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Auszüge aus dem Buch „Kinder und Käuze” von A. Hendschel.
(Der Text a. d. J. 1921 ist den 80 Skizzen von Albert Hendschel vorangestellt.)

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„Albert Hendschel”

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Albert Louis Elrich Hendschel war am 8. Juni 1834 in Frankfurt am Main geboren als der Sohn des Herausgebers des damals schon bekannten Reisehandbuchs, des Geographen und Kartographen Hendschel, der seinem Sohn all die Schwierigkeiten aus dem Wege räumen könnte, die sonst sich auf angehenden Künstlerlaufbahnen zu häufen pflegen. Nicht nur war der junge Albert Hendschel materiell völlig sichergestellt - es drängte sich auch kein fremder Wille hemmend seinen Entschließungen auf. So kam er, nachdem er auf dem Frankfurter Gymnasium die ersten Studien gemacht hatte, schon als Dreizehnjähriger auf die Kunstschule beim Staedelschen Institut. Eine ausgesprochene Begabung verwies ihn und sein Vater auf diese Laufbahn. Der Schüler hatte in den Lehrstunden mehr gezeichnet als aufgemerkt - ein mit Randzeichnungen versehenes Exemplar des Ovid soll schon damals die Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben. ... Unter der Leitung Jakob Beckers lernte er nun in der Kunstschule die nötige Zucht, zeichnete dann in den Klassen Passavants und E. Steinles „nach der Antike”, ging zum Aktstudium über und wurde endlich regelrechter Schüler in der Spezialklasse für Malerei, die Becker leitete. Bis 1865 nahm er am Unterricht dieses Lehrers teil. Schon während dieser Studienzeit unternahm er häufige kurze Kunstreisen, nach Dresden zuerst (1854), später auch nach Paris und Italien, wohin er noch mehrmals zurückkehrte. Eine eigentliche Akademie hat Hendschel niemals besucht, gewiß zu seinem künstlerischen Vorteil.

Schon früh hat Hendschel größere Arbeiten unternommen, Ölgemälde, von denen einige noch in Privatbesitz, eines im Besitz des Staedelschen Kunstinstitutes in seiner Vaterstadt ist, farbige Kartons zum 25 jährigen Jubiläum seines Lehrers Becker (1866) und im selben Jahr zum Abschied Professor Zwergers, der Frankfurt verließ. Aber diese Werke scheinen ihn nicht befriedigt zu haben. Ihn zog es zur Illustration, zur Graphik. Er entwarf Illustrationen zu Shakespeare, zu Goethe, Hauff, Scheffel, Phantasien eigener Kompositionen. Aber die Ausführung durch mittelmäßige Holzschneider, die beispielsweise seine Zeichnungen zum Märchen von Aschenbrödel „grauenhaft verhunzten”, verleideten ihm bald diese Arbeiten. Er macht sich an die Abeit mit der Nadel und schuf Radierungen, in denen die kindlichen Versuche auf Kupfermünzen zu bedeutender künstlerischer Leistung gesteigert erscheinen. Bald aber wurde dem wohlhabenden Junggesellen, der sich an keinen Zwang gebunden sah, diese langwierige Arbeit zu umständlich. Unablässig trieb es ihn von einem Vorwurf zum anderen, bei jedem blieb er nur so lange stehen, als ihn die Arbeit lebhaft und unmittelbar fesselte. Die Malerei, die sich mit dieser launischen Arbeitsweise nicht recht vertragen wollte, scheint Hendschel bald fast ganz liegen gelassen zu haben. Der Verlust, der aus dieser Vernachlässigung der deutschen Kunst erwuchs, dürfte nich allzu hoch einzuschätzen sein. Hendschels Gemälde „gediehen nicht allzu üppig”, meint ein zeitgenössischer Kritiker und bezieht das gewiß nicht nur auf den in Zahlen auszudrückenden Umfang des Werkes. Außerhalb Frankfurts a. M. scheinen Hendschels Bilder, wenigstens vor dem großen Erfolg seines Skizzenbuchs, überhaupt niemals öffentlich ausgestellt worden zu sein. Auch die Illustrierung von Büchern gab er endlich ganz auf, nachdem er ein Werk, das schon gedruckt war, aus Ärger über den tölpelhaften Holzschneider, der seine Zeichnungen völlig entstellt hatte, aus dem Buchhandel hatte zurückziehen müssen. Immer mehr beschränkte er sich darauf, seine Beobachtungen und Einfälle in flüchtigen Skizzen festzuhalten. Seine Mappen schwollen an und füllten sich.

Es war im Jahre des Frankfurter Friedens, der in der alten Reichsstadt das aus den Siegen in Frankreich entstandene neue Deutschland vor aller Welt verherrlicht hatte, als Hendschels Freunde, die seine Schätze kannten, immer mehr in ihn drangen, endlich einen Teil davon der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Nach den schlechten Erfahrungen, die der Künstler mit den Xolographen gemacht hatte, war ihm freilich das lange Zögern nicht zu verargen. Endlich kam die Photographie, die damals über die ersten Anfänge hinaus war, aber noch keineswegs als ein anerkanntes Mittel künstlerischer Vervielfältigung gelten konnte dem Zweifelnden zu Hilfe. Er fand in Huth einen Photographen, der der ungewohnten Aufgabe gewachsen war, die ihm der Künstler stellte. Vierzig Blätter aus den Mappen wurden ausgewählt und photographiert; die von den Platten unmittelbar gewonnenen Abzüge wurden in einer Mappe vereinigt, deren verlegerischen Vertrieb die väterliche Firma Hendschel übernahm. Der Verlag, der natürlich den Weisungen des Künstlers folgte, verzichtete auf jede Art von Propaganda und Reklame. Nicht einmal Anzeigen oder Besprechungen erschienen, als auf Weihnachten 1871 die Mappe in den Buchhandlungen auflag. In den Schaufenstern aber wurden überall die gelungenen Photographien ausgestellt die „Aus Albert Hendschels Skizzenbuch” stammten und dem Künstler schneller als Augenblickserfolge an Ausstellungen in ganz Deutschland einen Namen machten. Die technischen Möglichkeiten des photographischen Verfahrens waren in jener Zeit noch recht beschränkt, so daß im Winter bei den kurzen Tagen und dem seltenen Sonnenlicht nur wenige Abzüge hergestellt werden konnten, viel zu wenige für den schnell steigenden Absatz. Der Verleger mußte darauf bedacht sein, die Nachfrage einzudämmen, obwohl er bald eine neue, um eine stattliche Zahl von Skizzenblättern vermehrte Ausgabe veröffentlichte und schließlich im Lichtdruck ein Mittel fand, den Bedürfnissen des Marktes besser und schneller zu entsprechen. Jahrelang hielt der Erfolg an, der auch einigen später unter verschiedenen Namen erschienenen weiteren Mappen des Künstlers („Ernst und Scherz”,; „Lose Blätter”; „Allerlei”) treu blieb. Als Albert Hendschel am 22. Oktober 1883 in seiner Vaterstadt starb, gehörte er zu den anerkannten Meistern der deutschen Graphik. Seine Popularität nahm sogar Formen an, vor denen uns gelinde graut. Triumphierend verkünden uns nämlich die wohlwollenden Kritiker seiner Zeit, seine Erfolge seien besonders bei den edeln[sic!] Frauen so groß geworden, daß man viele seiner Werke auf zierlichen Arbeiten gestickt und gemalt wieder finden könne. So ist wohl jeder von uns schon auf den gutgemeinten Kissen, die man alle zusammen in Pazaureks Greuelmuseum in Stuttgart vereinigen sollte, einem allerletzten verdünnten Aufguß von Albert Hendschels Geist begegnet. Aber schließlich teilen seine Figuren dieses Los mit den ekstatisch staunenden Engelkindern auf dem Bilde der Sixtina ...

„Kinder und Käuze” von A. Hendschel

Ein Raphael war darum unser Meister freilich nicht. Er stieg nicht auf die luftigen Höhen freier Geister, er malte keinen Olymp und keinen christlichen Himmel, keinen Fürstenhof und keine Philosophenversammlung. Er blieb lieber mit seinem hellen offenen Aug und seinem scharfen Stift in den bescheidenen Niederungen des kleinbürgerlichen Lebens, das damals in Frankfurt auch malerisch genug war. Der große Erfolg der Skizzenbücher in Hendschels Vaterstadt wird sogar hauptsächlich damit erklärt, daß die Frankfurter sich vor allem an der gelungenen Darstellung ihrer jedem bekannten Stadtoriginale unbändig erfreuten.
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Auch für uns sind die originellen Käuze wohl das lebendigste an Albert Hendschels Werk. In ihnen kommen die besten Seiten seiner Kunst zur Geltung, der glückliche Ausgleich zwischen der humoristischen Betrachtung, die nur selten durch eigentliche Komik sich zur Karikatur übersteigert, mit der leisen Poesie, die der Zeichner in jedem Stückchen Menschenleben empfand. Was Wilhelm Busch und Oberländer ergötzlich fanden, das erfaßte auch Hendschel mit sicherem Griff aus dem vollen Menschenleben: die Ungezogenheiten der Jugend, die Komik der Ungeschicklichkeit, die Verlegenheiten, in die der Philister hilflos gerät und am liebsten die ohnmächtige Wut des wahren Pedanten gegenüber einem gelungenen Streich. Aber der Frankfurter Künstler unterstrich nur selten die charakteristischen Züge seiner Modelle. Wenn er auch nicht zu den eigentlichen „Idyllikern des Zeichenstifts” gehörte, die seit Ludwig Richter alles Seiende mit einem Schimmer von Poesie zu verklären liebten, so idealisierte er doch, vielleicht unbewußt, durch die Grazie seiner Linienführung jede Gestalt. auch seine Käuze behandelte er manchmal mit einer Liebe, die dann Blätter voll jenem innigen, echt deutschen Humor entstehen ließ, der den Vergleich mit Spitzweg rechtfertigten.
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Diese Kunst will nicht als moralische Anstalt gewertet sein. Hendschel doziert nicht, er will nur das Leben zeigen, wie es sich durch ein fröhliches und feines Temperament hindurch darstellt.
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H. G. P.

Druck der Hoffmannschen Buchdruckerei Felix Krais, Stuttgart 1921

[Format: 127 mm X 172 mm]

----- ENDE des Textes -----
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Erstellt am 16.07.2012 - Letzte Änderung am 17.07.2012.