Verfolgung der Juden
Feldbauer, Marianna: Menschen wie wir (1941)
Günther, Claus: In einem Polenstädtchen (1956/1940)
Scholtz, Karl-August: Erinnerungen an die Bücherverbrennung (10.05.1933) und die
Pogromnacht (09.11.1938)
Menschen wie wir (1941)
Auszüge aus dem Mitteilungsblatt der Zeitzeugenbörse Hamburg
"Zeitzeugen", Ausgabe 29, Oktober - Dezember 2005, Seiten 7-8.
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Veröffentlichung nur mit Zustimmung der Zeitzeugenbörse Hamburg, p. A.
Seniorenbüro Hamburg e. V., Steindamm 87, D-20099 Hamburg,
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Es geschah in der damals selbstständigen Slowakei, aus der ich stamme. Deren klerikalfaschistische Regierung sympathisierte mit Hitler-Deutschland.
Wir wohnten zu der Zeit in Poprad, etwa 12 km unterhalb der Hohen Tatra, in der Tatranskástraße 4. Im Sommer 1941 zogen etwa dreißig Hitler-Jungs, so 14 bis 17 Jahre alt, in das Hotel neben uns. Sie hingen oft am Fenster, das seitlich zum Hof hinausging. Ich spielte dort, ich schaukelte, und sie konnten mich ganz leicht sehen. Irgendwann fingen sie an, sich mit mir zu unterhalten. Ich war erst neun. Es freute sie sehr, dass ich deutsch sprach. Einmal bekam ich ein Geschenk von ihnen, sie warfen es mir herunter. Es war ein kleiner Reklamespiegel von einem Möbelgeschäft, ich glaube, in Braunschweig.
Unsere Gespräche wurden immer länger, von Tag zu Tag. Einmal ging ich mit meiner Mutter in die Stadt und traf dort einige der Jungs. Der eine von ihnen, den kannte ich vom Fenster, der war 17 Jahre alt, also für mich ein biblisches Alter. Ich wurde rot und meine Mutter fragte ganz verstört: „Was ist mit dir?“ Er hatte mich gegrüßt! Das machte mich sehr stolz.
Eines Morgens, es muss ein Sonnabend gewesen sein, gingen sie „zum Marsch“, also traten vor dem Hotel an, ganz militärisch, und sie riefen mich. Ihr Leiter war auch da, in Uniform, der war 24 und grüßte mich mit „Heil Hitler!“ - was diese Jungs nie taten.
Dieser fast freundschaftliche Umgang war von Seiten der deutschen Führung ganz sicher nicht erwünscht. Die Tochter des Milchmanns - vielleicht war sie eifersüchtig - muss mich „gemeldet“ haben. Sie scharwenzelte immer um das Hotel herum; ich sehe sie noch vor mir auf ihrem Rad. Einmal muss sie gesehen haben, wie ich mich mit den Jungs unterhielt.
Plötzlich war alles anders. Ich war in der Schule gewesen, hatte eine Freundin besucht, kam am späten Nachmittag nach Hause - da standen die Jungs. Vor dem Hotel. Alle. Unheimlich feindlich. Mit Stöcken empfingen sie mich. Einer haute mir mit dem Stock über die Lippen; sie waren gleich geschwollen.
Auf unserem Hof befand sich eine Autowerkstatt. Herr Schwarz, der den Krach gehört hatte, kam heraus und rief: „Jungs, was macht ihr? Sind denn Juden keine Menschen?“ Und die Jungs schrieen: „Nee, Juden sind keine Menschen!“
Unter seinem Schutz gelangte ich ins Haus, aber da waren wir gefangen, meine Mutter und ich, weil sie die seitliche Eingangstür mit Steinen beschossen. Unentwegt, bis es dunkel wurde. Wir wagten nicht, das Licht anzumachen. Ich schlich mich zur Tür, wo ich die Seite des Hotels sehen konnte, dort am Gang war ein kleines Fenster, und tatsächlich, da standen ein oder zwei und zielten auf unsere Tür, falls sich dort etwas rührte.
Es wurde immer später. Wir hatten ein Telefon, aber da musste man über den Hof laufen, nach hinten, in die Reinigung, die uns gehörte, also meinem Großvater. Gegen halb elf, im Schutze der Dunkelheit, gelangten wir hin und konnten Bekannte anrufen, Lichtmann hießen sie. Schließlich, es muss schon nach elf gewesen sein, so dass die Jungs endlich schlafen gegangen waren, kam der Großvater und nahm uns mit. Wir haben dann bei Lichtmanns übernachtet.
Autorin: Marianna Feldbauer
In einem Polenstädtchen (1956/1940)
Auszüge aus dem Mitteilungsblatt der Zeitzeugenbörse Hamburg
"Zeitzeugen", Ausgabe 30, Januar - März 2006, Seite 3.
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Veröffentlichung nur mit Zustimmung der Zeitzeugenbörse Hamburg, p. A.
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Auszüge aus einem Brief meines Vaters: Im Jahre 1956 hat eine Entschädigungskammer des Landgerichts Darmstadt offenbar bei meinem Vater angefragt, wie 1940 die Lebensverhältnisse von Juden in dem Städtchen Chrzanow gewesen seien.
Mein Vater, damals als Verwaltungsangestellter für den „Aufbau Ost“ nach dort in die Passabteilung beordert, antwortete ausführlich, an Eides statt. Hier einige signifikante Auszüge:
„Verbote und Strafandrohungen waren... an der Tagesordnung; Schließung von jüdischen Geschäften und Ausweisungen aus der Wohnung... Die jüdische Bevölkerung war gezwungen, öfter den Wohnraum zu wechseln... (und) wohnte auf engstem ...Raum zusammen. Ich habe des öfteren die Abende bei jüdischen Familien verbracht und weiß daher, wie erbärmlich sie lebten und dennoch sehr gastfreundlich gegen mich gewesen sind.
Zu meiner Zeit [1940] hat es in Chrzanow noch etliche jüdische Geschäfte, Gastwirte, Weißwarengeschäfte, Schneider etc. gegeben. Als Bewohner von Ch. habe auch ich hier gekauft. Von Arbeitsverhältnissen der Juden kann man nicht sprechen, und wenn schon, dann nur von Zwangsarbeit. Die Lebensverhältnisse der Juden waren bestimmt nicht rosig zu nennen; wer von der Lebensmittelkarte leben musste, war dem Hungertode preisgegeben - langsam aber sicher.
Die Verpflichtung der [= zur] Zwangsarbeit war wohl Sache des Arbeitsamtes, es wurden öfter Razzien auf offener Straße gegen die jüdische Bevölkerung abgehalten, bei denen Männer und Jünglinge zum Bahnhof unter Bewachung abgeschoben wurden - wohin, entzieht sich meiner Kenntnis...“
P.S. Das Städtchen Chrzanow liegt unweit von Oswiecim (Auschwitz).
Autor: Claus Günther
Erinnerungen an die Bücherverbrennung (10.05.1933) und die Pogromnacht
(09.11.1938)
Auszüge aus dem Mitteilungsblatt der Zeitzeugenbörse Hamburg
"Zeitzeugen", Ausgabe 37, Mai - August 2008,
Seiten 2 - 3.
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Veröffentlichung nur mit Zustimmung der Zeitzeugenbörse Hamburg, p. A.
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Deutschland,
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Meine Erinnerungen an die Bücherverbrennung 1933 und an die „Reichskristallnacht“ 1938 zeigen erschreckend, wie ich zwischen beiden Ereignissen durch Internat und Hitlerjugend politisch beeinflusst wurde. Am 10. Mai 1933, ich war 12 Jahre alt, sollten auch die Einwohner Schwerins abends am Pfaffenteich der öffentlichen Verbrennung „artfremdem“ und den Nazis nicht genehmem Schrifttums beiwohnen. Das galt sogar für wissenschaftliche Werke. Mit Reden und dummen Sprüchen warfen braun uniformierte Nazis Buch für Buch in den hell lodernden nächtlichen Scheiterhaufen. Es war aber so viel Schriftgut konfisziert und gesammelt, dass am Ende selbst den Nazis die Worte ausgingen und Bücher jetzt stapelweise in den glühenden Scheiterhaufen flogen. Bücher brannten an diesem Abend überall in Deutschland.
An diesem schönen Maiabend flanierten wir bald vom Feuer entfernt am Ufer des Pfaffenteichs entlang und ließen die Nazis unter sich. Ich erinnere noch meine Gedanken: Wenn die Bücher jetzt sprechen könnten. Ich regte sogar bei meinen begleitenden Verwandten eine Diskussion an: Warum kluge Gedanken verdammt würden; dass verschiedene Menschen auch unterschiedliche Ansichten und Vorlieben hätten und es ihnen doch erlaubt sein müsste, diese zu äußern - Der braune Ungeist vom 30. Januar 1933 hatte mich noch nicht voll erfasst.
Fünf Jahre später. Vier Jahre intensiver NS-Erziehung im Internat lagen hinter mir. Es kam die Pogrom- oder auch „Reichskristallnacht“ vom 9. auf den 10. November 1938. Nach dem Mord des Juden Grynszpan an dem deutschen Botschaftssekretär von Rath in Paris machte Goebbels sofort seine unglaublichen Drohungen in ganz Deutschland wahr. Schon morgens auf dem Weg zur Arbeit wunderte ich mich über das eingeschlagene Schaufenster eines Tabakhändlers. Abends sah ich mit Arbeitskollegen und vielen Neugierigen zerstörte und geplünderte Geschäfte jüdischer Mitbürger in der Innenstadt Schwerins. Hauptamtliche NS-Einheiten, hieß es, hätten sich in Zivil befehlsgemäß ausgetobt. In Schwerin soll es die kasernierte SA-Standarte „Germania“ aus Wismar gewesen sein. Auch die Schweriner Synagoge brannte.
Meine Gedanken 1938? Mit den Betroffenen hatte ich Mitleid, aber im Vergleich zu der damaligen Bücherverbrennung nur sehr bedingt. Bei mir tat die „Gehirnwäsche“ in der HJ und im Internat das ihre. Hatten die Nazis uns Jugendlichen nicht seit 1933 eingetrichtert, wir Deutschen seien bessere Menschen und die anderen unser Unglück? Und es gab ja noch kein Fernsehen, erst wenige Rundfunkgeräte, nur zensierte Zeitungen. Die Partei diktierte und hatte alles im Griff.
Lange nach Kriegsende haben mich diese Jahre noch bewegt. Zur Aufarbeitung solcher Fragen und als Warnung an die jetzige Generation halte ich Schulbesuche der Zeitzeugen für unentbehrlich, dabei auch die Aussagen von Betroffenen und Geschädigten. Aber wir, die diese unverständlichen Gegensätze mit ihren furchtbaren Folgen selbst erlebten und weitergeben können, sind nur noch ein kleiner Kreis.
Autor: Karl-August Scholtz