deutsches Kommersbuch, S. 318-319. (1846)

1. Dort Saaleck, hier die Rudelsburg, und unten tief im Thale,
da rauschet zwischen Felsen durch die alte liebe Saale;
und Berge hier und Berge dort zur Rechten und zur Linken -
die Rudelsburg, das ist ein Ort zum Schwärmen und zum Trinken,
die Rudelsburg, das ist ein Ort zum Schwärmen und zum Trinken.

2. Das wissen die Studenten auch in Jena und in Halle
und trinken dort nach altem Brauch im Hof und auf dem Walle.
Umringt von moosigem Gestein, wie klingen da die Lieder!
|: Die Saale rauscht so freudig drein, die Berge hallen wieder. :|

3. O Vaterland, wie bist du schön mit deinen Saatenfeldern,
mit deinen Thälern, deinen Höhn und all den stolzen Wäldern!
O Vaterland, drum wollen wir dir unsre Lieder singen,
zu deinem Preise sollen hier laut Herz und Becher klingen.

4. Wie tönet das ins Tal hinein vom Felsen hoch hernieder, -
die Saale rauscht so freudig drein, die Berge hallen wieder;
und Berge hier und Berge dort zur Rechten und zur Linken -
die Rudelsburg, das ist ein Ort zum Schwärmen und zum Trinken.

Hermann Allmers
Hermann Ludwig Allmers war ein deutscher Schriftsteller. Als „Marschendichter“ schrieb er vor allem über Kultur und Landschaft seiner nordwestdeutschen Heimat. Wikipedia Geboren: 11. Februar 1821, Sandstedt. Gestorben: 9. März 1902, Rechtenfleth, Sandstedt.
Louise Otto: Erinnerung an die Rudelsburg.
Entstanden vor 1850, veröffentlicht 1893.

Erinnerung an die Rudelsburg.

I.

Wir weilten in alten Ruinen
Ein junges glückliches Paar,
Mit liebeseligen Mienen,
Das treu verbunden war.

Wir sprachen mit Kuß und Scherzen,
Mit Wonneblick und Thrän
Von unsern seligen Herzen,
Die fester als Burgen stehn! –

Will ich nun wiedersehen
Die Stätte meines Glücks,
So muß ich einsam gehen,
Gesenkten, trüben Blick’s.

Der damals mich umfangen
Sank wie dies Bergschloß ein!
Von beiden die vergangen
Spricht nur noch das Gestein!


II.

„Hörst du die Saale drunten flüstern?
O mein Geliebter – da hinab!
Könnt Trennung uns das Leben düstern,
Dort ist für uns ein einig Grab!“

So rief ich aus voll Liebesbeben,
In meines Herzens Ahnungsgrauen,
Du aber sprachst von Glück und Leben
Mit heiterlächelndem Vertrauen:

„Nicht Trennung kann das Leben haben,
Mein Liebchen, ja für dich und mich,
Nur Liederflut mag uns begraben
Und Deine Locken decken mich!“

Nun bist du, Liebster, doch begraben,
Auf kalter Brust die Locke mein –
Kann mich die Liederflut noch laben,
Die jetzt umwogt nur mich allein?

Ach, wie wir damals uns umschlungen
Hättst „Schwärmrin“! du mich nicht genannt
So wären wir hinabgesprungen
Und hätten Trennung nie gekannt.

So wär ich nicht allein geblieben
In dieser kalten, öden Welt,
Die, weil ich nicht kann wieder lieben,
Mein Herz für kalt und fühllos hält.

Doch muß ich noch im Leben ringen:
Wohlan – der Liebe Glück ist hin, –
Noch aber kann ich mutig singen:
Noch lebt mein freier, stolzer Sinn!

Noch kann ich kämpfen mit Ruinen,
Die so wie diese ringsum stehn,
Noch kann der neuen Zeit ich dienen,
Und froh das Alte weichen sehn.

Noch kann ich wie die Saale drunten
Dem Vorwärtswogen froh mich weihn –
Doch hab ich einsam stille Stunden
Träum ich von Liebe – ewig Dein! –

Louise Otto-Peters war eine sozialkritische Schriftstellerin, Frauenaktivistin und eine Mitbegründerin der bürgerlichen deutschen Frauenbewegung. (Wikipedia)
Geboren: 26. März 1819, Meißen. Gestorben: 13. März 1895, Leipzig.
Ehepartner: August Peters (verh. 1858–1864). Eltern: Charlotte Matthäi Otto, Wilhelm Otto.


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Vom ewigen Herd.
(»Zukunft« 1909, S. 17

Am neunzehnten Januar 1855 sprach Theodor Fontane in einem Hause der berliner Friedrichstraße einen Toast, der begann:
Gott schütz' den König, unsern Herrn,
Und unser Aller Leben!
Am ewgen Herd hat wieder einmal Geburtstag sich begeben.

Dem selben Mann, dessen Geburtstag diese Verse feierten, schrieb Fontane im selben Jahr, er habe die Keime, die ungepflegt im Menschen sterben und verderben, wie ein Gärtner gepflegt, auch in den gebrochensten Scherben, Und solches Lob hat nicht er allein aus vollem Herzen gesprochen. Der, dem dies Alles galt, war Franz Kugler, dessen hundertster Geburtstag der neunzehnte Januar dieses Jahres war und dessen Todestag sich am achtzehnten März zum fünfzigsten Mal jährte. Seine Verdienste um die Kunstgeschichte mögen Fachmänner würdigen. Uns geht hier der Dichter Kugler an, dessen Lied von der Rudelsburg noch lebendig ist, und darüber hinaus der väterliche und brüderliche Freund all der Dichter und Künstler, die in seinen Mannesjahren in Berlin zusammenkamen. Es war das Berlin, von dem auch Holzschnitte und Lichtbilder nur eine schwache Vorstellung geben können, die Stadt, von der Paul de Lagarde sagt: „Berlin war bis 1840 und, wenn man will bis 1848, eine Stadt voll Poesie," Ich gebe aus Lagardes lebendiger Schilderung noch ein Stück, das wenig bekannt ist:

»Die Stadt zerfiel in sehr verschiedenartige Theile, Neu-Cölln am Wasser bot den eigenthümlichsten Anblick. Der Fluß, an einem Ufer von einer breiten Gracht begleitet, war nicht belebt, obwohl die bekannten Kähne auf ihm lagen: aber eben diese ungegliederten Holzgestelle, aus deren Kajüten Torfrauch aufstieg, über denen Windeln und Hemden getrocknet wurden, machten den Eindruck einer ganz eigenartigen Wohnlichkeit sogar der Spree: manch strammer Mann hat auf diesen Kähnen in Berlin selbst, oder während sie ihre Fracht, Torf und Obst auf der Havel zusammenholten, das Licht des Lebens erblickt. Darüber mehr Kirchthürme sichtbar, mehr Thurmuhren und Glocken und Glockenspiele hörbar, als man sonst in Berlin sah und vernahm. Dann die Königstadt, sehr belebt nach damaligen Begriffen, der Sitz des Kolonialwaarenhandels, der Tuchläden, der Post, des Stadtgerichts, der Polizei: davor Straßen nach den Thoren sich dehnend, die ganz ländlichen Eindruck machten: Vierfüßler, Hühner, Enten, Gänse auf den geräumigen Höfen. Die Friedrichstadt unendlich still: eine Puttkammer-, Bessel-, Anhaltstraße gab es noch nicht; die Sternwarte mar noch nicht freigelegt: Garten an Garten voll Baumblüthe und Vogelfang im Frühling, voll Trauben, Aepfeln und Birnen im Herbst und nachmittags voller Kinder, welche das Wiesel mitten in der Stadt jagen konnten und nie ein Bedürfniß fühlten, frische Luft außerhalb der Stadtmauern zu suchen. Die ganze obere Friedrichstraße von sogenannten Viehmeistern bewohnt, durch welche die Südstadt mit Milch versorgt wurde, welche ehrerbietigst

18 - Die Zukunft.

von den grauen Holzstühlen, den Ruhestzen ihrer Abende, aufstanden, wann der von ihnen bediente Honoratiore vorbeikam, Von der Alten Jakobstraße bis zum Schlesischen Thor das Köpenicker Feld, über das wir, aus der Pfuelschen Schwimmanstatt heimkehrend, so manchmal hinweggeschwitzt sind."

In der Friedrichstraße, die (man möchte es kaum glauben) unendlich still war, wohnte Franz Kugler, Vortragender Rath im Kultusministerium, Professor an der Hochschule für Bildende Künste, Dozent der Kunstgeschichte an der Universität. Das Haus gehörte dem alten Kriminaldirektor Hitzig, dem Freunde Chamissos und E. Th. A. Hoffmanns, und lag nah beim Belleallianceplatz. Es barg gewissermaßen die ersten Geschlechter einer ganzen Dynastie, die, ähnlich den Familien Brentano und Mendelssohn, auf lange hinaus dem geistigen Leben Deutschlands fruchtbar sein sollte. Hitzigs Sohn war der Architekt Friedrich, sein Enkel der Mediziner Eduard Hitzig. Von seinen Töchtern war eine mit dem General Baeyer, dem berühmten Geodäten, verheirathet, dessen Sohn der Chemiker Adolf von Baeyer, dessen Schwiegersohn der Philologe Otto Ribbeck war. Und Hitzigs jüngste Tochter war Klara Kugler, Franzens Frau, deren stille Anmuth die Widmung von Geibels ersten Gedichten preist. Dieses Paares Tochter hat dann Paul Heyse heimgeführt; sein Schwager war der Historiker Bernhard von Kugler.

Man kann von allen diesen Dingen nicht sprechen, ohne des 'Tunnels über der Spree' zu gedenken, wohl der an Talenten reichsten Dichtergesellschaft des neunzehnten Jahrhunderts, Fontane hat sie anschaulich in zweien seiner Bücher („Von Zwanzig bis Dreißig" und „Christian Friedrich Scherenberg") geschildert. Kugler nahm im Tunnel nach Fontanes Zeugnis; nicht ganz die seiner Bedeutung entsprechende Stellung ein. Er hatte etwas Altfränkisch-Goethisches, das dem besonderen Tunnelton nicht ganz entsprach. Um so wärmer war die Wirksamkeit seiner Person im eigenen bescheidenen Haus, wo er mit Frau Klara „am ewigen Herd" stets bereiter Gastlichkeit lebende Flammen hütete. In der höchsten Einfachheit ein Zusammenströmen geistige Kräfte. Kugler muß eine der Persönlichkeiten gewesen sein, deren Reiz noch mehr in Dem liegt, was sie sind, als in Dem, was sie schaffen.

In zwei jüngst erschienenen Büchern lebt Kuglers Gestalt, sein Haus und die Welt, deren Mittelpunkt er war, reizvoll wieder auf. Aus dem Nachlaß der beiden Theodore seines Kreises fallen uns wiederum Früchte zu, an deren Reifen auch er betheiligt war. Storms Briefe in die Heimath aus den Jahren bis 1861 hat Gertrud Storm (bei Karl Curtius in Berlin) herausgegeben und Josef Ettlinger veröffentlicht (bei F. Fontane & Co. in Berlin) noch Einiges aus dem Nachlaß Fontanes, Storm und Fontane haben einander in Kuglers Haus kennen gelernt, und zwar, wie der Vergleich ihrer Berichte ergiebt, in der Zeit, da Eichendorff, Kuglers Amtsvorgänger im Mini-

19 - Vom ewigen Herd.

sterium, einmal dort zu Gast war und dabei von dem jungen Heyse in Versen begrüßt wurde, deren Vortrag Heyse, nach Fontanes Zeugniß, so erregte, daß Theodor „durch den zwischen uns befindlichen Tischfuß sein Zittern fühlte". Der tiefe Gegensatz der beiden Meister Storm und Fontane, die Kuglers Tisch vereinte, ist Beiden, besonders aber dem scharfsichtigen Fontane, nie verborgen geblieben, so sehr sie einander liebten und die Freundschaft sie an einander band. Gerade in seinen Tunnelerinnerungen hat ja Fontane eins der längsten und feinsten Kapitel Storm gewidmet und dabei das Gegensätzliche nicht verschwiegen das zwischen ihren Naturen war. Storms Briefe sind in all den Jahren ein einziger Ruf der Sehnsucht nach der holsteinischen Heimath, einer Sehnsucht, die sich oft wundervoll bis zur dichterischen Vision steigert, manchmal freilich auch in Dem stecken bleibt, was Fontane boshaft „Husumerei" nannte. Viel äußere Misere spricht mit, wie sie auch Fontane zur Genüge kannte, bei seinem weniger auf diese Dinge gestellten Temperament aber leichter überwand. Mit dem Landrath mag Storm zunächst nicht anknüpfen, weil ihm die Mittel fehlen, ihn gelegentlich zu einer anständigen Abendschüssel einzuladen. Und solche Quälereien, freilich oft von ernsterer Art, ziehen sich durch all die Jahre hin. Die großen Ruhepunkte sind die Weihnachtfeiern. Kaum je gab es wohl einen deutschen Dichter, der das Fest mit so tiefer Innerlichkeit und dabei in so liebevoll ausgesponnener Aeußerlichkeit beging wie Storm, der doch im dogmatischen Sinn ein dezidirter Nichtchrist war. Wir haben das Gefühl, daß ihm ein Weihnachtfest, wie es Fontane 1855 in London einsam beging, das Herz gebrochen hätte. Storm hätte das Fest gewiß nicht im Café Divan gefeiert, sondern sich einen Baum mit einem vergoldeten Zweig geschmückt, wie er ihn später seinen Kindern beschert hat. Die Einsamkeit, in der Storms Heiligenstädter Richterjahre dahingingen, mag mitschuldig daran sein, daß wir aus diesen Briefen nur rein persönliche, familiäre Ausbeute heimtragen, nicht so tiefe künstlerische Einsichten und Aussichten empfangen wie aus den früher veröffentlichten an Gottfried Keller. Wer aber Storm kennt und liebt, empfängt auch manches Neue für seine Beurtheilung. Wie er seine Kinder erzieht, sein Haus führt, sein Amt auffaßt: Das lernen wir erst hier und benutzen mit Dank die neuen Bausteine für die Persönlichkeit des großen Dichters.

Ueber den Märker, mit dem der Holsteiner sich in Kuglers Haus befreundete, erfahren wir aus dem neuen Band nichts Neues, das für Fontanes Persönlichkeit besonders wichtig wäre. Die einzige Note, die in dem Bild noch fehlte, ist der leise, persönlich fontanische Antisemitismus, wie er in den „Veränderungen in der Mark" festgehalten wird und zu dem das Gedicht „An meinem Fünfundsiebenzigsten" ein kostbares Seitenstück bildet. Beide waren freilich schon vorher durch die Zeitschrift „Pan" bekannt geworden. Die heitere Selbstironie, mit der sich der Mann der märkischen Wanderungen hier an die

20 - Die Zukunft.

Spitze der Ritter „von fast schon prähistorischem Adel" stellen läßt, möchten wir in dem Kranz seiner dichterischen Lebensäußerungen nicht missen; manches andere Gelegenheitgedicht, das nun hier veröffentlicht wird, wird nur dem intimen Fontanekenner, gewissermaßen als Paradigma, von Werth sein. Und auch Mathilde Möhring, die letzte Frauengestalt des Schöpfers von Grete Minde und Lene Nimptsch, bereichert seine Welt nicht wesentlich. Wie Mathilde, deren ganzes Kapital ihr Gemmenprofil ist, sich den Chambregarnisten ihrer Mutter, den poetisch angehauchten Rechtskandidaten Großmann, einfängt und aus dem immer Schwankenden einen ordentlichen Beamten macht: Das ist mit der alten Meisterschaft erzählt, die mir an Fontane so oft bewundert haben. Auch unter den Nebengestalten hat manche einen feinen Zug besonderer Charakterisirung. Nur der unerträglichen Mutter Möhring fehlt jede wärmere Menschlichkeit, fehlt der besondere Humor, der eins ihrer männlichen Gegenstücke bei Fontane, den Gärtner Dörr, in „Irrungen Wirrungen", mit der ganzen Wärme menschlicher Echtheit umgiebt. Mit dieser Frau Möhring ists im Kleeinen etwa wie im Großen mit Jenny Treidel, die auch wiederholter Prüfung schließlich nicht Stand hält, weil der Humor, den ihr Schöpfer ihr mitgab, nicht zureicht, das Unleidliche der Gestalt vergessen zu machen; das Unleidliche im menschlichen wie im künstlerischen Sinn: fällt doch, wenn man die höchsten Maßstäbe an Kunstmerke anlegt, Beides genau zusammen.

Ob wir freilich diese höchsten Maßstäbe an Fontanes Erzählungen anlegen sollen, erscheint nach dieser letzten Nachlese zweifelhaft In den Studien und Aufsätzen, die den Band schließen und ungemein wichtiges Material zu Fontanes Aesthetik beibringen, finden mir die Sätze: „Was ist ein Roman? Er soll uns, unter Vermeidung alles Uebertriebenen und Häßlichen, eine Geschichte erzählen, an die wir glauben. Er soll zu unserer Phantasie und unserem Herzen sprechen, Anregungen geben, ohne aufzuregen; er soll uns eine Welt der Fiktion auf Augenblicke als eine Welt der Wirklichkeit erscheinen, soll uns weinen und lachen, hoffen und fürchten, am Schluß aber empfinden lassen, theils unter lieben und angenehmen, theils unter charaktervollen und interessanten Menschen gelebt zu haben, deren Umgang uns schöne Stunden bereitete, uns förderte, klärte und belehrte" Diese Worte, die etwa l875 geschrieben sein müssen, erörtern eine Frage, die nach des Dichters Zeugnissen schon im Tunnel und am ewigen Herd behandelt worden ist, im Tunnel immer mit einem gemissen Ton leiser Nichtachtung gegenüber dem Roman. Es ist zugleich eine Frage, die in ihrer Anwendung auf die Novelle Storm Jahre lang immer wieder beschäftigt hat und die er für seine Novellenkunst so ziemlich im entgegengesetzten Sinn beantwortete. Nur haben mir bei Storm, wenn er Solches mit Schärfe ausspricht, wirklich ein ästhetisches Grundbekenntniß vor uns, wahrend Fontane nach eigenem Geständnis; doch schließlich immer

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wieder auf seine unmittelbare Empfindung sich verläßt (was ja, zum Beispiel, seinen Causerien über Theater ihren ganz eigenen Reiz giebt).

Noch eine Stelle aus diesen literarischen Studien verdient Erwähnung; weil nur ein Dichter von Rang das Letzte aus einem Werk wie Grimms „Goethe" so herausholen konnte, wie es Fontane hier gethan hat. Man kann das, ich möchte sagen experimentelle Element in Grimms ästhetischer Betrachtung nicht besser charakterisiren als mit dem Bild Blondins über dem Niagara. „Auch Herman Grimm bebt vor einem gelegentlichen Saltomortale nicht zurück, wenn er es nicht vorzieht, doppelgängerisch, von den Endpunkten zweier entgegengesetzter Ansichten aus, vorzugehen und nach höflicher Begrüßung mit sich selbst, ohne Frontveränderung zu den Thurmspitzen hüben und drüben, zurückzukehren. Ein Verfahren, das zwar den Sprung, aber nicht die Beängstigung des Zuschauers vermeidet. Im Einzelnen können dadurch leise Störungen verursacht werden, im Ganzen sind es jene Fleckchen, die nach Art der Schönheitpflästerchen den Reiz nur erhöhen. Wer sich auf Finessen der Farbenwirkung versteht, wird sie kaum missen wollen." Das ist Fontane in 'all his glories'.

Der Dichter Fontane aber spricht vernehmlich noch einmal da, wo er ganz leise spricht; in dem Sechszeiler „Mein Leben".

Mein Leben, ein Leben ist es kaum,
Ich gehe dahin als wie im Traum.

Wie Schatten huschen die Menschen hin.
Ein Schatten dazwischen ich selber bin.

Und im Herzen tiefe Müdigkeit —
Alles sagt mir: Es ist Zeit . . .

Aus diesen Zeilen klingt zugleich eine Verwandtschaft mit Storm heraus, der früher ähnlicher Resignation in ähnlich knapper Form Meister ward. Trotz allen Verschiedenheiten ähneln eben doch die beiden Poeten einander, denen einst der Hüter des ewigen Herdes die „Mahnung" zurief: „Die Zeit eilt mehr als Du." Weil sie in ihrem Besten keine Zeitdichter waren, leben Storm und Fontane fort und die Frage, wer von ihnen länger leben wird, braucht uns heute auch dann nicht zu kümmern, wenn wir sie mit wachsendem Abstand selbst schon nach dem Maß unserer Einsicht beantwortet haben sollten. Beide haben von dem ewigen Herd, der in einem nun versunkenen Berlin die Besten an seine Flamme rief, lodernde Scheite durch die Zeiten getragen und leuchten nun aus dem undeutbaren Dämmer der Ewigkeit nachlebenden Geschlechtern brüderlich grüßend zu.

Hamburg, Dr. Heinrich Spiero.



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