zur Artikelübersicht« - zurück (RR)
"Haeckel und Allmers"
Die Geschichte einer Freundschaft in Briefen der Freunde

von Dr. Rudolph Koop

Titelseite des Buches
[17]
Nr. 1. Allmers an Haeckel


"DIE MEERFAHRT IN DER ZAUBERNACHT"

Seinem lieben Wandergesellen E r n s t H a e c k e l zur freundlichen Erinnerung an die Nacht vom 16.-17. Juni 1859.


Allmers und Haeckel 1860


Nr. 2. Allmers an Bölsche*):
*) Wilhelm Bölsche: Ernst Haeckel, ein Lebensbild. Berlin 1900, s. 58 ff.

"WIE ER HAECKEL FAND"

Als Allmers diese Verse an Wilhelm Bölsche sandte, damit dieser sie in sein Lebensbild Ernst Haeckels (S. 58 ff.) aufnahm, schrieb er dazu:
Ja, lieber Leser, sooft ich diese Verse und ihre herrliche Wahrheit noch einmal durch die Seele ziehen lasse, und wie oft tue ich's nicht und wie gern, - ich muß sagen, die Tage erlebst du nie wieder. Solch ein seliges Aufgehen in einem anderen Herzen. Und welch ein Herz war es, das sich mir öffnete mit allem, was es barg und bald erschließen sollte! In einem Café
[19]
Neapels war's, wo ein Blatt der Allgemeinen Zeitung gerade, zwischen ihm und mir zu liegen kam. Es war im schönen Frühling 1859. Das gemeinsame Greifen danach und die dadurch verursachte Nennung unseres Namens war die Anknüpfung. "Sie müssen mich entschuldigen", begann. Haeckel, "ich möchte noch diesen Abend mit einem zurückfahrenden Marktschiffe nach Ischia fahren." - "Nach Ischia? Das ist ja herrlich. Auch ich möchte dahin."
"Herzlich gern, denn ich fahre ganz allein, wie ich hörte. Um 9. Uhr fährt die Barke." - "Gut." - Das war alles, was vorher zwischen uns verhandelt wurde. Erst als wir, die einzigen Deutschen, es uns auf dem offenen Verdeck bequem machten, begann, was diese Verse sagen. Genug, als. die Fahrt vorüber, waren wir die innigsten Freunde und blieben. es in Lust und Leid bis zu dieser Stunde, obwohl wir geistig unendlich verschiedener Art sind. Doch Casamicciola hat uns wundersam vereint. Auch ein, gemeinsames Quartier beherbergte uns, keine Wanderung wurde allein unternommen, keine botanische Exkursion, nie saß man einsam, um zu aquarellieren und zu zeichnen, was Haeckel mit einer wahren Leidenschaft trieb; und am dritten Morgen schon, da wir auf einer fast kochend heißen Wiese einige seltene Thermalpflanzen entdeckten und fast auf derselben Stelle die zerfallenen Trümmer eines altrömischen Bades fanden, wirkte das Seltsame und Eigentümliche so auf uns beide, daß wir uns jubelnd umhalsten und den Rest unserer Flasche zum Schmollis weihten. Beide fühlten wir, es konnte nicht anders sein. Und so ging es glückselig schwelgend im Anschaun der herrlichen Gegend, die, vom hohen Epomeo genossen, in ihrer Pracht uns zu Füßen lag; so ging es, als wir gar uns aller Kleider beraubten und nackend wie ein paar echte Naturmenschen in die warmen Schlammströme tauchten, welche aus der dämmervollen Tiefe unter herabhängendem Gerank und Farnkräutern (Woodwardien) hervorquollen. Und laut aufjubelten wir: Oh, wie herrlich ist es in diesen warmen und prächtig beschatteten Bächen. Wie köstlich muß es erst in den Schluchten des Atlas sein. Dahin müssen wir auch, Und mehr als ein ganzer Tag ward von uns hingebracht in den wundersamsten Schluchten des Atlas, obwohl wir beide keinerlei Ahnung von den dortigen Schluchten hatten. Fest aber ward unter uns die Atlasreise, ja, bombenfest geplant und besprochen, sobald Italien hinter uns läge. Es ergriff ihn förmlich ein heftiges Reise- und Wanderfieber. In Paganos vortrefflicher Herberge auf Capri waren wir vier Wochen mit einigen Künstlern, und hier ging ganz sein Gemüt auf in echter Heiterkeit, wie er sie selbst nur selten genossen hatte; denn hier schloß er sich an die jünger der Kunst, die er, bisher nur mit Gelehrten seines Faches umgehend, meistens absichtlich gemieden hatte. Und bald war kein anderer der Vermittler zwischen Haeckel und jenen als ich, der mit keinem lieber verkehrte als mit
[20]
fröhlichen gebildeten Künstlern. Und nun war Landschaftern, besonders Aquarellieren, Tag um Tag auch seine Lust. Besonders waren die seltsamsten und absonderlichst gestalteten Felsen sein Streben und Interesse. Dagegen vernachlässigte er jetzt seine Seetiere, und erst in Messina wurden sie wieder, und namentlich die Radiolarien, seine ganze Freude, welche bald eine solche Rolle in seinem Leben und Streben spielen sollten. Dagegen hatte Darwin, der ihn bald darauf fast gänzlich beherrschte, damals noch wenig Bedeutung; denn der Kampf ums Dasein war noch nicht erfunden. Selten war dieser unser Gesprächsthema, was vor allem Johannes Müller ausmachte. Er war und blieb, solange ich mit ihm verkehrte, sein Ideal. Oft und gern sprach er aber von seinen braven Universitätsfreunden, dem Dr. W. 0. Focke, der vor allem sein botanischer Begleiter gewesen, und sodann dem Dr. Dreyer und Dr. Strube, welche in Würzburg sein Umgang auf der Universität gewesen waren. Studentisches Leben und Treiben sowie fröhliches Kneipen war ihm ein Greuel, er mied es wie er nur konnte. Ich wußte oft nicht, wie es mir gelang, ihn dennoch zur ungezwungensten Fröhlichkeit zu bringen, während er früher auf seinen Reisen und Wanderungen, namentlich als die Botanik noch seine Lieblingswissenschaft war, fast immer sich abends nach dem gemeinsamen Essen still mit seinen Büchern und seinem Herbarium in die Einsamkeit seiner Studierstube geschlichen hatte. Und dennoch konnte er der Heiterste von allen sein. ja, sein köstliches wundervolles Lachen in allen Tonarten, bis in die allerhöchste Fistel hinauf, wer das einmal genossen hat, dem klingt es fort und fort in der Seele, denn es ist das harmloseste Unschuldslachen eines frohen Menschenherzens; und den, der je den tiefen und wuchtigen Ernst und Eifer wahrnahm, mit welchem derselbe große Forscher in die gewaltigsten Fragen und Welträtsel, wo sie ihm begegneten, eindrang, konnte solch Herzenslachen nur rühren."

Haeckel 1860

Nr. 3*). Haeckel an Anna Sethe:
Die Briefe Nr. 3-9 wurden auszugsweise entnommen dem Buche "Ernst Haeckel: Italienfahrt", Leipzig 1921.

BEGINN DER FREUNDSCHAFT

Neapel, 25. 6. 1859.

Die ganze Exkursion war vom schönsten Wetter begünstigt und gehört zum Reizendsten, was ich je erlebt habe. Das Hauptverdienst hat aber dabei mein
[21]
liebenswürdiger Reisegefährte, in dem ich durch diese gemeinsame Tour mir den liebsten, besten Freund gewonnen habe. Dieser liebe, treffliche Naturmensch heißt Hermann Allmers und ist Gutsbesitzer in dem Dorfe Rechtenfleth in Ostfriesland, nahe dem Weserausfluß. Noch nie hat mich der glückliche Zufall auf einer Reise mit einem Menschen zusammengeführt, der mich so ergänzt und so mit mir harmonisiert. Es fehlt mir heute Zeit und Ruhe, um Dir eine genügende Schilderung dieses köstlichen, edlen Prachtmenschen zu geben, daher nur folgende Andeutungen: er botanisiert, dichtet reizend, skizziert und malt sehr schön und leicht, hat das tiefste Interesse für Natur und Naturwissenschaft und erfaßt alle Seiten derselben mit einer Tiefe und Innigkeit, die bei einem Dilettanten sehr selten ist. Dabei ist er sehr bewandert in Kultur- und Kunstgeschichte, und ich habe in dieser Beziehung sowie in seiner höchst liebenswürdigen, humanen Art, das Menschenleben aufzufassen, sehr viel von ihm gelernt, so wie er andererseits in dem mehr wissenschaftlichen Teil der Naturbetrachtung manches von mir gelernt hat. Er hat eine Menge reizender Gedichte gemacht, von denen er mir viele mitgeteilt hat, auch Naturschilderungen aus Nordwestdeutschland - "Land und Volksbilder aus den Marschen der Weser und Elbe, Gotha, Scheube 1859" geschrieben, die Dir gewiß sehr gefallen werden. Ich kann Dir nicht sagen, welchen wohltätigsten Einfluß diese köstliche und tiefpoetische, norddeutsche, innige Menschennatur auf mich ausgeübt hat. Sie hat Saiten in mir angeschlagen, Gefühle und Bestrebungen erweckt, die ich schon ganz erstorben glaubte und mich in gewissem Sinne mir selbst wiedergegeben. Schon nach den ersten Tagen unserer Bekanntschaft waren wir so innig vertraut, daß wir auf dem ewig kochenden vulkanischen Boden des Monte Tabor den deutschen Bruderkuß tauschten und das vertrauliche Du an die Stelle des zeremoniösen Sie treten ließen. Selten hat gewiß Mutter Natur zwei ihrer treuesten, begeistertsten jünger zusammengeführt, die so füreinander passen. Alles, was mir an Gutem und Edlem fehlt, besitzt dieser herrliche Freund, und ich habe wieder andere Charakterseiten ausgeprägt, die den seinen ergänzen.

Von unserem köstlichen Zusammenleben auf Ischia werde ich Dir mündlich erzählen. Den ganzen Tag saßen und wanderten wir draußen in der herrlichen Natur, in einer wahrhaft tropischen Vegetation, die meine Pflanzenpresse bis zur Dicke eines Fußes gefüllt hat, und botanisierten und zeichneten und aquarellierten. Indem wir gegenseitig unsere beiden Reisepläne modifizierten, hatten wir bald einen köstlichen gemeinsamen großen Plan für die nächsten Monate gemacht, in dem der Gedanke, alles gemeinsam zu machen, die Hauptfreude war. . .
...
[23]
Nr. 5. Haeckel an Anna Sethe:

ALLMERS' CHARAKTERBILD

Neapel, 1. 8.1859.

An diesem Abend las uns Allmers einen Teil aus seinem friesischen Epos "Der Kreuzzug gegen die Stedinger" vor, in welchem er mit großem Glück und Talent versucht hat, das Plattdeutsche in das moderne Epos einzuführen ...

Vor allem sollte ich nun wohl versuchen, Dir ein getreues Bild meines lieben neuen Freundes Allmers zu entwerfen, der seit den ersten Tagen, wo ich ihn kennengelernt, mein beständiger Gefährte und lieber, treuer Genosse gewesen ist. Um aber alle seine trefflichen und liebenswürdigen Seiten zu schildern, müßte ich mehr Raum und Zeit haben, als ich ihm heute geben kann, und daher mußt Du Dich mit ein paar leichten Umrissen begnügen. Allmers ist vor allem ganz Dichter und sieht das ganze Leben mit all seinen Licht- und Schattenseiten nur aus den schönen, duftigen Perspektiven der Poesie an, bildet also in diesem Idealismus einen starken Gegensatz zu meinem Realismus des Naturforschers, der gerade die Natur dieses duftigen, wenn auch noch so schönen Nebelgewandes zu entkleiden und überall das Wirkliche in seiner nackten Wahrheit zu erkennen bemüht ist. Doch wird dieser Gegensatz unserer beiden Auffassungsweisen dadurch sehr vermittelt, daß Allmers auch großes Interesse an allen Naturwissenschaften hat, während ich umgekehrt mich auch sehr gern in den duftigen Fernen träumerischer Poesien verliere, woran natürlich mein, Schatz die meiste Schuld hat. In unserer leidenschaftlichen Liebe für alles Schöne und Große in Natur und Kunst wetteifern wir dagegen beide, nur mit dem Unterschied, daß ich der ersteren den Vorzug gebe, A. der letzteren, was sich zum Teil durch die viel intensivere Beschäftigung mit dem einen und dem andern erklärt. Mein Interesse und Verständnis der antiken wie der mittelalterlichen Kunstwerke (von welch letzteren ich bisher nie recht viel wissen wollte) ist durch den anregenden und belehrenden Einfluß von A. mächtig gewachsen, und mir Allmers 1860
[24]
haben namentlich seine kunsthistorischen Kenntnisse und die sinnvolle Art, wie er sie anwendet, manche neue, schöne Seite des Verständnisses eröffnet; auch Architektur habe ich jetzt erst etwas verstehen gelernt.

Im Laufe unseres sechswöchentlichen Zusammenlebens haben sich denn auch allmählich die Unterschiede herausgestellt, die unsere beiden sonst wirklich sehr harmonischen Naturen scheiden. Allmers ist 14 Jahre älter und daher, obwohl voll begeisterten Jugendfeuers und poetischer Wärme, doch bedeutend ruhiger und gesetzter, in der Beurteilung der Menschen und Verhältnisse milder und vielseitiger, in seinem Streben beharrlicher und fester als ich, Auf unseren Streifzügen ist er daher auch das besonnenere und ruhigere Element, und die lieben Alten können mich insofern schon gern in seiner Gesellschaft sehen, als er trotz aller poetischen Romantik doch kein Freund von Wagnissen und Abenteuern ist, auch Strapazen und Entbehrungen bei weitem nicht in dem Grade ertragen kann als ich. Beim Laufen und Bergsteigen bleibt er immer bald eine gute Strecke zurück.
Nun willst Du auch etwas von seinem Äußern wissen, lieber Schatz? Das ist freilich sonderbar genug und entspricht seinem wunderbaren und poetischen Innern keineswegs. Er selbst beschreibt es folgendermaßen: Denke Dir in der Mitte eines großen, deutschen Kopfes eine möglichst große, habichtschnabelgleich gebogene Nase und darunter einen möglichst kleinen Mund, darüber aber ein Paar recht treuherzige blaue Augen, aus denen der ehrliche, sinnige Deutsche unverkennbar hervorsieht; dazu nun noch lange, blonde Haare und eine breitrückige, untersetzte Gestalt. Und das sonderbare Bild, das mich beim ersten Anblick an eine Gnomengestalt aus Musäus' Märchen erinnerte, ist fertig. Ferner willst Du wissen, ob er verheiratet oder verlobt ist? Er ist es nicht und wird es nie sein, da er sich von f rühester Jugend an eine Grille in den Kopf gesetzt hat, die sich völlig zur fixen Idee konsolidiert hat und die man halb wegen ihres edlen, schönen Endzweckes bewundern, halb wegen ihrer Einseitigkeit verurteilen muß. Er will nämlich sein ganzes schönes Erbgut und das bedeutende, damit verbundene Vermögen dazu verwenden, um in seinem über alles geliebten Heimatdorfe Rechtenfleth eine nach ganz neuen, selbstaufgestellten Prinzipien eingerichtete Erziehungsanstalt für die dortige Dorfjugend zu gründen, und zwar in einer so vollkommenen Weise, daß ein wahres Musterdorf daraus entstehen muß. All sein Streben, alle auf seinen Reisen gesammelten schönen Erfahrungen gehen darauf hinaus, dieses Institut möglichst zu vervollkommnen, dessen Verwirklichung er sich zu seiner Lebensaufgabe gemacht hat. Gewiß eine höchst edle und schöne Absicht. Nur scheint mir der ganze Plan etwas zu ideal und reich poetisch angelegt zu sein, um sich in der beabsichtigten
[25]
Weise realisieren zu lassen. jedenfalls ist es aber höchst uneigennüffig, um dieses edlen, gemeinnützigen Zweckes willen dem höchsten Glück des Lebens zu entsagen und für immer auf das selige Zusammenleben mit einem geliebten, gleichgesinnten Weibe zu verzichten, ein Glück, das die hohe und poetische Seele meines trefflichen Freundes mit ihrem tiefen und reinen deutschen Gemüt gewiß mehr als die meisten andern zu genießen und zu gewähren fähig wäre! Im übrigen mußt Du den merkwürdigen, geistvollen Menschen selbst erst kennenlernen, um diese sowie manche andere eigentümliche Seite ganz zu würdigen. Ich freue mich schon jetzt darauf, mit Dir, liebstes Herz, ihn auf seinem Gute zu besuchen, das er mir gar nicht reizend genug mit allen seinen echt altgermanischen Zimmereinrichtungen und schönen Kunstwerken schildern kann ...
[30]
...
Nr. 9. Haeckel an Anna Sethe:

WAS ALLMERS FÜR HAECKEL BEDEUTETE

Messina, 21. 10. 1859,

...
An Menge, Großartigkeit, Schönheit und Verschiedenheit der herrlichsten Eindrücke und Bilder waren diese letzten vier Wandermonate so reich, wie wohl keine andere Zeit meines Lebens, wenigstens, wenn ich dazu die Fülle neuer, fruchtbarer Gedanken und Ideen rechne, die ungemeine Horizontenerweiterung, welche mir durch die unschätzbare Gesellschaft meines lieben, herrlichen Freundes Hermann Allmers geworden ist. Kaum hat einer meiner andern Freunde (mit Ausnahme vielleicht nur Beckmanns) einen so bedeutenden, anregenden und bildenden Einfluß auf meine ganze geistige Entwicklung ausgeübt, und daß ich diesen herrlichen, ausgezeichneten Mann gerade hier kennenlernen und mit ihm die vier reichsten italienischen Wandermonate in stetem herzlichsten Beisammensein durchleben konnte, ist ein Glück, das ich nicht hoch genug zu schätzen weiß und das bedeutendste Moment vielleicht für die ganze Reise. Habe ich eins dabei sehr zu bedauern, so ist es das, daß ich A. nicht bereits in Rom habe kennengelernt, wo er mir die Augen für die antike Welt noch ganz anders würde geöffnet haben. Ich sah ihn dort einmal im Vatikan eine Statue abzeichnen, und der begeisterte Eifer, mit dem er dies tat, fiel mir so auf, daß ich, zumal ich gleich erkannte, daß er auch ein Deutscher war, ihn beinahe angeredet hätte. Hätte ich dies doch damals getan, mit was für andern, tausendfach reicheren und gebildeteren Anschauungen würde ich Rom dann verlassen haben. Wenn ich bedenke, wie er mir durch seine höchst anregende, leben-
[31]
dige Schwärmerei für das Mittelalter, für christliche Kunst, moderne Malerei, normannische und sarazenische Architektur usw., lauter Dinge, die mir sonst völlig gleichgültig waren, lebhaftes. Interesse und tiefes Verständnis eingeflößt hat, wie würden wir erst in der hellenischen Antike, für die wir beide gleiche Begeisterung und innige Verehrung teilen, in Rom zusammen geschwelgt haben. Teilweise konnten wir das noch nachholen im Museo Borbonico zu Neapel, wo wir in der Statuengalerie, besonders aber bei den pompejanischen Wandgemälden, die glücklichsten Stunden zusammen verlebten. Haeckel 1860 Wie anders wäre das freilich in Rom geworden, wo ich auf jeden Schritt und Tritt aus seinem Munde würde Belehrung empfangen haben über die allenthalben angehäuften Schätze der Architektur, Skulptur, Malerei usw.

Wie schwer mir nach allem diesem der Abschied von A. am 17. 10. wurde, wo er mit dem Dampfer nach Civita vechia abfuhr, könnt Ihr denken; ja, mehreremal machte sich der Gedanke geltend, ob es nicht viel besser sei, mit ihm fortzudampfen und in seiner Gesellschaft in Rom noch einen Monat zuzubringen, der dann wohl ganz andere Früchte noch tragen sollte als jener März, den ich allein dort verlebte.

Nr. 10. Allmers an Haeckel*):
*)Siehe: Allmers Biographie, S. 203 ff.

ALLMERS TRENNT SICH IN MESSINA VON HAECKEL
ABSCHIED VON ROM -. NORDITALIEN IM UMBRUCH
WIEDER IN DEUTSCHLAND

Rechtenfleth am 5. Januar 1860.

... Du sprangst ins Meer, Noch einmal sah ich Dein 1iebes, blondlockiges Haupt, ein Arm, ein glänzender Nacken ward bloß, dann sah ich nichts mehr, denn Du warst hinabgetaucht zu Deinen heißgeliebten Quallen und ich wieder allein mit meinen Gedanken, meinen Erinnerungen an die reichen Tage der jüngstvergangenen Zeit. Es war mir doch ein bißchen weh ums Herz, das kannst Du mir glauben, mein Junge. Die Seefahrt und die Passagiere des Dampfers boten wenig Interesse, doch das Diner war famos, der feine Bordeaux ganz ausgezeichnet, und so gelang es mir einigermaßen, Trennungsweh und Langeweile durch Essen und Trinken zu bekämpfen und, was noch davon übrigblieb, durch einen gesunden Schlaf zu besiegen.

Die niederrollende Ankerkette weckte mich am nächsten Morgen wieder, und unser alter schöner und wohlbekannter Golf von Neapel umgab mich.
[32]
...


Auszug aus Nr. 47. Allmers an Haeckel:

ALLMERS WILL NICHT PATE SEIN - DIE "WEIHE" FÜR WALTER

Rechtenfleth, den 6. Oktober 1868.

... Sieh mein lieber Kerl, nur das allein wäre die rechte, passende Taufe für den Sohn eines Naturforschers,: für D e i n e n Sohn. So hab ich's mir ausgedacht, und wie gern wollt ich bei solcher Taufe Gevatter sein, nur verschone mich mit einer christlichen Patenstelle, trotzdem daß ich Kirchenvorsteher bin und. Mitglied der hochwürdigsten Landessynode war. - Und für Deinen Jungen will ich mich auch schon ohnehin genug interessieren, und wenn. er einmal. Gymnasiast, oder, Student ist (oder soll er nicht studieren?), dann muß er einmal eine-Fußreise nach Rechtenfleth machen und soll dann gute Tage beim alten Onkel Hermann haben, der ihn hegen und pflegen wird und ihn vielleicht einmal mit nach Helgoland nehmen und ihn vor allem in Bremen in den Ratskeller einführen und zu ihm sagen: "Sieh Junge, ich will Dich lehren, wie man kneipen muß und schwärmen, und schweigen.- Dein Alter ist sonst ein fixer Kerl, aber darin leider ist er ein rechter, trauriger Stümper geblieben, das kommt aber allein von seinen schlechten Jugendgewohnheiten; als ich ihn in die Hände bekam, war's leider zu spät. Du aber bist noch jung und gelehrig. Junge, ich komm Dir was! Beginnen wir jetzt die Lektion." -

Doch genug davon jetzt Nicht wahr, Du wirst mir nicht böse, daß ich Deine Bitte abschlage. Willst, Du später irgendeinen Deiner, vielen Jungen "Hermann" nennen soll mir's immerhin lieb sein, denn das ist und bleibt doch ein gar schöner, mannhafter Name, nur mit einer christlichen Patenstelle sollst Du mich verschonen.

Und leb wohl, herzlieber Kerl. Grüße Dein Weib und den Kleinen und feire einen fröhlichen Kindertaufschmaus.

-Dein treuer H. Allmers.
Mit Deiner Schöpfungsgeschichte bin ich jetzt bis zum 19. Vortrage gekommen, die drei vorhergehenden waren durch die vielen gehäuften Namen weniger befriedigend. jetzt aber scheint der Glanzpunkt zu kommen. Ein mehreres später. - Aber in einem einzigen kurzen Artikel etwas Genügendes über das Buch zu sagen, ist schwerer, als Du glauben magst, vor allem dem Leser ein richtiges Bild seines Inhalts zu geben.

Nr. 48. Allmers an Haeckel:

ALLMERS DICHTERISCHES GESCHENK FÜR WALTER HAECKEL

Rechtenfteth, den 17. November 1868.


Mein herzlieber Haeckel!
Was beim letzten Schreiben an Dich im ersten Drange des Gefühls ungestüm und mächtig hervorquoll hat sich nun geläutert, geklärt und vollendet. So nimm denn diese Blätter als ein kleines Zeichen meiner treuen und innigen Liebe zu Dir, teile Deinen lieben Eltern, Deinem Bruder, Deinen besten Freunden und allen denen davon mit, welchen Du Freude damit bereiten kannst; ein Blatt aber lege beiseite und gib es Deinem lieben Sohne nach Jahren und so recht in passender Stunde, etwa an seinem Konfirmationstage oder wenn er zum ersten Male von Dir geht in die Welt hinaus. Gib's ihm mit einem Herzensgruße von mir, gleichviel ob ich dann noch lebe oder ob mein Herz schon vermodert ist. Es ist ein namenlos seliges Gefühl für mich, zu denken, jene Worte könnten ihm einst eine heilige segenbringende Stunde bereiten. Gruß und Händedruck auch Dir, mein Junge, Gruß der jungen Mutter, Segen dem Geborenen.

Dein treuer Hermann,

Zu Nr. 48. (Siebs a. a. 0. S. 274-276):

WEIHE EINES JUNGEN ERDENBÜRGERS
(2. Fassung)


(Als Ort der Handlung gedacht ist ein festlich geschmückter Saal. Unsichtbar ertönt eine feierliche Musik, etwa im Charakter von Mozarts Chor "0 Isis, o Osiris". Dann wird der Knabe zur Sonne emporgehalten.)

Der Sprecher:

Das ist die Sonne, die hohe, die helle,
Des Lichts und der Wärme erhabene Quelle,
Die Strahlen versendende, Segen ausspendende,
Das ist die Sonne, das gold'ne Symbol
Ewiger Klarheit, Ewiger Wahrheit,
Freue Dich ihrer und strebe zum Licht,
Sonst verdienst Du sie nicht.

(Der Knabe wird nun auf die Erde gesetzt.)

Das ist, o Sohn, die Allmutter, die Erde!
Drinnen und drauf herrscht ein ewiges Werde,
Das ist die mild in der Sonne erglühende,
Das ist die freundliche, grünende, blühende;
Doch in der Tiefe sind düstere Gluten,
Unter den Bergen und rollenden Fluten,
Allüberall ist ein wunderbar Weben,
Sinken und Heben, Streiten und Streben,
Ewiges Sterben, ewig Beleben,
Ewig Verschwinden, ewig Entfalten,
Geschlecht auf Geschlecht und Gestalt auf Gestalten.
Auf ihr sollst Du leben, Dich freu'n und genießen,
Sie sollst Du erforschen, sie sollst Du erschließen.
Strebe und streife -- schwelge und schweife.
Dringe hinein,
Sie sei Dein, sie sei Dein,
Und Du selbst magst der Beste, der Bravste drauf sein!

(Die Eltern nehmen jetzt den Knaben in ihre Mitte. Alle Anwesenden treten hinzu und begrüßen ihn zum Willkommen.)

Das sind die Menschen, ergreif' ihre Hände
Und habe sie lieb, sei getreu bis ans Ende,
Doch halte Dich nur zu den Echten und Reinen
Und fliehe die Falschen, die Schlechten, Gemeinen,
Sei stark in Bedrängnis, sei mutig im Streit,
Doch weich, wenn bei andern Du Not siehst und Leid.
Erkennen und Helfen, Genießen und Streben
Und das Glück des Beglückens, das fülle Dein Leben.

(Kurze Musik von heiterem Charakter. Ein bekränzter Becher mit Wein wird dem Knaben dargeboten.)

Empfange denn nun die fröhlichste Weihe,
Nicht klebt sie am Dogma, die schöne, die freie;
Empfange der Traube Wundersaft,
Des Geistes Symbol und der Lebenskraft.
Entquollen den Brüsten der Allmutter Erde,
Durchglüht von den Strahlen der himmlischen Sonne.
So ward er bereitet, auf daß er dann werde
Den irdischen Herzen zur himmlischen Wonne.

(Indem man feierlich dreimal mit dem Weine des Knaben Lippen benetzt:)

Lerne sie kennen, die liebliche Labe,
Koste die edle, die köstliche Gabe,
Noch sei sie Dir nur
Symbol der erfreuenden Mutter Natur.

(Indem der Sprecher den Wein über des Knaben Haupt ausgießt:)

Einst werde zuteil Dir in Überfluß
Des Lebens hochherrlichster Vollgenuß.

(Eine jubelnde Musik fällt ein, die aber bald in eine sanfte, ernste Weise übergeht, während der Knabe in die Arme der Mutter gelegt wird.)

Nun schließe die Augen am Mutterherzen,
Bist frei noch von Sorgen und nagenden Schmerzen;
In der Mutter Arm,
Da ruht sich's warm;
So schlaf' und gedeihe und sammle Dir. Stärke
Zum schönen Berufe, zum heiligen Werke,
Doch wirst Du zum letzten die Augen einst schließen,
Ist's aus mit des Daseins Kampf und Genießen,
Umsteh'n sie Dein Lager mit Klagen und Weinen,
Die treu Dir Verbund'nen, die Lieben, die Deinen,
O mögest Du dann, wenn das Auge will brechen,
Zu Deinen Getreuen getrost können sprechen:
Ich wurde ein Mensch, und es war meine Sendung,
Zu helfen mit euch an der Menschen Vollendung.
Ich tat, was ich konnte; - was ich gesollt,
In redlichem Streben hab' ich's gewollt.


Nr. 49. Haeckel an Allmers:

WIE HAECKEL DIE WEIHE VORTRUG

Jena, den 20. (?) November 1868.

... Wenn jemals Dein dichterischer Genius in prophetischer Ahnung die rechte Stunde am rechten Ort getroffen hat, so war dies gestern hier bei uns der Fall. Denn Deine reizende "Weihe" zur Taufe meines Jungen, durch welche Du uns eine außerordentliche Freude bereitet hast, traf gerade gestern morgen hier ein ... Ich hielt die Überraschung bis zum Mittag geheim, und als wir nach vollbrachter Taufe beim heiteren Mittagessen gemütlich beisammen saßen, hielt ich eine kleine Standrede und schloß damit:

"Was alles von diesem lieben süßen Jungen zu erwarten ist, beweist am besten der Umstand, daß er schon in der Wiege von einem berühmten Dichter besungen wird!" Nun las ich Deine "Weihe" vor, ohne den Autor zu nennen. Die letzten zehn Zeilen konnte ich jedoch vor übergrößer Rührung nicht mehr ordentlich lesen, da ein heißer Tränenstrom dem Übermaß von Gefühlen, die mich an diesem Tage bewegten, Bahn brach. Dein Gedicht fand bei allen Gästen den ungemeinen Beifall, den es verdient ... Habe tausend Dank dafür, Du liebster bester Freund, Du hast mir damit wirklich eine rechte Herzensfreude bereitet, und meinem Jungen soll das Gedicht auf seinem Lebenswege, so wie Du es wünschest, ein Leitstern sein!

Allmers und Haeckel Wohnräume

Nr. 50. Allmers an Haeckel:

ALLMERS ÜBERSENDET HAECKEL DIE "RÖMISCHEN SCHLENDERTAGE"

Rechtenfleth, den 20. Dezember 1868.

Hier nimm, herzlieber Junge, endlich die "Römischen Schlendertage" .zwar nur mit wenigen Zeilen begleitet, denn ich habe nicht weniger als 32 Exemplare zu versenden, dabei können die Briefe ja nicht allzu lang werden; halte Dich deshalb am Gedruckten und nimm es freundlich auf, ist's doch aus meinem tiefsten Herzen herausgequollen.

Sodann will ich nicht länger Deine Geduld auf die Probe stellen sende mit vielem Danke die vier Napoleons, welche Du mir bei jener jähen Trennung in Bozen liehest, zurück. Ich konnte hier gar keine solche Münzsorte auftreiben.

Die Besprechung Deiner Schöpfungsgeschichte soll die "Weserzeitung" im Januar bringen. Es ist besser, als wenn sie jetzt zwischen all den Weinachtsbücheranpreisungen erschiene, mit denen das Publikum bis zum Überdruß heimgesucht wird.

Neues kann ich Dir nicht eben melden. Ich lebe stille Tage und schreibe allerlei Kunstgeschichtliches.

Herzlichen Gruß Dir und der lieben Deinen und erquickende Feiertage.
Dein treuer
H. Allmers.


Auszug aus Nr. 15. Allmers an Haeckel:

ALLMERS' "LEBENSPHILOSOPHIE"

Rechtenfleth, den 27. Juli 1860.

... Also Du hast Dich wieder einmal recht von Herzen in Deinem vielgeliebten Thüringer Walde deutscher Natur erfreut.. Ich habe es Dir vollkommen nachempfunden, wie ich es ebenfalls mit Dir fühle, wenn Deine Seele sich abwendet vom eintönigen kalten und schmutzigen Grau Deiner Marklandschaften und wieder hinübereilt in die Licht- und Farbenpoesie eines sonnig blauen Golfes. Auch ich bin, Gott sei Dank, eine so glücklich angelegte Natur, daß ich das, was einmal schön ist, in seiner Weise zu würdigen weiß, jedes nehme, wie es ist, ungern vergleiche und noch weniger den Wert des einen durch den des anderen herabsetze, sondern an dem mich mit ganzer Seele freue, dessen Genuß mir gerade geboten wird, sei es im Norden oder Süden, sei es Natur, Kunst oder Menschenleben, sei es antik und klassisch oder mittelalterlich und romantisch. Ich sage Dir, das ist und bleibt einmal die einzig richtige Lebensphilosophie, bei der man sich immer am besten steht. ...

Haeckel ca. 1910

Auszug aus Nr. 22. Allmers an Haeckel:

"EINE BRIEFREGEL"


Rechtenfleth, den 24. November 1861.


Kennst du diesen Vers, lieber alter Junge? Nein, Du kennst ihn nicht, denn ich habe ihn erst in diesem Sommer niedergeschrieben, erfüllt von seiner inneren Wahrheit, ...

Allmers ca. 1890



Feldeinsamkeit

Ich ruhe still im hohen grünen Gras
Und sende lange meinen Blick nach oben,
Von Grillen rings umschwirrt ohn Unterlaß,
Von Himmelsbläue wundersam umwoben.

Und schöne weiße Wolken ziehn dahin
Durchs tiefe Blau, wie schöne stille Träume; -
Mir ist, als ob ich längst gestorben bin
Und ziehe selig mit durch ewge Räume.

Hermann Allmers

(Allmers, Hermann, geb. 11. Februar 1821 in Rechtenfleth, Gutsbesitzer dort, gest. 9. März 1902 ebenda)


Haeckel ca. 1890

zur Artikelübersicht« - zurück (RR)