→ [Die Zukunft - Index]  → [Totentag]  ← 
01 02 03 04 Text
 ↑ 


 ↑ 


 ↑ 


 ↑ 


 ↑ 
nach oben

260 - Die Zukunft.

Totentag.

Der Tag der Toten ist heute.

Doch nicht ein Tag der Trauer. Ein Tag der Freude. Die Toten sind glücklich. Während in den Kirchen am Fuß düsterer Altäre und unter häßlichen Bildern die Trauernden in Klagefeiern für ihre geliebten Toten beten und weinen, leben Diese fröhlich überall in der großen Natur, leben im dunklen Wald, im hellen Hain, in der fruchtbaren Furche des duftenden Ackers, im quellenden Saft der Pflanzen. Zwar litten sie, ehe sie ins Glück eingingen, brannten im Fieber, erschauerten einst in blasser Todesfurcht, aber jetzt: wie stark und gesund leben sie jetzt in den grünenden Pflanzen und farbigen Früchten, im freien Licht der Sonne, in den ewigen Atomen der sternenbesäten Nacht!

Sie starben nicht: ihr Körper löste sich nur auf im Schoß der mütterlichen Natur, wurde durch tausend Wurzeln aufgesaugt und stieg im fruchtbaren Pflanzensaft wieder zur Sonne. Wallendes Laub, duftende Blüthen, goldene Früchte drängten ans Licht. Und die das Meer aufnahm zwischen Korallen und Muscheln, zwischen Sand und Felsen? Sie lösten sich auf im unergründlichen Grün und lassen sich nun als sonnenglitzernde Wellen wiegen, glätten sich nachts unter dem weichen Gewicht des Sternenlichtes oder umschmeicheln bei Morgengrauen das braune Volk der Fischer, daß es in neuer Lebenslust dem jungen Tag entgegensingt. Und deren Körper nicht der Erde und nicht dem Wasser übergeben ward, die Toten der einsamen Berge, sie werden von der Sonne verzehrt und leben dann in den weichen

261 - Totentag.

Wolken und im befeuchtenden und reinigenden Thau, in der siegreichen Morgenröthe und im priesterlichen Licht der Sterne.

Die Toten sind glücklich!

Wir? Wie viele von uns gehen blaß und hungernd, wie viele in düsterer Verblendung durchs Leben! Wir klammern uns an erstarrte, tote Glaubensformen, wir konstruiren uns eine Geisterwelt in den Lüften und plappern Gebete; wir sind inmitten dieses starken und fröhlichen Lebens immer bereit, unsere klingenden Freuden durch den trostlosen Gedanken an die düstere Kühle des Kirchhofes zu zerstören. Aber sind nicht unsere Toten, die Mütter, die Väter, die Schwestern, alle Lieben immer um uns in der Natur, nicht heiter und verklärt in den Bergenden Wassern, den Sternen?

Und warum zittern wir vor dem Tode? Welcher Instinkt läßt uns gerade diese menschliche Form, diese Haare, diese Augen, diese von Muskeln gestrafften Arme so lieben? Bäume, Blüthen, Blätter, Kräuter: sind sie nicht auch Formen des Lebens, nicht heilig und erfüllt von Gott? Ueberall, in den fruchtbaren Feldern, in den Bäumen, in den Wassern, im dunklen Innern der Erde, in den Lüften, in den Planeten und Fixsternen, allüberall webt die göttliche Kraft, von der unser Leib nur ein Atom ist. Und ist nicht hier wie dort die selbe Zuneigung und Liebe, die selbe Abneigung und Gegnerschaft, die selbe Freude und Gleichgültigkeit, die selbe Seele, das selbe Leben, voll von den selben dunklen, lichten, heiligen, göttlichen Instinkten? Warum muß es nun gerade diese Form sein, die Arme und Augen hat, und nicht jene mit Aesten und Laub? Eben darum sind die Toten glücklich zu preisen, weil sie nun so weit entfernt sind von der menschlichen Form mit ihren Nebeln, weil sie eingegangen sind in die heilige, große Natur, wo es nur Reinheit, Ruhe, Fruchtbarkeit, Kraft und Güte giebt.

Selig sind, die wir unter die Erde bergen, selig, die nun einer heiligen Umwandlung entgegengehen. Schlecht klingen dazu die Trauergesänge, die letzten polternden Erdschollen, barbarisch die geschäftlichen und kalten Worte der Priester. Geht doch der Körper ein zur Fülle und Ruhe der großen mütterlichen Erde, die ihn ganz aufnimmt und auflöst in ihrem ewig fruchtbaren Schoß, wo ungezählte Würzelchen saugen, wo der Pflanzensaft steigt, sich vertheilt in Aeste und Zweige, mächtig pulsirt im ganzen Baum, die Fülle der Knospen befruchtet und rundet und in Blättern, in Blüthen und Früchten ans Licht tritt: der verwandelte Körper sieht wieder die Sonne, fühlt wieder den erfrischenden Thau, hört wieder die Vögel und lebt in heiterer Ruhe im lichten Frühlingswald.

Und neben diesem Körper, der in den Sonnenglanz zurückkehre, wurde vielleicht ein anderer begraben, ruht ein anderer in einem Metallsarg, eingeschlossen zwischen Stein und Kalk. Während rund um ihn die rastlose Umwandlung der Samen wirkt, wo schon im Keim die Blätter, Blüthen, Stämme, Aeste harren, ungeduldig in ihrem Drängen ans Licht, zwischen den starken gewundenen Wurzeln der Bäume mit ihren Saftftrömen, unter der schöpferischen Fülle und dem Ueberfluß der fruchtbaren Erde, inmitten dieses unermüdlichen Herzschlages der Natur, ruht hier der einbalsamirte Körper unberührt, starr, kalt, häßlich, mißfarbig. Er beneidet die freien, leichten Atome des anderen, die da auf und ab steigen dürfen in den verschlungenen Kreuzwegen des Lebens, die in ewigem Wechsel rinnen dürfen durch den unendlichen Raum, von den Sternen bis zum makellosen Schaum

262 - Die Zukunft.

der Wellen. Er, der sein Gefängniß nicht zu sprengen vermag, kann sich nicht in die ewige Materie auflösen, er wird nicht die Sonne sehen, nicht die weichen Thaunächte, nicht das heitere Plätschern der Quelle hören. Welch grausames Verhängniß lastet auf ihm, den der Tod nicht befreit!

Thörichte Menschen! Könnten wir Alle die Religion der Sonne, der Güte, Wahrheit und Schönheit leben, wir würden mit reiner und heiterer Seele, unbeschwert durch Schreckbilder von Göttern und Tyrannen, die göttliche Umschlingung der ewigen Güte erwarten und in Freiheit sterben, unseren Körper freudig der heiligen Natur übergehen, damit sie nach ihrem Willen Neues aus ihm schaffe, damit sie ihn durch Blätter und Blüthen führe zu neuem Licht.

Wenn wir in den von der Sonne durchflutheten Laubwald treten, ist dann nicht unser ganzes Innere erfüllt von dem wonnigen Schauer tausendfachen, geheimnißvollen, göttlichen Lebens? Daß uns wohl wird wie in der Frühlingsmorgendämmerung, da uns der Chor der nimmermüden Vögel zu neuer Freude weckt? Daß alle Bitterkeit, aller Zorn, alle Mutlosigkeit, alle Angst sich beugen vor dem heiligen Leben und sich die Seele ausschwingt zu geheimnißvoller Feier? Freilich: einer anderen Feier als in den Kirchen! Dort tote Worte und Klagelaute, hier heiteres Leben und Vogelsang; dort aufdringliche Farben und Gerüche, hier weiches Sonnenlicht und Blumenduft. Und dem Blätterdom entsteigt ein Friede, so reich, so tröstend, so greifbar! Wir hören die vertrauten und grüßenden Stimmen unserer theuren Toten, die hier aus den Blättern zu uns sprechen, aus den Blüthen, die einst geliebte Herzen waren.

Und die Natur hat unendliches Verzeihen und Versöhnen. Aller unselige Haß, alle lieblosen Herzen zerschmelzen wunderbar im heiligen Gemisch der Erde. Sie kennt keinen Unterschied; Alles ist ihr gut: die Wurzeln der Rose umschlingen den Leib des Tyrannen und aus den Menschen, die auf Erden ihre Hände mit Blut befleckten, die zerstörten und entweihten, macht sie reine Lilien und heilige Cedern. Judas verrieth Jesus; und dennoch: wie bald wurden diese beiden Körper, der Mensch des Lichtes und der Mensch dsr Finsterniß, aufgelöst und vereint in den selben Blüthen, in der selben Morgenröthe! Und dient nicht die gütige Natur den Menschen ohne Unterschied der Sitten und Religionen? Die selben Oelbäume, die in Griechenland die üppigen, nackten Bacchustänzerinnen in ihren heiteren Schatten bargen, nahmen auch Jesus auf, verbargen, windgepeitscht, den armen, stöhnenden, betrübten, heiligen Menschen in jener Nacht des Todeskampfes in Gethsemane.


... Der Tag der Toten neigt sich zum Ende. Draußen auf dem Felde geht noch der fleißige Sämann im Zwielicht der Dämmerung, geht aufrecht, einfach und heiter zwischen den Furchen; und streut mit sicherer Bewegung die Körner, streut Leben aus. Sind es nicht die Körper seiner Vorfahren, die er so auf den fruchtbaren Acker aussät? Sie sind in Saat verwandelt und füllen ihm neu die Scheune und werden ihm immer wieder sein tägliches Brot geben, bis auch er zur Erde zurückkehrt und sich wieder mit ihnen vereint in heiliger Umwandlung.

Nur in der Natur werden wir Trost finden; wie heute, am Tage der Toten, so immer. Nur in der Natur dürfen wir die Religion suchen, die unser Herz ahnt; sie ist nicht in Kirchen und Domen, sie ist nicht in Weihrauch und Hostien: sie ist in den duftenden Blüthen des bescheidenen Veilchens.

Porto, - Eça de Queiroz.



 ↑  - nach oben