Die Mechanik des Denkens

Von Dr. phil. G. v. Frankenberg, Braunschweig

Fast allen Menschen erscheint das Denkvermögen, und zumal ihr eigenes, als etwas Unfaßbares. Sie sehen in ihm eine übernatürliche Gabe und damit den sichersten Beweis für die allem Tierischen, ja allem Körperlichen übergeordnete Natur des Menschen. Das verleitet sie zugleich, die Zuverlässigkeit der Denkvorgänge zu überschätzen. 1)

Es ist deshalb wichtig, sich über das Wesen des Denkens klar zu werden. Das Denken kommt dadurch zustande, daß in unserm Gehirn Sinneseindrücke festgehalten und miteinander verknüpft werden.

Das Festhalten von Sinneseindrücken, z. B. Tönen, Farben usw., nennen wir Gedächtnis. Worauf die Erscheinung physiologisch zurückzuführen ist, läßt sich noch nicht mit wünschenswerter Klarheit angeben., doch hat sie nichts Geheimnisvolles mehr, seit uns die Technik so viele Analogien (Aehnlichkeiten) geliefert hat. (Man denke nur an Grammophon und Photographie!) Es ist nicht schwer, sich vorzustellen, daß eine Erregung, die von einem unserer Sinnesorgane zum Gehirn hingeleitet wird, dort eine Zelle oder eine Gruppe von Zellen trifft und in ihnen irgendeine Spur hinterläßt, so daß der gleiche Eindruck, wenn er sich wiederholt, als ein bereits bekanntes Erlebnis empfunden wird.

Das Entscheidende ist nun, daß, gleichzeitige Eindrücke sich verknüpfen. Am klarsten zeigt das die Tatsache der - Dressur. Läßt man jedesmal, während man einem Hunde Futter reicht, eine Klingel ertönen, so gewöhnt sich das Tier bald, auf dieses Zeichen zum Fressen herbeizukommen. In seinem Gehirn hat eine Verknüpfung der Eindrücke, "Futter" und "Klingeln" stattgefunden. Infolgedessen bewirkt die Reizung einer der beiden Eindrucksstellen, daß die andere mit erregt, d. h. in diesem Falle die Vorstellung "Futter" erweckt wird.

In wie hohem Grade das Gehirn diese Fähigkeit der Verknüpfung gleichzeitiger Eindrücke besitzt, geht unter anderem daraus hervor, daß es Bilder überhaupt zu empfinden und festzuhalten vermag. Ein Bild ist ja nicht, Wie etwa ein Ton, ein einziger Eindruck, sondern ein Beieinander sehr vieler Eindrücke. Zahlreiche Netzhautzellen des Auges werden gleichzeitig von Lichtstrahlen getroffen, und der Sehnerv leitet diese Reizungen zu ebenso vielen Empfindungsstellen des Gehirns weiter, wo sie dann zugleich und miteinander das geistige Bild hervorbringen. 2)

In der Regel wirkt ein Ding sogar auf mehrere unserer Sinne ein. So riechen wir den Duft der Rose, sehen ihre Form und Farbe, fühlen ihre Stacheln und hören das Wort "Rose". Alle diese durch verschiedene Sinnespforten in unser Gehirn gelangten Eindrücke verknüpfen sich dort, so daß ein Begriff "Rose" entsteht. Dieser wiederum verbindet sich mit zahlreichen anderen Vorstellungen, etwa mit der einer Person, die uns eine Rose gab usw. Und es genügt die Erregung einer einzigen Masche dieses Netzes, um den ganzen Empfindungskomplex "Rose" in unser Bewußtsein zu rufen.

Aber nicht nur Gleichzeitiges verknüpft sich, sondern es verbinden sich auch regelmäßige Folgen von Eindrücken, wie ja schon die Fähigkeit, Melodien zu reproduzieren, beweist. Und so kommt es, daß Ursache und Wirkung in unserem Gehirn miteinander verknüpft werden.

Diese Erscheinung ist von außerordentlicher Wichtigkeit. Aus unseren zahllosen Erlebnissen sind uns Kausalverknüpfungen in großer Menge vertraut. Wir wissen, daß diese Ursache stets jene Wirkung hatte, und wenn eine Wirkung uns erwünscht, d. h. wenn sie ein Zweck ist, so wissen wir sie durch Setzung ihrer Ursache herbeizuführen.

Und nicht nur wir Menschen sind zu solchen "Zweckhandlungen" imstande, sondern auch viele Tiere. Ein Pferd, dem sein Herr jeden Morgen ein Stück Zucker reicht, kommt herbei, sobald es ihn sieht, denn in seinem Gehirn ist der Anblick dieses Mannes mit dem Begriff "Fütterung" verknüpft. Eine Biene, die an einem Fenster Honig fand, sucht alle Fenster des ganzen Hauses ab, weil sich, in ihrem Hirn die freilich irrige Verknüpfung Fenster - Honig gebildet hat. Nicht anders arbeitet unser eigener Denkapparat. Nur sind die Ursachenketten, die in ihm - als Vorstellungsketten ablaufen können, länger und (durch die bei Tieren seltene Verknüpfung mehrerer Ketten untereinander) oft auch komplizierter, was sich , aus der Größe des menschlichen Hirns ja ohne weiteres erklärt. Während die Tiere gewissermaßen nur eine rohe Skizze ihres allerengsten Lebenskreises in sich tragen, ergibt die ungeheuer große Menge von verknüpften Eindrücken, die in unserem Gehirn aufgespeichert sind, ein mehr oder weniger genau ausgeführtes Bild der ganzen uns bekannten Welt! Oder, noch anschaulicher ausgedrückt: Da die aufgestapelten Verknüpfungen ("Erfahrungen") uns sagen, wie dieser und jener Vorgang sich in der Außenwelt abspielen würde, so enthält unser Gehirn gleichsam ein Modell der Welt. Ein Modell, das es uns gestattet, im Gedankenexperiment auszuproben, was wir in der Außenwelt tun wollen.

Daß es dabei ohne Fehlschlüsse nicht abgehen kann, ist freilich klar. Auch ein, Laboratoriumsversuch bietet ja keine unbedingte Gewähr dafür, daß sich der betreffende Vorgang im Großen genau so abspielt. Trotzdem ist der Wert derartiger Versuche unbestreitbar.

Es leuchtet deshalb ein, welchen gewaltigen Vorteil ein Lebewesen mit solchen Fähigkeiten über seine Mitgeschöpfe erringen mußte, die so komplizierter Denkleistungen nicht fähig waren.

Ein rein quantitativer (mengenmäßiger) und gar nicht einmal großer Vorsprung auf diesem Gebiete - und um einen solchen handelt es sich beim Menschen in der Tat nur - mußte von entscheidender Wirkung sein. Die Fähigkeit, zahlreiche Eindrücke festzuhalten und zu verknüpfen, ermöglichte den Menschen eine bis dahin auf Erden nie gesehene Steigerung des Werkzeuggebrauchs und der gegenseitigen Verständigung. (Die Sprache ist nichts anderes als die Verknüpfung bestimmter Lautfolgen - "Worte" - mit bestimmten Begriffen.) Eine Fülle von Zweckhandlungen wurde möglich und machte den Menschen (wie durch Zauberschlag zum Herrn der Welt. 3)

Ergänzungen durch Emil Hartwig:

1) Und das, obwohl unser Denkapparat Erinnerunsfehler und Trugschlüsse zulässt. Helmholz fällte vom technischen Standpunkt aus über das Auge ein vernichtendes Urteil. Mit mehr recht könnte man das von unserem Denkorgan sagen.

2) Sogenannter "Geist" ist eine Vorstellung des Gehirns, nicht des Menschen ohne Gehirn.

3) zum allgemeinen und besonderen Träger von Bewusstsein in der Natur.


auf der Seite war noch folgender Rest eines Artikels:

ten müssen; der bezahlte Urlaub rückt in greifbare Nähe - es ist notwendig, die .Menschen zur kulturellen Verwertung ihrer wachsenden freien Zeit zu erziehen.

Da sind es vor allem die sportlichen Bestrebungen, die gleichsam den Boden bereiten für die seelische Durchdringung der Massen. Insbesondere ist es das Wandern, das die menschlichen Beziehungen ungemein fördert. Mit Politik allein schweißen wir die Massen nicht zusammen- und daß im Proletariat das Bedürfnis besteht, sich auch menschlich auszuleben, das beweisen die mannigfachen Organisationen, welche scheinbar auf Nebengleisen den sozialistischen Menschen heranbilden. Einander menschlich näher kommen, das liegt in der sozialen Natur des Menschen tief begründet. Das Wandern ist sozusagen die bequemste Methode, diesem Trieb Rechnung zu tragen.

Das Wandern ist heute ein Grenzgebiet der Turner und Naturfreunde. Es wird aber dereinst eine einzige proletarische Zentralorganisation alle diese Bestrebungen, die aus gleicher Quelle fließen, zusammenfassen. Wenn wir dann neben den Frauen und Jugendlichen auch noch die Kinder erfassen, dann werden wir auch zu wahren proletarischen Volksfesten kommen, die. ebenso agitatorisch wie irgendeine politische Versammlung wirken werden. Das beste Erziehungsmittel ist das Beispiel, und wenn jeder Sozialist sich dessen bewußt ist, daß er der Repräsentant einer Idee, der großen Idee des Sozialismus ist, dann braucht uns um die Werbekraft des sozialistischen Gedankens nicht bange zu sein. Der Sozialismus ist keine Lehre, sondern Leben. Die Theorie macht es nicht aus und auch nicht das Predigen. Der Sozialismus will gelebt sein, aus vollem Herzen und ans ganzer Seele!

Erstellt am 21.10.2004 - Letzte Änderung am 21.10.2004.

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