Nachkriegszeit
Lamp, Lieselotte: Die Beschlagnahmung unseres Hauses
Lemster, Annemarie: Die weiße Hand
Stern, Carsten: Kirschenklau und Schwedenspeisung (1947/48)
Lippmann, Ingetraud: Erläuterung zu Schulspeisung, "Schwedenspeisung"
Günther, Claus: Black and White" (1945/46/47)
Bigos, Peter: Britische Soldaten in West-Berlin
Lamp, Lieselotte: Ich
hatte gräßliche Wut
Lamp, Lieselotte: Mit schlechtem Gewissen
Kabelitz, Marianne: Amerikaner in Sachsen (1945)
Bigos, Peter: Anglo-amerikanische Kultur
Nygaard Ingeburg: Ein Radio kommt zurück
Lemster, Annemarie: Wie erging es nach dem Krieg den Rauchern
Probst, O. J.: Unsere neuen Nachbarn
Schukat, Fritz: Beleuchtungen
Schomburg, Lisa: Abschied - Anfang (1945)
Kahlert, Hildegard: Ein Teddy mit Vergangenheit
Die Beschlagnahmung unseres Hauses
Auszüge aus dem Mitteilungsblatt der Zeitzeugenbörse Hamburg
"Zeitzeugen", Ausgabe 27, April - Juni 2005, Seite 4.
Weitere
Veröffentlichung nur mit Zustimmung der Zeitzeugenbörse Hamburg, p. A.
Seniorenbüro Hamburg e. V., Steindamm 87, D-20099 Hamburg,
mailto:senioren1@aol.com.
Der Krieg war aus. Es fielen keine Bomben mehr. Es herrschte Waffenstillstand. Es gab aber auch eine Besatzungsmacht, es herrschte Ausgehverbot, und allgemeine Angst und Unsicherheit vor der Zukunft erfüllte viele Menschen.
Ende Mai 1945, das genaue Datum weiß ich nicht mehr, läutete es in den Abendstunden an unserer Haustür, Heimhuderstraße 52. Mein Vater, der gerade aus dem Geschäft nach Hause gekommen war, öffnete die Eingangstür. Zwei englische Soldaten, ein Offizier und ein Sergeant, verlangten Einlass. Sie wollten das Haus inspizieren zwecks Beschlagnahme als Offiziersmesse.
Mein Vater wurde nach oben in unsere Schlafräume geschickt. Wir lebten zu der Zeit im Schlafzimmer meiner Eltern. Dies war das einzige Zimmer, das einen Kachelofen hatte, den wir mühsam mit Holz heizen konnten.
Nach kurzer Zeit erschien der Sergeant in der ersten Etage. Wir hörten ihn mit den Türen klappern, dann stand er plötzlich bei uns im Schlafzimmer, sah meine Eltern, meine beiden Geschwister (13-und 15-jährig) und mich an. Und dann passierte es: Er deutete auf mich und befahl: „Go on!“ – Mein Vater wollte sich einmischen, wurde aber barsch zurechtgewiesen. Ich hatte aufzustehen und ihm zu folgen.
Er zwang mich die Treppe hinunterzugehen. Da ich dies nur widerwillig tat, ging er hinter mir her und bohrte mir seinen Revolver in den Rücken. Ich fing mit einem Mal an zu reden, auf Englisch und ziemlich laut. Aus purer Angst fantasierte ich mir eine Geschichte zusammen und behauptete, dass mein Mann gefallen sei und ob das nicht schlimm genug sei und was das wohl jetzt sein sollte, was er mit mir vorhätte.
In diesem Moment öffnete sich die Wohnzimmertür und der Offizier überblickte genau die Situation.
Der Sergeant wurde zusammengestaucht und in den Keller geschickt. Der Offizier entschuldigte sich förmlich bei mir und schickte mich wieder zurück zu meiner Familie. Ich habe ziemlich lange für den Weg gebraucht, ich hatte „Gummibeine“!
Das Haus wurde trotzdem beschlagnahmt. Wir hatten mit dem Nötigsten wie Bettzeug und Kochutensilien bis zum nächsten Nachmittag das Haus zu räumen. Zum Glück hatte mein Vater zwei Kontorräume, in die wir ziehen konnten.
Sechs Jahre Krieg waren vergangen, Hunger, Kälte und die Ausbombung hatten wir überstanden, ohne je den Feind gesehen zu haben. Die einzige persönliche Feindberührung – im wahrsten Sinne des Wortes – aber habe ich im Mai 1945 nach Kriegsende erlebt.
Es hat lange gedauert, bis ich meinen Zorn auf die Besatzungsmacht überwunden hatte.
Autorin: Lieselotte Lamp
Die weiße Hand
Auszüge aus dem Mitteilungsblatt der Zeitzeugenbörse Hamburg
"Zeitzeugen", Ausgabe 27, April - Juni 2005, Seite 5.
Weitere
Veröffentlichung nur mit Zustimmung der Zeitzeugenbörse Hamburg, p. A.
Seniorenbüro Hamburg e. V., Steindamm 87, D-20099 Hamburg,
mailto:senioren1@aol.com.
Es war 1945, die Amerikaner waren einmarschiert. „Jetzt ist der Krieg endlich vorbei“, hörte ich immer die Erwachsenen reden. Die Bedeutung der Worte konnte ich damals mit meinen sechs Jahren noch nicht richtig bewerten. Ich wusste aber schon: Nicht mehr in den Keller und nicht mehr diese schlimmen Bomben.
Wir wohnten, nach dem wir zweimal in Hannover total ausgebombt waren, in Sarstedt, am Ende einer Straße, in einer Baracke. Wenn auch die Amerikaner bei uns zuerst einmarschiert waren, so gab es jetzt nur Engländer bei uns. Wir waren Britische Besatzungszone.
Bis zu unserer Baracke war die Straße von den Engländern beschlagnahmt worden. Am Ende der Straße war nun ein hoher Drahtzaun gezogen. Mein Schulweg ging für ein paar Jahre durch Gärten, Felder und eine Sauerkirschplantage. Dieses war für uns Kinder nur im Sommer interessant: Wenn auch der Bauer aufpasste, er konnte ja nicht überall sein, und so wussten wir wenigstens, wie Kirschen schmeckten.
Oft standen wir Kinder an dem Zaun und beobachteten das Leben hinter dem Draht. Die Soldaten waren zu uns Kindern immer sehr freundlich. Sie winkten von drüben herüber und wir winkten zurück.
Um dieses beschlagnahmte Gebiet patrouillierten in bestimmten Abständen immer zwei Soldaten. Wir Kinder hüpften dann oft auf unserer Seite nebenher. Manchmal bekamen wir durch den Maschendraht ein paar Kekse oder ein Bonbon.
Da ich ein sehr schüchternes Kind war, lief ich meistens in zweiter Reihe mit. Einmal war ich sehr mutig und ging auf das Winken eines Soldaten dicht an den Zaun. Dieses Mal gingen ein weißer und ein schwarzer Soldat Streife. „Neger“ kannte ich nur von Buchzeichnungen, und dort hießen sie Mohren, in Natura hatte ich bis dahin noch keinen gesehen. Ich nahm all meinen Mut zusammen und streckte meine kleine Hand durch den Zaun, um nach dem Kaugummi zu greifen. Der „Neger“ reichte seine Hand zum Zaun. Ich schaute auf diese Hand, war fürchterlich erschrocken und lief schreiend davon. Bei meiner Mutter suchte ich Schutz.
Nachdem ich mich beruhigt hatte, konnte ich ihr erzählen was mir so Angst gemacht hatte. „Der Soldat war schwarz und hatte eine andere Hand“, erzählte ich. Mutti wusste nicht was sie antworten sollte, sie verstand mich nicht. Nach vielen Fragen kam heraus: Ich hatte mich vor der weißen Handinnenfläche erschrocken. Woher sollte ich auch wissen, dass die Handinnenflächen farbiger Menschen heller sind. Ein Kaugummi habe ich danach nur aus dritter Hand bekommen, denn an den Zaun bin ich nicht mehr herangetreten.
Autorin: Annemarie Lemster
Kirschenklau und Schwedenspeisung
Auszüge aus dem Mitteilungsblatt der Zeitzeugenbörse Hamburg
"Zeitzeugen", Ausgabe 27, April - Juni 2005, Seiten 6-7.
Weitere
Veröffentlichung nur mit Zustimmung der Zeitzeugenbörse Hamburg, p. A.
Seniorenbüro Hamburg e. V., Steindamm 87, D-20099 Hamburg,
mailto:senioren1@aol.com.
Habe ich Hungerjahre erlebt? Ich war gerade knapp 3 Jahre alt, als der Krieg zu Ende war. Wir wohnten seit März 1945, seit unserer Flucht aus Berlin, in Blankenese – wir: das waren meine Mutter und ich. Mein Vater kam im Sommer aus der Gefangenschaft.
In meiner Erinnerung bin ich aufgewachsen mit Tanten und Onkeln und vielen Spielkameraden in der Nachbarschaft. Ich kann mich nur vage an einige wenige Episoden erinnern – davon hier zwei:
Kirschenklau
Wer hier wem was klaute, darüber kann man richten. Ich erinnere mich an einen sonnigen Tag, wohl 1947. Meine Mutter war mit mir mit der Fähre nach Cranz auf die andere Elbseite rübergefahren – mit großen schwarzen Taschen.
Ich kann mich erinnern, wie wir auf dem Deich gingen und dass die Kirschbäume voller Kirschen hingen. Ich glaube, ich kannte keine Kirschen. Das nächste Bild ist dann der Bulln in Blankenese, die Fähre legt an und auf dem Bulln stehen englische Soldaten in ihren olivfarbenen Uniformen. Den Zugang zum Land haben sie versperrt, da kommt keiner durch. Jeder Frau nehmen sie bei großem Gezeter und viel Lamentieren die Tasche gewaltsam ab und schütten alles in die Elbe, an der Seite zwischen Bulln und Strand, da schwammen die ganzen Kirschen. Auch meiner Mutter wurde die Tasche aus der Hand gerissen. Und ich sehe es vor mir, wie der Engländer mit seiner olivfarbenen Uniform und aufgenähten Abzeichen auf der Brust die Tasche an sich reißt und alle Kirschen – das war zwischen dem Restaurantgebäude und dem Pontonzugang – in die Elbe kippt. Ich war sehr traurig. Wir hatten viele Kirschen gepflückt, alle von den Bäumen auf den Deichen.
Schwedenspeisung
Die Erinnerung ist ganz fest eingebrannt, die Schwedenspeisung im Hesse-Park. Das muss dann wohl schon 1948 gewesen sein.
Ich sehe das kleine Häuschen vor mir, das heute noch steht. Wer die Schwedenspeisung bekam, weiß ich nicht. Jedenfalls nicht alle, denn Nachbar Ewerts Kinder, das heißt Annegret, die genauso alt war wie ich, durfte da nicht hin. In dem kleinen Haus stand die Tür offen, links an der Wand war ein langer derber hölzerner Tisch aufgebaut und dort standen Frauen. Ich glaube in Kleidung mit vielen schmalen senkrechten Streifen aus weiß und blau, mit einem Häubchen auf dem Kopf. Sie hatten große silberne – das heißt wohl Zink- oder verchromte – Kessel vor sich stehen. Und daraus gab es mit einer großen Schöpfkelle einen Schlag in meinen kleinen Henkelmann. Den hatte ich extra für die Schwedenspeisung bekommen. Der Henkelmann war ein kleiner ovaler Zinktopf mit einem Deckel. Und dieser Deckel hatte einen Klemm-Bügelverschluss, und an dem Klemmbügel konnte man den Henkelmann forttragen und sich zum Löffeln auf die Bank in Richtung Blankeneser Bahnhofstraße setzen, da, wo heute die Straße Hesse-Park in den Park hineinführt.
Dieser Bügelverschluss war etwas ganz Tolles und ich war stolz auf meinen Henkelmann. Bei der Austeilung waren wohl immer mehrere Frauen, zwei, vielleicht auch drei, und ganz viele Kinder. Ich glaube, wir waren alle sehr ordentlich in der Schlange, obwohl wir immer neugierig waren, was es gab und wie es schmeckte. Griessuppe, Milchsuppe, Graupensuppe wohl auch.
Ob Schokoladensuppe, weiß ich nicht mehr, das kann es möglicherweise erst in Bochum bei der Schulspeisung im ersten Schuljahr gegeben haben. Und wenn ich es recht erinnere, dann ging die Schlange rechts an der Wand lang und kehrte dann zu dem Tisch um. Mitunter war man auch gleich dran, dann ging man direkt zu den Frauen.
Jedenfalls ging ich mit meinem Henkelmann zufrieden weg. Manchmal saß ich auf der Bank und ließ Annegret mitessen, weil sie ja nichts bekam. Ich kann mich erinnern, dass darüber mal Tante Jane – bei der wir in Blankenese wohnten – mit meiner Mutter stritt. Tante Jane fand es nicht richtig, dass Annegret bei mir mitaß.
Wie oft es die Schwedenspeisung in der Woche gab, weiß ich nicht mehr. Ich weiß aber sehr genau, dass es immer ein großes Ereignis war, an dem kleinen weißen Häuschen zu stehen und das Essen zu bekommen.
Autor: Carsten Stern
Erläuterung zu Schulspeisung, "Schwedenspeisung
Auszüge aus dem Mitteilungsblatt der Zeitzeugenbörse Hamburg
"Zeitzeugen", Ausgabe 27, April - Juni 2005, Seite 7.
Weitere
Veröffentlichung nur mit Zustimmung der Zeitzeugenbörse Hamburg, p. A.
Seniorenbüro Hamburg e. V., Steindamm 87, D-20099 Hamburg,
mailto:senioren1@aol.com.
Ab Herbst 1945 mussten wir Kinder wieder zur Schule. Da wir durch die vielen Angriffe, durch unsere Flucht und durch Tieffliegerbeschuss sehr viele Schulmonate versäumt hatten, wurden in ganz Deutschland alle Klassen ein Jahr zurückversetzt. Wir begannen jetzt das neue Schuljahr im Herbst. Das war eine ganz gerechte Sache.
Alle Kinder, besonders die Flüchtlingskinder, waren total unterernährt. Deshalb wurde nach dem Krieg eine Schulspeisung, die so genannte Schwedenspeisung, eingerichtet. Jedes Kind musste täglich ein Gefäß und einen Löffel zur Schule mitbringen. Es gab dann meistens irgendeine Suppe, oder zwischendurch auch mal nur eine große dicke Scheibe Brot, die noch dicker mit Quark bestrichen war. Manchmal bekamen wir Grießsuppe mit Rosinen, die wir alle am liebsten mochten.
Autorin: Ingetraut Lippmann
"Black and White"
Auszüge aus dem Mitteilungsblatt der Zeitzeugenbörse Hamburg
"Zeitzeugen", Ausgabe 27, April - Juni 2005, Seiten 8 - 9.
Weitere
Veröffentlichung nur mit Zustimmung der Zeitzeugenbörse Hamburg, p. A.
Seniorenbüro Hamburg e. V., Steindamm 87, D-20099 Hamburg,
mailto:senioren1@aol.com.
Mai 1945. Wir Harburger Schüler, 14jährig, haben mit unseren älteren Lehrern – die jüngeren mussten an die Front – mehr als ein Jahr in der Kinder-Land-Verschickung zugebracht. Zuerst im heutigen Tschechien, dann zweimal geflüchtet vor den herannahenden Russen, und schließlich, seit März 1945, in Niederbayern im Kloster Windberg, nicht weit von Straubing.
Ein warmer Tag neigt sich seinem Ende zu. Ich habe das Kloster verlassen, bin den kleinen Berg hinuntergegangen nach Hunderdorf. Vielleicht kann ich irgendwo etwas zu essen ergattern? Plötzlich höre ich ein Auto hinter mir. Ich drehe mich um – und sehe den ersten Jeep meines Lebens, gesteuert von einem Neger (wie wir damals sagten), neben ihm ein weißer Offizier, der lässig die Beine hochgelegt hat. Black and White! „Morgen kommen wir wieder“, ruft er mir lächelnd zu, während der Jeep langsam weiterfährt. „Das soll Disziplin sein?“, denke ich, und: „Wo ist eigentlich unsere heldenhaft kämpfende Truppe geblieben?“
Am nächsten Tag kamen die Amis tatsächlich wieder. Mit Panzern, die quer über die Felder fuhren, aber nicht durch das Tor des Klosters passten – das war zu eng. Wir hatten Englisch bei Herrn Homann und versäumten das Schauspiel. Später stürmten zwei GIs in unser Klassenzimmer, mit entsicherter MPi. Wir kuckten ungläubig, die aber auch.
Am Nachmittag runter nach Hunderdorf, Amerikaner begucken, vor allem die Neger. Einer isst Schokolade und wirft seinem Hund ein Stück davon hin. Wir betteln nicht – na, soweit kommt’s noch! Es gibt ja auch andere Wege... Zum Beispiel weggeworfene Munition von geflüchteten deutschen Soldaten, von uns aus dem Bogenbach gefischt und staunenden Bengels aus dem Dorf unter die Nase gehalten: „Hier, willste haben? Ja? Dann musste aber ’n Stück Brot von deiner Mutter rausholen.“
Das flog natürlich auf. Wir mussten im Klosterflur antreten, alle Mann. Auch die Lehrer. Und wieder zwei Amis mit entsicherter MPi, dazu der neu ernannte Bürgermeister, der uns für Neonazis hielt, wenngleich der Begriff noch nicht erfunden war: „Und i glaab, hier san a noch Panzerfeist und Gwehre im Loger!“ Das stimmte zwar nicht, aber etliche Patronen, ein riesiger Haufen Schwarzpulver und, immerhin, ein Revolver lag später auf dem Tisch unseres Lagerleiters. Gefährliches Spielzeug! Wir bekamen einen Verweis, drei Tage Hausarrest und – Unterrichtsverbot. Na, wenn’s weiter nichts ist.
Nach Hause kamen wir erst im August 1945, mit einem Autobus, gechartert von der Hamburger Schulbehörde. Er brauchte drei Tage von Bayern nach Harburg. Auf der Fahrt eine Frage nach dem Weg, höflich gestellt von einem englischen Soldaten – auf Deutsch. Und was macht Lehrer Homann? Antwortet auf Englisch. „Ja, muss man denn dem Feind auch noch in den Hintern kriechen?“, dachte ich damals.
Im Sommer 1946 haben wir dann doch gebettelt, meine Mutter und ich. Geheimtipp: Nacht für Nacht, gegen halb vier Uhr früh, hielt ein Zug mit Soldaten vor dem Harburger Bahnhof. Engländer. Die warfen Brot aus dem Fenster, dick mit Butter, Wurst, Cornedbeef oder Käse beschmiert! Wir also hin – und wurden fündig. Auch wenn es erniedrigend war – sind wir etwa Affen, denen man Bananen hinwirft? – , wir freuten uns riesig. Doch auf dem Rückweg liefen wir einer Streife in die Arme. „Wissen Sie nicht, dass Ausgehverbot herrscht? Machen Sie mal die Taschen auf! Aha. Beschlagnahmt.“
Was die wohl mit dem Brot gemacht haben?
Im eiskalten Winter 1946/47 schließlich hatte das Kohlenklauen dermaßen überhand genommen, das befohlen wurde, auf Kohlendiebe ohne Warnung sofort zu schießen. „Ach was, wird schon nicht so schlimm sein“, dachte ich und zog am helllichten Tage los. Doch plötzlich kreuzten zwei bewaffnete Engländer am Bahndamm auf, kamen direkt auf mich zu! Mir blieb nur, mich an der Böschung flach auf den Bauch zu legen, ins plattgefrorene Gras, neben mir die geklauten Kohlen! Sie gingen vorbei, keine zwei Meter von mir entfernt, mir schlug das Herz bis zum Hals.... Ob die wohl gelacht haben über mich?
Autor: Claus Günther
Britische Soldaten in West-Berlin (1945)
Auszüge aus dem Mitteilungsblatt der Zeitzeugenbörse Hamburg
"Zeitzeugen", Ausgabe 27, April - Juni 2005, Seiten 9-10.
Weitere
Veröffentlichung nur mit Zustimmung der Zeitzeugenbörse Hamburg, p. A.
Seniorenbüro Hamburg e. V., Steindamm 87, D-20099 Hamburg,
mailto:senioren1@aol.com.
Nachdem die Sowjets 1945 Westberlin verließen, erlebten wir den fast geräuschlosen Einmarsch der Engländer im britischen Sektor. Nur der Heulton der britischen Lkws war nicht zu überhören, aber irgendwie angenehm.
Neu war für uns das Aussehen der Transporter ohne Schnauze. Die Uniformen und der gesamte Fuhrpark vom Panzerspähwagen bis zum Jeep waren blitzsauber und mit vielen Kennzeichen bestückt. Die Organisation der militärischen Einrichtungen war vorzüglich. Überall sah man die schwarzen Hinweisschilder mit weißer Aufschrift und den bunten Kennzeichen der einzelnen Armeeeinheiten. Mit unseren Englischkenntnissen, sogar aus der Zeit des „III. Reiches“, war zu erkennen, was auf den Schildern stand, wie z.B. „Static Laundry“, Hospital usw. Die persönlichen Kontakte zu den britischen Soldaten waren eher mäßig bis zurückhaltend. Britische Pioniere reparierten sofort die zerstörten Brücken und Straßen. Wir schauten zu und bettelten um Gebäck und Schokolade. Nach einer langen Geduldsprobe und Beendigung der Lunchpause, gaben sie uns etwas ab von ihrer Mahlzeit.
Im Winter hatten wir eine Begegnung mit der britischen Militärpolizei. Wir waren mit einem Schlitten unterwegs, der mit einem abgesägten Baum beladen war. Plötzlich stand im Schneetreiben ein Jeep der britischen Militärpolizei vor uns. Uns schlotterten vor Angst die Knie. Theoretisch waren wir dingfest zu machen. Offenbar sah man uns an, dass wir arme, frierende Kinder das Holz dringend brauchten. Nach einer entsprechenden Handbewegung der Rotkäppchenbesatzung durften wir weiter ziehen.
Weihnachten 1945 erlebten wir in einer Baracke der Briten in Berlin-Spandau. Wir wurden mit einer schier umwerfenden Herzlichkeit und Freundlichkeit umsorgt, die wir nicht erwarten konnten. Nach der wunderbaren Weihnachtsfeier erhielten wir Ausweis und Fahrkarte für unsere Verschickung durch die „Aktion Storch“, die gemeinsam mit deutschen Hilfsdiensten für unterernährte Berliner Kinder durchgeführt wurde. Durch die sowjetische Zone ging es bis Helmstedt. Dort wurden wir in Nissenhütten mittels DDT entlaust und mit deutschen Lazarettzügen nach Osnabrück und in den berühmten englischen Heulton-LKW’s ins Emsland transportiert.
In Sögel befand sich der polnische Arm der britischen Armee, die Anders-Armee. Sie hatten dort mehrere Häuser requiriert, tranken Bier und Wodka, und wollten in Ruhe gelassen werden.
Autor: Peter Bigos
Lieselotte Lamp: Ich hatte gräßliche Wut
Bericht unseres Zeitzeugenmitgliedes im Hamburger Abendblatt vom 30.4.2005
Link zu: www.abendblatt.de/daten/2005/04/30/428143.html
Lieselotte Lamp: Mit schlechtem Gewissen
Bericht unseres Zeitzeugenmitgliedes im Hamburger Abendblatt vom 3.5.2005
Link zu: www.abendblatt.de/daten/2005/05/03/429051.html
Amerikaner in Sachsen (1945)
Auszüge aus dem Mitteilungsblatt der Zeitzeugenbörse Hamburg
"Zeitzeugen", Ausgabe 27, April - Juni 2005, Seiten 10-11.
Weitere
Veröffentlichung nur mit Zustimmung der Zeitzeugenbörse Hamburg, p. A.
Seniorenbüro Hamburg e. V., Steindamm 87, D-20099 Hamburg,
mailto:senioren1@aol.com.
Als Flüchtlinge aus Schlesien fanden meine Mutter, zwei meiner Schwestern und ich im Februar 1945 bei einer Familie in Reichenbach im Vogtland Unterkunft.
Nachdem Dresden im Bombenhagel untergegangen war, wurden auch andere Städte in Sachsen bombardiert, so auch Reichenbach. Es gab keine Luftschutzkeller, so dass wir im Kartoffelkeller unserer Wirtsleute zwischen Kohlen und sonstigen Vorräten die Angriffe überstehen mussten.
Eines Tages wurde bekannt gemacht, dass die Amerikaner mit Panzereinheiten in Sachsen auf dem Vormarsch seien, es aber in den Wäldern noch starke SS-Einheiten gäbe, die Widerstand leisten würden. Wir hatten große Angst und waren erleichtert, als wir hörten, der Bürgermeister würde die Stadt kampflos übergeben. Das geschah auch, und man sah von einer Anhöhe die ersten Panzer auf die Stadt zurollen. Meine Mutter sagte uns, wir könnten uns nur freuen, für uns sei der Krieg vorbei. Diese Freude konnte ich zu diesem Zeitpunkt nicht empfinden, war uns doch der Endsieg mit den Geheimwaffen versprochen worden.
Reichenbach war eine Textilstadt, und die Amerikaner gaben die Textilien in den Fabriken vor allem für die Flüchtlinge frei. Den geordneten Ablauf der Ausgabe ließen sie durch Soldaten bewachen. So konnten wir uns vor allem sommerliche Stoffe holen, denn wir besaßen ja nur die warme Kleidung, die wir auf der Flucht getragen hatten.
Von den Amerikanern bekamen wir in großen Säcken Unmengen von Traubenzucker, den wir in uns hineinfutterten. Zum Glück haben wir diese Massen gut vertragen, niemand bekam irgendwelche Beschwerden.
Die größte Herrlichkeit aber waren die diversen Büchsen mit mexikanischem Rindfleisch. Dafür mussten keine Lebensmittelmarken abgegeben werden.
Die Amerikaner lagerten vorwiegend in Zelten am Rande der Stadt, dort hatten sie in aller Eile auch provisorische Sportplätze angelegt. Wir machten unsere Spaziergänge dorthin und bewunderten die uns völlig fremdem Ballspiele, mit denen sich die Soldaten in diesem sonnenreichen Frühling die Zeit vertrieben.
Das eindrucksvollste an der Begegnung mit Amerikanern aber war, dass wir das erste Mal in unserem Leben Farbige gesehen haben. Leider zogen die Amerikaner bald ab und die Russen kamen.
Autorin: Marianne Kabelitz
Anglo-amerikanische Kultur (1948/1949)
Auszüge aus dem Mitteilungsblatt der Zeitzeugenbörse Hamburg
"Zeitzeugen", Ausgabe 27, April - Juni 2005, Seite 4.
Weitere
Veröffentlichung nur mit Zustimmung der Zeitzeugenbörse Hamburg, p. A.
Seniorenbüro Hamburg e. V., Steindamm 87, D-20099 Hamburg,
mailto:senioren1@aol.com.
Nach der Währungsreform normalisierte sich das Leben mit den Besatzungsmächten. Die Alliierten traten nicht mehr so sehr in Erscheinung wie zu Anfang. Amerikaner und Engländer blieben zumeist unter sich in ihren Clubs, Kinos und Einkaufszentren.
In dieser Zeit besuchte ich oft das britische Information-Center am Kurfürstendamm. Es vermittelte einen aristokratischen Eindruck. Westminster und Buckingham wurden gegenwärtig. Die Vorträge, Filme und Ausstellungen waren für uns immer interessant.
Natürlich wurden die Berliner zur prachtvollen Geburtstagsparade der britischen Königin auf dem Maifeld eingeladen. British Troops – musikalisch und uniformmäßig ein farbenfrohes Erlebnis. Besonders beliebt waren die Schotten mit ihrem besonderen Paradeschritt und den Dudelsäcken.
Das Kulturzentrum der US-Amerikaner war supermodern und genoss eine gewisse Anziehungskraft durch Vorträge über Politik und Wirtschaft durch prominente Politiker und Wirtschaftssachverständige.
Die Clayallee in Berlin-Zehlendorf war der Inbegriff des amerikanischen „Way of Life“, mit der Kommandantur, Kinos und Einkaufszentren. Bei den Paraden überraschte uns der neue Sound, die fröhlich-beschwingte Militärmusik frei nach Glenn Miller usw.
Die Music-Show der Alliierten, insbesondere der amerikanische Teil, war phantastisch inszeniert mit der Musik von George Gershwin: Rhapsody in Blue oder „Ein Amerikaner in Paris“.
Jazz und Swing erfreuten sich zunehmender Beliebtheit. Ein besonderer Ohrwurm war u.a. der Schlager: Chattanooga-Express. Sehr beliebt waren auch die Tanzlokale „Badewanne und „Eierschale“, wo man vornehmlich Jazz und Swing „life“ spielte. Die Luftbrücke 1948/49 hat zum guten Verhältnis zwischen den Westalliierten und Westberlinern entscheidend beigetragen. Als äußeres Zeichen gilt hierfür die „Kralle“, das Luftbrückendenkmal in Berlin-Tempelhof.
Autor: Peter Bigos
1945 Ein Radio kommt zurück
Auszüge aus dem Mitteilungsblatt der Zeitzeugen Quickborn "Zeitzeugen", Ausgabe 9, April - Juni 2005, Seite 10. Weitere Veröffentlichung nur mit Zustimmung der Zeitzeugen Quickborn, Lornsenstr. 21 - 23, Quickborner Heide, mailto:annemarielemster@yahoo.de
Von Ingeburg Nygaard
In den ersten Tagen der Besetzung patrouillierten auf unseren kleinen, sandigen Wald‑ und Heidewegen immer wieder Jeeps. Einmal stoppte ein etwas größerer Wagen mit mehreren Soldaten vor unserem Grundstück. Alle stiegen aus, nur der Fahrer blieb sitzen. Zu zweit oder zu dritt gingen die Männer in jedes Haus und beschlagnahmten die Radioapparate, sofern vorhanden. Auch zu uns kamen sie und nahmen unseren batteriebetriebenen "Volksempfänger" mit. Mein Mann stand im Vorgarten und rief mir zu: „Schnell, schnell, Papier und Bleistift!" Er notierte sich die taktischen Zeichen des Fahrzeugs. Als Soldat kannte er sich damit aus und wusste auch, dass solche Razzien nicht korrekt waren. Die Engländer fuhren wieder ab, und wir machten alle unserem Ärger über diese Aktion Luft. Wer beschreibt unser Staunen, als die Crew nach einigen Stunden wiederkommt und uns allen die Radios zurückbringt! Angeblich, weil wir ausgebombte Hamburger sind!? Wie edel! Aber die Wahrscheinlichkeit liegt nahe, dass der Fahrer bemerkt hatte, wie mein Mann Notizen gemacht hat. Damit bestand für die Crew ein Risiko, gemeldet und bestraft zu werden.
Wie erging es nach dem Krieg den Rauchern
Auszüge aus dem Mitteilungsblatt der Zeitzeugen Quickborn "Zeitzeugen", Ausgabe 9, April - Juni 2005, Seite 11. Weitere Veröffentlichung nur mit Zustimmung der Zeitzeugen Quickborn, Lornsenstr. 21 - 23, Quickborner Heide, mailto:annemarielemster@yahoo.de
Von Annemarie Lemster
Bei uns wurde im Schrebergarten Tabak angebaut. Mein Vater und mein älterer Bruder hegten diese Pflanzen mit großer Liebe. Jeden Tag wurde gegossen und jedes Blatt nach eventuellen Schädlingen abgesucht.
Eine kleine Handschneidemaschine wurde gebaut, um später die reifen, gelben Blätter damit zu schneiden.
Die Zeit der Ernte kam.
Morgen sollten die Blätter geerntet werden. Doch zu ernten gab es leider nichts mehr. Über Nacht hatten sich Diebe bedient und nun standen die langen Stiele blattlos da.
Mein Bruder schimpfte und fluchte.
Mein Vater erschreckte mich, wie er so da stand. Mit gesenktem Kopf und Tränen in den Augen sagte er ganz leise: „Diese Schweine".
Die verbliebenen Tabakstrünke wurden abgeschnitten und zum Trocknen aufgehängt. Später wurden sie dann so fein wie möglich geschnitten und geraucht.
Wer kennt noch diesen Spruch? „Rippenknaster Nummer vier, rauchen in der Stube, stinkt vor der Tür“.
Eine andere Möglichkeit sich Zigaretten zu drehen, war das Kippensammeln.
Bei uns waren in der Nachkriegszeit viele Engländer und Amerikaner. Diese hatten Zigaretten im Überfluss und schmissen oft sehr lange Kippen fort. Die lagen nicht sehr lange auf der Straße. Schnell bückte sich der Nächste, der vorbei kam und die Kippe landete in der Hosentasche.
Am Abend wurde diese über Papier geleert. Vorsichtig entfernte man das alte Zigarettenpapier, um sich aus dem Inhalt mehrerer Kippen, eine neue Zigarette zu drehen.
In so mancher Hosentasche war damals die so genannte Kippendose, in der wurde jedes kleinste Tabakstäubchen festgehalten.
Unsere neuen Nachbarn
Auszüge aus dem Mitteilungsblatt der Zeitzeugen Quickborn "Zeitzeugen", Ausgabe 10, Juli - September 2005, Seiten 6 - 7. Weitere Veröffentlichung nur mit Zustimmung der Zeitzeugen Quickborn, Lornsenstr. 21 - 23, Quickborner Heide, mailto:annemarielemster@yahoo.de
Von J. O. Probst
Am 3. Mai 1945 wurde Kiel zur „Offenen Stadt" erklärt. Weitere Luftangriffe der Alliierten blieben aus, und die Bevölkerung konnte nach Jahren wieder ruhig durchschlafen.
Überall herrschte große Erleichterung, die aber mancherorts durch neue Ängste und Sorgen verdrängt wurde. Hielt sich doch bei der damaligen Nachrichtenlage hartnäckig das Gerücht, die Russen würden auf ihrem rasanten Vormarsch vor den Engländern nach Holstein kommen. Diese Schreckensmeldung verstummte erst, als „endlich" Militärkolonnen mit einem „weißen Stern“ auf den Zufahrtsstraßen gesichtet wurden.
Den ersten unmittelbaren Kontakt mit der britischen Armee hatten wir Tage später. Plötzlich donnerten schwer bewaffnete Kradschützen über die stillen Straßen unserer Siedlung, wobei sich die wenigen Fußgänger ängstlich in die Hecken drückten. Sie machten schließlich Halt vor dem einzigen Gasthof des Ortsteils. Nachdem weitere Mannschaftswagen eingetroffen waren, wurden die Gebäude und drei angrenzende Einzelhäuser requiriert. Gebannt verfolgten wir dieses Schauspiel aus unserem Haus von der anderen Straßenseite aus. Würden sie auch bei uns Quartier machen? Das war die bange Frage. Immer wieder stand man in Gruppen vor der 100 m langen Auffahrt, ohne allerdings das Grundstück zu betreten. Wir blieben schließlich verschont ‑ es gab keinen Räumungsbefehl. Offensichtlich entsprach die Lage des Hauses nicht dem Sicherheitskonzept.
So lebten wir nun für viele Monate in enger Nachbarschaft zu den Engländern. Vor unseren Augen wehte der Union Jack, und wir erlebten den Tagesablauf mit lauten Kommandos beim Exerzieren und viel sportlicher Betätigung. Beeindruckend war der große Wagenpark, von dem laufend viele Fahrzeuge unterwegs waren. Treibstoffmangel kannte man wohl nicht. Bei gutem Wetter hörten wir aus den offenen Fenstern in erster Linie Swingmelodien, und an manchem Abend wurde erstaunlicherweise unser Garten inspiziert ‑ bewaffnet, versteht sich.
Wasserprobe
Die Strom‑, Gas‑ und Wasserversorgung war bei Kriegsende in den meisten zerbombten deutschen Städten total zusammengebrochen. Bei uns floss selbst aus den Hydranten der Hauptleitungen kein Tropfen Wasser. Zum Glück befand sich in der Nähe ein alter Gartenbrunnen, den der Besitzer allen zur Verfügung stellte. In großen Eimern, Töpfen und Wannen wurde das kostbare Nass nach Haus transportiert, oft mit Rädern, Schubkarren oder Blockwagen. Eines morgens erschien hier auch ein Trupp Soldaten aus den besetzten Häusern. Sie hatten einen Tankwagen dabei, der von Hand gezogen wurde. Zum Erstaunen aller stellten sich die Engländer in die Schlange der Wartenden. Als sie aber an der Reihe waren, wurde erst dann Wasser in den Tank gepumpt, nachdem drei deutsche Frauen vor ihren Augen vom Brunnenwasser getrunken hatten.
Beleuchtungen
Auszüge aus dem Mitteilungsblatt der Zeitzeugen Quickborn "Zeitzeugen", Ausgabe 10, Juli - September 2005, Seiten 2 - 4. Weitere Veröffentlichung nur mit Zustimmung der Zeitzeugen Quickborn, Lornsenstr. 21 - 23, Quickborner Heide, mailto:annemarielemster@yahoo.de
Von Fritz Schukat
Nach dem Kriegsende, vor rund 60 Jahren, wurde selbst der Strom aus der Steckdose rationiert, das hieß dann einfach „Stromsperre“ und war eine Maßnahme der städtischen Versorgungsbetriebe, die knappen Energiereserven gerecht zu verteilen. Die Straßen und Wohnblocks in den Großstädten waren mit Buchstaben gekennzeichnet. Jede Familie kannte natürlich ihre Kennung. Wöchentlich wurden die neuen Pläne in den Tageszeitungen veröffentlicht. Die Straßenzüge bekamen den Strom rotierend stundenweise auch schon mal in der Nacht zugeschaltet. Die Hausfrauen stellten sich dann ihre Plättwäsche und das Plätteisen zurecht und den Wecker auf die Einschaltzeit. Das konnte schon mal 2 oder 3 Uhr in der Nacht gewesen sein. Wenn dann zu der angekündigten Zeit das Licht wirklich anging, war das schon ein kurioser Anblick: wie von Geisterhand erleuchtete die ganze Gegend auf einem Schlag. Auch die Radioapparate und andere elektrisch betriebene Geräte gingen dann an. Wir Kinder waren natürlich ebenso wach wie die Erwachsenen, die nun - wie im Dornröschen-Märchen, als der Prinz die Prinzessin küsste - mit einem Male geschäftig wurden, und es war - trotz tiefster Nacht - an allen Ecken und Enden Leben. Kurz vor der erneuten Abschaltung musste man sich dann beeilen, wenn man gerade eine Arbeit angefangen hatte. Öfter mal „vergaß“ der Techniker in der Zentrale, den Schalter umzulegen, manchmal um 3 - 5 Minuten, dann gab es glänzende Augen. Aber auch das Gegenteil trat oft ein, dann wurde herzhaft geflucht! Da man darauf immer vorbereitet sein musste, brannten die obligatorischen Kerzen schon einige Zeit vor der bekannten Abschaltzeit.
In diesen wahrhaft dunklen Tagen hatten Kerzen und Petroleumlampen Hochkonjunktur. Als Ersatzbeleuchtung musste alles herhalten, was nicht mit Elektrizität betrieben wurde, zum Beispiel auch die schon längst außer Mode gekommenen Karbidlampen. Wohl dem, der im Keller noch ein altes Fahrrad fand, an dem von früher noch ein solches Unikum hing. Ich weiß nur, dass man dazu einen bestimmten Stein brauchte- eben Karbid, das ist ein kreideartiges Mineral, das sich etwas speckig anfühlte, was man allerdings tunlichst nicht zu lange anfassen sollte - und etwas Wasser. Wenn Karbid mit Wasser in Berührung kommt, entwickelt sich ein brennbares Gas. An der beschriebenen Lampe gab es eine Tülle mit einer regelbaren Düse, an der das Gas austrat und entzündet werden konnte. Die Flamme brannte sehr hell und gab ein etwas bläuliches Licht ab, das durch einen kleinen Blechspiegel „verstärkt“ wurde.
Auch Petroleumlampen kamen wieder in Mode. Aber auch diese Lichtquellen waren mit Vorsicht zu genießen, denn das Petroleum verbrannte meist mit blakender, also rußender Flamme und die Rußwölkchen schwärzten nicht nur den Glaszylinder, den man wegen besserer Lichtausbeute ständig putzen musste, sondern auch die Umgebung. In relativ kurzer Zeit merkte man das an den Tapeten in der guten Stube, die sehr schnell dreckig wurden.
Merkwürdigerweise lieferten - zumindest in Berlin - die Gaswerke kurz nach Kriegsende auch während der Zeit der Stromsperre genügend Gas. Vielleicht lag es aber auch daran, dass die Sperrstunden für Gas - wenn es denn welche gab, woran ich mich allerdings nicht erinnere - nicht mit denen für den elektrisch Strom identisch waren. Damals gab es viele Installateure, die sich mit großem Geschick meist in der Küche, wo sich in der Regel die einzige Zapfstelle befand, eine Gaslampe installierten. Ich kann mich noch daran erinnern, dass unser Nachbar in dieser Hinsicht eine Kapazität war. Er reaktivierte ein noch aus der Gründerzeit vorhandenes Rohr über dem Gasherd und verschraubte dort eine Bügellampe mit einem hübschen Glasschirm, der nach unten geöffnet war. Da, wo wir heute die Glühbirne einschrauben, befand sich ein kleiner Schutzkorb und darunter der so genannte „Auerstrumpf“. Das war ein Beutelchen aus einem bestimmten Gewebe, den man über das Auslassventil stülpen musste. Es wurde zunächst abgebrannt und war erst dann praktisch „betriebsfertig“. Dieser Glühstrumpf ergab eine sehr gute Lichtausbeute, hielt zwar nicht ewig, aber meist doch eine längere Zeit, wenn man ihn nicht allzu unsanft berührte. Zum An- und Ausmachen gab es am Lampenrohr eine Wippe, mit der man den Gashahn öffnete oder eben schloss. Wenn das Gas ausströmte, musste man eine Flamme in die Nähe des Strumpfes bringen, sich aber vorsehen und ihn nicht berühren, denn er war - wie gesagt - höchst empfindlich. So gab es bei uns auch während der Stromsperre in der Wohnküche meiner Großeltern noch genügend Licht, um dort gemütlich beisammen zu sitzen und ein Schwätzchen zu halten.
Abschied - Anfang (1945)
Meine Mutter saß auf dem Trümmerhaufen unseres von einer Sprengbombe zerstörten Hauses und putzte uralte Ziegelsteine. Mit jedem Stein, den sie in die Hand nahm und von dem sie den Mörtel abklopfte, nahm sie Abschied von dem Haus, in dem sie Jahrzehnte gelebt hatte.
Sorgfältig legte sie die Steine in einen Handwagen. War er voll, nahm sie die Deichsel in die Hand und zog die schwere Last die Straße entlang, etwa 200m nur, aber es war ein anstrengender Weg. Angekommen, lud sie auf unserem Ackergrundstück die Steine wieder ab und stapelte sie. Für jeden Handwagen voll geputzter Steine brauchte sie zwei bis drei Tage.
Unser kleiner Nachkömmling, noch kein Jahr alt, lag derweilen in einem Einheitskinderwagen, solchen, wie sie während des Krieges jungen Familien zugeteilt wurden. Ich war noch nicht 15 Jahre alt und kümmerte mich ein wenig um das Baby, damit meine Mutter die notwendigen Mauersteine für den Bau des Behelfsheimes bearbeiten und transportieren konnte.
Abends, wenn sie schon müde war, wusch meine Mutter für die jungen Soldaten der englischen Besatzungsmacht die olivfarbenen, wollenen Oberhemden in einem Zuber. Bis spät in die Nacht bügelte sie die frisch gewaschenen Hemden und presste mit einem nassen Handtuch engliegende, plisseeartige Falten in das Rückenteil eines jeden Hemdes, wie es vorgeschrieben war. Sie bekam für ihre Arbeit ein oder zwei Stücke Seife und hin und wieder eine Tafel Cadbury-Schokolade; ein sehr geringer Lohn.
Meine Mutter genoss die Freundlichkeit der Soldaten, ihr „Thank You“ belebte und stärkte sie, es war ihr Lohn.
Autorin: Lisa Schomburg
Ein Teddy mit Vergangenheit
Auszüge aus dem Mitteilungsblatt der Zeitzeugen Quickborn
"Zeitzeugen", Ausgabe 25, April - Juni 2009, S. 9 - 10.
Weitere
Veröffentlichung nur mit Zustimmung der Zeitzeugen Quickborn,
p. A. Martin-Luther-Gemeinde,
Lornsenstr. 21-23,
D- 25451 Quickborn-Heide/Kreis Pinneberg,
mailto:annemarielemster@yahoo.de
Von Dr. Hildegard Kahlert
Mein Teddy war meine erste Liebe! Obwohl ihm später eine Käthe-Kruse-Puppe den Rang streitig machte, saß er weiterhin auf einem Ehrenplatz im Kinderzimmer: Rundlich, blond, mit blauen Augen und einem silbernen Knopf im Ohr.
1945 - ich war 10 Jahre alt - war vom Kinderzimmer nichts übrig geblieben. Teddy und Puppe aber hatten die Luftangriffe überlebt, weil ich sie treu und brav mit in den Keller genommen hatte.
Meine Heimatstadt in der Nähe von Leipzig, gerade von den Amerikanern erobert, wurde kurze Zeit später von den Russen besetzt. Um meinen Vater zu besuchen, der sich aus amerikanischer Gefangenschaft zu Verwandten in den Westen hatte entlassen lassen, mussten meine Mutter und ich „schwarz über die grüne Grenze“ gehen.
Vor der Abreise gab es Krach. Ich wollte meine Puppe mitnehmen, aber meine Mutter bestand darauf, dass der Teddy mit auf Reisen ging. Kein Protest half. Als wir uns in den überfüllten Zug drängten, hatte ich meinen Teddy an einer Schnur um den Hals hängen, damit ich beide Hände für das schwere Gepäck frei hatte.
Von nun an reisten wir zu allen Ferien- und Feiertagen über die Grenze. Wir stapften durch Bäche im Harz, durchquerten dunkle Tunnel oder robbten durch wogende Kornfelder, um von Ost nach West oder umgekehrt zu gelangen. Und jedes Mal war mein Teddy dabei.
Sehr oft wurden wird bei unseren Grenzgängen geschnappt. Die Russen durchsuchten mitten im Wald oder im Keller der Kommandantur unsere Taschen und Rucksäcke. Ihr Blick wurde immer freundlich, wenn sie meinen kuscheligen Reisegefährten entdeckten. „Teddy!“ verständigten wir uns international.
Inzwischen war ich 11 und dann 12 Jahre alt geworden, und meine Mutter bestand immer noch darauf, dass ich mir bei jeder Reise den Teddy um den Hals hing. Als wir wieder einmal mit Sack und Pack glücklich bei meinem Vater gelandet waren, protestierte ich heftig. „Ich bin kein Kleinkind mehr! Den Teddy nehme ich nie wieder mit!“ Ohne darauf zu hören, dass meine Mutter mir erklärte, es sei unsere letzte Reise gewesen, und wir blieben jetzt für immer im Westen, ergriff ich den Teddy und warf ihn an die Wand.
Welch ein Schreck! Sein Bauch platzte auf, aber nicht Stroh oder Sägemehl quollen heraus, sondern Geld, Papiere, Ringe und Ketten...
Wenn ich heute diesen Schmuck trage, dann muss ich oft an meinen alten Teddy denken, in dem ich, ohne es zu wissen, bei jeder Reise wichtige Papiere und den Familienschmuck aus dem Osten in den Westen und wertvolle Tauschobjekte, wie Nähgarn oder Zigaretten, vom Westen in den Osten transportiert habe.