(1932) NEUES VON DER ELEKTRISCHEN MUSIK
Neuheiten gegenüber dem Vorjahr - Zur Frage des Selbstbaues - Äthermusik mit Hilfe des Empfängers zu Hause
"Eine interessante technische Spielerei" - dachte man wohl vor einigen Jahren beim Sehen und Anhören der ersten elektroakustischen Musikinstrumente, von deren Vorhandensein damals nur wenige technisch oder physikalisch Interessierte wußten. Nach den ersten vielversprechenden Anfängen ging die Weiterentwicklung in eifriger Versuchsarbeit vor sich, und auf der vorjährigen Großen Deutschen FunkAusstellung konnte den Besuchern zum ersten Male ein Überblick über die wichtigsten Einzelheiten elektrischer Musikinstrumente gegeben werden, der ahnen ließ, daß die "Spielerei" zur Erschließung eines neuen aussichtsreichen Arbeitsgebietes geführt hatte. Es waren fast durchweg noch Laboratoriumsgeräte, die dort vorgeführt wurden und die sich, zwar von den Erfindern und Konstrukteuren persönlich gehütet und überwacht, dennoch bei den öffentlichen Vorführungen mit mancherlei Kinderkrankheiten behaftet zeigten.
Ein Jahr später, bei der Großen Deutschen Funk-Ausstellung 1932, zeigte schon eine umfangreiche Sonderschau "Elektrische Musik" verschiedene herstellungsreife Formen elektrischer Musik instrumente, die beachtliche Fortschritte seit dem Vorjahr erkenneu ließen.
Einen recht hohen Grad von Vollkommenheit im Klang und in der Bauweise haben die elektrischen Flügel erreicht, deren bedeutendste Vertreter, der Neo-Bechstein-Flügel von Nernst (Siemens-Bechstein) und das Elektrochord von Vierling (Förster), im physikalischen Grundgedanken übereinstimmen, während sie in den Einzelheiten des Aufbaus manche Unterschiede aufweisen. Bei beiden, wie überhaupt bei allen elektrischen Saiteninstrumenten, ist das Prinzip der Tonerzeugung das gleiche: Stahlsaiten - beim Klavier in bekannter Weise durch Anschlag erregt - schwingen im Felde eines Magneten, wodurch in dessen Wicklungen den Saitenschwingungen entsprechende Wechselspannungen induziert werden; nach hinreichender Verstärkung durch übliche Rundfunkverstärkungsmittel erfolgt die Umwandlung in Schall mittels Lautsprecher. Der Resonanzboden, der beim mechanischen Flügel die Abstrahlung der Schallschwingungen übernimmt, fehlt beim elektrischen; damit entfallen sehr viele Schwierigkeiten beim Bau des Klaviers, für die man bis heute im wesentlichen mir erfahrungsgemäß gefundene Kompromißlösungen besitzt. Auf elektrischem Wege gelang es, besonders in den hohen Tonlagen den Klang im Vergleich zu mechanischen Flügeln erheblich zu verbessern. Es konnte natürlich nicht das alleinige Ziel sein, mit den elektrischen Geräten nur eine möglichst naturgetreue Nachahmung des Klangbildes eines mechanischen Flügels zu erreichen; tatsächlich lassen sich mit den neuen Hilfsmitteln noch viele andere Klänge erzielen. Durch technische Kunstgriffe entlockt man demselben Instrument Töne einer Orgel, eines Harmoniums, eines Spinetts oder andere, nicht ohne weiteres vergleichbare Klänge von eigenartigem Reiz.
Die Lautstärkegrade können durch Regeln der Verstärkung jedem Raum angepaßt werden. Von den zahlreichen Einzelheiten des Aufbaus, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann, sei nur die einzigartige Lösung erwähnt, die Vierling für die Erzeugung des Orgelklanges gefunden hat: Neben der mit dem Hammer angeschlagenen Saite ist eine zweite Saite derselben Länge ausgespannt, die nicht mit angeschlagen wird, deren Schwingungen vielmehr durch die bekannte Erscheinung der Resonanz angefacht, in der üblichen Weise über Abnahmemagnet, Verstärker und Lautsprecher hörbar gemacht werden, während die Schwingung der angeschlagenen Saite unterdrückt wird.
Der Resonanzboden, das Geheimnis der Konstruktion aller Saiteninstrumente, fehlt auch bei der elektrischen Geige und dem Cello. Hier bedarf es allerdings noch starker Kleinarbeit, um ein allseitig befriedigendes Klangbild zu schaffen oder gar die Leistungen der alten Meister der Geigenbaukunst zu erreichen. Immerhin sind in jüngster Zeit durch die Arbeiten Vierlings sehr beachtliche Erfolge zu verzeichnen, die hoffen lassen, daß das Ziel, mit elektrischen Mitteln die klangliche Feinstruktur z. B. einer Stradivari-Geige nachzuahmen, erreicht werden wird.
Die äußeren Formen, die sich vorläufig noch an die der alten mechanischen Instrumente anlehnen, dürften im Laufe der Entwicklung eine Wandlung erfahren; auch eine damit im Zusammenhang stehende Änderung in der Spieltechnik mancher dieser Instrumente wäre denkbar. An den kleineren Saiteninstrumenten, insbesondere der Geige, hat auch der technisch interessierte Laie die Möglichkeit zu eigenen Bauversuchen; ein viel weiteres Betätigungsfeld findet er jedoch bei den im folgenden zu besprechenden spezifisch elektrischen Instrumenten, die, im Gegensatz zu den bisher beschriebenen, weder in ihrem äußeren noch im inneren Aufbau mit einem der herkömmlichen Musikinstrumente vergleichbar sind.
Im Vordergrund des Interesses stehen augenblicklich das Trautonium, das Theremin-Gerät sowie das Hellertion, die alle drei im Laufe des letzten Jahres bedeutende Verbesserungen erfahren haben.
Ganz kurz sei an die Grundlagen der Tonerzeugung in diesen Instrumenten erinnert: Das beherrschende Schaltungselement ist stets die Elektronenröhre; Verstärker und Lautsprecher kehren bei allen elektrischen Musikinstrumenten wieder. Beim Trautonium erfolgt der Aufbau des muskalischen Tones systematisch aus Grundton, harmonischen Obertönen und den in der Hauptsache die Klangfarbe bestimmenden Formanten (das sind nichtharmonische Obertöne, deren Schwingungszahlen also in keinem ganzzahligen Verhältnis zum Grundton stehen). Dementsprechend besteht das Trautonium aus einem Generator für den Grundton nebst Harmonischen (bei mehrstimmigen Instrumenten sind entsprechend viele Grundtongeneratoren erforderlich), der in der einfachsten Form durch eine Glimmlampenschaltung gegeben ist (Abb. 4), und einem oder mehreren "Formantkreisen". Ein solcher aus Induktivität, Kapazität und Widerstand bestehender Formantkreis wird über eine Röhre durch die Grundschwingung angestoßen und klingt jeweils innerhalb einer Periode der Grundschwingung in seiner Eigenfrequenz aus, in der nächsten Grundschwingungsperiode wiederholt sich der Vorgang. Die Beeinflussung der Klangfarbe durch Wahl verschiedener Formantkreise kann man vergleichen mit den Registern der Orgel.
Zur Erzeugung des Grundtones können andere Röhrenschaltungen Verwendung finden; so wird z. B. bei dem neuen Trautonium die sogenannte Thyratron-Röhre, ein mit Quecksilberdampf gefülltes Entladungsrohr mit Steuergitter benutzt, das auch für andere technische Verwendungszwecke Bedeutung erlangt hat. Das Spielmanual kann beim Trautonium wie auch bei anderen elektrischen Instrumenten verschiedenartig gestaltet werden. Gerade in bezug auf spieltechnische Einzelheiten sind noch manche interessante Aufgaben zu lösen. Im allgemeinen wird eine Tonhöhenänderung technisch auf die Änderung eines Widerstandes z. B. in der Weise zurückgeführt, daß ein gespannter Widerstandsdraht mit dem Finger gegen eine Metallunterlage gedrückt wird, wodurch der Spielkreis (in Abb. 4 der Gitterkreis einer im Glimmlampengenerator als Widerstand geschalteten Röhre) durch einen dem abgegriffenen Drahtstück entsprechenden Widerstand geschlossen ist. Man kann auch umgekehrt durch Niederdrücken eines gespannten Metallbandes auf einem gewickelten Drahtwiderstand die gewollten Widerstandswerte abgreifen. Einzelfragen über den erzielbaren Tonumfang der Instrumente sowie über Verteilung der Töne auf dem Manual können im Rahmen dieses Aufsatzes nicht behandelt werden.
Das Hellertion erfordert eine ähnliche Spieltechnik wie das Trautonium. Das Grundgerät im Hellertion ist ein Tonfrequenzgenerator mit einer Elektronenröhre in Rückkopplungsschaltung, die Tonhöhe wird mittels eines Widerstandes im Gitterkreis des Generators geändert. Eine systematische Beeinflussung der Klangfarbe, wie beim Trautonium, ist nicht vorgesehen, natürlich ist durch passende Wahl des Verstärkers und der Lautsprecher in gewissem Umfange eine Änderung der Klangfarbe möglich. Ein auf der Funkausstellung gezeigtes vierstimmiges Instrument mit vier hintereinanderliegenden Manualbändern stellt in spieltechnischer Hinsicht recht erhebliche Anforderungen an den Spieler.
Eines der interessantesten Elektro-Musikinstrumente ist das Theremin-Gerät, das bei allen Vorführungen durch die unübertrefflich formvollendete Lösung des Problems der Spieltechnik fesselt. Ein Metallstab ragt aus dem Gerät, wahrhaft "spielend" zaubert der Künstler die Töne aus der Luft hervor - Ätherwellenmusik! Der Grundsatz: Überlagerung zweier um einen hörbaren Ton voneinander abweichender Hochfrequenzschwingungen Rückkopplungspfeifen -. Nach den in zahlreichen Zeitschriften veröffentlichten Bauanweisungen dürfte manchem geschickten Funkbastler der Selbstbau eines solchen Ätherwellenmusikinstrumentes gelingen. Er braucht übrigens gar nicht das ganze Gerät mit seinen zwei Hochfrequenzgeneratoren usw. zu bauen, wenn er einen Empfänger mit Rückkopplungsschaltung besitzt. Ein Vorsatzgerät genügt, um das modernste Hausmusikinstrument aufzubauen!
Ein solches Vorsatzgerät ist weiter nichts als ein kleiner Röhrensender, an den über einen Zwischenkreis (zur passenden Verteilung der Tonskala im Raum) die Spielantenne in Form eines senkrecht stehenden Metallstabes von etwa 50 cm Länge angekoppelt ist (Abb.6). Den anderen Hochfrequenzgenerator stellt der rückgekoppelte Empfänger dar; Gleichrichtung und Verstärkung erfolgen im Empfänger. Selbstverständlich dürfen durch den Betrieb solcher Geräte keinerlei Rundfunkstörungen verursacht werden; vor allem muß die Welle unbedingt außerhalb des Rundfunkwellenbereichs liegen; bei normalem Aufbau ist eine Welle von 1000 m geeignet. Es ist darauf zu achten, daß Erdleitungen oder andere Zuleitungen nicht strahlen. Die Regulierung der Lautstärke erfolgt am einfachsten durch einen im Ausgangskreis des Verstärkers liegenden hochohmigen veränderlichen Widerstand, der in ein Pedal eingebaut ist. Ein Unterbrecher in Form eines kleinen Klingelknopfes, den man beim Spielen in der linken Hand hält, dient zum Ein- und Ausschalten des Tones; zur Vermeidung störender Knackgeräusche beim Toneinsatz sind u. a. Drossel-Kondensatoranordnungen anwendbar (Abb. 7). Die Lautstärkereglung kann auch kapazitiv durch Bewegen der anderen Hand im Raum vor einem Metallbügel erfolgen; auf die technische Verwirklichung können -wir hier nicht eingehen. Erwähnt sei ein Vorschlag, die Lautstärke unter Zuhilfenahme einer Photozelle zu regeln, deren Strom je nach dem Grad der Belichtung, den man z. B. durch Abblenden mit der Hand ändern kann, den Arbeitspunkt eines Verstärkerrohres verlagert. Auch die neuen Exponentialröhren dürfen bei Versuchen über eine geschickte Form der Lautstärkereglung nicht vergessen werden.
Durch Einfügen von Formanten mittels besonderer Klangfarbenzusatzgeräte können auch mit dem Theremin-Instrument viele interessante Klangwirkungen erzielt werden.
Angesichts der erfreulichen Fortschritte, die in den letzten Jahren beim Bau elektrischer Musikinstrumente gemacht worden sind, und die die Richtlinien der künftigen technischen Entwicklung schon erkennen lassen, taucht die Frage auf: Was für Tonwerke werden wir auf den elektrischen Instrumenten spielen ? Wieweit kann man dem Geist eines Kunstwerkes gerecht werden durch ein Instrument, das viel umfassendere technische Ausdrucksmittel in sich schließt, als die bisherigen Komponisten kennen konnten? Man wird zunächst an die Verwendung der Instrumente für leichtere Musik, moderne Tanzrhythmen denken, aber auch anderen musikalischen Werken werden heute schon wenigstens einige der neuen Instrumente gewachsen sein. Im übrigen wird es stets auf das Feingefühl und das Empfinden des Künstlers ankommen, der sich der neuen Ausdrucksmittel nachschaffend oder neuschaffend bedient.
Bildbeschreibungen:
Abb. 1. Elektrischer Flügel "Elektrochord" nach Vierling u. Förster (Verstärker u. Lautsprecher befinden sich in dem unten abgebildeten Schrank)
Abb. 2. Elektrisches Cello
Das Instrument hat. wie alle elektroakustischen Saiteninstrumente, keinen Resonanzboden. Unter den Saiten, in der Nähe des Steges, liegen die Abnahmemagnete, in denen die mechanischen Schwingungen der Saiten in elektrische umgesetzt werden.
Abb.3. Das erste Rundfunkkonzert eines ausschließlich aus elektrischen Instrumenten bestehenden Orchesters, veranstaltet von der "Funk-Stunde", Berlin, am 19. 10. 1932
Die Instrumente waren ein Neo-Bechstein-Flügel, Trautonium, Hellertion, elektrische Geige und Cello sowie zwei Theremin-Instrumente. Hinter jedem Instrument der zugehörige Lautsprecher
Abb.4. Schaltung eines Trautoniums
(Das Spielmanual, ein durch Niederdrücken eines Drahtes veränderbarer Widerstand, liegt im Gitterkreis der ersten Röhre, die als frequenzbestimmender Widerstand in dem Glimmlampen-Grundtongenerator arbeitet)
Abb. 5. Theremin-Vorsatzgeröt für Rundfunkempfänger.
(Zusammen mit dem Vorsatzgerät, einem kleinen Hochfrequenzsender, dessen Wellenlänge durch Bewegen der Hand im Raum geändert werden kann, bildet jeder rückgekoppeIte Rundfunkempfänger ein Hausmusikgerät, dessen Tonbereich alle hörbaren Töne umfaßt)
Abb. 6. Schaltung eines Theremin-Aetherwellen-Vorsatzgetätes
Abb. 7. Ausgangsschaltung eines Theremin Instrumentes mit besonderer Endröhre
(Im Anodenkreis Drossel-Kondensator-Anordnung zur Unterdrückung der Schaltgeräusche beim Toneinsatz. Lautstärkeregelung durch Widerstand (Pedal) imAnodenkreis)
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