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Elisabeth Förster-Nietzsche, Schwester von Friedrich Nietzsche

Geboren: 10. Juli 1846, Röcken, Lützen
Gestorben: 8. November 1935, Weimar
Ehepartner: Bernhard Förster (verh. 1885–1889)
Geschwister: Friedrich Nietzsche, Ludwig Joseph Nietzsche
Eltern: Franziska Nietzsche, Carl Ludwig Nietzsche


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Elisabeth Förster-Nietzsche, Schwester von Friedrich Nietzsche

Geboren: 10. Juli 1846, Röcken, Lützen; Gestorben: 8. November 1935, Weimar; Ehepartner: Bernhard Förster (verh. 1885–1889); Geschwister: Friedrich Nietzsche, Ludwig Joseph Nietzsche; Eltern: Franziska Nietzsche, Carl Ludwig Nietzsche

320 - Die Zukunft (1909).

Max Heinze.

Am siebenzehnten September starb der Professor der Philosophie und Direktor des Königlichen Konvikts der Universität Leipzig Geheimrath Dr. Max Heinze. Von allen Seiten sind ihm Nachrufe gewidmet worden, die den ausgezeichneten Gelehrten und den herrlichen Menschen feiern. Da möchte auch ich meine bescheidene Stimme erheben, ich, die ich ihm so unendlichen Dank schuldig bin. Zwar habe ich schon einmal, in dem kleinen Buch „Das Nietzsche-Archiv, seine Freunde und Feinde", meines Herzens Dank ausgedrückt; aber nicht laut genug, weil ich damals das Manuskript, ehe es veröffentlicht wurde, ihm zur Prüfung übergab. Ich bat ihn, nachzusehen, ob sich mein Gedachtniß bei der Darstellung der Geschichte des Nietzsche-Archivs vielleicht in irgendeinem Punkt geirrt hätte, was er entschieden verneinte. Es schien mir nun damals unzart, ihm, dem Lebenden, so ins Gesicht zu sagen, wie viel er mir immer gewesen ist und welche Dankbarkeit und Verehrung ihm das Nietzsche-Archiv für alle Zeiten schuldet. Ich mußte deshalb auch noch ein Stück der intimeren Geschichte des Nietzsche Archivs zurückhalten, das ich nun jetzt enthüllen kann, um den hochverehrten Freund in seiner ganzen Zartheit, Güte und Hilfbereitschaft zu zeigen.

Wer die Begründung des Nietzsche-Archivs kennt, weiß, daß es von meiner Seite nur ein Nothwerk gewesen ist. Als ich 1893 sehr leidend aus Paraguay zurückkehrte, fand ich den literarischen Nachlaß meines Bruders sehr gefährdet; deshalb mußten Vorkehrungen geschaffen werden, ihn sicher zu stellen. Ich bot zunächst die gesammten Manuskripte Professor Overbeck für die Universität Basel an, der sie aber mit spöttischen Worten zurückwies. Darauf besprach ich die ganze Angelegenheit mit Geheimrath Heinze, da ich auch an die leipziger Universität gedacht hatte, um die Manuskripte dorthin zu stiften. Er rieth mir ganz entschieden ab, und zwar aus den selben Gründen, die er meinem Bruder (wie in dem Briefband an Mutter und Schwester zu lesen ist) angegeben hatte. Er sagte, „daß er meine Stiftung weder der Fakultät noch dem Ministerium empfehlen dürfe, in Hinsicht auf jene Ansichten, die nun einmal mit dem Namen Nietzsche verknüpft seien". Wer jemals in der Lage gewesen ist, von Heinze eine unangenehme Mittheilung empfangen zu müssen, Der weiß auch, mit welcher zarten Güte er solche Mittheilungen zu umkleiden vermochte. Trotzdem war ich unglücklich und klagte, in welcher Noth ich mich befinde. Die frommen Leute möchten am Liebsten die Handschriften meines Bruders verbrennen und die Anderen betrachteten diesen Nachlaß als etwas Geringwerthiges und verachteten ihn. Auch sei meine Gesundheit nach all den Unglücksfällen (der Erkrankung meines Bruders und dem Tod meines Mannes) so erschüttert, daß ich nicht glaubte, noch länger zu leben. Wenn ich aber

321 - Max Heinze.

sterben sollte, so wären diese Manuskripte in der größten Gefahr. Darauf redete mir Heinze eifrig zu, die ganze Sache doch gleich selbst in die Hand zu nehmen, was ich zunächst für unmöglich fand, da ich eine Reihe von Jahren aus dem Gedankenkreis meines Bruders herausgekommen war und all meine Energie verbraucht hatte, um nach dem Tode meines Mannes seine Kolonie in Paraguay durch alle Schwierigkeiten glücklich hindurchzubringen. Heinze tröstete; diese Energie werde nach einiger Ruhe schon wiederkommen. Als ich nun den Wunsch aussprach, wenigstens noch einige Jahre zu warten, bis man meinen Bruder gerechter beurtheile, meinte er, „daß wir Das Beide wohl nicht mehr erleben würden. Das werde erst in fünfzig Jahren kommen. Er meine aber, ich könne Etwas dazu thun, diesen Zeitraum zu verkürzen". Dieser Gesichtspunkt brachte mich zu dem Entschluß, das Nietzsche-Archiv zu begründen, allerdings mit Zittern und Zagen und nur deshalb, weil keiner der Freunde meines Bruders, die ihm früher so nah standen, das Opfer an Zeit, Geld und Kraft bringen konnte. Heinze bemerkte sehr richtig, daß zu einer so schweren, kostspieligen, wahrscheinlich undankbaren und zeitraubenden Aufgabe Jemand sein ganzes Leben zum Opfer bringen müsse. Am Schluß dieser Unterredung sagte er zu meiner Ermuthigung: „Liebe Freundin, Sie nehmen jetzt eine verachtete, von allen Seiten zurückgewiesene oder angefeindete Sache in die Hand, aber ich denke, ja, ich bin fest überzeugt, daß Sie diese Sache noch zu Ehren bringen werden. Was an mir liegt, um Ihnen beizustehen, Das soll geschehen, so weit es meine Zeit irgend erlaubt." Und dieses Versprechen, das gewiß nicht leicht zu erfüllen war, hat der theure Verstorbene in bewundernswerther Weise eingelöst. Dem Nietzsche-Archiv und mir selbst wurden die größten Schwierigkeiten bereitet, zunächst von den Feinden der Anschauungen meines Bruders, die selbst nicht davor zurückscheuten, den Staatsanwalt auf die Veröffentlichungen des Archivs aufmerksam zu machen; dann durch die Herausgeber und Verleger; später aber, als das Archiv, allen Widerstand überwindend, zu einer selbständigen Institution wurde, durch Neid und Mißgunst, die noch jetzt wahrhaft monströse Formen annimmt. Immer aber fand ich den hochverehrten Freund Heinze an meiner Seite, tröstend, berathend, ermuthigend. Ja, selbst in pekuniären Schwierigkeiten half er mir aus, da das Archiv enorme ngeahnte Kosten verursachte, die Honorare für den theuren Kranken zunächst zurückgelegt wurden und mein geringes persönliches Vermögen für die Zahlung der hohen Herausgebergehalte bald erschöpft war. Nach dem Tode unserer lieben Mutter hat Heinze mit Oberbürgermeister Dr. Oehler die Vormundschaft für den kranken Nietzsche übernommen und treulich für ihn und sein Werk gesorgt. Wenn sich Zweifel an der Arbeit der Herausgeber zeigten, so kam er in seiner nie versiegenden Güte von Leipzig herüber, um sich durch Stichproben zu überzeugen, wie weit diese Zweifel berechtigt seien. Auch

322 - Die Zukunft.

ließ er sich von den Herausgebern die Prinzipien vortragen, nach denen die Arbeiten gemacht wurden, und forschte, ob sie den vom Geheimrath Rohde aufgestellten und von ihm selbst gebilligten Gesammtplan der Herausgabe der Schriften befolgten. Dazu hat er die Lebensbeschreibung, die ich von meinem Bruder verfaßte, mit dem wärmsten Interesse verfolgt. Immer ermuthigte er mich zum Schreiben: „Erzählen Sie, so viel Sie nur können; Das, was Sie zu sagen haben, kann kein Anderer erzählen; werden Sie nicht müde, die Unwahrheiten der Mißvergnügen zu widerlegen, und vergessen Sie auch nicht, zu erwähnen, wie heiter wir immer zusammen waren." (Heinze konnte, wie mein Bruder, so wundervoll lachen!) Große Thsile der Biographie hat er vor der Veröffentlichung geprüft, Aenderungen vorgeschlagen und mir guten Rath gegeben, damit die Wahrheit möglichst klar herauskomme. Sein guter Rath mußte mir vom höchsten Werth sein, da er Einer der Wenigen war, der für das Leben meines Bruders die umfangreichste Kennwiß der Thatsachen besaß. Er kannte uns Drei, unsere Mutter, meinen Bruder und mich, seit dem Jahr 1861, wo er in Pforta Lehrer und Tutor des siebenzehnjährigen Schülers Friedrich Nietzsche wurde. Auch in der Studenienzeit hat er meinen Bruder mehrfach gesehen und schließlich sind Beide in Basel als Kollegen an der Universität längere Zeit zusammengewesen. Später haben sich Beide öfter getroffen und wichtige Zeiten zusammen erlebt: den Sommer 1876 in Bayreuth, die Herbstmonate 1882 und 1885 in Leipzig und die Frühlingsmonate 1886 in Nizza und Leipzig. Heinze ist in den Jahren 1884 bis 1886 außer mir der Einzige gewesen, der sich bemüht hat, für meinen Bruder einen Verleger zu finden; leider vergebens. Wer nun weiß, welche außerordentliche Arbeitlast auf Heinze lag, allein schon durch seine Universitätstellung und als Direktor des Konvikts, besonders aber durch die Herausgabe von „Ueberwegs Grundriß der Geschichte der Philosophie", Der wird dieses Opfer an Zeit und Theilnahme würdigen. Und er hat dies Alles gethan, obgleich er seiner innersten Geistesrichtung nach nicht die Ansichten meines Bruders theilen konnte. Das ist ihm um so höher anzurechnen.

Wenn ich nun in den letzten Jahren, seiner schwankenden Gesundheit wegen, mich allmählich daran gewöhnen mußte, seinen werthvollen Rath zu entbehren, so fühle ich doch gerade jetzt, wo das Nietzsche-Archiv aus meinen Händen in den Besitz der Stiftung übergegangen ist und der Vorstand, dem er angehörte, über alle Angelegenheiten verfügt, daß sein Tod im Archiv und in meinem dankbaren Herzen eine unausfüllbare Lücke gelassen hat. Sein gütiges und gerechtes Urtheil zu vermissen, wird uns unendlich schwer. Sein Name wird für alle Zeiten als einer der verehrtesten und geliebtesten in der Erinnerung des Nietzsche-Archivs stehen. Ohne ihn würde das Archiv wahrscheinlich nicht existiren.

Weimar. Elisabeth Förster-Nietzsche.




https://www.zeit.de/2019/12/die-macht-des-willens-ulrich-sieg

"Die Macht des Willens": Nur eine böse Schwester?

Rassistin und Strategin: Ulrich Siegs aufregende Biografie von Elisabeth Förster-Nietzsche erzählt, wie diese selbstbewusste Frau um 1900 den Nachruhm ihres berühmten Philosophenbruders organisierte.

Eine Rezension von Jens Hacke
13. März 2019, 16:55 Uhr Editiert am 26. März 2019, 7:25 Uhr ZEIT Literatur Nr. 12/2019, 14. März 2019 30 Kommentare [12.01.2020]

Aus der ZEIT Nr. 12/2019
DIE ZEIT 12/2019

Bild: Elisabeth Förster-Nietzsche um 1910 auf einer Fotografie von Louis Held © Louis Held/​Wikimedia Commons

Als sich der Philosoph Karl Löwith 1941 im japanischen Exil mit Friedrich Nietzsches Wirkung auf das 20. Jahrhundert beschäftigte, verteidigte er ihn gegen die Vereinnahmung durch den Nationalsozialismus. Große Wegbereiter hätten sich eben schon immer dadurch ausgezeichnet, dass sie "andern Wege bereiteten, die sie selber nicht gingen". Löwith wusste, wovon er sprach. Schon die spannungsvolle Beziehung zu seinem Lehrer Martin Heidegger hatte ihn mit den abgründigen Seiten großer Philosophie vertraut gemacht. Auch der Aura des Hammerphilosophen konnte er sich ein Leben lang nicht entziehen. Den Hauch von Nietzsches Gegenwärtigkeit hatte er noch Ende der 1920er-Jahre im Briefwechsel mit dessen berüchtigter Schwester Elisabeth erfahren, die den aufstrebenden jungen Gelehrten hofierte und ihn mit Publikationen aus dem von ihr gegründeten Nietzsche-Archiv versorgte. Dass die Witwe eines Erzantisemiten, die Mussolini vergötterte und in Hitler später den "angebeteten Führer" sah, einen jüdischen Privatdozenten umgarnte, zeigt die Vielschichtigkeit ihrer Marketing-Strategien: Zarathustra für den Landser-Tornister, Netzwerken mit den Kultureliten, aber auch die akademischen Debatten im Blick.

Elisabeth Förster-Nietzsche gilt als dunkle Manipulatorin von Nietzsches Spätwerk. Sie besaß den "Willen zur Macht" im buchstäblichen Sinne. Unermüdlich publizierte sie über ihren Bruder: Sie stellte die erste Gesamtausgabe zusammen und legte mit einer erstmals 1895 erschienenen, mehrfach erweiterten zweibändigen Biografie den Grundstein des Nietzsche-Kults; zahlreiche weitere Erinnerungsschriften folgten. Schwester Elisabeth leistete mit ihren Zuspitzungen und Ausblendungen zweifellos einen nachhaltigen Beitrag zur radikalnationalistischen Verschärfung. Die späteren editorischen Bemühungen von Karl Schlechta bis Mazzino Montinari standen daher unter dem Motto der "Entschwesterung" Nietzsches. Wer diese Frau war und unter welchen Umständen sie sich als Erbwalterin des großen Bruders profilieren konnte, fragt der Ideenhistoriker Ulrich Sieg nun mit kulturgeschichtlicher Finesse. Mit gutem Grund hält er es für wenig zielführend, sie als Hexe der Philosophiegeschichte noch einmal zu verbrennen, sondern möchte stattdessen ergründen, wie sich eine Frau ohne akademische Bildung in einer männerdominierten Welt überhaupt in Nietzsches Lebens- und Wirkungsgeschichte einschreiben, ja diese derart prägen konnte.

Der Erfolg der Schwester verrät dabei weniger über ihre eigenen Überzeugungen als über die Irrationalität eines ideologisch unter Starkstrom agierenden deutschen Bürgertums. Siegs aus den Quellen gearbeitete Studie versucht Elisabeth Förster-Nietzsches Handeln und Verhalten entlang eines langen Lebens – es währte immerhin von 1846 bis 1935 – zu verstehen. Er porträtiert sie als Getriebene des Zeitgeistes, die das mitteldeutsche Pfarrhaus hinter sich lässt, ihrem lebensuntüchtigen Bruder den Professorenhaushalt in Basel führt und sich schließlich mit ihrem Mann Bernhard Förster auf ein desaströses Kolonialabenteuer in Paraguay einlässt. In Nueva Germania lebten die Försters zwar ihre rassistischen Suprematievorstellungen aus, aber ökonomisch und politisch scheitert die Unternehmung auf ganzer Linie – bis hin zum Freitod Försters im Juni 1889, nur wenige Wochen nachdem sie die Nachricht vom Zusammenbruch ihres Bruders erhielt. In dieser existenziellen Ausnahmesituation mobilisierte die Witwe alle Kräfte. Sie kämpfte für das Ansehen ihres Mannes, der ein antisemitischer Hasardeur war, verkaufte den Försterhof in Paraguay und kehrte im August 1893 endgültig nach Deutschland zurück, um ihr Leben fortan ganz dem großen Bruder zu widmen. Instinktiv erkennt sie die Chance, den Untoten in Weimar als Marke zu etablieren und gleichzeitig aus dessen Präsenz im Wahnsinn bis zu seinem Tod 1900 angesichts einer wachsenden Verehrerschar maximalen Profit zu schlagen. Ihre Duzfreundin Cosima Wagner wird zum Vorbild einer rastlosen Öffentlichkeitsarbeit, und es gehört zu den schönen Pointen der Darstellung Siegs, dass Elisabeth sogar die Frauenrechtlerin Meta von Salis als Sponsorin für den Erwerb der Villa Silberblick in Weimar gewinnen konnte, wo das Nietzsche-Archiv bis heute residiert. Jeden "Triumph über all die Männer und Männlein" kostete sie aus, ohne Respekt für Honoratioren und Professoren, deren Eitelkeiten sie durchschaute. Sie bewies auch nach Nietzsches Tod als erfolgreiche Unternehmerin seines Werks erstaunliche "Geländegängigkeit" (Sieg).

Sieg lässt von Harry Graf Kessler über Alfred Bäumler und Oswald Spengler bis zu Hitler allerlei A- und B-Promi-Personal durchs Nietzsche-Archiv defilieren. Manches ist nicht neu, wird aber durch die vielen Dokumente noch einmal anders beleuchtet. Am Beispiel der ideologisch flexiblen und rastlos publizierenden Schwester lässt sich zeigen, dass sich eine informierte Philosophiegeschichte nie allein auf die akademische Rezeption verlassen sollte, sondern kulturhistorisch die Ebene der Vermarktungsstrategien und Öffentlichkeitswirkungen mitbedenken muss. Nietzsche-Förster zu verteufeln und als Täterin zu sehen greift viel zu kurz. Sie gab einer stärker werdenden deutschtümelnden Rechten den Nietzsche, nach dem diese verlangte. Ohne den entsprechenden Resonanzraum wären ihre Initiativen so durchschaubar und lächerlich geblieben, wie sie heute erscheinen.

Wie notwendig es ist, Nietzsches Denken vor einer einseitigen Sonderwegsdeutung in Schutz zu nehmen, ist gleichsam der Basso continuo von Siegs origineller Spurenlese, die überdies ein Lektürevergnügen ist. Wer sich allerdings zum 175. Geburtstag noch einmal von Nietzsches musikalischer Philosophie inspirieren lassen möchte, dem steht die Neuauflage von Rüdiger Safranskis im Jahr 2000 erstmals erschienener Denkbiografie zur Verfügung (Hanser, München 2019; 413 S., 26,– €). Bei ihm spielt Elisabeth nur eine Nebenrolle: Sie war "Wagnerianerin genug, um dem Schicksal ihres Bruders erhaben-schauderhafte Effekte abgewinnen zu können. In der Villa Silberblick wurde vor Europas Edelfäule ein Endspiel gegeben." Aber auch Safranski gesteht ihr bereits zu, dass sie nicht nur als Nationalistin, Chauvinistin und Rassistin reüssierte, sondern zugleich den "raffinierteren Bedürfnissen des Zeitgeistes" entgegenzukommen wusste. Safranski rettet Nietzsches Denklaboratorium vor den Zumutungen einer einseitig politisierten Lesart und präsentiert den Verwandlungskünstler, Sprengmeister und Aporetiker der Moderne erstaunlich zeitgemäß. Nietzsches donnernder Versuch, einen vermeintlichen europäischen Nihilismus zu überwinden, erreicht uns nur noch in schwachen Schallwellen. Aber dass Philosophieren manchmal den Mut zum Neubeginn und Selbstdenken erfordert, um aus dem philologischen Klein-Klein im Mittelfeld auszubrechen, das führt der Meisterbiograf Safranski ebenso elegant wie eindringlich vor Augen.

Ulrich Sieg: Die Macht des Willens. Elisabeth Förster-Nietzsche und ihre Welt; Hanser, München 2019; 430 S., 26,– €



Friedrich Nietzsche
Philologe
Beschreibung
Friedrich Wilhelm Nietzsche war ein deutscher klassischer Philologe. Postum machten ihn seine Schriften als Philosophen weltberühmt. Im Nebenwerk schuf er Dichtungen und musikalische Kompositionen. Er war zunächst preußischer Staatsbürger, ab seiner Übersiedlung nach Basel 1869 war er staatenlos. Wikipedia

Geboren: 15. Oktober 1844, Röcken, Lützen
Gestorben: 25. August 1900, Weimar
Vollständiger Name: Friedrich Wilhelm Nietzsche
Bestattet: 28. August 1900, Friedhof Röcken, Lützen
Ausbildung: Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn (1864–1865),

http://www.whoswho.de/bio/friedrich-nietzsche.html

Biografie
Friedrich Nietzsche
Der deutsche Philosoph, Dichter und klassische Philologe verbreitete, unter dem Einfluss der zeitgenössischen Selektionstheorie von Charles Darwin, die Philosophie des "Übermenschen", welche die Nationalsozialisten einzunehmen versuchten. In seinem Hauptwerk "Also sprach Zarathustra" erläutert Friedrich Wilhelm Nietzsche die Phasen der menschlichen Entwicklung, die mit der Hinwendung zu den eigenen Werten endet. Er lehnte das Christentum ab mit der Begründung, dass es eine "Sklavenmoral" schaffe. Nietzsches Bedeutung liegt darin, dass er das spekulative Denken ablehnte und das Denken überhaupt in das Leben einbezog. Er war ein glänzender Essayist und einer der bedeutendsten Aphoristiker, der außerordentliche Sprachschöpfungen schuf...

Biografie

Friedrich Wilhelm Nietzsche wurde als Sohn des Pfarrers Carl Ludwig Nietzsche und dessen Frau Franziska Nietzsche, geborene Oehler, am 15. Oktober 1844 im sächsischen Röcken bei Lützen geboren.

Die Familie zog 1850 nach Naumburg an der Saale. Die Umstellung vom Land auf die Stadt bereitete Friedrich Wilhelm Nietzsche Schwierigkeiten. So wurde er erst in einer privaten Einrichtung unterrichtet und ging dann ab 1852 auf das Dom-Gymnasium in Naumburg. Bereits mit zehn Jahren verfasste er Gedichte und Kompositionen. Von 1858 bis 1864 besuchte er das Gymnasium Schulpforta in Naumburg, das damals den Ruf als eines der bedeutendsten Bildungseinrichtungen Deutschlands genoss. Die Ausbildung, die er dort erhielt, war der Grundstein zu seiner späteren Tätigkeit als Philologe. Von 1864 bis 1868 studierte Nietzsche in Bonn und Leipzig Philologie. Schon das Jahr darauf wurde er auf Empfehlung seines Lehrers, des Philologen Friedrich Wilhelm Ritschl, Professor an der Baseler Universität.

Ab 1871 verschlechterte sich sein Gesundheitszustand durch ein Augenleiden, das nicht nur mit viel Schmerzen verbunden war, sondern auch mit fast vollständiger Erblindung. 1878 musste er deswegen die Professur ablegen. Zehn Jahre später verfiel Friedrich Nietzsche in den Wahnsinn. Nietzsche, von schwächlicher Körpergestalt, war ein Außenseiter und Einzelgänger, der die Menschen mied und sich ungewandt in der Welt bewegte. Ihn persönlich störten diese Eigenschaften wie auch seine kleinbürgerliche Herkunft. Nietzsches Ideal war der Übermensch, in vielen Aspekten also das Gegenteil von ihm. Diese Vorstellung bewirkte nicht nur ein fiktives Dasein, sondern er schuf sich durch seine Idee vom Übermenschen eine Art Mythos von sich selbst. 1872 erschien seine erste Veröffentlichung "Die Geburt der Tragödie aus dem Geist der Musik", die vor den Augen seines Lehrers Ritschl kein gutes Urteil erhielt.

Von 1873 bis 1876 entstanden die "Unzeitgemäßen Betrachtungen", in denen seine glühende Anhängerschaft gegenüber dem Philosophen Arthur Schopenhauer und dem Komponisten Richard Wagner, mit dem er sich später aber wieder zerstritt, hervortrat. Zugleich lehnte er darin den Theologen David Friedrich Strauß und den Historismus ab. Das Werk "Die Fröhliche Wissenschaft" (1882), das in endgültiger Fassung 1886 vorlag, wurde die Vorstufe zu seinem Hauptwerk "Also sprach Zarathustra. Ein Buch für alle und Keinen" (erster Teil 1883). Darin werden die drei Entwicklungsstufen des Menschen beschrieben, die mit der Abhängigkeit beginnen, sich fortsetzen zur erkämpften Freiheit und in den eigenen Werten enden. Sein eigentliches Hauptwerk sollte eine Arbeit mit dem Titel "Der Wille zur Macht" werden.

Über eine Menge von Aphorismen und Notizen, die dann unter anderem von seiner Schwester Elisabeth Förster-Nietzsche herausgegeben wurden, kam die Arbeit nicht hinaus. Nietzsches philosophische Auffassung war stark geprägt von Darwins Selektionstheorie und der Willensmetaphysik Schopenhauers. Sie waren ihm Grundlage für seine Idee vom Übermenschen, der alles Krankhafte auszulöschen hat. Der Übermensch konkretisierte sich für Nietzsche in den Herrenmenschen der Renaissance wie beispielsweise in Cesare Borgia. Das Christentum machte er verantwortlich für eine "Sklavenmoral", weswegen er es ablehnte. Die bürgerliche Moral stufte er als verlogen ein und das Hohe sah er durch den Pöbel gefährdet. In seiner Metaphysik begründete Nietzsche alles Dasein als eine durch den Machtwillen geschaffene Erscheinungsform.

Das menschliche Dasein begriff er als eine "ewige Wiederkehr", die unausweichlich ist. Wegen dieser Unausweichlichkeit riet er, dem Schicksal zu folgen. Denn eine andere Möglichkeit gibt es nicht für den Menschen. In seiner Amor-fati-Formel steckt die freudige Anerkennung des bestehenden Daseins. Nietzsche wehrte sich gegen das spekulative Denken; darin liegt auch seine eigentliche Bedeutung als Philosoph. Weiterhin hat er vor allen Dingen dadurch Geltung erreicht, dass er in seinen Beiträgen stets dafür plädierte, das Denken in das Leben einzubeziehen. Nietzsche war ein scharfsichtiger Kritiker und ein Schriftsteller mit einem ungewöhnlichen Potenzial an Sprachschöpfungen. Dadurch verschaffte er sich den Ruf als bedeutendster Aphoristiker und Essayist. Der Zugang zu seinem Werk wird erschwert durch seine intellektuelle Vortragsform. Besonders die Existenzialphilosophie orientierte sich an der Philosophie Nietzsches.

Die geistige Übernahme der Nationalsozialisten, besonders von der Vorstellung des Herrenmenschen, scheiterte daran, dass Nietzsche sowohl Antisemitismus als auch den deutschen Nationalsozialismus rigoros ablehnte. Zu den weiteren wichtigen Werken zählen "Menschliches, Allzumenschliches" (T. I + II 1886/1879), "Morgenröte" (1881), "Jenseits von Gut und Böse" (1886), "Zur Genealogie der Moral" (1887), "Der Fall Wagner" (1888), "Der Anti-Christ", "Dionysos – Dithyramben" (1888), "Götzen-Dämmerung" (1889), "Nietzsche contra Wagner" (1889) und "Ecce homo" (1889).

Nachdem Friedrich Wilhelm Nietzsche 1888 in geistige Umnachtung verfiel, pflegte ihn seine Schwester Elisabeth Förtser-Nietzsche bis zu seinem Tod am 25. August 1900 in Weimar.



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