Max Plank an seiner Orgel
Liz. Dr. Hans Hartmann:

Max Planck zum 100. Geburtstag

Der Mensch - Seine Gedanken über Wissenschaft und Forschung -
Die Quantentheorie, der Schlüssel zum Atomzeitalter

Durch alle Gebiete der reinen Naturwissenschaft, der Biologie, aber auch der Geographie, der Archäologie und der Geschichte der Wissenschaft führt uns der ORION. Heute soll nun ein Mensch in seiner echten Menschlichkeit, seinem vorbildlichen Kampf um Naturerkenntnis und Menschenwürde und seinem wissenschaftlichen und persönlichen Schicksal Gegenstand einer eigenen Betrachtung sein. Max Planck, der am 23. April 1.958 hundert Jahre alt geworden wäre, ist ein Unsterblicher für Deutschland und für die Welt. Der ebenso bescheidene wie liebenswerte und stets hilfsbereite Gelehrte hat sich nicht in die Einsamkeit, die Unzugänglichkeit und Undurchdringlichkeit seiner höheren Mathematik und theoretischen Physik verstiegen - ebenso wenig wie er sich als leidenschaftlicher Bergsteiger in unzugängliche Klüfte verstieg - sondern immer wieder den rechten Weg gefunden. Vielmehr hat er gerade aus dem Abstand des einsam forschenden Geistes hoch über den Niederungen des gewöhnlichen Lebens den unmittelbaren menschlichen Kontakt gehabt zur Familie im engeren und weiteren Sinn und zu den vielen Gemeinschaften und Organisationen, deren Führung man ihm oft anvertraute. Viele Jahre war er der Senior der weit verzweigten schwäbischen Familie Planck, aus der er stammte. Darüber hinaus hat er Verbindung zu vielen Fachgenossen und Gelehrten anderer Fakultäten gepflegt. Pflichtgemäß erweiterte sieh ihm dieser Kreis, als er sieben Jahre lang, von 1930 bis 1937, die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften mit ihren etwa 35 Instituten leitete. Nach dem Kriege gab man ihr noch zu seinen Lebzeiten den Namen Max-Planck-Gesellschaft. Für sehr lange Zeit wird also durch die Arbeit der Max-Planck-Institute sein Name im Bewusstsein des In- und Auslandes lebendig bleiben.

Nicht zuletzt galt die Bereitschaft seines Herzens auch der Pflege von Beziehungen zum Ausland. Er hat zu seinen Freunden immer wieder tief bewegt darüber gesprochen, dass es nach dem ersten Weltkrieg so lange, auf manchen Gebieten sogar zehn Jahre dauerte, bis man die deutschen Gelehrten wieder zur Zusammenarbeit und auf internationale Kongresse einlud. Dabei war gerade er vollkommen überzeugt und hat sich auch in Zeiten, wo man es ihm recht übel nahm, öffentlich dazu bekannt, dass es keine deutsche Physik oder keine deutsche Mathematik geben könne, sondern dass es sich immer um Fragen handle, die nur durch internationale Zusammenarbeit zunächst richtig gestellt und dann vielleicht gelöst werden können. So war es ihm denn eine besondere Freude, als man ihn zur internationalen, groß angelegten Feier des 300. Geburtstages von Isaac Newton im Sommer 1946 einlud und er schon ein Jahr nach dem entsetzlichen zweiten Weltkrieg nach London fliegen konnte. Die Feier, die eigentlich 1943 fällig gewesen wäre, hatte man wegen des Krieges verschoben. Nun wurde er als einziger Deutscher eingeladen, während sein Fachkollege und Freund Max von Laue, wie dieser in seiner Selbstbiographie schreibt, nur durch Zufall einen Geselligkeitsabend der Newton-Ehrung mitmachen konnte. Ein unverheiratetes Mitglied der Royal Society hatte infolge eines Versehens auch für seine nicht-existierende Frau eine Einladung bekommen und darauf Max von Laue einfach mitgenommen. Sofort gingen damals die hundert eisernen Vorhänge, mit denen sich die Welt von Deutschland und seinen führenden Wissenschaftlern während der verhängnisvollen zwölf Jahre abgekapselt hatte, auf und die Basis für die internationale Zusammenarbeit war wieder geschaffen.

Max Planck erzählt in dem Lebenslauf, den er dem Nobelpreiskomitee zur Verleihung des Preises 1919 einreichen musste, in seiner schlichten Art einiges aus seinem persönlichen Leben. Wir erfahren, dass er in Kiel als Sohn des dortigen Professors der Jurisprudenz Wilhelm Planck geboren wurde. Er fährt fort:

"Obwohl ich schon nach Vollendung des neunten Lebensjahres mit meiner Familie nach München übersiedelte, betrachtete ich doch Kiel als meine eigentliche Heimat und fühle mich auch heute noch als Schleswig-Holsteiner. In München verlebte ich in Gemeinschaft mit meinen Eltern und Geschwistern eine überaus glückliche Jugend."

Nach der Schilderung seiner wissenschaftlichen Laufbahn schließt er mit den Worten: "Die letzten Jahre haben mir durch Krankheit und Krieg in meiner engeren Familie viel Leid gebracht. Doch fand ich nach dem im Jahre 1909 erfolgten Tode meiner Frau in deren Nichte Marga, geb. v. Hoesslin, eine zweite Lebensgefährtin und bin dem Schicksal dankbar, dass mir nach dem Verlust dreier geliebter, in der Blüte ihrer Jahre stehender Kinder noch zwei Söhne geblieben sind, denen mein Leben und meine Arbeit zugute kommen." Es war ihm wahrhaft Ungewöhnliches an Leid auferlegt worden. 1916 fiel bei Verdun sein ältester Sohn, dann starben zwei Zwillingstöchter im Abstand von zwei Jahren. Er konnte damals nicht ahnen, wie Schweres ihm noch bevorstand. Den einen der beiden genannten Söhne verlor er Ende Januar 1945, als er von der Hitlerjustiz unschuldig hingerichtet wurde. Der zweitgenannte war ein Sorgenkind, er wurde schwer krank und starb, allerdings erst einige Jahre nach Max Planck selbst. Aber seine aus stoischen und christlichen Motiven hart erkämpfte und zu innerer Größe gewachsene Einstellung zum Leben ließ ihn all dies ertragen und bewahrte ihn vor der Verzweiflung am Leben und dem Absturz in den heute wie auch ehedem so verführerischen Nihilismus.

Max Planck wird als Denker leider lange nicht genügend gewürdigt. Fachphilosophen gehen fast immer an seinen Gedanken vorbei, bezeichnen sie als nicht neu oder als nicht wesentlich und als nicht wert, in der Geschichte des menschlichen Denkens und der Philosophie eine geachtete Stellung einzunehmen. In unserem Rahmen ist eine eingehende Erörterung nicht möglich. Man müsste dazu nicht nur den allgemeinverständlichen Band seiner Vorträge und Erinnerungen mit fast 400 Seiten bis ins einzelne durcharbeiten, sondern auch an vielen versteckten Stellen seiner fachwissenschaftlichen Werke nach Goldkörnern suchen, die eine Spur ins Philosophische anzeigen. Darum sei versucht, in einigen eher thesenartigen Sätzen das, was Max Planck an eigenartigen und in gewissem Sinne auch neuen Gedanken zur Naturforschung überhaupt beigetragen hat, zusammenzufassen:

Schon angedeutet wurde, dass für ihn in der richtigen Fragestellung aller Anfang des Forschens lag. Wer falsche, schlechte oder schiefe Fragen an die Natur stellt, kann keine Antwort erhoffen. Planck gab solchen Fragen den Namen "Scheinprobleme der Wissenschaft" und hat hiermit ein neues Kapitel in der Geschichte des Geistes aufgeschlagen, an dem noch Generationen zu arbeiten haben werden. Gelingt es, die echten Probleme von den Scheinproblemen auf allen Gebieten der Wissenschaft und des Lebens zu sondern, dann kann man sich die Mühe unzähliger, zum Scheitern verdammter Experimente, Bücher und Aufsätze ersparen. Erwähnen wir ein Beispiel aus seinem Vortrag, den er darüber im Alter von 88 Jahren am 17. Juli 1946 an der Universität Göttingen gehalten hat, wo er seinen Lebensabend verbrachte:

"Bekanntlich entwirft die konvexe Augenlinse von einem hinlänglich beleuchteten Gegenstand auf der Netzhaut ein umgekehrtes Bild. Wenn man also einen Turm erblickt, so ist auf dem Netzhautbild die Spitze des Turmes nach unten gerichtet. Nun hat sich seinerzeit, als diese Feststellung gemacht wurde, eine Anzahl Forscher um das Problem bemüht, diejenige Einrichtung im Sehorgan herauszufinden, durch welche das Netzhautbild wieder aufrecht gemacht wird. Dieses Problem ist ein Scheinproblem jetzt und immer, da es auf der irrigen, durch nichts zu begründenden Voraussetzung beruht, dass das Bild des Gegenstandes im Sehorgan ein aufrechtes sein müsse."

Aber in seiner vorsichtigen Art gibt Max Planck die Möglichkeit zu, dass ein Problem abwechselnd ein echtes und ein Scheinproblem sein kann, etwa die Verwandlung irgendwelcher Substanzen in Gold. Ehe es eine wissenschaftliche Chemie gab, hatte dieses Problem einen bedeutenden Sinn. Als die Lehre von den chemischen Elementen ausgebildet und allgemein anerkannt war, sank es zu einem Scheinproblem herab. Heute aber erscheint es nicht mehr unmöglich, durch bestimmte Verfahren aus dem Kern des Quecksilberatoms ein Proton und aus seiner Hülle ein Elektron zu entfernen, wodurch es zu einem Goldatom wird. Es hat sich hier bekanntlich einer der "Treppenwitze in der Weltgeschichte" der Naturwissenschaft abgespielt: Man kann das zwar machen, aber das Verfahren ist viel teurer als die Gewinnung echten Goldes auf den Goldfeldern der Erde. Jedoch macht man umgekehrt aus Gold ein seltenes Isotop (eine Abart) des Quecksilbers, das in der Industrie von Wert sein kann.

Gegenüber allen Versuchen, die Objektivität der Dinge und Naturgesetze zu bestreiten, hat Max Planck schon seit 1890 und dann immer wieder die Beweise für die Realität der Außenwelt geführt. Die positivistische Auffassung, dass wir nur von unseren Sinnesempfindungen und nicht von der wirklichen Welt etwas wissen können, hat er mit guten Gründen widerlegt. Es  g i b t  Dinge und Vorgänge in der Welt, die auch da wären, wenn es kein Bewusstsein, kein Lebewesen, also auch keine Sinnesempfindungen gäbe.

Dabei behauptete Max Planck gar nicht, dass wir die Dinge und die nicht dinglichen Vorgänge wie Wellenausbreitung in ihrem innersten Wesen erkennen und erfassen könnten. Wir nähern uns dieser Wirklichkeit, wir decken Zusammenhänge auf, deren Erkenntnis früheren Geschlechtern unmöglich erschienen wäre (während auch immer einige Erkenntnisse wie gewisse astronomische Methoden der Babylonier oder die Einbalsamierung von Mumien in Ägypten oder die mittelalterliche Glasmalerei verloren gehen). Im ganzen aber nähern wir uns den Wirklichkeiten des Mikrokosmos wie des Makrokosmos, müssen jedoch dabei in Kauf nehmen, dass wir sie nur noch in einem merkwürdigen Gemisch von anschaulichen Vorstellungen wie etwa dem "Kreisen" des Elektrons um den Atomkern und unanschaulichen mathematischen Gebilden wie dem Planckschen Wirkungsquantum oder dem gekrümmten Raum Einsteins annähernd erfassen können. Es bleibt für den Forscher der Weisheit letzter Schluss, was Goethe in einem von Max Planck immer gern zitierten Worte ausgesprochen hatte- "Das schönste Glück des denkenden Menschen ist es, das Erforschliche erforscht zu haben und das Unerforschliche ruhig zu verehren."

Max Planck hat allen Versuchungen, von einem nicht völlig durchdachten Begriff der Physik aus eine Weltanschauung aufzubauen, den Garaus gemacht, mochte es sich da um den sagenhaften Weltäther des 19. Jahrhunderts oder um die Energetik des als Chemiker hochbedeutenden Wilhelm Ostwald handeln. Ostwald hatte da eine sogenannte "energetische Weltanschauung" gebildet und mit Ernst Haeckel den Monistenbund auf dieser Grundlage aufgebaut.

Max Planck konnte das, weit er als erster die Begriffe Weltanschauung und Weltbild sauber auseinandergehalten und wesentlich vertieft hat. Eine Weltanschauung, die auf der Grundlage der Naturwissenschaft alle Lebensprobleme bis hin zu den geschichtlichen, psychologischen, ethischen und religiösen lösen will, lehnte er ab. Das Weltbild beschränkte er jeweils auf ganz bestimmte Ausschnitte der unerhört reichen und großenteils verborgenen, wohl für immer verborgenen Wirklichkeit. Das physikalische Weltbild hat also nu r die Aufgabe, alle physikalischen Tatsachen zu sammeln, zu ordnen und in Gesetze zu fassen, die aber nie absolute Wahrheit sein können - auch die Quantentheorie nicht, wie er gegen Ende seines Lebens in Gesprächen zum Ausdruck brachte. Schon über das Wesen des Lebens kann das physikalische Weltbild nichts aussagen, es fehlt ihm dafür einfach der Platz und das methodische Rüstzeug. Und so kommt Max Planck dann weiter zu anderen Weltbildern bis hin zum religiösen, das also, genau entsprechend dem physikalischen, die Tatsachen des religiösen Lebens zu sammeln, zu ordnen und in Sinnzusammenhänge zu bringen hat. Natürlich wird der gleiche Mensch, der sich um die Aufstellung mehrerer Weltbilder bemüht, also etwa des physikalischen und des religiösen, versuchen, sie in irgendeiner inneren Verbindung, vielleicht polarer Art, zu sehen.

Max Plank am Bücherregal

So ist er auch auf dem Gebiet der Ethik und der Religion neue Wege gegangen. In der Ethik haben ihn das Kausalitätsproblem und die Willensfreiheit besonders beschäftigt. Er hat hier mit Hilfe eines aus der Physik stammenden Zeitbegriffes unterschieden zwischen. dem Rückblick auf unser bisheriges Verhalten, das immer auf Motiven beruht oder aus Gründen erfolgt, und dein Blick in die Zukunft, der gegenüber wir uns frei zur Entscheidung fühlen dürfen. Diese Ansicht ist in der heutigen Philosophie noch nicht aufgegriffen und zum Gegenstand von Untersuchungen gemacht worden, wie es sich gebührte. Eher schon hat man in weiten Kreisen der Physiker und der Religionswissenschaftler die Art gewürdigt, wie Max Planck das physikalische und das religiöse Weltbild vereinigen wollte: Nicht als Gottesbeweis aus der Physik, vielmehr meinte er, der Naturforscher nähere sich durch seine Einblicke in die immer größeren Wunder des Weltaufbaus der ehrfürchtigen Verehrung eines höchstens Wesens, das ihm als Naturforscher immer unbekannt bleiben wird. Der religiöse Mensch aber gewinnt aus seelischen und geistigen Motiven heraus den unmittelbaren Zugang zu ihm. In diesem Zusammenhang mag sich mancher an das falsche Gerücht erinnern, Max Planck sei kurz vor seinem Lebensende zum Katholizismus übergetreten. Bei aller tiefen Ehrfurcht vor der Religion, aus der er sich selbst in Wort und Schrift als tief religiösen Menschen bezeichnete, hätte das seiner ganzen Art doch nicht entsprochen. Das Gerücht war vermutlich entstanden, weil er einen päpstlichen Orden erhalten hatte, der aber auch an Nichtkatholiken verliehen wird.

Nun sei noch der Versuch gewagt, ohne Mathematik und "höhere" Physik von dem Schlüssel zum Atomzeitalter zu sprechen, den Max Planck gefunden hat. Was der Fachmann in Jahren erlernen muss, kann freilich nur andeutungsweise hier gesagt werden, und wir wollen aus der Selbstdarstellung Max Plancks über die Auffindung des Wirkungsquantums, gleichsam mit Siebenmeilenstiefeln, einige Sätze herausheben, die wenigstens den Weg und die Richtung anzeigen und den Sinn dieser Großtat ahnen lassen, mit der sich Max Planck in der Geschichte der Physik und der großen Menschheitsepochen einen Platz gesichert hat.

In seinen ersten Arbeiten, der Doktorarbeit von 1879 über den zweiten Hauptsatz der Wärmetheorie, und der Habilitationsschrift von 1880 über Gleichgewichtszustände isotroper Körper, hatte Max Planck begonnen, sich das Rüstzeug zu schaffen für seine bahnbrechenden Arbeiten über die Wärmestrahlung und weiter für die Quantentheorie. Er brauchte dann diese früheren Arbeiten nur "aus der Schublade zu ziehen", um sie anzuwenden. Es handelte sich freilich um neue tiefe Einsichten in das Wesen der Energie und der Entropie. Einige Meilensteine des Weges, der auf den steilen Gipfel der Quantentheorie führte, sind diese: "Der Prozess der Wärmeleitung lässt sich auf keinerlei Weise vollständig rückgängig machen." Damit hat Max Planck zum ersten Male deutlich umkehrbare und nichtumkehrbare Prozesse nach allen Möglichkeiten hin durchdacht, insbesondere ihre Beziehungen zur Entropie, dem Maß für die Wahrscheinlichkeit im Naturgeschehen. Sein großer Lehrer Kirchhoff in Berlin lehnte ihn hier ausdrücklich ab, wie sich Max Planck überhaupt vielfach nur schwer hat durchsetzen können.

Dann befasste er sich mit der Energieverteilung der Wärmestrahlung im sogenannten schwarzen Körper, und er suchte mit großer Mühe das Verhältnis der Temperatur und der Schwingungszahl des betreffenden Wellenbereichs dieser Strahlung festzustellen. Einen ganzen Begriffsapparat schuf sich da Max Planck, immer natürlich in Verbindung mit den experimentellen Forschungen oder Möglichkeiten. Resonanz, lineare Oszillatoren, Eigenfrequenzen, schwache Dämpfung, konzentrische einwärts gerichtete Kugelwellen, natürliche Strahlung, harmonische Partialschwingungen das sind Begriffe, die die Experimentalphysiker auch kannten und gebrauchten, aber Max Planck hat mit ihnen "am Schreibtisch" zusammenschauend gearbeitet und so sein kühnes Werk vollbracht.

Etwas schalkhaft bemerkte er, dass der Mangel an Interesse der Fachgenossen für die von ihm eingeschlagene Forschungsrichtung ihm seine Arbeit erleichterte. Denn alle anderen suchten in der falschen Richtung, da sie den Begriff der Entropie nicht als Schlüsselbegriff zum Ganzen benutzten wie er. Für den theoretischen Physiker aber sind die fünf Jahre von 1895 bis 1900, die Max Planck auf diese Arbeiten verwendete und deren Stationen sich genau feststellen lassen, von echter dramatischer Spannung und geradezu wissenschaftlicher Schönheit erfüllt. Max Planck kam nämlich auf seinem Wege zunächst auch nur zu dem Gesetz, das Professor Wilhelm Wien für die spektrale Verteilung der Energie bei der Wärmestrahlung aufgestellt hatte. Gerade das aber erwies sich durch die Experimente als falsch, wie die Berliner Experimentalphysiker Kurlbaum und Rubens am 19. Oktober 1900 in der Physikalischen Gesellschaft mitteilten. Max Planck hatte von dieser Unstimmigkeit einige Tage vorher erfahren und machte sich Gedanken über eine Möglichkeit ihrer Erklärung. Er stellte bereits eine Formel für das Energieverteilungsgesetz auf, rechnete sie auf Wellenlänge um und trug sie an jenem Tage vor. Hier seien seine eigenen Worte eingeschaltet:

"Am Morgen des nächsten Tages suchte mich der Kollege Rubens auf und erzählte, dass er nach Schluss der Sitzung noch in der nämlichen Nacht meine Formel mit seinen Messungsdaten genau verglichen und überall eine befriedigende Übereinstimmung gefunden habe. Auch Lummer und Pringsheim, die anfänglich Abweichungen festgestellt zu haben glaubten, zogen bald darauf ihren Widerspruch zurück, da, wie mir Pringsheim mündlich mitteilte, sich herausstellte, dass die gefundenen Abweichungen durch einen Rechenfehler verursacht waren. Durch spätere Messungen wurde dann die Formel wiederholt bestätigt, um so genauer, je feiner die experimentellen Methoden arbeiteten."

Nun begann der schwierigste Teil der Überlegungen: nämlich dieses neu gefundene Gesetz sachlich zu begründen. Dazu waren ganz neue Betrachtungen über das Wesen der Entropie notwendig, die über das Gebiet der Elektrodynamik hinausführten. Entropie ist das Maß der Wahrscheinlichkeit, aber Entropie und Wahrscheinlichkeit unterscheiden sich grundsätzlich, da die erste eine additive, also durch Summierung erzeugte, die letzte eine multiplikative Größe ist. Max Planck gelang nun die Lösung, deren grundsätzlicher Gedanke auch weiteren Kreisen bekannt ist: Die Natur arbeitet in jenen kleinsten Bereichen mit Quanten, mit nicht mehr teilbaren Beträgen, einer Grenze, unterhalb deren jede physikalische Forschung sinnlos würde. Die Natur macht Sprünge und arbeitet im submikroskopischen, atomaren Bereich nicht mehr mit gleitenden, kontinuierlichen Übergängen wie in den uns geläufigen Größenordnungen. Beispielsweise fließt also das Licht nicht ununterbrochen aus der Lichtquelle heraus, sondern in Teilbeträgen, also Quanten. Darauf, dass die Quantentheorie nicht nur für die Wärmestrahlung, sondern auch für das Licht gelten müsse, machte allerdings Einstein Max Planck erst fünf Jahre später aufmerksam.

Acht Wochen hatte Max Planck an dieser Quantentheorie gearbeitet, ehe er sie am 14. Dezember 1900, dem "theoretischen" Geburtstag des Atomzeitalters, mitteilte. Er sprach zu seinen Freunden gelegentlich davon, wie unmöglich es sei, einem anderen von der Konzentration, die zu dieser Arbeit nötig war, überhaupt eine Vorstellung zu vermitteln. Seine Entdeckung schien ihm selbst so unglaublich und sie widersprach dem damals gültigen physikalischen Weltbild so krass, dass er sich die neue Wahrheit nicht zugestehen wollte, sondern sich noch lange ständig die schärfsten Einwände machte. So versuchte er "durch mehrere Jahre hindurch immer wieder, das Wirkungsquantum irgendwie in das System der klassischen Physik einzubauen. Aber es ist mir das nicht gelungen." So schloss er resigniert. Und dabei hatte er an jenem denkwürdigen Tage schon die berühmte Quantenformel mitgeteilt: 6,55 *10 -27 erg * sec. In welch unvorstellbar winzigen Dimensionen wir uns hier befinden, zeigt die 1 mit ihren 27 Nullen im Nenner des Bruches.

Seine Nachfolger haben dann das großartige Gebäude der Quantenmechanik und Wellenmechanik auf verschiedenen Wegen errichtet. Die Atomforschung war durch Max Planck erst möglich geworden. Die Zahl der ungelösten Probleme wuchs, und wir wissen heute noch ebenso wenig wie Max Planck im Jahre 1900 über das W e s e n der Elementarteilchen, aus denen unsere Welt aufgebaut ist, obwohl wir immer tiefere Einblicke in Vorgänge, Zustände und Verhältniszahlen gewinnen konnten. Und eines wissen wir ganz gewiss: Die Atomforschung hat 38 Jahre nach der Auffindung der Quantentheorie einen zweiten Geburtstag erlebt, als durch die Entdeckung der Atomspaltung das Atomzeitalter "praktisch" begann - mit immer neuen Problemen, die tief ins soziale und ethische Gebiet eingreifen. Und wohin wird der Weg weiter gehen? ...

1958 DK 92:53 Planck, Max 530.146: Planck, Max
Erstellt am 14.11.2004 - Letzte Änderung am 14.11.2004.


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