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DIE FREIWIRTSCHAFT
EIN PRAKTISCHER AUSDRUCK DER STIRNERSCHEN PHILOSOPHIE
VON
ROLF ENGERT

Vortrag gehalten am 26. November 1876 nach Stirners Einzigem auf dem »1. Europäischen Individualisten-Kongreß« zu Berlin

FREILAND-FREIGELD-VERLAG, ERFURT
1921

Copyright by
Freiland-Freigeld-Verlag Erfurt 1921

«Il faut avoir lu ce livre pour être persuadé qu'il existe«: »Man muß dieses Buch gelesen haben, um überzeugt zu sein, daß es existiert!« - Mit diesen Worten begrüßte der französische Kritiker Saint-René Taillandier 1847 — also kurz nach Erscheinen — Max Stirners Werk: Der Einzige und sein Eigentum. Es ist mehr staunende Verwunderung als Bewunderung, die den auf dem Boden einer ganz andern Überzeugung stehenden Franzosen solche Worte ausstoßen ließ; ein Staunen über das »unbegreifliche Geheimnis, daß eine Feder sich fand, derartige Dinge zu schreiben, sie niederzuschreiben mit so viel Kaltblütigkeit, mit solch korrekter Eleganz«. Das Gefühl, vor etwas Rätselhaftem, vor etwas Neuem, Einzigem zu stehen, klingt nicht nur aus den Worten dieses Kritikers — obwohl es vielleicht hier seinen zusammengefaßtesten Ausdruck fand — sondern aus fast allen zeitgenössischen und späteren Äußerungen über das Werk, mögen sie es nun — im Innersten von ihm befremdet — ruhig bestehen lassen, oder in Grund und Boden verdammen. Hinter diesen einander oft schroff widersprechenden Urteilen ragt es selbst in kaum zu erahnender, fast unnahbarer Größe auf. Die ganze Hilflosigkeit in der Einstellung dem Werk gegenüber verdichtete sich schließlich zu dem wiederholt geäußerten Zweifel, ob es seinem Verfasser überhaupt ernst gemeint sei, ein Zweifel, wie er — meines Wissens — in solcher Bedeutung nur noch einem, Stirners »Einzigem« groß verwandten Werke der Weltliteratur gegenüber laut wurde: Macchiavells »Principe«. — Diese Auffassung zog ihre Nahrung aus dem scheinbaren inneren Widerspruch, der nach dem Urteil mehrerer Kritiker bereits in der bloßen Existenz dieses Buches liegen soll. So leugnete der eine, daß ein Egoist als solcher überhaupt ein Buch publizieren könne, denn er werde dadurch nicht, was er werden wolle, der Einzige, er werde vielmehr Gemeingut. Indem er sein Buch vervielfältige und seine Gedanken über die andern ausbreite, setze er ein Gespenst in die Welt. Ein anderer erklärte in ganz dem gleichen Sinne, ein
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Einziger würde, wäre er ganz erfüllt von seiner Einzigkeit, in dieser Einzigkeit leben und nicht von ihr schreiben. Stirner aber schreibe von ihr, ohne sie wirklich machen zu können oder auch nur zu wollen. Und wieder ein anderer steigert dies alles noch, indem er erklärt: »Ist der Egoist nicht gewaltiger, wenn er allein nicht »besessen«, sich doch »besessen« stellt, die andern aber alle wirklich »besessen« sind? Wird er ihnen ins Gesicht schreien: Ihr seid alle Narren? Wird er nicht gerade ihre Narrheit pflegen und benutzen und damit zügeln? Napoleon war ein gar anderer Egoist und viel klüger als der Einzige und durch diese Klugheit im Dienst seines überlegenen Genies der wirklich Einzige. Napoleon machte für seine Zwecke alle Welt »besessen«, und wenn eine große »Besessenheit« einzugehen drohte, restaurierte er sie ganz sorglich.» — Indem wir diese Scheineinwände in ihr Nichts auflösen, vermögen wir am raschesten und sichersten das Eigentümliche der Stirnerschen Leistung zu erfassen.

Stirner wollte niemals der Einzige werden, und er brauchte es auch nicht zu werden, denn er war — wie jeder andere — von Haus aus einzig; nur daß ihm — im Gegensatz zu allen andern — das letzte Bewußtsein seiner Einzigkeit eignete und ihn wiederum befähigte, seine Einzigkeit bewußt auszugestalten. Deshalb tat er nichts anderes und konnte er gar nichts anderes tun, als in dieser Einzigkeit leben, diese seine Einzigkeit darleben. Die Geschichte seines Lebens, soweit wir sie kennen, ist dafür Zeugnis. Zugleich aber vermochte Stirner von seiner Einzigkeit zu schreiben, sich selbst »in eine Arbeit zusammenpressend, sich der Welt in einem Werke darzubieten«. Dies bedeutet keine Abirrung vom Egoismus, sondern — bewußt geübt — seine höchste Bewährung. Wie Stirner von Schiller sagt: »in seinen Werken haben wir den ganzen Schiller«, so gilt in gesteigertem Maße für ihn: in seinem »Einzigen« haben wir den ganzen Stirner! — Nicht minder hinfällig ist der Einwand, es sei klüger und egoistischer, die Menschen in ihrer Besessenheit zu belassen und sie mit Hilfe dieser Besessenheit für die eigenen Zwecke auszunutzen, als sie aus ihrer Besessenheit zu erwecken. Ganz abgesehen davon, daß — wird überhaupt der Standpunkt des Egoismus bewußt eingenommen — ein Gradunterschied an Egoismus, ein »egoistischer« im Grunde gar nicht statthaben kann, sondern nur ein Unterschied
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in der sich egoistisch äußernden Stärke jedes Einzelnen, so kommt doch alles darauf an, worin der einzige Einzelne die Befriedigung seines Egoismus sucht und findet. Napoleon, dem übrigens das letzte egoistische Bewußtsein noch in vielen Stücken durchaus mangelte, gelüstete darnach, über eine Welt - sei es auch von Narren und Besessenen — zu herrschen. Deshalb mußte er ihre Besessenheiten bestehen lassen, ja nötigenfalls züchten. Stirner dagegen, der eine solche Herrschaft verschmähte, verlangte danach, als Einziger mit Einzigen

in freien egoistischen Verkehr_zuL treten. So mußte er, der »an der Befreiung der Welt ein Interesse hatte, damit sie — in seinem Sinne — sein eigen werde,« um seinem Egoismus Genüge zu tun, andere Einzige, die er brauchte, von ihrer Besessenheit zu befreien, sie zu sich selbst zu erwecken suchen. Und das tat er, nicht indem er in der Einzigkeit ein neues, religiöses Ideal mit Forderungscharakter aufstellte, sondern indem er gemäß dem Ausspruche Hebbels die Gespenster dadurch verscheuchte, daß er Licht brachte.

Dies Licht aber konnte er wiederum nur bringen, indem er selbst in seinem »Einzigen« rückhaltlos in Erscheinung trat. Darum ist der »Einzige« kein Buch — was liegt an Büchern? — er ist eine Tat in des Wortes umfassendster Bedeutung. Denn er ist unmittelbarer Ausdruck jener »höchsten Praxis«, die nach Stirner darin besteht, daß »ein freier Mensch sich selbst offenbart.« Der »Einzige« ist eine Selbstgestaltung Stirners, und deshalb _wählte dieser nicht ohne tiefen Grund — für ein philosophisches Werk sonst unerhört! — dafür die Ich-Form. Er spricht darin wie er selbst sagt, nur von sich, und schon zeitgenössische Kritiker erkannten, daß es »der existierende, wirkliche Stirner ist, auf den der Autor es absieht«. Insofern das Werk somit die erste Tat eines mit sich einigen Egoisten darstellt, bedeutet es zugleich die Geburt der eigenen Tat überhaupt, der Tat, die nur noch in eigenem Namen vollbracht wird. Alle Kräfte der Persönlichkeit seines Schöpfers sind darein eingegangen, es ist darin nicht nur, wie Ruge sagt, die Philosophie aus dem Kopf ins Herz und ins Blut getreten, sondern künstlerische Schaffenskräfte und die gewaltigsten Willensimpulse strömten gleicherweise in dasselbe ein. Wie wäre sonst diese gemeisterte Form, die sich stellenweise bis zu einer seltsam gewaltigen Poesie steigert, wie wäre sonst jene unerschütterliche Konsequenz der Ideenentwicklung
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möglich! Und dort, wo Stirner an die letzten Tiefen rührt, wo er den schöpferischen Urgrund des Einzigen noch zu symbolischer Erscheinung bringen will, schließen sich alle diese Kräfte zu nicht mehr unterscheidbaren Einheit zusammen. Was Ibsen für die Zukunft verkündete, daß sich »Poesie, Philosophie und Religion zu einer neuen Kategorie, zu einer neuen Lebensmacht verschmelzen würden«, ist in diesem Werke verwirklicht. Es ist im eminenten Sinne gelebt und kann ganz auch nur erlebt werden.

Damit steht es am Beginn einer neuen Weltepoche. Mackay hat recht, wenn er sagt, dem »Einzigen« könne nur ein Buch verglichen werden: die Bibel. Doch nicht in dem Sinne, wie Marx und Engels den »Einzigen« als das »heilige Buch« des »heiligen Max« zu verspotten suchten, sondern gerade als das unheilige das völlig profane Buch. Denn er ist auch darin das große antichristliche Gegenbuch "zur Bibel geworden. Er führt — um mit Ibsen zu reden — das dritte Reich, das Mannesalter der Menschheit herauf, da sich in ihm zum ersten Mal ein Einziger seiner Einzigkeit letztgültig bewußt wurde und über den Realismus des Knaben, der in den Dingen der Welt befangen war, wie über den Idealismus des Jünglings, der von Gedanken begeistert wurde, hinweg sich zum Mann emporarbeitete, der in bewußt bejahtem Egoismus sich selbst leibhaftig liebgewinnt. Damit liegen die beiden ersten Reiche der Menschheitsentwicklung ihr Kindheits- und Jünglingsalter, die heidnische Periode der Geistigkeit hinter — unter ihm, ließ er der Weltverachtung die Geistesverachtung folgen und wurde — frei von jeder Besessenheit, vom Zwang der Triebe sowohl wie von den Forderungen des Geistes — kraft seines Willens zum Eigner beider Welten durch das bewußte Selbsterlebnis: »ich bin wie übersinnlich, so überwahr.« Eigner seiner selbst hat er sich zum Mittelpunkt der Welt gemacht und treibt — Schöpfer und Geschöpf in einem — die Gestaltungen seiner als seine eigensten, unvergleichbaren Schöpfungen aus sich hervor. Denn Stirner, und mit ihm jeder seiner Einzigkeit bewußte Einzige, hat die entscheidende Wendung vollzogen, sich nicht mehr zum Ziel sondern zum Ausgangspunkt zu nehmen; er geht nicht mehr auf sich zu wie der nach seiner Vollendung ringende Mensch, sondern er hat sich und kann sich so selber verzehren. Deshalb lebt er auch nicht mehr
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in Sehnsucht, sondern im Genuß — sein Selbst- und Weltgenuß flammen in eins zusammen — und ist dem christlichen Zauberkreis entsprungen. Die große Weltwende, die große innere Empörung ist vollbracht!

Aber Stirner selbst weiß, daß damit noch nicht alles getan ist. Jene innere Empörung ist nur die Vorbereitung für die äußere Umwälzung, für das Niederbrechen aller erstarrten, einzwängenden Schranken. Denn »soll der Lebensgenuß über die Lebenssehnsucht oder Lebenshoffnung triumphieren, so muß er sie in ihrer doppelten Bedeutung bezwingen, die zeitliche und die weltliche Armut ekrasieren, das Ideal vertilgen und — die Not ums tägliche Brot«. Das Ideal ist von Stirner getilgt, die Fessel jedes Heiligen zerbrochen; und es gälte nur noch, daß weitere, ja schließlich alle Einzelnen in sich diese Empörung vollbringen. Doch die Not ums tägliche Brot dauert an und hindert auch die, die bereits zur Bewußtheit ihrer Einzigkeit erwacht und fähig zu jedem Genüsse sind, an der vollen, freien Selbstentfaltung, an ihrer Selbstverwertung. Denn über der Pforte unserer Zeit steht nach Stirner das Wort: »Verwerte Dich!« Mit der Erkenntnis, daß dies verhindert wird durch die Sklaverei der Arbeit, rollte Stirner in seinem »Einzigen« die ganze soziale Frage auf, die zu lösen er sich in seinem Werke und noch darüber hinaus unablässig mühte. Denn er erkannte in ihrer Lösung die unentbehrliche äußere Ergänzung zu der innerer Empörertat seines »Einzigen«. Es entspricht seinem Denken, daß er auch hier wiederum die Lösung der Frage nur in ihrer restlosen Auflösung erblicken konnte, und so erklärte er, daß auch an dieser »Weltgeschichte das Weltgericht erscheinen und das verborgene Feuer hervorgelockt werden müsse, durch welches die soziale Wissenschaft sich in einer Selbstentzündung verzehrt und bloß ihr Andenken zurücklässt.« Aus einer Stelle seines »Einzigen« und aus einem seiner späteren Aufsätze läßt sich erkennen, wie ihm das gemeint war. In seinem »Einzigen« erklärt er, die nationalökonomischen Fragen gingen weit über das Nationale hinaus, und an einem andern Ort bestreitet er, daß die sozialen Fragen beantwortet werden könnten, solange sie ihren Charakter als »soziale« behielten. In seinem Aufsatz über »Kindersegen« hat er dann, indem er die »Bevölkerungsfrage« auf eine »Zeugungsfrage« des Einzelnen zurückführte,
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an einem Beispiel dargetan, wie erst die Menschheitssache zu einer Sache des persönlichen Interesses, wie erst die soziale Frage zu einer personalen Frage werden muß, ehe sie ihre Lösung finden kann. Die Nationalökonomie als solche ist ein Gespenstm sie ist nur zu verstehen und zu fassen als die Summe der privatökonomischen Maßnahmen aller Einzelnen.

Auf Grund dieser prinzipiellen Einstellung suchte nun Stirner auch die Arbeiterfrage zu lösen — in ihr Nichts aufzulösen. Es ist ohne weiteres klar, daß er, der den Spuk des Rechts allenthalben vernichtete, der alles auf die Macht, auf die Gewalt des Einzelnen stellte und aus ihr herleitete, auch der Ausbeutung der Arbeit gegenüber den Maßstab des Rechts nicht anlegte. Die Ausbeutung der Arbeit erscheint ihm «nicht ungerecht«, wie er ebensowenig den vollen Ertrag der Arbeit als ein »Recht« des Arbeitenden in Anspruch nimmt. In beiden Fällen handelt es sich für ihn um eine unmittelbare Auswirkung des Egoismus, ob er mit Erfolg geltend gemacht wird oder nicht. Stirner ist sich wohl bewußt, daß »die Arbeiter die ungeheuerste Macht in den Händen haben und ihnen nichts widerstände, wenn sie ihrer einmal recht inne würden und sie gebrauchten«. Daß sie sie aber nicht zu gebrauchen wissen, das eben ist ihre Ohnmacht. Andererseits stützt sich die Ausbeutung der Arbeit allein auf und Autorität des Staates. Ihre Macht beruht nicht in unmittelbarer Stärke, sondern in Überlistung. Den Ausbeutern gelingt es, die Befreiung der Arbeit, die zugleich sie und ihren Staat stürzen würde, hintanzuhalten, weil sie alle Waffen der geistigen Beeinflussung in Händen haben und in Form der Staatskirche, der Staatsschule usw. anwenden zur systematischen Verdummung der Massen. Dabei weiß Stirner wohl, daß hier in der Hauptsache ein dumpfer egoistischer Instinkt und nur noch in den seltensten Fällen ein klares egoistisches Bewusstsein wirksam wird, daß die gegenwärtige Situation zum großen Teil nur ein zufälliges Ergebnis von Besessenheiten ist, in denen alle befangen sind, und daß, nur auch hier, wie immer, »wenn eine Zeit in einem Irrtum befangen liegt, die Einen den Vorteil aus ihm ziehen, indes die Andern den Schaden davon haben«. Der Kampf der Arbeitenden, die ihre Arbeit einfach nicht fürder ausbeuten lassen wollen, stellt sich also Stirner als ein
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rein egoistischer dar, und die Arbeiter werden seiner Überzeugung nach auch erst dann zum Siege gelangen, wenn sie ihn mit vollem egoistischen Bewusstsein führen. Das aber ist heute, im Sozialismus, nicht der Fall. Stirner verspottet es, daß die sozialistischen Theoretiker das Wohl Aller anstreben. Er gibt sich keiner Täuschung darüber hin, dass das Wohl der Arbeitenden nur auf Kosten des Wohles der Rentner durchzusetzen ist, die sich zweifellos bisher beim arbeitslosen Genuß ihrer Renten wohler befanden und denen man das vorgebliche sozialistische Wohl nur gewaltsam wird aufdringen können.

Doch Stirner mußte nicht nur aus diesem Grunde, den auf den christlichen Idealen der Gleichheit und Brüderlichkeit aufbauenden Sozialismus und Kommunismus, der mit seinem unvermeidlichen Zwang, sei es nun durch den Staat, die Gesellschaft oder die Masse, jede Entfaltung der Freiheit zur Eigenheit unterbindet, völlig ablehnen und an seiner Statt eine rein individualistische, auf Einzigkeit und Egoismus gegründete und aus der Freiwilligkeit der Einzelnen erwachsende Wirtschaftsordnung zu finden suchen. Sein ganzes Werk ist denn auch gegen den Sozialismus und Kommunismus gerichtet 1). Es mußte Stirner geradezu widersinnig erscheinen, wenn der Sozialismus fordert: weil heute eine besitzlose Mehrheit von


1a) In einer Hinsicht freilich glaubt auch Stirner, der Kommunismus werde »seine Früchte tragen«, insofern der Kommunismus nämlich einsieht, daß »das Menschliche, die menschlichen Arbeiten«, d. h. die, zu denen »alle Menschen befähigt sind«, »so vieler Plage gar nicht wert sind und alle unsere Zeit und Mühe nicht so in Anspruch zu nehmen brauchen wie unter der Konkurrenz«, und er deshalb auf eine »gescheite Einrichtung« sinnt, in der wir uns über diese menschlichen Arbeiten »einigen«, und durch die wir »ohne den großen Aufwand von Zeit und Kräften, wie es seither erforderlich schien«, dasselbe erreichen können. Ausgehend von dem Gedanken, daß »Jeder sich an der Herbeischaffung und Hervorbringung dessen, was er braucht, auch beteiligen sollte«, da es »seine Sache, sein Eigentum« ist, schlägt Stirner vor, diese die menschlichen Bedürfnisse befriedigenden Arbeiten nicht mehr, wie bisher, den Zufällen der Konkurrenz zu überlassen, sondern sich künftig darüber mit einander zu verständigen, sich zu dem Zweck in Vereinen zusammenzuschließen und sich auf solche Weise dieser Dinge selbst anzunehmen. So könnten z. B. »da Brot das Bedürfnis aller Einwohner einer Stadt ist, diese leicht übereinkommen, eine öffentliche Bäckerei einzurichten«. Mit solchen Gedankengängen nähert sich Stirner durchaus den Ideen des anarchistischen Kommunismus, der zu damaliger Zeit seine ersten Vertreter fand, aber seinem freiheitlich föderativen Programm gegenüber den zentralistischen Ideen des Staats- und Zwangskommunis- →


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einer Minderheit Besitzender ausgebeutet wird, sollen künftig alle nichts haben, damit alle haben; weil heute einige erfolgreiche Egoisten die Andern alle in ihren Dienst zwingen, soll künftig jeder Egoismus unmöglich gemacht werden, die Menschen als Brüder in Eintracht und Liebe miteinander leben. Statt daß sich ein jeder daraus, wie gut der Egoist fährt, eine Lehre zöge und mit dem »Einzigen« ausriefe: »Ich will, statt jenen großen Egoisten ferner uneigennützig zu dienen, lieber selber der Egoist sein!« Während der Sozialismus in einer allgemeinen Lumpenhaftigkeit des Eigentum überhaupt aufheben oder vielmehr — da dies nicht möglich ist — es dem Spuk Allgemeinheit vollständig überantworten will, sucht Stirner ganz im Gegenteil das Eigentum den gespenstischen Händen, die bereits heute darüber verfügen, zu entreißen und es, indem er die Heiligkeit des Eigentums zerstört und das Eigentumsrecht auflöst, nur noch auf die Gewalt des Einzelnen zu gründen. So aber wird es zu einem notwendigen Bestandteil desselben: der Einzige ist nur zusammen mit seinem Eigentum, wie dies bereits der Titel des, Stirnerschein Werkes zum Ausdruck bringt. Insofern nun unsere heutige Wirtschaftsordnung bereits auf dem Egoismus sich aufbaut, und soweit sie den Einzelnen zu Eigentum kommen läßt, findet sie die Anerkennung Stirners und wird sie von ihm jedem kommunistischen Versuch vorgezogen. Von sozialistischer Seite ist dies Stirner zum schwersten Vorwurf gemacht worden. So heißt es in einer Kritik der Trierschen Zeitung von 1845 voll Empörung, Stirner habe die Frechheit gehabt, die ganze Zeitbewegung in ihr direktes Gegenteil verkehren zu wollen und die Raub- und Habsucht unserer Krämerwelt, gerade das, wogegen alle edlen Bestrebungen zu Felde zögen, zu


1b) mus noch keine entscheidende Geltung zu verschaffen vermochte. Zum Unterschied von den anarchistischen Kommunisten jedoch läßt sich Stirner auch hierbei nicht von sozialistisch-altruistischen, sondern von individualistisch-egoistischen Beweggründen leiten. Das Ganze stellt für ihn nichts anders als eine Zweckmäßigkeitsfrage dar. Er verspricht sich durch diese Maßnahmen eine Vereinfachung, die im Interesse jedes beteiligten Einzelnen läge. Ergäbe sich indessen bei eingehenderer theoretischer Untersuchung oder auch bei praktischer Erprobung, daß diese erwarteten Vorteile ausbleiben und die Konkurrenz doch immer solchen genossenschaftlichen Betriebsformen wirtschaftlich überlegen ist so wäre Stirner gewiß der Erste, der der Konkurrenz, die noch nie bisher in ganzer Freiheit verwirklicht war, unbedingt den Vorzug geben würde.


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sanktionieren, heilig zu sprechen, dafern man nur mit Bewußtsein, mit Selbstgefühl und Überzeugung raube und besäße, dafern man nur ein radikaler Egoist wäre. Von den sozialistischen Weltbeglückungsabsichten hielt sich Stirner allerdings weit entfernt, aber jener Kritiker übersieht doch, daß Stirner gerade dadurch, daß er über den beschränkten und durch tausend heilige Satzungen eingeengten Egoismus der bürgerlichen Epoche hinausging, jener Krämerwelt, in der nicht die Person sondern die Sachen konkurrieren, ein Ende machte. Damit, daß er dem Eigentum den Rechtsschutz entzog, forderte er zugleich den Einzelnen auf, alles um sich her als das Seinige zu betrachten und nach dem Maße seines Bedürfnisses und seiner Kraft an sich zu reißen; auf die besondere Lage der Arbeiter angewandt: »alles Erarbeitete einmal als das Ihrige anzusehen und zu genießen.« in diesem Kampfe Aller gegen Alle, in dem natürlich auch Bündnisse in Form freiwilliger, die Kräfte des Einzelnen steigernder Vereine statthaben, verwirklicht sich zum ersten Male die freie Konkurrenz. Nur daß sie zugleich bis zur freien Selbstverwertung des Einzelnen gesteigert erscheint, die die freie Konkurrenz im eigentlichen Sinne des Wortes, auf dem Wirtschaftsgebiet, mit in sich befaßt. Denn in diesem Kampfe kann der Einzelne sein ganzes Vermögen, d. h. alles, was er vermag, in die Wagschale werfen, nicht allein seine Arbeitskraft, wie in der sozialistischen Arbeitergemeinschaft. Nicht nur das Wirtschaftsleben, sondern das gesamte Leben in allen seinen Erscheinungsformen wird damit unter das eine einzige eherne Naturgesetz von Angebot und Nachfrage gestellt, das in dieser weitesten Fassung bei Stirner in den Worten Ausdruck gewinnt: »Vermagst Du keinen für dich einzunehmen, so magst Du eben verhungern.« Doch um jene letzte freie Selbstverwertung zu errichten, muß der Einzelne zunächst in einem seiner wichtigsten Vermögen, eben in seiner Arbeit, frei werden, durch die er vor allem im Verkehr mit den andern die erwünschten und notwendigen Gegenleistungen sich verschaffen kann. So schließt sich für Stirner doch wieder alles in die Frage nach der Befreiung der Arbeit zusammen, und die von ihm gesuchte rein individualistische Wjrtschaftsordnung muß zuförderst die Bedingung erfüllen, daß in ihr eine Ausbeutung, der Arbeit unmöglich ist. Dabei gilt es vor allem, die Wurzel der Kraft des Gegners, des Ausbeuters der Arbeit, zu finden, um ihn dort treffen und über-
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winden zu können. Stirner erkannte als den Sitz der Ausbeutung die herrschenden Formen des Geldwesens und des Grundbesitzes. Beide zu ändern, schlägt er deshalb in seinem Einzigen vor: »Ob das Geld unter Egoisten beizubehalten sei? — Am alten Gepräge klebt ein ererbter Besitz. Laßt Ihr Euch nicht mehr damit bezahlen so ist es ruiniert, tut Ihr nichts mehr für dieses Geld, so kommt es um alle Macht. Streicht das Erbe, und Ihr habt das Gerichtssiegel des Exekutors abgebrochen. Jetzt ist ja alles ein Erbe, sei es schon geerbt, oder erwarte es seinen Erben. Ist es das Eure, was laßt Ihrs Euch versiegeln, warum achtet Ihr das Siegel? — Warum aber sollt Ihr kein neues Geld kreiern? Vernichtet ihr denn die Ware, indem Ihr das Erbgepräge von Ihr nehmt? Nun, das Geld ist eine Ware, und zwar ein wesentliches Mittel oder Vermögen. Denn es schützt vor der Verknöcherung des Vermögens, hält es im Fluß und bewirkt seinen Umsatz. Wißt Ihr ein besseres Tauschmittel, immerhin; doch wird es wieder ein »Geld« sein. Nicht das Geld tut Euch Schaden, sondern Euer Unvermögen, es zu nehmen. Laßt Euer Vermögen wirken, nehmt Euch zusammen und es wird an Geld — an Eurem Gelde, dem Gelde Eures Gepräges — nicht fehlen.« — Und mit Bezug auf das Grundeigentum heißt es: »Wenn Wir den Grundeigentümern den Grund nicht länger lassen, sondern Uns zueignen wollen, so vereinigen Wir Uns zu diesem Zwecke, bilden einen Verein, eine Société, die sich zur Eigentümerin macht; glückt es Uns, so hören jene auf, Grundeigentümer zu sein. Und wie von Grund und Boden, so können Wir sie noch aus manchem andern Eigentum hinausjagen, um es zu Unserm Eigentum machen, zum Eigentum der - Erobernden. Die Erobernden bilden eine Sozietät, die man sich so groß denken kann, daß sie nach und nach die ganze Menschheit umfaßt; aber auch die sogenannte Menschheit ist als solche nur ein Gedanke (Spuk); Ihre Wirklichkeit sind die Einzelnen. Und diese Einzelnen werden als eine Gesamtmasse nicht weniger willkürlich mit Grund und Boden umgehen als ein vereinzelter Einzelner, oder sogenannter propriétaire. Auch so bleibt also das Eigentum bestehen, und zwar auch als »ausschließlich«, indem die Menschheit, diese große Sozietät, den Einzelnen von ihrem Eigentum ausschließt (ihm vielleicht nur ein Stück davon verpachtet, zu Lehn gibt), wie sie ohnehin alles, was nicht Menschheit
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ist, ausschließt, z. B. die Tierwelt nicht zum Eigentum kommen läßt.— So wirds auch bleiben und werden. Dasjenige, woran Alle Anteil haben wollen, wird demjenigen Einzelnen entzogen werden, der es für sich allein haben will, es wird zu einem Gemeingut gemacht. Als einem Gemeingut hat Jeder daran seinen Anteil, und dieser Anteil ist sein Eigentum.« — Obwohl sich Stirner an diesen beiden Stellen der Wirklichkeit praktischer Maßnahmen aufs Äußerste nähert, bleibt er doch auch hier, wie Georg Adler in seiner Schrift, über »Stirners anarchistische Sozialtheorie« nicht mit Unrecht betont, noch immer der Sozialphilosoph. Es fehlt ihm die unmittelbare Berührung mit der Praxis des wirtschaftlichen Lebens.

Soweit gelangte Stirner, weiter nicht. Oder wenigstens wir wissen nicht, ob und wie viel weiter er noch gelangte; denn die Früchte seines weiteren Nachdenkens auf diesem Gebiete, seine eigenen Anmerkungen zu seinen Übersetzungen der Werke Says und Adam Smiths, die er ankündigte, aber dann doch nicht erscheinen ließ, da er selbst noch mit ihnen unzufrieden war, sind mit seinem gesamten handschriftlichen Nachlaß verloren gegangen und bis heute noch nicht wieder aufgetaucht. Sie sollten sich nach seinen eigenen Worten «über das ganze Gebiet der national-ökonomischen Wissenschaft verbreiten und durchaus nicht immer in den bescheidenen Grenzen von Anmerkungen bleiben«. Ein unersetzlicher Verlust!

Doch was Stirner nicht ganz zu leisten vermochte und was seinem Werk in dieser Richtung noch fehlt, das hat Jahrzehnte später und völlig unabhängig von ihm, doch ganz in seinem Sinn ein anderer geleistet: Silvio Gesell. Sein Werk »Die natürliche Wirtschaftsordnung durch Freiland und Freigeld« tritt ergänzend an die Seite des »Einzigen«, Gesells Leistung neben die Tat Stirners.

Gesell kommt im Gegensatz zu Stirner mitten aus der Praxis des wirtschaftlichen Lebens. Als Kaufmann, Fabrikant und Landwirt in Deutschland, Spanien, Argentinien und der Schweiz hat er alle Seiten dieser Fragen an sich selbst erfahren. Einen solchen Mann der Praxis brauchte die an Stirner anknüpfende Bewegung, um das tiefe Erlebnis Stirners unmittelbar in die Wirklichkeit des äußeren Lebens zu gründen. — Auch an Gesell hat sich der Egoismus als Vater aller Dinge erwiesen. In der Einleitung zu einer seiner früheren Schriften,
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die die Genealogie seiner Ideen enthält, erklärt Gesell: »Ich verfolgte mit meinen Untersuchungen den Zweck, meine Interessen vor Gefahren zu schützen und machte dabei eine der sonderbarsten und weittragendsten Entdeckungen. Ich suchte Licht für meine kaufmännischen Handlungen und fand dabei ganz unbeabsichtigt die Wurzel eines tausendarmigen Schlinggewächses, des gefräßigsten Parasiten unserer Gesellschaft.« Nicht als eine allgemeine Menschheitssache, sondern als eine Sache seines persönlichen Interesses also packte Gesell diese Fragen an. Um seiner privat-ökonomischen Maßnahmen willen machte er sich an die national-ökonomischen Probleme und löste sie restlos auf. Durch diese Bewährung seines Egoismus in der theoretischen Untersuchung war er nun auch instand gesetzt, seinen Egoismus erfolgreich in der Praxis zu betätigen. Während seine Konkurrenten, unfähig, die volkswirtschaftlichen Wirkungen staatlicher Maßnahmen abzuschätzen, ihn für einen Narren hielten und ihrerseits wirtschaftlich zugrunde gingen, wußte er auf Grund seiner tieferen Einblicke in die Zusammenhänge, die behördlichen Maßnahmen stets durch die notwendigen privaten Gegenmaßregeln zu parieren und so seine Unternehmungen vor Schädigung zu bewahren. Sodaß er noch im Juli 1919 vorm Standgericht München, wo er sich wegen seiner Übernahme des Finanzministeriums der ersten Räterepublik Baiern gegen die Anklage auf Hochverrat zu verteidigen hatte, erklären konnte: »Ich habe die volkswirtschaftlichen Zusammenhänge ergründet, meine Erkenntnisse zu einer Theorie ausgebaut und so Theorie und Praxis verknüpft — zu beider Vorteil. Ich gedieh. Mir war die Theorie nicht grau, bares Geld war sie mir.« — Dieselben Leute, die Stirner vorwerfen, daß er das Geheimnis seiner Einzigkeit preisgab und die Menschen aus ihrer Besessenheit zu befreien suchte, statt mit Wahrung seines Geheimnisses die Besessenheit der Menschen für sich auszunutzen, müssen hier konsequenterweise gegen Gesell einen gleichen Vorwurf erheben, daß er seine volkswirtschaftlichen Erkenntnisse zu einem sozialpolitischen System abrundete, dieses in zahlreichen Schriften dem Publikum vortrug und Jahrzehnte lang unter Hintansetzung anderer wichtiger Interessen und mit nicht unerheblichen Geldopfern unermüdlich für die Anerkennung seiner Ideen kämpfte, statt mit Hilfe dieser Erkenntnisse die Menschen wirtschaftlich auszubeuten. Und in der Tat wäre es, Gesell ein Leichtes gewesen, sich zum
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König aller Spekulanten zu machen. Denn wenn der gewöhnliche Spekulant bei seinen Spekulationen nur einer mehr instinktiven Routine folgt, die ihn 99 Mal richtig führt, um ihn beim 100. Male im Stich zu lassen, hätte sich Gesell dabei auf eine nie versagende Theorie zu stützen vermocht. Aber sein Egoismus fand wie der Stirners in dergleichen kein Genüge, er war auf Weiteres, Höheres gerichtet. Galt es Stirner als Einziger mit Einzigen in Verkehr zu treten, so gilt es Gesell, den Tanz um das goldene Kalb zu enden und mit freiem Volk auf freiem Grund zu stehn. Beide Ziele bilden eine untrennbare Einheit, eines ist nicht ohne das andere.

Völlig unabhängig von Stirner und ohne jede fremde Theorie gelangte Gesell zu seinen Erkenntnissen. Deshalb darf es nicht wundernehmen, daß er sich selbst seines inneren Zusammenhanges mit Stirner noch nicht letztgültig bewußt ist und infolgedessen bei ihm, was die allgemeine Fundierung seines Wirtschaftssystems anlangt, noch Unentschiedenheiten walten, die mit einer lebendigen Bezugnahme auf Stirner völlig verschwinden würden. Das Entscheidende bleibt, daß seine wirtschaftlichen Erkenntnisse die eindeutige Ergänzung Stirners bilden, und an Uns ist es, die Brücke zwischen beiden zu schlagen, die Gesellsche Wirtschaftstheorie im Stirnerschen Sinne zu verbrauchen, indem Wir sie an den »Einzigen« angliedern. In wachsendem Maße ist auch Gesell schon — z. T. vielleicht unbewußt — auf diesem Wege begriffen. Die allgemeinen Konsequenzen seiner Wirtschaftslehre nähern sich Stirner mehr und mehr an, und während er sich in einem früheren Werke nur in einer Teilfrage, der Eigentumsfrage, flüchtig aber zustimmend mit Stirner auseinandersetzte, hat er kürzlich am Ende des Vorworts zur vierten Auflage seines Hauptwerkes sich offen auch zu Stirner bekannt, indem er erklärte: »Die N. W.-O., die ohne gesetzliche Maßnahmen von selber steht, die den Staat, die Behörden, jede Bevormundung überflüssig macht, gibt dem strebenden Menschen die Bahn frei zur vollen Entfaltung des »Ich«, zu der von aller Beherrschtheit durch andere befreiten, sich selbst verantwortlichen Persönlichkeit, die das Ideal Schillers, Stirners, Nietzsches und Landauers darstellt.« Einige seiner wichtigsten Anhänger aber — ich nenne nur Georg Blumenthal — sind sich schon früher als Gesell dieser Zusammenhänge bewußt geworden und haben mit jenen Unentschiedenheiten gebrochen.
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Eine solche allerdings mehr scheinbare Unentschiedenheit Gesells liegt darin, daß er, der an diese wirtschaftlichen Fragen ganz vom Standpunkte seines persönlichen Interesses aus heranging, sie doch in seinen Untersuchungen nicht lediglich als eine Sache des persönlichen Interesses jedes Einzelnen, also nicht als privatökonomische, letzten Endes rein personale Fragen behandelte, sondern diese Betrachtungsweise mehr zurücktreten ließ und sie eben doch als eine allgemeine Menschheitssache, als nationalökonomische, soziale Fragen faßte. So drängt sich ihm z. B. vorübergehend die Idee einer Höherzüchtung des Menschengeschlechtes, die auf Grund der durch die natürliche Wirtschaftsordnung wieder wirksamen natürlichen Auslese Platz greifen wird, so in den Vordergrund, daß es aussehen kann, als sei sie ihm Ziel und nicht nur freudig begrüßtes Ergebnis. In Wahrheit aber ist ihm — seinem individualistischen Standpunkte entsprechend — das Interesse des Einzelnen doch allenthalben das Richtunggebende, und nur insoweit auch die Interessen einer mehr oder weniger großen Gesamtheit verflochten sind, wendet er diesen sein Augenmerk zu. Das aber liegt ja gerade im Interesse auch des Einzelnen. Zudem bleibt es natürlich einem jeden völlig unbenommen, ob und wie weit er sich mit Menschheitsfragen beschäftigt. Wenn Gesell vielleicht auch nicht soweit wie Stirner gehen und erklären würde: »Ich lebe Mich aus, unbesorgt darum, wie gut oder schlecht die Menschheit dabei fahre«, so würde er das doch gewiß aus dem Grunde nicht tun, weil er weiß, daß die Menschheit als Summe aller Einzelnen gefaßt — und nur so ist sie zu verstehen, — gar nicht schlecht dabei fahren kann, wenn der Einzelne sich ganz ausgestaltet. Ein Gedanke der auch Stirner zu Grunde liegt. — In einen wirklichen Widerspruch zu Stirner gerät Gesell eigentlich nur dadurch, daß er in all diesen Fragen den Rechtsboden nicht verläßt. Der volle Ertrag der eigenen Arbeit erscheint ihm als ein Recht der Arbeitenden, und dieses Recht will er mit seiner Wirtschaftsordnung verwirklichen, während er andererseits in dem heute allenthalben geübten und unter den Schutz der Staatsgesetze gestellten Recht auf den fremden Arbeitsertrag ein schreiendes Unrecht erblickt, das er ausrotten will. Daß die Arbeiter, solange sie sich ihren vollen Arbeitsertrag noch nicht zu verschaffen wissen, auch kein Recht auf
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ihn — weil keine Macht über ihn haben, und daß sie auch dann, wenn sie sich ihn verschafften, damit kein neues Recht begründen, sondern nur eine Macht mit Erfolg geltend machen würden, zu dieser klaren Stirnerschen Auffassung hat sich Gesell noch nicht durchgerungen. Aber auch hier scheint er auf dem Wege zur Klärung. Darauf deutet wenigstens hin, daß er, nachdem er selbst auf vielen Seiten seines Buches das Recht jedes Einzelnen auf die ganze Erde verkündet hat, schließlich selber erklärt: es habe eigentlich keinen Sinn, von einem Recht des Menschen auf die Erde zu sprechen, denn die Erde gehöre zum Menschen, sie bilde einen organischen Teil seiner selbst, er brauche sie. Stirner betrachtet konsequent alles unter diesem Gesichtswinkel, fragt nicht mehr nach Recht, sondern erklärt: Was Ich brauche, verschaffe Ich Mir. Anhänger Gesells, wie z. B. Georg Blumenthal, der in seinem im »Physiokraten« veröffentlichten Aufsatz: »Individuum und Allgemeinheit im Lichte der Physiokratie« energisch auf Stirner hinwies und ein erstes Mal die Brücke zwischen Gesell und Stirner zu schlagen versuchte, sind gerade in diesem Punkt über Gesell hinausgegangen. Sie lehnen es ab, den vollen Arbeitsertrag als irgendein Recht in Anspruch zu nehmen und erwarten alles von sich und ihrer Gewalt. Leider ist dieser Standpunkt nicht allenthalben bewußt innegehalten worden. — Um noch eine letzte Unentschiedenheit Gesells anzuführen, durch die er in einen scheinbaren Gegensatz zu Stirner tritt: es könnte den Anschein haben, als wolle Gesell wie der Sozialismus den Einzelnen, nur insoweit er Arbeiter ist, gelten lassen. Der Einzige jdper will sich geltend machen im Umfange seines ganzen Vermögens. Sätze Gesells wie der folgende: »Die Arbeit ist die einzige Waffe des gesitteten Menschen in seinem Kampf ums Dasein« sind geeignet, diese Vermutung zu bestärken. Es ist jedoch zu bedenken, daß es Gesell bei der Aufstellung einer neuen Wirtschaftsordnung zunächst lediglich mit der Arbeit zu tun hat, daß alles andere außerhalb des Rahmens seiner selbstgewählten Aufgabe liegt. Da nun Gesell wie später klar werden wird - in der Arbeit tatsächlich auch die einzig wirksame Waffe zur Befreiung der Arbeiter, zur Beseitigung des arbeitslosen Einkommens erblickt, so kann es leicht bei ihm zu einer vorübergehenden Alleinschätzung der Arbeit kommen. Er selbst aber hat darüber hinaus betont, daß er durch die
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N. W.-O dem Einzelnen die Bahn freimachen will zur vollen Entfaltung seines Ich, und das tut er tatsächlich.

All diesen Unentschiedenheiten Gesells gegenüber gilt, daß es die eigenste Sache jedes Einzelnen ist, der sich selbst zur letzten Entschiedenheit Stirners bekennt, über sie hinweg, indem er in diesen Fragen seine Entschiedenheit an Stelle jener Unentschiedenheit setzt, sich aus Gesells Werk das herauszuholen, was er als Waffe für sich und seinen Kampf gebrauchen kann. So wird — was Gesell unterließ — durch ihn geleistet: das Werk vom Standpunkt des bewußten Egoismus des Einzelnen aus ganz in privatökonomischem Sinne umgeschrieben werden. Dem aber hält es nach jeder Richtung hin Stand und erweist damit, daß es ursprünglich auch von diesem Standpunkt aus konzipiert wurde. Gerade dadurch wurde es, wenn auch völlig unbewußt, ein praktischer Ausdruck der Stirnerschen Philosophie, führte es konsequent die bereits von Stirner im »Einzigen« beschrittenen Wege zur Lösung der wirtschaftlichen Fragen in rein individualistischem Sinne zu Ende.

Was Gesell mit Stirner grundsätzlich eint, ist, daß auch er die Wirtschaft auf den Egoismus gründet. Der Eigennutz, der naturgegebene Selbsterhaltungstrieb, soll die treibende Kraft der Wirfschaft sein und bleiben, weil er allein den hohen Anforderungen zu genügen vermag, die die Wirtschaft an die Willenskraft des Einzelnen stellt. Dementsprechend fordert Gesell die Fernhaltung aller christlich-religiösen Anschauungen von der Wirtschaft, wo sie versagen. Die hemmungslose Anwendung des egoistischen Prinzips führt zur freiesten Ausgestaltung der Eigenwirtschaft, die Gesell jeder Staats- und kommunistischen Gemeinwirtschaft entgegensetzt. Seine Ablehnung des Kommunismus 2) begründet Gesell genau wie Stirner


2a) Dabei wendet sich Gesell eigentlich nur gegen den Staatssozialismus und Zwangskommunismus, während er den Kommunismus in seiner freien anarchistisch-föderativen Form — wie Stirner — gelten läßt. Nur daß er auch ihm nicht die Fähigkeit zutraut, die Wirtschaft von Grund auf umzugestalten und neu aufzubauen. Es ist selbstverständlich nichts dagegen einzuwenden, wenn Einzelne, denen es ein persönliches Bedürfnis ist, kommunistisch zu leben, sich zu größeren oder kleineren Gruppen zusammenschliessen und dann auch diese Gruppe wiederum im Verkehr unter einander kommunistische Wirtschaftsformen wählen. Sie befriedigen ja nur einen verfeinerten Egoismus, indem sie das tun, was ihnen entspricht. Doch gehört unbedingt eine kommunistische Gesinnung dazu und die dürfte noch nicht eben →


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mit dem Hinweis auf die Widersinnigkeit jenes kommunistischen Strebens allen Menschen die Freiheiten zu rauben, deren heute nur Wenige teilhaftig werden, und, das ganze Volk in allgemeine Gebundenheit zu stürzen, damit nur ja künftig niemals wieder einer etwas vorm andern voraushabe, statt allen diese Freiheit zugänglich zu machen. Zugleich stellt Gesell fest, daß der Gemeinsinn, der Altruismus, der Arterhaltungstrieb, der in seinen Augen nur »eine verwässerte Lösung des Selbsterhaltungstriebes« ist nicht eben stark in den Menschen vorhanden sein kann. Sonst hätten sie die Möglichkeiten, die auch schon in unsern gegenwärtigen Verhältnissen für kommunistische Gebilde gegeben sind, nicht durchgängig unbenutzt gelassen, ganz abgesehen davon, daß der Altruismus niemals ausreichen wird, die Schwierigkeiten des Wirtschaftslebens siegreich zu überwinden, und daß ein kommunistischer Wirtschaftsbetrieb, wie schon Proudhon und Stirner betonen, die Ausbeutung nicht abschafft, sondern nur derselben eine neue Form gibt: die der Ausbeutung des Starken durch den Schwachen. Mag dem Kommunismus für unentwickelte Kulturzustände vielleicht eine gewisse Bedeutung innewohnen, so ist der Einzelne bei höherer kultureller Entwicklung auf Grund der Arbeitsteilung den mit dem Kommunismus unvermeindlich


2b) weit verbreitet sein. »Wenn man aber nur« so gibt ein Erlaß aus Gesells Minister tätigkeit in Baiern zu bedenken, »Wirtschaftskommunismus treibt, während der Mensch in seinem Herzen noch Kapitalist bleibt, dann verarmt die kommunistische Gemeinschaft«. Auf jeden Fall würde eine allgemeine Einführung des Kommunismus selbst in seiner freiheitlichsten Form zu einer Zeit, da nur eine verschwindende Minderheit wahrhaft kommunistisch denkt und empfindet, eine Vergewaltigung all derer bedeuten, denen nach wie vor die individualistische Wirtschaftsweise gemäß ist. Und zu solch einem Zwangskommunismus wird auch der anarchistische Kommunismus unfehlbar in dem Augenblick, da er das Geld allgemein abschafft. Denn ohne Geld können wir, wenn auch in mehr oder weniger freiheitlichen Formen. nicht anders als kommunistisch leben, wir mögen wollen oder nicht. Die entscheidende Frage bleibt also die, ob man den Kommunismus anstrebt aus kommunistischer Gesinnung oder nur, weil man keinen andern Ausweg aus dem Kapitalismus sieht. Dafür genügt es vielleicht schon, daß Gesell in seiner Freiwirtschaft eben doch einen neuen dritten Weg gezeigt hat, der mit Beibehaltung ja mit letztmöglicher Steigerung der individualistischen Wirtschaftsweise den Kapitalismus restlos erledigt. An eine Abschaffung des Geldes könnte nach Gesells Überzeugung erst dann gedacht werden, wenn wir derart in dauerndem Überfluß lebten, dass die Erzeugung menschlicher Arbeit und . des Erdbodens nicht mehr verkauft (und irgendwie eingetauscht) zu werden brauchten, sondern frei verschenkt →


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verbundenen Bevormundungen völlig entwachsen. Jm Gegensatz zur kommunistischen Idee erscheint Gesell der Grundgedanke unserer heutigen, auf dem Egoismus aufbauenden Wirtschaftsordnung völlig richtig und urgesund: der Gedanke vom freien Spiel der Kräfte, wie er ganz rein zum ersten Mal in der Manchesterlehre ausgesprochen wurde. Zu ihr bekennt sich auch Gesell rückhaltlos, soweit es die von ihr verfolgten letzten Ziele anlangt. Es konnte nicht ausbleiben, daß auch gegen ihn wie gegen Stirner deswegen von sozialistischer Seite der Vorwurf, ja die Verdächtigung laut wurde, er besorge die Geschäfte der Bourgeoisie. Wie Stirner erscheint aber auch Gesell gerade all das, was auf Grund der Manchesterlehre in Erscheinung trat, jener bürgerliche Pseudoliberalismus unserer Epoche, als das Zerrbild einer freien Wirtschaft. Daß die Manchesterleute ihre Ziele nicht erreichten lag seiner Überzeugung nach daran, daß sie die Grundlagen der Wirtschaft, das bestehende Geldwesen und Bodenrecht — in denen schon Stirner den Sitz der Ausbeutung erkannte, — ungeprüft übernahmen. So konnte es zu keiner wirlich freien Konkurrenz kommen, sondern nur — wie Stirner es ausdrückt — zu einer Konkurrenz der Sachen, statt der Personen. Denn die Konkurrenz bllieb tatsächlich — obwohl prinzipiell allen freigegeben — ein Privileg der durch Geld- oder Grundbesitz Bevorrechteten. Durch


2c) oder noch besser von jedem ohne Einspruch nach Wunsch und Bedarf genommen werden könnten. Denn andernfalls ist die Gefahr nicht zu bestreiten, daß die Produktion weit hinter der Konsumtion zurückbleiben und binnen kurzem — da man auf Anwendung von Gewalt und Zwang von vornherein verzichtet — ein Zusammenbruch eintreten würde, der den Krisen der kapitalistischen Wirtschaftsweise an katastrophaler Wirkung gewiß nichts nachgäbe. Durch blutige Erfahrungen erst würden die Massen dahin gebracht werden, freiwillig und aus eigner weitschauender Klugheit heraus die Produktion ständig auf der Höhe der Konsumtion zu halten, ja diese sogar noch zu überbieten. Man mag nun über die Möglichkeit eines solchen Zustandes allgemeinen Überflusses, in dem das sogenannte »freie Genußrecht« durchführbar wäre, denken, wie man will, unter allen Umständen müßten die anarchistischen Kommunisten erkennen, daß gerade Gesells Freiwirtschaft, die unmittelbar an die gegebenen Wirklichkeiten der Zeit anknüpft, den einzigen gangbaren Weg zu diesem ihrem Ziele darstellt, wenn dieses überhaupt je zu erreichen ist. Denn sie wird tatsächlich, da sie die Arbeitskraft frei macht und zugleich den starken egoistischen Antrieb zu Abeit bestehen läßt, ja womöglich noch steigert, in kurzer Frist zu einer unerhörten Vermehrung der Produktion führen und uns bald mit einer Fülle neuer Sachgüter und Waren umgeben, die all unsere Bedürfnisse befriedigen.


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Wegräumen dieser Hemmungen, die sich dem freien Spiel der Kräfte entgegenstellen, die Baufehler unserer heutigen Wirtschaftsordnung zu beseitigen, stellt sich Gesell zur Aufgabe und langt damit an dem gleichen Punkt an wie Stirner. Nur daß er kraft seiner praktischen Erfahrungen glücklicher war im Auffinden des Weges, der wirklich bis zum Ziele führt.

Wenn es das Wesen des Kapitalismus zu erkennen gilt, um ihn überwinden zu können, so gebührt neben Proudhon allein Gesell der Ruhm, ein ernstlicher und gefährlicher Gegner der kapitalistischen Ordnung geworden zu sein. Denn er hat sie — unabhängig von Proudhon, aber in Übereinstimmung mit ihm — mit unbeirrbarer Sicherheit durchschaut. Während Karl Marx auf Grund seiner mangelhaften Einscht in Wesen und Ursachen des Kapitalismus diesem in Wahrheit niemals gefährlich werden kann. — Gesell sieht wie Proudhon in dem Geld, und zwar in unserm heutigen Metallgeld, wie es — eine freie Schöpfung des Menschen — aus grauer Vorzeit auf uns kam, das Kapital par excellence. Geschaffen, um dem Tausch der Waren zu dienen und bald auch eine Steigerung der Arbeitsteilung bis ins Ungemessene ermöglichend, ist es infolge seiner Unverwüstlichkeit aus einem reinen Tauschmittel immer mehr zum Schatzmittel geworden und entfaltete schon früh mit Hilfe seiner Überlegenheit über die verderblichen Waren alle Eigenschaften des Kapitals, d. h. es wurde zum zinstragenden Gut, es erpreßte sich für seine Tauschvermittlung den Zins, den Gesell in dieser ursprünglichsten Gestalt den Urzins nennt. Diesen nun überträgt das Geld auch auf alle Sachgüter und macht sie dadurch ebenfalls zu zinstragenden Gütern, zu Realkapitalien. Dies vermag es, weil zum Entstehen solcher Sachgüter stets Geld von nöten ist und das Geld ohne eigenen Schaden diesen Dienst jederzeit verweigern und so das Zustandekommen der Sachgüter überhaupt verhindern kann, wenn ihm nicht auch in dieser umgewandelten Form der Zins zuerkannt wird. Proudhon, diese Sperrnatur des Geldes bereits wahrnehmend, prägte dafür den klassischen Ausdruck: »Das Geld ist kein Schlüssel des Marktes sondern ein Riegel.« Und er erkannte damit zugleich, daß der Mehrwert (Zins) nicht, wie Marx annimmt, Produkt eines Sachgutes ist — denn die Sachgüter (Produktionsmittel usw.) sind niemals wie das Geld aus eigner Kraft und ursprünglich Kapital, d. h.
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zinstragende Güter, da sie verderblich sind gleich der Ware, sondern daß der Mehrwert nur aulgefaßt werden kann als Produkt eines wirtschaftlichen Zustandes, eines Marktverhältnisses Dieses Marktverhältnis wiederum, das darin besteht, daß das Angebot sowohl an Geld wie an Sachgütern immer hinter der Nachfrage darnach zurückbleibt, wird künstlich, dem Rentabilitätsgesetz entsprechend, von dem bisherigen Geld geschaffen. Ein ständiges Heer von Arbeitslosen, das anschwillt und abnimmt aber niemals gänzlich verschwindet, wird mit Hilfe periodisch wiederkehrender, ebenfalls künstlich hervorgerufener allgemeiner Wirtschaftskrisen zum feiern gezwungen. Denn nichts hat das Kapital mehr zu fürchten als die freie, ungehemmte Entfaltung der Arbeitskraft. Sie würde sehr bald dahin führen, daß die Nachfrage durch das Angebot völlig befriedigt, ja überboten würde, weil alsbald all die Sachgüter ins Leben treten würden, deren Entstehen heute — ein ungeheuerlicher Mord am keimenden Leben — das Geld- und Sachkapital unterbindet. Und diese neuen Sachgüter würden die bereits bestehenden allmählich immer mehr entwerten, bis sie ihres Kapitalcharakters völlig entkleidet wären. »Der Zins würde«, wie Gesell es ausdrückt, »in einem Meer von Kapital ersäuft_werden«. In diesem Sinnne ist die Arbeit und nicht der Streik die wirksame Waffe der Arbeiter zur Befreiung ihrer Arbeit, zur Beseitigung alles arbeitslosen Einkommens. — Die Überlegenheit des bisherigen Geldes über die Arbeit beruht auf den selben Eigenschaften, die ihm seine Überlegenheit über die Ware verschaffen: auf seiner Unverwüstlichkeit und der mit dieser unmittelbar zusammenhängenden Fähigkeit des Zuwartens. Während die Ware, die verdirbt, und die Arbeit, die nicht warten kann, da sie ihrem Wesen nach an den Zeitverlauf gebunden ist, stets einem, stärkeren oder schwächeren Angebotszwang unterliegen, ist das Geld völlig frei davon. Seine Überlegenheit über die Arbeit wird darum in dem gleichen Augenblick gebrochen, in dem seine Überlegenheit über die Ware gebrochen wird, d. h. sobald Ware und Geld einander gleichgesetzt werden. Dies erkannte schon Proudhon und er bemühte sich um die Lösung des Problems, indem er in seinem Tauschbanksystem die Ware auf die Rangstufe des Geldes zu erheben suchte. Ein schwieriges, ja wohl aussichtsloses Unterfangen, da die Ware sich unsern willkürlichen Eingriffen immer mehr oder weniger entziehen wird. Gesell, der sich
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vor die selbe Aufgabe gestellt fand, ergriff die andere Seite der Gleichung und löste das Problem, indem er das Geld, das als eine willkürliche menschliche Einrichtung unserer Beeinflussung ganz anders zugänglich ist als die Ware, auf die Rangstufe der Ware niederdrückte. Dies ist der erste Teil seiner positiven Leistung: die Geldreform. Mit ihr vollbrachte er das, was Stirner vorschlug. Er »kreierte« im »Freigeld«, jenem Schwundgeld, dem sich gleich der Ware ein dauernder Wertverlust anheftet, das Geld, das »unter Egoisten« in Gebrauch kommen kann. Diesem Gelde ist »das alte Erbgepräge genommen«, es gibt dem, der es in Händen hat, nicht mehr die Kraft, die Arbeit auszubeuten, es ist wirklich, wie Stirner fordert, eine »Ware«, ein »Mittel« geworden: und zwar das bisher noch nie verwirklichte reine »Tauschmittel«. Denn dieses Geld kann niemand verschatzen, »versiegeln« und willkürlich dem Verkehr entziehen und so den Markt sperren, es schwindet ihm beim bloßen Versuch unter den Händen zusammen. Deshalb muß es umlaufen, es unterliegt dem selben Angebotszwang wie Ware und Arbeit und schützt dadurch, wie Stirner sagt, »vor der Verknöcherung des Vermögens, hält es im Fluß und bewirkt seinen Umsatz.« Gesell erkannte mit Stirner daß die völlige Abschaffung des Geldes unmöglich ist, daß jedes Tauschmittel das scheinbar an seine Stelle träte, doch immer wieder ein »Geld« sein wird; daß es aber auch gar nicht das Geld ist, das dem Einzelnen »Schaden tut«, sondern allein dessen »Unvermögen, es zu nehmen«. Das Freigeld kann jeder nehmen, ja es bietet sich ihm an, denn es muß sich, um vor Verlust geschützt zu sein, der Volkswirtschait immer wieder zur Verfügung stellen. So macht es die Arbeit frei, verhilft ihr zu ihrer schrankenlosen Entfaltung und sichert ihr zugleich nach dem ehernen Gesetz von Angebot und Nachfrage ihren vollen Ertrag. In dem Freigeld ist den Egoisten »ihr Geld, das Geld ihres Gepräges« gegeben. Und es wird auch an diesem Gelde niemals »fehlen«. Denn in ihm hat sich der Mensch von allen Zufälligkeiten der Natur, wie die Funde des Edelmetalls sie darstellten, frei gemacht; aus Zellstoff hergestellt ist dieses reine Papiergeld ganz und gar eine freie Schöpfung des Menschen, die jederzeit in beliebigem Umfang hergestellt werden und — was das Entscheidende — zum ersten Mal plan- und zweckmäßig verwaltet werden kann. Denn da das Freigeld infolge seines dauernden
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Wertverlustes stets in seiner ganzen Masse umläuft, so ist es möglich, durch Ausgabe oder Einziehung von Geld, das (in der vorhandenen Warenmenge sich ausdrückende) Angebot jederzeit der (in der umlaufenden Geldmenge sich ausdrückenden) Nachfrage anzupassen und so den Durchschnittspreis der Waren auf gleicher Höhe zu halten, also währen zu lassen. (Aktive Währungspolitik.) Auch hierfür hat Gesell in der von ihm vorgeschlagenen Währungsreform, mit der er unmittelbar in die Fragen unserer Tage eingreift und den einzig gangbaren Weg zur Rettung aus allen Nöten aufzeigt, die entscheidenden Richtlinien festgelegt. — Als direkte Aktion, die zur unmittelbaren Abschaffung des bisherigen Geldes und zür Einführung des Freigeldes führen kann, gilt sowohl Stirner wie Gesell der Geldstreik. Stirner verkündet ihn mit den Worten: »Laßt Ihr Euch nicht mehr damit bezahlen, so ist es ruiniert, tut Ihr nichts für dieses Geld, so kommt es um alle Macht«, und unter den Schriften der an Gesell anknüpfenden Bewegung befindet sich eine, die unter dem Titel »Der Geldstreik« diese Aktion eingehend darlegt 3).

Auch für die Abschaffung der zweiten Form der Ausbeutung durch die private Grundrente, zu der ebenfalls Stirner auffordert, hat Gesell in seiner Bodenreform, die als notwendige Ergänzung neben seine Geldreform tritt, den gangbaren Weg gefunden. Ja seine Geldreform gibt ihm die Mittel in die Hand, durch die sich diese Bodenreform allein wirksam durchführen läßt. Diese neue Grundbesitzordnung nennt Gesell - entsprechend jener Bezeichnung: Freigeld — »Freiland«. Er versteht darunter die Überführung des gesamten Grund und Bodens aus den Händen Privater in die Hände der Allgemeinheit, wobei er durch eine volle Entschädigung der heutigen Grundeigentümer — dies aber wird ihm durch die Geldreform ermöglicht — diese Enteignung, mit größter Schonung der Betroffenen durchzuführen gedenkt. Auch dieser Maßnahme liegt jedoch kein altruistisches, sondern ein bewußt egoistisches Motiv zu grunde: so hofft Gesell auch noch den Egoismus dieser Kreise, denen vom Kommunismus Schlimmeres, nämlich entschädigungslose Enteignung droht, in den Dienst seiner Reform zu stellen und ihr hartnäckiges Widerstreben zu brechen. Damit, daß Gesell in diesem Zusammenhang von einer


3) In manchen Einzelheiten freilich in der vorgebrachten Form durch die Zeitentwickelung überholt.


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Boden Verstaatlichung spricht, tritt er wiederum - allerdings ebenfalls nur scheinbar in einen Gegensatz zu Stirner. Der Sache nach führt er in dieser Aktion nur all das praktisch durch, was Stirner den Grund und Boden betreffend vorschlug. Und wenn Gesell erklärt: Dem Boden und seinen Schätzen gegenüber gibt es keine Völkerrechte, keine Massenrechte, keine Staatshoheitsrechte. Allen Menschen, jedem einzelnen Menschen gehört die Erde, weg darum mit der Staatshoheit!« so hebt er selbst, was vom Stirnerschen Standpunkt aus an jenem Begriff der »Verstaatlichung« abzulehnen ist, wieder auf und zeigt, wie sie ihm gemeint. Sie bedeutet tatsächlich nichts anderes, als daß die, die heute vom Boden ausgeschlossen sind und ihn doch brauchen, sich zu einem »Verein«, zu einer »Sozietät« zusammenschließen, um »die Grundeigentümer von Grund und Boden zu vertreiben und ihn zu ihrem Eigentum, dem Eigentum der Erobernden zu machen«, und daß sie dann in der egoistischen Einsicht, »daß sich der Boden in jedes Einzelnen Interesse besser nutzen läßt, wenn er in ihrer aller Hände ist, als wenn die Wenigen darüber verfügen«, auch kein Privateigentum am Grund und Boden in den bisherigen nun überwundenen Sinn, das nur zur Ausbeutung der Arbeit führte, wieder aufkommen lassen, sondern den Boden parzellieren und in öffentlicher Versteigerung den Meistbietenden verpachten. Auch die früheren Privatgrundeigentümer werden dazu selbstverständlich wieder zugelassen, und so kann man sich diese »erobernde Sozietät schließlich so groß denken, daß sie nach und nach die ganze Menschheit umfaßt.« Indem hier die Erde sowohl nach Stirners wie nach Gesells Vorschlag zu einem Gemeingut gemacht wird, wirkt sich in der Tat ein kommunistischer Gedanke aus. Aber dies geschieht aus bloßen Zweckmäßigkeitsgründen zur Befriedigung des persönlichen Interesses jedes der Sozietät angehörenden Einzelnen. Der Erde gegenüber, die nur einmal in beschränkter Größe vorhanden ist, empfiehlt sich eine solche Maßnahme, wie nach Stirner überhaupt dasjenige woran alle Anteil haben wollen, demjenigen Einzelnen, der es für sich allein haben will, entzogen und zu einem Gemeingut gemacht werden wird.« »Als an einem Gemeingut aber hat jeder daran seinen Anteil, und dieser Anteil ist sein Eigentum.« — Wird so die private Grundrente abgeschafft, so kann und wird doch die Grundrente selbst, jenes Produkt der
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Volksdichtigkeit, jener Ausdruck für die Nachfrage nach dem - von Natur aus - nur in begrenztem Angebot zur Verfügung stehenden Boden, nicht verschwinden. Sie soll nach Gesell - in Form der Pacht eingehend - in eine gemeinsame Kasse fließen, aus dieser Kasse aber, sobald die Schuld an die früheren Grundeigentümer getilgt ist, wieder an Alle und zwar in Form von Muttergeldern nach der Kopfzahl der Kinder zurückgezahlt werden. Die Mütter schaffen die Volksdichtigkeit und mit ihr die Grundrente. Ihre Mühe in der Aufzucht der Kinder findet so zum ersten Mal eine unmittelbare Vergütung, und die Frau wird dadurch zugleich - auch als Mutter - vom Manne wirtschaftlich unabhängig. Jedem Einzelnen aber ist von Kindesbeinen an sein Anteil an der Erde gesichert, wofür Gesell das schöne Bild geprägt hat: »Bei der Freilandordnung hält jedes Kind, ob ehelich oder unehelich geboren, wie das Christuskind zu Prag die Erdkugel in der Hand.« Der Staat wird somit nicht Herr des Grund und Bodens, wie es nach dem Ausdruck »Bodenverstaatlichung« zu vermuten wäre: denn sonst müßte ihm die Grundrente zufließen und er nach freiem Ermessen für seine Zwecke darüber verfügen können. Jene gemeinsame Kasse, in der sich die Grundrente vorübergebend sammelt, um wieder daraus an die Einzelnen abzufließen, stellt nichts weiter als eine reine Verwaltungseinrichtung dar. Hat der Einzelne seine erste Jugend hinter sich, während der er seinen Anteil an der eingehenden Grundrente empfing, so steht ihm nun, wann und wo er will, die Erde in einer neuen Form, in hier zum ersten Mal verwirklichter voller Freizügigkeit zur Verfügung. Damit ist der Anspruch des Einzelnen auf die ganze Erde, den auch Stirner geltend, macht soweit er einen Sinn, haben kann, erfüllt, ist die »ganze Erdkugel«, um Gesells eigene Worte anzuführen, »so wie sie in prächtigem Fluge um die Sonne kreist, ein Teil, ein Organ jedes einzelnen Menschen geworden«. Der Satz: »Jedem gehört die ganze Erde«, erfährt nur in dem Sinne eine Einschränkung, wie sie auch Stirner gegen seine Behauptung: »Mir gehört die ganze Welt!« selbst vorbringt: »Sage ich: Mir gehört die Welt, so ist das eigentlich auch leeres Gerede, das nur insofern einen Sinn hat, als ich kein fremdes Eigentum Respektiere. Mir gehört nur soviel, als ich vermag oder im Vermögen habe.«, Gleicherweise gehört jedem Einzelnen die ganze Erde insoweit, als er jederzeit und überall an die Erde heran
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kann, und das Stück Erde, das er dann in Bearbeitung nimmt, solange er es inne hat — und die Form der Erbpacht gewährt ihm da weitesten Spielraum, — als sein »Anteil am Gemeingut sein gentum ist«.

Freiland und Freigeld bilden zusammen die Grundelemente der Freiwirtschaft, der Wirtschaftsordnung der Zukunft, des dritten Reiches im Leben der Menschheit — des Zeitalters der Einzigkeit. In ihr ist die Arbeit von der Ausbeutung durch Zins und Grundrente frei geworden und auf dieser Grundlage jedem die freie Verwertung seiner gewährleistet.

Noch ein letztes schweres Bedenken könnte vom Stirnerschen Standpunkt aus gegen die Gesellsche Wirtschaftslehre laut werden, und es ist gegen sie laut geworden. Was bereits in dem Begriff der Bodenverstaatlichung anklang: Gesell und seine Anhänger versuchen Freiland und Freigeld schon innerhalb des Staates zur Durchführung zu bringen. Stirner aber und mit ihm jeder seiner Einzigkeit bewußte Einzige ist Anarchist. Eine kurze Überlegung dürfte genügen um zu zeigen, daß es auch die Anhänger der Freiland-Freigeld-Bewegung sind, sobald sie sich nur über die letzten Konsequenzen ihrer Ideen und die aus ihnen entspringenden Maßnahmen ins Klare gekommen sind. Da durch Freiland und Freigeld — wie nicht zu leugnen ist — die Arbeit frei wird s bedeutet die Durchführung dieser Reformen, wenn auch noch innerhalb des Staates erfolgend, doch dessen Untergang. Denn, wie Stirner sagt: »wird die Arbeit frei, so ist der Staat verloren«. Sucht Gesell also seine Ziele schon innerhalb des Staates zu erreichen, so heißt das doch nur, daß er - das Mögliche ergreifend - auf diese Weise den Staat für seine Zwecke im Stirnerschen Sinne gebrauchen - verbrauchen will und ihm gegenüber übt, was Stirner allgemeiner der Welt gegenüber empfiehlt: »Wir wollen sie Uns zu eigen machen, darum suchen Wir sie zu »gewinnen«, für Uns »einzunehmen« und die Gewalt, die sie gegen Uns wendet dadurch zu vollenden und überflüssig zu machen, daß wir ihr entegenkommen und Uns ihr, sobald sie Uns gehört, gleich uns ergeben! Ist die Welt Unser, so versucht sie keine Gewalt mehr gegen Uns, sondern mit Uns«.

Mit Verwirklichung von Freiland und Freigeld aber wird sich der Abbau des Staates, den Gesell in einer kleinen Schrift unter
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diesem Titel programmatisch verkündet, als keine leere Redensart erweisen, sondern mit vollem Erfolg in Angriff nehmen lassen. Denn wenn Stirner zeigte, wie der Staat, abgesehen davon, daß er als fixe Idee in den Köpfen spukt, so wie er ist, nur noch eine Schutzeinrichtung der Besitzenden, also die Macht gegen die Arbeit darstellt, hat Gesell auch dies ergänzt und gezeigt, wie vor allem die private Grundrente ein Interesse an der Aufrechterhaltung und dem möglichsten Ausbau des Staates hat. Sodaß, fällt die private Grundrente, damit die Hauptstütze des Staates gefallen ist und alle Politik — innere und äußere — zu nichts zusammenschwinden wird.
Nach Abbau des Staates wiederum wird die neue Wirtschaftsordnung nur noch auf einem freiwilligen egoistischen Verein, auf einem Zweckverband ruhen. Auch dieser freiwirtschaftliche Verband wird ohne Schmälerung der Freiheit seiner Teilnehmer - wie jede Vereinigung - nicht auskommen können; er wird sie aber auf ein Mindestmaß beschränken. Doch die absolule Freiheit ist ein unerreichbares ein religiöses Ideal, und wer davon nicht loskommen kann, ist nach Stirners Urteil, ein Freiheitssüchtiger, ein Besessener. Der Eigenheit dagegen wird die Freiwirtschaft, weit davon entfernt, sie zu beeinträchtigen, den fruchtbarsten Nährboden bieten. - Kein Zwang nötigt den Einzelnen, diesem Verband anzugehören. Glaubt er durch ihn seinen Interessen nicht mehr gedient, so steht ihm jederzeit frei auszutreten, wie er ebenso in den Verband wieder eintreten kann, sobald seine Interessen von neuem mit ihm zusammengehen. Tritt er indessen aus, ohne doch auf den wirtschaftlichen Verkehr mit andren Verzicht leisten zu wollen, so wird er schon neue und bessere Formen des wirtschaftlichen Zusammenlebens finden müssen, um weitere Einzelne zum Austritt aus dem Verband oder wenigstens zur Annahme neuer wirtschaftlicher Verkehrsformen ihm gegenüber zu bewegen. Aller Voraussicht nach hat die natürliche Wirtschaftsordnung solche Konkurrenz nicht zu fürchten, ja, es ist im Gegenteil zu wünschen, daß viele solche neue Versuche gemacht werden, — man denke z. B. an die Tauschbank Proudhons, die noch immer vielen als Lösung vorschwebt, — damit jene dabei ihre ganze Überlegenheit erweisen kann. Denn die Gesellsche Freiwirtschaft wird nur dann Bestand haben, wenn sie, wie hier auf Grund der Stirnerschen Philosophie behauptet wurde, den Interessen jedes Einzelnen
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entspricht. Bis zu einer gewissen Grenze läßt sich das schon heute vor ihrer praktischen Erprobung rein theoretisch beurteilen. Die Einzelnen, denen nicht an einem möglichst glatten ja unpersönlich automatischen Funktionieren der Verkehrseinrichtungen gelegen ist — und das Geld stellt eine der wichtigsten, vielleicht die wichtigste Verkehrseinrichtung dar — werden immer verschwindende Ausnahmen bleiben.

Jedoch die Anarchie ist nicht als eine »neue Ordnung der Dinge« zu verstehen, wenigstens nicht im bisherigen statischen Sinne: als ein zuständliches ein für allemal Geordnetsein. Dies gilt vielmehr allein für den Staat, in dem das statische Prinzip sich manifestiert. Die Anarchie ist der Gegensatz zum Staate, und mit ihm verglichen wird sie in der Tat Unordnung bedeuten. Sodaß Stirner geradezu erklären kann: »Siegte die Unordnung, so wäre der Staat erloschen.« Die individualistischen Anarchisten haben es sich zur Aufgabe gemacht, mit Nachdruck darauf hinzuweisen, daß Ordnung ohne Herrschaft sehr wohl denkbar, ja daß sie — in einem höheren Sinn — ohne Herrschaft überhaupt erst möglich sei, und daß die gepriesene Ordnung des Staates sich vielmehr als organisierte Unordnung herausstelle. Sie gebrauchen den Begriff Ordnung dabei in einer neuen Bedeutung, nicht als ein Sein, sondern als ein Werden, also nicht mehr statisch, sondern nur noch dynamisch. Dagegen wäre nichts zu sagen; es fragt sich nur, ob die Bezeichnung Ordnung für das, was sie hier andeuten soll, noch ausreichend ist. Und da zeigt es sich freilich alsbald, daß die individualistischen Anarchisten trotz ihrer ursprünglich weiten Fassung des Begriffes sich durch ihn doch wieder in Einseitigkeit und Enge treiben lassen, daß ihnen, wie Stirner sagt, über dem »Ordnungssinn« — und Ordnung gilt ihnen als Hauptziel — der »Eigensinn« verloren geht, denn sie weisen es mit Entrüstung zurück, daß Anarchismus irgend etwas mit Unordnung und Chaos zu tun habe. Dynamisch ist aber die Anarchie nur zu fassen, wenn sie als ein ständiges Neu- und Umordnen begriffen wird. Und dies schließt notwendig ein immer erneutes Zurücksinken in den ungeordneten, chaotischen Zustand und ein Wiederhervorgehen zu neuer Ordnung in sich, gleich wie der selbstschöpferische Einzelne, indem er die Gestaltungen seiner, seine eigenen Geschöpfe, wieder in sich, den Schöpfer, zurücknimmt, immer von neuem in seinen chaotischen
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Ursprung, in das schöpferische Nichts zurückkehrt, in welchem die Fülle der Schöpfung noch gestaltlos beschlossen liegt. Anarchie, umfaßt also beides: Ordnung und Unordnung, Gestalt und Chaos im stetigen Wechsel eines ununterbrochenen Flusses. Heraklit, der Philosoph des ewigen Werdens, das stets ein Vergehen in sich faßt, beginnt mit ihr über die starren Seinsphilosophen zu siegen, die die bisherige Welt- und Lebensgestaltung beherrschten. Sein liegt auch Stirners Einzigem zu Grunde, von dem Arnold Ruge sagt: »Er wehrt sich gegen alles Bestimmte, er will die Auflösung permanent die Tätigkeit nicht stagniert, das Setzen, nicht das Gesetz, das Erscheinen nicht die Existienz, das Konstituieren, nicht die Einrichtung, die Konstitution«, Diesem großen dynamischen Prinzip nun, das alle Gebiete des Lebens und all unsre Anschauungen mehr und mehr zu ergreifen und umzuwandeln beginnt, das kein neues Erstarren eintreten läßt und damit die Revolutionen, die die erstarrten Formen immer wieder zerbrechen mußten, überflüssig macht, da es einer stetigen freien Evolution die Bahn bereitet, ordnet sich auch die Wirtschaft in der ihr von Gesell gefundenen fließenden Form ein: Geldwesen und Grundbesitz werden sich bei Freigeld und Freiland rein dymanisch regeln. Diese natürliche Wirtschaftsordnung kann und wird nie erstarren. Und sollte sich wider Erwarten über sie hinaus eine noch bessere, noch freiere Wirtschaftsform finden, nun so wird sie durch die Abwanderung immer mehr Einzelner von selbst absterben und in diese neuen Formen reibungslos übergehen. Der Ruhm indes, die Wirtschaftsordnung gewesen zu sein, in der zum ersten Mal der egoistische Verkehr der Einzelnen untereinander eine freie Form gewann, wird ihr auch dann noch eignen.



Vom gleichen Verfasser erschienen:
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FRÜHFEUER, Gedichte 8° 62 Seiten. Einmalige numerierte Auflage von 350 Exempl. Preis brosch. Mk. 7.—

NEUE BEITRÄGE ZUR STIRNERFORSCHUNG Heft 1: Max Stirner: Über Schulgesetze (1834); Heft 2: Das Bildnis Max Stirners; Heft 3: Das Bild der Freien. Preis des Heftes broschiert Mk. 7.50.
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Den vorstehenden Ausführungen liegen zugrunde:

DIE HAUPTWERKE:
Max Stirner: Der Einzige und sein Eigentum, 1. Auflage: Leipzig (Otto Wigand) 1845; 2. Auflage: ebenda 1882; 3. Auflage: ebenda 1901. — Reclams Universal-Bibliothek Nr. 3057—3060 (Leipzig 1893) - Privat-Ausgab veranstaltet von John Henry Mackay 1911. (In 8 Sprachen übersetzt und zwar: 7mal ins Russische je 2mal ins Englische, Französische, Italienische, Spanische; je imal ins Dänische, Schwedische, Holländische).

Silvio Gesell: Die natürliche Wirtschaftsordnung durch Freiland und Freigeld 1. Auflage: in zwei getrennten Schriften: „Die Verwirklichung des Rechtes auf den vollen Arbeitsertrag" und „Die neue Lehre vom Geld und Zins", Les Hauts Geneveys (Schweiz) 1906; 2. Auflage: beide Schriften unter obigem Titel in eine zusammengearbeitet, Les Hauts Geneveys (Schweiz) 1916; 3. Auflagen. Arnstadt i. Thür. 1919; 4. Auflage; Rehbrücke b.Berlin 1920. (Übersetzg. i. 4 Sprach. vorbereitet: ins Englische, Französische, Dänsche u. Jugoslavische.)

VERTEIDIGUNG BEIDER WERKE GEGEN DIE KRITIK:
M(ax) St(tirner) : Rezensenten Stirners. „Wigands Vierteljahrsschrift" 1845. 3. Bd. S. 147-197. Leipzig 1845; — wiederabgedr. in „Max Stirners kleinere Schriften" (herausg. von J. H. Mackay). 1. Aufl., Berlin 1898, S. 111-166; 2. Aufl., Treptow bei Berlin 1914, S. 343-396.

G. Edward (Max Stirner ?): Die philosophischen Reaktionäre. „Die Epigonen", 4. Bd., S. 141-151, Leipzig 1847; — wiederabgedr. in „M. St's kl. Schr." 1. Aufl., S. 171 185; 2. Aufl., S. 401-405.

(Silvio Gesell): Die Stellung der Wissenschaft zu Freiland und Freigeld. Bern und Erfurt 1921.

WEITERE WERKE MAX STIRNERS:
Max Stirner: Über Schulgesetze (1834) zum 1. Mal veröffentlicht als Heft 1 der „Neuen Beiträge zu Stirners Forschung" (Herausg. Dr. Rolf Engert), Dresden 76 n. St'n. E. (1920).

Stirner: über Bruno Bauers Posaune des jüngsten Gerichts. Aufsatz in Karl Gutzkows „Telegraph für Deutschland" Januar 1842, Nr. 6-8; — wiederabgedr. in „M. St'n. kl. Sehr." 2. Aufl. S. 11-25. (Max Stirner): Gegenwort eines Mitgliedes der Berliner Gemeinde wider die Schrift der 57 Berliner Geistlichen: Die christliche Sonntagsfeier. Broschüre, Leipzig 1842; — wiederabgedr. in „M. St'n. kl. Schr." 2. Aufl., S. 26-47.

Stirner Das unwahre Prinzip unserer Erziehung oder der Humanismus und Realismus. Abhandlung in der „Rheinischen Zeitung", Köln 1842. Beiblatt zu Nr. 100, 102, 104, 109; — wiederabgedr. in „M. St'n. kl. Schr.", 1. Aufl., S. 9-30; 2. Aufl., S. 237 — 257; Privatausgabe veranstaltet von J. H. Mackay 1911.

Stirner Kunst und Religion. Abhandlung in der „Rheinischen Zeitung", Köln 1842. Beiblatt zu Nr. 165, — wiedergedr. in „M. St'n. kl. Schr." Aufl. S. 35-46; 2. Aufl. S. 258-268; Faksimiledruck nach dem Manuskript als Anhang zur 3. Aufl. (Privatausgabe) von J. H. Mackay: „Max Stirner. Sein Leben und sein Werk". Berlin-Charlottenburg 1914, zw. 8.224 u. 225.

Stirner: Einiges Vorläufiges vom Liebesstaat. Aufsatz in Ludwig Bühls „Berliner Monatsschrift". 1. Heft, Mannheim 1844, S. 34-49; — wiederabgedr. in „M. St'n. kl. Schr.", 1 .Aufl., S. 71-80; 2. Aufl., S. 269-277.

Max Schmidt (Max Stirner) Die Mysterien von Paris von Eugen Sue. — Aufsatz in Ludwig Buhls „Berliner Monatsschrift", 1. Heft, Mannheim 1844, S. 302-332; — wiederabgedr. 1. „M.St'n. kl.Schr.". 1. Aufl. S. 85-102; 2. Aufl. S. 278-295.

Korrespondenzen für die „Rheinische Zeitung", Köln 1842, und für die „Leipziger Allgemeine Zeitung", Leipzig 1842; wiederabgedr. in „M. St'n. kl. Schr. 2. Aufl. S. 51-96 S. 97-232.

Acht Aufsätze für Bodenstedts „Journal des österreichischen Lloyd" Triest 1848, Nr. 143, 167, 177, 187, 211, 219, 220, 222. („Die Deutschen im Osten Deutschlands", „Der Kindersegen", „Die Marine", „Das widerufliche Mandat"
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„Reich u. Staat", „Mangelhaftigkeit des Industriesystems", „Deutsche Kriegsflotte", „Bazar"); — wiederabgedr. in „M. St'n. kl. Schr.". 2. Aufl. S. 299-336.

Die National-Ökonomen der Franzosen und Engländer. Herausgeg. von Max Stirner, Leipzig 1845-1847, Bd. 1-4: „Ausführliches Lehrbuch der politischen Ökonomie" von J. B. Say, deutsch von Max Stirner, Leipzig 1845-46; Bd. 5-8: „Untersuchungen über das Wesen und die Ursachen des Nationalreichtums von Adam Smith, deutsch von Max Stirner, Leipzig 1846-1847; zugrundegelegt der Übertragung von Dr. Ernst Grünfeld im 11. Bd. der „Sammlung sozialwissenschaftl. Meister". Herausg. H.Waentig, Jena (Gustav Fischer).

Max Stirner: Die Geschichte der Reaktion. 2 Bde. Berlin 1852.

WEITERE WERKE SILVIO GESELLS:

Silvio Gesell: Die Reformation im Münzwesen als Brücke zum sozialen Staat. Buenos Aires 1891.

Silvio Gesell: Nervus rerum. Buenos Aires 1891.

Silvio Gesell: Die Verstaatlichung des Geldes. Buenos Aires 1892.

Silvio Gesell: El sistema monetario Argentino, sus ventajas y su perfeccionamiento. Buenos Aires 1893.

Silvio Gesell; Die Anpassung des Geldes und seiner Verwaltung an die Bedürfnisse des modernen Verkehrs. Buenos Aires 1897.

Silvio Gesell: La cuestion monetaria argentina. Buenos Aires 1898; in deutscher Übersetzung: „Die argentinische Währungsfrage" als Anhang zu der Schritt: „Das Reichswährungsamt" (s. u.).

Silvio Gesell: La razon econömica del desacuerdo chileno-argentino. Buenos Aires 1898.

Silvio Gesell: La pletora monetaria de 1909 y la anemia monetaria de 1898. 1909.

Silvio Gesell: Das Monopol der Schweiz. Nationalbank u. die Grenzen der Geldausgabe im Falle einer Sperrung des Prägerechtes. Berlin 1901.

Silvio Gesell (u. Ernst Frankfurth): Aktive Währungspolitik, eine neue Orientierung auf dem Gebiet der Notenemission. Berlin-Lichterfelde 1909.

Silvio Gesell: Gold und Frieden? Vortrag gehalten zu Bern am 28. April 1916. Berlin-Lichterfelde 1916 u. ö. (Von der 3. Aufl. an in das Hauptwerk: „Die Natürliche Wirtschaftsordnung" aufgenommen).

Silvio Gesell: Freiland die eherne Forderung des Friedens. Vortrag gehalten zu Zürich am 5. Juli 1917. Bern 1917 u. ö. (Von der 3. Aufl. an in das Hauptwerk: „Die natürliche Wirtschaftsordnung" aufgenommen).

Silvio Gesell: Der Abbau des Staates nach Einführung der Volksherrschaft. Denkschrift an die zu Weimar versammelten Nationalräte. Berlin 1919.

Silvio Gesell: Internationale Valuta-Assoziation (Iva). Voraussetzung des Weltfreihandels. Sontra in Hessen 1920.

Silvio Gesell: Das Reichswährungsamt, wirtschaftliche, politische und finanzielle Vorbereitungen für seine Errichtung. Rehbrücke bei Berlin 1920.

Silvio Gesells Verteidigungsrede vorm Standgericht München am 9. Juli 1919 gegen die Anklage auf Hochverrat in „Die Freiwirtschaft vor Gericht". Sontra in Hessen 1920.

Abhandlungen in den Zeitschriften „Die Geldreform", Bern 1902 —1903) „Die Geld- und Bodenreform", Bern 1904; „Der Physiokrat", Berlin-Lichterfelde 1912—1916, 1919—1920; „Die Freistatt", Bern 1917 ff; Die Freiwirtschaft", Sontra 1919 ff; „Korrespondenz für die sozialdemokratische Presse", Berlin 1919; „Der Befreier", Erfurt 1921.

BIOGRAPHISCHES:

„Max Stirner Sein Leben und sein Werk" von John Henry Mackay. 1. Aufl. Berlin 1898 (Schuster und Löffler); 2. Aufl. Treptow bei Berlin 1910 (Bernhard Zack); 3. Aufl. (Privat-Ausgabe) Berlin-Charlottenburg 1914 (Selbstverl.).

Ergänzend:
„Neue Beiträge zur Stirner-Forschung." Herausgeg. von Dr. Rolf Engert. Dresden 76 n. St'n. E. (1920) ff. (Verlag des dritten Reiches) Heft 2 u. 3: „Das Bildnis Max Stirner u. das Bild der Freien" u. ff,










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Erstellt am 20.07.2018 - Letzte Änderung am 20.07.2018.