RR ««« - weitere Artikel aus dem Band 1919  - zurück zur Artikelübersicht  -  Textübersicht  -  Startseite (Gesamtübersicht)

„Die Erweiterung unserer Sinne durch die Physik.”
Von Dr. Willy Kodweiß, Heidenheim a. d. Brenz.

Aus der „Naturwissenschaftliche Wochenschrift„, Organ der Deutschen Gesellschaft für Volkstümliche Naturkunde in Berlin, begründet von H. Potoniß, herausgegeben von Prof. Dr H. MIEHE in Berlin, Neue Folge. 18. Band, (der ganzen Reihe 34. Band), JANUAR — DEZEMBER 1919, JENA VERLAG VON GUSTAV FISCHER 1919.

Schon der Philosoph Spencer (1) hat den Satz ausgesprochen: „Jedes Beobachtungsinstrument ist nur eine künstliche Erweiterung der Sinne”, und in der Tat dienen viele unserer physikalischen Apparate und deren Zusammenstellungen dazu, unsere Sinne zu verfeinern und deren Wahrnehmungsbereich zu erweitern; es gelingt uns dadurch nicht nur, unsere Umwelt zu erforschen und uns viele Vorteile im Kampf ums Dasein zu erringen, wir können uns dadurch auch eine Welt erschließen, die unseren Sinnen für immer verborgen geblieben wäre. Ganz abgesehen davon, daß es eine Reihe von Naturerscheinungen, wie die magnetischen und elektrischen, gibt, für die uns ein direkter Sinn fehlt, sind unsere Sinnesorgane vielfach ungenügend, wenn sie auch für den täglichen Gebrauch vorzüglich eingerichtet sind. Einmal sind unsere Sinne für absolute Messungen unbrauchbar, andererseits sind sie meistens nicht scharf genug, um die hohen Anforderungen, die wir an sie stellen müssen, auch nur annähernd zu befriedigen. Dazu kommt, daß unsere Sinne mancherlei Täuschungen unterworfen sind; es sei nur daran erinnert, daß uns ein Lampenlicht hell erscheint, wenn wir aus einem dunklen Raum kommen, während es matt aussieht, wenn wir vorher im Sonnenschein waren. Es kommt eben ganz darauf an, in welchem Zustand sich unsere Sinnesorgane jeweils befinden. Durch geeigneten Bau der Apparate und durch genaue Kenntnis derselben müssen wir uns von diesen Täuschungen freimachen; ganz gelingt dies jedoch nicht, da wir ja die Apparate immer wieder durch unsere Sinnesorgane beobachten müssen.

Der Gedanke, der bei allen diesen Apparaten zugrunde liegt, ist der, daß wir uns mit Hilfe irgendeines Naturgesetzes einen Vorgang zum Bewußtsein bringen, den wir durch die unmittelbaren Sinneseindrücke nicht so vollkommen oder überhaupt nicht wahrnehmen könnten. So machen wir z. B. bei den Thermometern von der Tatsache Gebrauch, daß sich die Körper, seien es feste, flüssige oder gasförmige, bei der Erwärmung ausdehnen und bei der Abkühlung zusammenziehen. Mit solchen Thermometern können wir die Temperatur nicht nur messen, was uns ja mit dem Wärmesinn allein nicht möglich ist, diese Instrumente sind unserem Wärmesinn auch an Empfindlichkeit weit überlegen. Während wir unter günstigen Verhältnissen mit unserem Wärmegefühl noch einen Temperaturunterschied von höchstens Vs " C (2) feststellen können, gibt es Quecksilberthermometer, die — in einem allerdings beschränkten, aber doch veränderlichen Meßgebiet — in Vioo " C (3) eingeteilt sind, so daß sich noch Vi 000 " C schätzen lassen. Noch empfindlicher kann man die Gasthermometer machen; so sind z. B. Differentialluftthermometer gebaut worden, die noch Temperaturschwankungen von '/o-, noo" C (4) anzeigen.

Zu noch empfindlicheren Apparaten gelangen wir mit Hilfe des elektrischen Stromes. Löten wir nämlich an die beiden Enden eines Antimondrahtes je einen Wismutdraht und verbinden wir die freien Enden der Wismutdrähte mit einem empfindlichen Galvanometer, so zeigt dasselbe einen elektrischen Strom an, sobald die beiden Lötstellen des „Thermoelements” verschiedene Temperatur haben, und zwar ist der so entstehende Thermostrom desto stärker, je größer der Temperaturunterschied der beiden Lötstellen ist. Sorgen wir nun dafür, daß die eine Lötstelle eine bekannte Temperatur hat, so können wir aus dem Thermostrom auf die Temperatur der anderen Lötstelle schließen. Wir können so nicht nur sehr hohe und sehr tiefe Temperaturen messen, wir haben in dem Thermoelement auch ein sehr empfindliches Instrument, dessen Empfindlichkeit dadurch vervielfacht werden kann, daß wir mehrere Thermoelemente zu einer Thermosäule vereinigen. Eine solche Thermosäule eignet sich hauptsächlich zum Nachweis der Wärmestrahlung. Schon die Annäherung der Hand genügt, um einen deutlichen Galvanometerausschlag zu erhalten, wogegen ein vorgehaltenes Stück Eis einen entgegengesetzten Thermostrom hervorruft. Mit Hilfe dieser Thermoströme wurde nicht nur die Wärmestrahlung des Mondes (5) nachgewiesen, es konnte auch gezeigt werden, daß schon durch die Strahlung von Fixsternen und Planeten eine Erwärmung der Lötstelle verursacht wird; der Apparat, mit dem das letztere nachgewiesen wurde, war so empfindlich, daß er noch eine Temperaturerhöhung von Viofionooo " C (6) anzeigen würde. Falls die Luft nicht die Strahlung absorbieren würde, könnte man mit ihm noch die Strahlung einer Kerze in einem Abstand von über 8 km nachweisen und dabei muß man bedenken, daß seither Thermoapparate konstruiert worden sind, die um ein Mehrfaches empfindlicher sind (7).

Einen Strahlungsmeßapparat von ebenfalls außerordentlicher Empfindlichkeit haben wir in dem Bolometer. Bei demselben wird von der Tatsache Gebrauch gemacht, daß der elektrische Widerstand eines Drahtes zunimmt, wenn er erwärmt wird; bestrahlen wir also den Bolometer

714

draht, so erfährt der Strom, den wir durch den Draht hindurchschicken, eine Änderung, die wir mit einem empfindlichen Galvanometer messen können. Durch Konstruktion eines hochempfindlichen Galvanometers konnte z. B. Paschen (8) mit einem ebenfalls selbstgebauten Bolometer eine Empfindlichkeit erreichen, die der Empfindlichkeit der Thermoapparate nicht nachsteht.

Wie unser Gefühl für Temperaturunterschiede, so ist auch unser Drucksinn nur sehr mangelhaft ausgebildet. Zu einer auch nur annähernd genauen Gewichtsbestimmung brauchen wir eine Wage, denn unsere Gewichtsabschätzung mit der Hand reicht nur bis 30 "/^ und läßt sich auch mit Hilfe des Muskelgefühls durch Heben und Senken höchstens aut 10 '% (9) bringen. Unsere besten Präzisionswagen sind gegen Druckunterschiede 20millionenmal empfindlicher, denn sie zeigen bei einer beiderseitigen Belastung von i kg noch ein Übergewicht von ^j^ng mg (9) an; wären wir gegen Druckunterschiede ebenso empfindlich, so müßten wir wahrnehmen, wie ein auf der Hand liegendes Gewichtsstück von i kg leichter wird, wenn wir die Hand um nur 2 cm in die Höhe heben, da das Gewicht eines Körpers bei der Hebung um 1 m um rund 0,3 millionstel (10) seines Wertes abnimmt.

Gehören schon diese Wagen zu den empfindlichsten Instrumenten, die wir überhaupt besitzen, so werden sie an Empfindlichkeit noch weit übertroffen durch die Mikrowagen (11), die in letzter Zeit konstruiert worden sind und die dem Chemiker bei Mikroanalysen unschätzbare Dienste leisten. Meistens handelt es sich dabei um Hebelwagen nach Art der feinen Analysenwagen, die nur durch Verkleinerung der Dimensionen empfindlicher gemacht worden sind. Sehr oft sind aber auch andere Konstruktionsprinzipien verwendet worden. So besteht z. B. eine der ersten Mikrowagen, die gebaut worden sind, aus einem einseitig eingeklemmten Glasfaden, dessen Durchbiegung mit dem Mikroskop abgelesen werden kann. Die Wage zeigt noch eine Belastung des Glasfadens von Vi 000 "^g ^^ ^^'^ wurde von ihrem Erbauer Salvioni (12) unter anderem dazu benutzt, die Flüchtigkeit von Moschus nachzuweisen. Auf dem Archimedischen Prinzip beruht die Wage von Steele und Grant (13), die noch Gewichtsunterschiede von 2 millionstel mg anzeigt und mit der das Molekulargewicht der Radiumemanation bestimmt werden konnte. Die empfindlichsten Mikrowagen sind gegenwärtig die von Riesen feld (14), mit der sich Wägungen bis zu 0,03 millionstel g ausführen lassen und die Mikrowage von Petterson (15), die bei einer Belastung von 20 mg noch etwa ein 4 millionstel mg zu messen gestattet. Da bei der letzteren Wage schon ein unsichtbares Stäubchen von ungefähr 1/100 mm Durchmesser einen merklichen Ausschlag verursachen würde, muß man solche empfindliche Wagen in ein Vakuum einbauen.

Einen allseitigen Druck können wir überhaupt nicht wahrnehmen, sonst wäre es den Menschen nicht bis zur Entdeckung Torricellis im Jahre 1643 verborgen geblieben, daß unser Körper einem Luttdruck von 10—15 t ausgesetzt ist; wir empfinden diesen Druck nicht, da die inneren Gewebe des Körpers mit Luft von demselben Druck gefüllt sind, so daß dem Druck von außen das Gleichgewicht gehalten wird. Mit dem Quecksilberbarometer können wir diesen Luftdruck nicht nur messen, wir können damit auch die Schwankungen desselben nachweisen; das Instrument ist aber verhältnismäßig roher Natur, ebenso wie die weitverbreiteten Aneroidbarometer, bei denen der Luftdruck eine luftverdünnte Metalldose mehr oder weniger stark zusammendrückt. Weit empfindlicher gegen Luftdruckschwankungen ist die Top 1 ersehe Drucklibelle (16), die aus einem schwach geknickten Glasrohr besteht, in dem sich eine kleine Menge leichter Flüssigkeit, z. B. Xylol, befindet. Durch den geringsten Druckunterschied zwischen den beiden Enden des Glasrohres wird die Flüssigkeit verschoben. Mit einer solchen Drucklibelle können noch die Druckschwankungen wahrgenommen werden (17), die in einem Raum dadurch entstehen, daß in einem benachbarten Zimmer eine Person durch eine offene Tür schreitet, und es genügt ein rasches Öffnen und Schließen einer selbst bis zu 30 m entfernten Tür, um auch durch geschlossene Türen hindurch störend auf das Instrument einzuwirken. A. Töpler(16) konnte bei seiner Drucklibelle mit Hilfe des Mikroskops noch Druckunterschiede feststellen, die weniger als ein 2 millionstel des normalen Luftdrucks ausmachten; das Instrument müßte also die Druckveränderung anzeigen, die dadurch entsteht, daß man um den Bruchteil eines Millimeters in die Höhe geht.

Außer dem Luftdruck unterliegt unser Körper, wie alle Körper, noch einem weiteren Druck, der uns noch viel länger verborgen geblieben ist; es ist dies der von Maxwell i. J. 1873 vorausgesagte Strahlungsdruck, der so klein ist, daß er erst i. J. 1901 von Lebedew (18) nachgewiesen werden konnte. Sobald nämlich eine Fiäche von Lichtstrahlen getroffen wird, üben dieselben auf die Fläche einen Druck aus, der allerdings nur sehr gering ist. Das intensive Sonnenlicht übt z. B. auf I cm''' einen Druck von etwa Va^noo mg aus, ein Druck, den Lebedew mit seinem sinnreichen Apparat noch nachweisen und messen konnte.

Zu den Apparaten, die unsere Sinneswahrnehmung erweitern, gehören ferner die Seismographen. Während wir nur verhältnismäßig starke Erdbeben direkt wahrnehmen, zeigen diese Apparate auch die geringste Erschütterung der Erdrinde an, so daß selbst Erdbeben, die in Japan stattfinden, durch unsere Instrumente aufgezeichnet werden. In den meisten Fällen handelt es sich bei den seismometrischen Apparaten um eine Art Pendel, das durch die Erderschütterung in Schwingung versetzt wird und dessen Schwin

715

gungen durch besondere Vorrichtungen in vergrößertem Maßstab registriert werden. Da dadurch die Bewegungen der Erdrinde viele tausendmal vergrößert werden können, gelangen wir zu außerordentlich empfindlichen Apparaten. Um einen Begriff von der Empfindlichkeit eines solchen Seismographen zu bekommen, sei erwähnt, daß der bekannte Erdbebenforscher Wiechert (19) mit einem 2100fach vergrößernden Instrument noch in einer Entfernung von 2,5 km die von einem Elektrizitätswerke herrührenden Erschütterungen genau verfolgen konnte, so daß er z. B. feststellen konnte, wann die Mittagspause war und welche Maschinen liefen. Ferner beobachtete Wiechert, daß ein 50 000 fach vergrößerndes Seismometer noch den Schritt eines Menschen in 100 m Entfernung anzeigte, während vorbeifahrende Wagen noch in einer Entfernung von mehreren 100 m registriert wurden. Für ein solches Instrument gibt es so gut wie keine Ruhe, selbst wenn wir es fern von jedem störenden Einfluß aufstellen, da die Erdrinde fast immer eine mehr oder weniger geringe seismische Bewegung zeigt. Durch die Untersuchungen Wiecherts wurden auch unsere Kenntnisse über das Erdinnere erweitert, denn die Seismometerkurven lassen darauf schließen, daß die Beschaffenheit der Erde nicht einheitlich ist, sondern daß die Erde aus einem festen metallischen Kern besieht, der von einem etwa 1500 km dicken Gesteinsmantel umgeben ist, eine Tatsache, die auch mit der verhältnismäßig hohen Dichte der Erde in Übereinstimmung ist.

Zu den Bewegungen der Erdrinde, von denen wir ohne Apparate nichts erfahren würden, gehören auch die Gezeiten. Der Mond ruft nämlich nicht nur beim Wasser, sondern auch beim festen Land Ebbe und Flut hervor, und zwar wurde von O. Hecker (20) mit einem seismometrischen Apparat, dem sog. Horizontalpendel, festgestellt, daß in den Tropen die Fluthöhe der Erdrinde mehr als 30 cm betragen kann, während sie z. B. in Berlin noch annähernd 25 cm ausmacht.

An dieser Stelle seien ferner auch die Apparate erwähnt, mit denen man die Einflüsse der Gefühlsvorgänge auf die Atmung, auf die Herztätigkeit und auf die Blutverteilung nachweisen kann (21).

Mit dem Plethysmographen, dem Volumschreiber, kann man z. B. die Änderung der einem Körperglied zuströmenden Blutmenge dadurch registrieren, daß man das betreffende Glied, etwa den Arm, in ein dichtes mit Wasser gefülltes Gefäß bringt. Sobald das Armvolumen infolge gesteigerter Blutzufuhr zunimmt, steigt das Wasser in einer an dem Gefäß angebrachten Röhre, die mit einer Registriervorrichtung in Verbindung steht. Ein solcher Apparat zeigt deutlich, wie die Zustände von Lust und Unlust die Blutzirkulation beeinflussen; eine unangenehme Erinnerung, die man bei der Versuchsperson wachruft, ein vorgehaltenes Stück Schokolade, die geistige Anstrengung beim Lösen einer Rechenaufgabe zeigen ihren Einfluß auf den Blutkreislauf an der aufgezeichneten Kurve. Die geringste innere Erregung tut sich auf diese Weise kund; mag sich also ein Verbrecher äußerlich noch so sehr beherrschen, diese Apparate entlocken ihm sein Geheimnis, weshalb sie auch in die moderne Kriminalistik Eingang gefunden haben.

Es sind auch sinnreiche Hebelapparate konstruiert worden, die die unwillkürlichen Zitterbewegungen eines Fußes, einer Hand oder eines Fingers in Kurven aufzeichnen, mit deren Hilfe der Psychiater erkennt, ob er es mit einem Alkoholiker, Paralytiker oder Epileptiker zu tun hat (22).

Merkwürdig liegen die Verhältnisse bei unserem Geruchsorgan, da dasselbe für jede Art von Geruch wieder eine andere Empfindlichkeit zeigt; während wir mit den Leistungen unseres Geruchsinnes meist weit hinter denjenigen vieler Tiere zurückstehen, sind wir doch gegen manche Gerüche erstaunlich empfindlich. Um den Geruch von Moschus zu erkennen, soll noch eine Menge von 0,00000001 millionstel mg (23) genügen, und für Merkaptan ist nachgewiesen worden, daß noch der 460. Teil eines millionstels mg (24) den charakteristischen Geruch dieser Schwefelverbindung erzeugt. Wären wir für eine größere Anzahl von Stoffen ebenso empfindlich, so würden wir es schon mit den Leistungen einer Hundenase aufnehmen können.

Im allgemeinen müssen wir uns aber solch kleine Mengen eines Stoffes durch die verschiedenartigsten physikalischen und chemischen Methoden zum Bewußtsein bringen. Mit dem Arsenspiegel weist der Chemiker noch Vi 000 ^S Arsen nach und neuerdings hat Donau (25) gezeigt, daß noch 1 mg einer 0,00001 proz. Wismutlösung genügt, um Kalzit zum Leuchten zu bringen. Die kleinste nachweisbare Wismutmenge beträgt also Viooooooo ^S uri*^ doch ist dies noch nicht die kleinste bis jetzt nachgewiesene Menge eines Schwermetalls, da sich mit Hilfe des Elektroskops noch 1 billionstel g Radium (26) bemerkbar macht. Noch kleinere Mengen kann man bei Fluroreszein nachweisen, da noch iO~'^ mg (27) dieses Stoffes eine wahrnehmbare Fluoreszenz hervorrufen.

Hauptsächlich durch die Entdeckung der Spektralanalyse durch Kirchhoff und Bunsen ist uns ein Mittel an die Hand gegeben, auch die kleinsten Mengen eines Elements nachzuweisen. Verdampft man nämlich ein Metall in einer Flamme bzw. im elektrischen Lichtbogen, oder bringt man ein Gas in einer Geisslerschen Röhre zum Leuchten und zerlegt man das ausgesandte Licht mit Hilfe des Spektroskops in seine Bestandteile, so treten in dem dadurch entstehenden Spektrum helle Linien auf, die für das betreffende Element charakteristisch sind. Da diese Spektrallinien schon durch die geringsten Spuren des Elements hervorgerufen werden, haben wir in der Spektralanalyse ein außerordentlich empfindliches Mittel zum Nachweis von geringen

716

Mengen eines Elements. Es genügen z. B. bei Anwendung von Induktionsfunken noch Vioooo oon mg Strontium (28), um das charakteristische Strontiumspektrum zu erzeugen, und nach Emich sollen noch 7X10""'* mg Wasserstoff (28) mit Hilfe der Spektralanalyse nachweisbar sein. Bekannt ist auch die Anwendung der Spektralanalyse zum Nachweis von geringen Blutspuren.

Eine ganz neue und noch empfindlichere Methode zur Auffindung kleiner Mengen verdanken wir J. J. Thomson (29), und zwar bedient er sich dabei der Kanalstrahlen, die bekanntlich in einer Crookesschen Röhre an einer mit Kanälen versehenen Kathode auftreten. Diese Kanalstrahlen bestehen aus positiv geladenen Teilchen, deren Art und Masse von der Natur der in der Röhre befindlichen Gasreste abhängen. Die Teilchen bewegen sich mit großer Geschwindigkeit geradlinig vorwärts, sie können aber durch die Wirkung eines elektrischen und eines magnetischen Feldes aus ihrer Richtung abgelenkt werden und beschreiben dann Parabeln. Das wichtigste an der Sache ist nun, daß jedes Element des Gasgemisches seine eigene Parabel hat, weil die Form derselben von der Masse und der elektrischen Ladung der Teilchen abhängt. Da sich nun umgekehrt aus der Parabelform auch auf das betreffende Element schließen läßt, sind wir in der Lage, die Elemente anzugeben, deren Atome bzw. Moleküle an der Bildung der Kanalstrahlen beteiligt sind. Die Thomsonsche Methode hat sich als außerordentlich empfindlich herausgestellt, denn man erkennt damit noch Gasreste, die man mit Hilfe der Spektralanalyse nicht mehr nachweisen könnte. So konnte Thomson noch die äußerst geringe Spur Helium nachweisen, die sich in 1 cm^ Luft befindet und die ungefähr lO-*^ cm^ beträgt (30).

Nicht immer handelt es sich um die Auffindung und den Nachweis sehr kleiner Mengen; der Kampf ums Dasein zwingt den Menschen unter Umständen auch, größere Mengen von schädlichen Stoffen und Gasen von sich fernzuhalten, vor denen ihn seine Sinne nicht warnen. Während uns die Nase z. B. vor dem gesundheitsschädlichen Leuchtgas warnt, ist dies nicht mehr der Fall, wenn wir in einen mit Kohlensäure gefüllten Keller hinabsteigen. Ein brennendes Kerzenlicht zeigt uns hier die Gefahr an, während es komplizierter Anordnungen bedarf, um den Bergmann rechtzeitig vor den schlagenden Wettern zu warnen. Diesem letzteren Zweck dient die Habersche Schlagwetterpfeife (31); sie besteht aus 2 gleichen Pfeifen, von denen die eine mit gewöhnlicher Luft, die andere mit der Bergwerksluft angeblasen wird. Sobald nun letztere einen bestimmten Methangehalt besitzt, der dem Bergmann gefährlich werden könnte, ändert sich der Ton der betreffenden Pfeife und die beiden so gegeneinander verstimmten Pfeifen geben Schwebungen, die sich in der Nähe der Explosionsgrenze als charakteristisches Trillern anhören, wodurch der Bergmann auf Entfernungen bis zu 100 m vor der Gefahr gewarnt werden kann.

Die Schlagwetterpfeife ist übrigens einer der wenigen Apparate, bei welchem das Ohr das beobachtende Sinnesorgan ist, wogegen wir sonst fast alle Apparate mit dem Auge beobachten, und doch ist das Ohr zur Beobachtung durchaus geeignet, denn es ist ein außerordentlich empfindliches Organ, dessen Empfindlichkeit gegen Schall durch kein Instrument übertroffen wird. Es genügt schon die geringe Energiemenge von etwa io~* Erg (32), um das Ohr zu reizen. Um sich eine Vorstellung von dieser kleinen Größe machen zu können, muß man bedenken, daß die Arbeit von i mkg für über 300 Millionen Jahre ausreichen würde, wenn man in jeder Sekunde 10^** Erg verbraucht. Eine Verschärfung unseres Ohrs durch Apparate ist also nicht zu erwarten, wohl aber können wir den das Ohr treffenden Schall durch Hörrohre, Mikrophone, Stethoskope usw. verstärken, so daß wir z. B. die Herztöne und das Rauschen unterirdischer Wasseradern zu hören vermögen. Nicht vergessen dürfen wir hier das Telephon, denn es stellt ein glänzendes Beispiel dafür dar, in welch hohem Maß der Wahrnehmungsbereich unserer Sinne durch die Physik erweitert wird. Was man früher für unmöglich gehalten hätte, ist hier erreicht: wir können mit Hilfe des elektrischen Stromes ein Gespräch auf eine Entfernung von mehreren 100 km übertragen, so daß es z. B. möglich ist, in Paris zu hören, was in dem 500 km weit entfernten London gesprochen wird. In Amerika hat man sogar noch bei 3000 km Entfernung eine gute Verständigung erzielt und das erst in jüngster Zeit konstruierte Elektronenrelais wird noch größere Erfolge zeitigen (33).

Die Unvollkommenheit des Ohrs liegt hauptsächlich darin, daß es nur für einen bestimmten Tonbereich eingerichtet ist; was darüber hinausgeht, müssen wir uns durch Apparate erschließen. Die Höhe eines Tones hängt bekanntlich von der Schwingungszahl des den Ton hervorbringenden Körpers ab; so führt z. B. die unterste a-Saite eines Klaviers ungefähr 27 Schwingungen in der Sekunde aus, während den übrigen 7 a-Saiten annähernd die Schwingungszahlen 54, 108, 217, 435, 870, 1740 und 3480 zukommen. Mit dem untersten und dem obersten Ton des Klaviers sind aber die musikalischen Grenzen unseres Ohrs beinahe erreicht; tiefere Töne empfinden wir nur noch als Brummtöne und auch höhere Töne lösen keine sehr angenehmen Gefühle in uns aus. Unser Ohr ist jedoch nicht bloß in musikalischer Hinsicht begrenzt; zu hohe und zu tiefe Töne können wir überhaupt nicht mehr wahrnehmen. Wenn wir am Klavier unten nur 1 und oben nur 3 Oktaven ansetzen, sind wir an der Hörbarkeitsgrenze des menschlichen Ohrs angelangt, wobei man allerdings bedenken muß, daß die Hörbarkeitsgrenze für verschiedene Personen, namentlich was die hohen Töne anbelangt, verschieden ist. Auch

717

nimmt mit dem Alter die Empfänglichkeit für hohe Töne ab, so daß z. B. ältere Leute das Zirpen der Grillen, ja sogar das Gezwitscher der Sperlinge nicht mehr hören.

Es ist leicht, durch Reiben dünner, kurzer Drähte Töne zu erzeugen, die wir nicht mehr hören, am besten eignen sich aber dazu die sog. Galtonpfeifen. Um diese hohen Töne nachzuweisen, kann man sich u. a. der empfindlichen Leuchtgasflamme bedienen, die jedesmal zusammenzuckt, wenn man einen solchen Ton hervorbringt. Die höchsten Töne, die wir kennen, lassen sich mit Hilfe der Elektrizität erzeugen. Bekanntlich besteht ein elektrischer Funke aus sehr rasch aufeinanderfolgenden oszillatorischen Entladungen; diese verursachen offenbar eine periodische Erwärmung der Funkenstrecke und geben so Veranlassung zu Schallwellen von derselben Periode. Durch besondere Vorkehrungen kann man die elektrischen Oszillationen so verlangsamen, daß die dadurch entstehenden Schallwellen noch hörbare Töne geben ; im allgemeinen gibt es aber immer Töne, die jenseits der Hörbarkeitsgrenze liegen.

W. A l l b e r g (34) hat diese Töne näher untersucht, indem er die Länge der zugehörigen Schallwellen bestimmte; der höchste Ton, den er feststellte, hatte die Schwingungszahl 340 000 und würde somit um etwa ö'/^ Oktaven höher liegen als der höchste Klavierton. Noch höhere Töne erhielt E. Dieckmann (35) mit Hilfe der elektrischen Oszillationen im Poulson-Lichtbogen; er konnte noch Töne mit der Schwingungszahl 800000 messend verfolgen, die etwa um 8 Oktaven höher liegen als der höchste Klavierton. Damit ist aber wohl die Grenze erreicht, da die sehr kurzen Schallwellen noch höherer Töne außerordentlich leicht absorbiert werden, so daß dieselben schon in einem Abstand von wenigen Zentimetern von der Schallquelle nicht mehr wahrnehmbar sind (36).

Das Ohr ist nicht nur ein gegen Schallwellen außerordentlich empfindliches Organ, es besitzt auch die wunderbare Eigenschaft, aus einem Tongemisch, wie es etwa von einem Orchester herrührt, die einzelnen Töne heraushören zu können. Ja ein geübtes musikalisches Ohr vermag sogar einen Klang zu analysieren, d. h. es hört aus einem Klang die verschiedenen Obertöne heraus. Besser ist es, wenn wir uns zu diesem Zweck der H e l m h o l t z schen Resonatoren bedienen, denn damit kann auch der Ungeübte diese Obertöne wahrnehmen. Es handelt sich dabei um kugelförmige oder zylindrische Hohlkörper, deren Luftsäulen auf einzelne Töne abgestimmt sind ; will man also feststellen, welche Töne in einem Klang enthalten sind, braucht man nur durchzuprobieren, welche Resonatoren mittönen. Auf diese Weise gelang es z. B. Helmholtz auch, die Vokale zu analysieren.

Wie beim Ohr genügt auch zur Reizung des Auges die minimale Energiemenge von etwa io~* Erg (37). Das Auge ist noch imstande eine Lichtstärke von etwa iO~'' Meterkerzen (38) wahrzunehmen, so daß also bei vollkommener Dunkelheit eine brennende Kerze noch in einer Entfernung von 1 km gesehen werden müßte, wenn das Licht nicht durch die Luft absorbiert werden würde. Die photographische Platte ist nicht empfindlicher als das Auge; sie ist aber dem Auge insofern überlegen, als sie den Lichteindruck festhält, wodurch wir imstande sind, uns Situationen, die schon längst vorüber sind, jederzeit wieder zu vergegenwärtigen. Und noch in einem anderen Punkt ist die photographische Platte dem Auge überlegen: sie vermag Lichteindrücke zu sammeln, weshalb es möglich ist, bei genügend langer Beleuchtung lichtschwache Sterne zu photographieren, die wir selbst mit den besten Fernrohren nicht mehr sehen können.

Sowohl die Lichtempfindlichkeit des Auges als auch diejenige der photographischen Platte wird übertroffen durch die Empfindlichkeit der Selenzelle, die bekanntlich die Eigenschaft hat, daß sich ihr elektrischer Widerstand mit der Belichtung ändert. Von den mannigfachen Anwendungen der Selenzelle (39) sei hier nur die Fernphotographie erwähnt, da im Zusammenhang damit das Problem des Fernsehens aufgetaucht ist. Bei der Fernphotographie wird bekanntlich mit Hilfe der Selenzelle von einer entwickelten photographischen Platte an einem viele Kilometer entfernten Ort auf einer unbelichteten Platte eine getreue Kopie erzeugt. Denkt man sich nämlich beide Platten in lauter kleine Elemente, etwa in Quadratmillimeter, eingeteilt, so kann man die Helligkeit der einander entsprechenden Elemente auf beiden Platten gleichmachen. Man braucht nur hinter irgendeinem Element der entwickelten Platte eine Selenzelle anzubringen, die durch einen Stromkreis mit der anderen Station verbunden ist; je nach der Lichtdurchlässigkeit dieses Elements wird die Selenzelle mehr oder weniger Widerstand haben und in der Leitung wird ein diesem Widerstand entsprechender Strom fließen. Man kann nun diesen Strom, dessen Stärke also von der Helligkeit des Elements abhängt, dazu verwenden, das entsprechende Element auf der anderen Platte so zu belichten, daß es nach vollzogener Entwicklung dieselbe Helligkeit aufweist wie das Element auf der ersten Platte. Da man so im Verlauf von etwa 10 Minuten der Reihe nach alle Elemente der einen Platte auf die entsprechenden Elemente der anderen Platte übertragen kann, ist es z. B. möglich, in Berlin ein Ereignis auf einer photographischen Platte zu fixieren, das sich einige Stunden vorher in München zugetragen hat, und damit ist bis zu einem gewissen Grad das In die Ferne-Sehen verwirklicht.

So einfach der Grundgedanke des Verfahrens ist, so kompliziert und sinnreich sind die Apparate, die nötig sind, um ein exaktes, fehlerfreies Übertragen zu ermöglichen. Von einem richtigen Fernsehen könnte man aber erst dann sprechen, wenn es gelingen würde, einen Gegenstand, z. B. einen

718

Kopf, auf der einen Station zu sehen, während sich derselbe vor dem Apparat der anderen Station befindet. Man hätte sich den Vorgang dabei etwa folgendermaßen zu denken. Durch ein Objektiv würde man von dem Gegenstand auf einer Mattscheibe ein Bild entwerfen, und dieses Bild müßte man, wie oben auseinandergesetzt wurde, auf eine Mattscheibe der anderen Station übertragen, und zwar so, daß gleichzeitig alle Elemente auf einmal übertragen würden. Da dies jedoch praktisch unmöglich ist, wird sich der alte Traum des Fernsehens — wenigstens mit der Selenzelle — nie verwirklichen lassen. Der verdienstvolle Erfinder der Fernphotographie A. Korn sagt selbst: „Bei dem augenblicklichen Stand der Dinge werden immer Hunderte von Leitungen erforderlich sein und der Betrieb der Apparate würde — ganz abgesehen von den großen Kosten der Herstellung — derartige Ausgaben erfordern, daß der Betrieb nur dank der Kaprize eines Milliardärs aufrechterhalten werden könnte” (40).

Die Selenzelle kann gegen Lichtschwankungen außerordentlich empfindlich gemacht werden, weshalb sie auch in der Astronomie dazu verwendet wird, die Helligkeit der Sterne zu messen und die Helligkeitsschwankungen von veränderlichen Sternen zu registrieren.

Noch empfindlicher gegen Licht als die Selenzelle ist die „photoelektrische Zelle”; sie wurde von Elster und Geitel konstruiert und beruht auf der Tatsache, daß die Alkalimetalle Elektronen aussenden, sobald sie von Licht getroffen werden. Die Natriumzelle besteht aus einer luftleeren Glaskugel, die zur Hälfte mit metallischem Natrium gefüllt ist. Sorgt man nun dafür, daß das Natrium immer ein negatives Potential hat, etwa dadurch, daß man es mit dem negativen Pol einer Batterie verbindet, und schmilzt man dem Natrium gegenüber einen Platindraht in die Glaskugel ein, so wandern, sobald die Zelle mit Licht bestrahlt wird, Elektronen vom Natrium zum Platindraht und geben so einen mit einem Elektrometer meßbaren Strom. Schon die geringste Bestrahlung gibt einen solchen „Photostrom”. Elster und Geitel haben z. B. eine Natriumzelle in ein lichtdichtes Gehäuse gebracht und konnten durch einen Nadelstich im Gehäuse noch die Wirkung einer 9 m entfernten Kerze feststellen (41); ebenso wurde festgestellt, daß die Photozelle Lichteindrücke nachzuweisen imstande ist, die das Auge überhaupt nicht mehr empfindet (42).

In der Hand des Astronomen ist die photoelektrische Zelle neuerdings zu einem außerordentlich wichtigen Apparat geworden, mit dem sich viele Sterne als veränderlich erwiesen haben, die uns mit den früheren Hilfsmitteln als vollständig unveränderlich erschienen. Die Astrophotometrie (43) wurde dadurch zu einem der wichtigsten Zweige der Astronomie, der noch reiche Früchte tragen wird.

Wie das Ohr, so ist auch das Auge beschränkt, was den Umfang der Reize anbelangt. Dieselbe Rolle, die beim Ohr die Töne spielen, spielen beim Auge die Farben, und wie das Ohr nur für einen bestimmten Tonbereich abgestimmt ist, kann auch das Auge nur einen abgegrenzten Farbenbereich wahrnehmen. Bei den Tönen haben wir es bekanntlich mit nachweisbaren Wellenbewegungen zu tun, wir wissen aber nicht, in welcher Weise das Licht und die Farben auf unser Auge übertragen werden. Viele Tatsachen weisen nun darauf hin, daß auch das Licht ein wellenartiger Vorgang ist, als dessen Träger wir den hypothetischen, mit unseren Sinnen nicht wahrnehmbaren Lichtäther ansehen. Jeder Wellenlänge entspricht dabei eine bestimmte Farbe, ganz ähnlich wie beim Schall einer bestimmten Wellenlänge ein bestimmter Ton entspricht.

Wenn das Auge von weißem Licht getroffen wird, befindet sich das Sehorgan in einer ähnlichen Lage wie das Ohr, das ein Orchester spielen hört. Während aber ein geübtes Ohr imstande ist, aus dem Orchester jeden einzelnen Ton herauszuhören, ist das Auge nicht fähig, die einzelnen Farben zu erkennen, aus denen bekanntlich das weiße Licht zusammengesetzt ist. Dem Auge geht die analysierende Fähigkeit des Ohrs ab, so daß wir uns nach einem Hilfsmittel umsehen müssen, das diesen Mangel beseitigt. Der einfachste Apparat, der das weiße Licht in seine farbigen Bestandteile zerlegt, ist das Prisma; mit ihm erhalten wir ein Spektrum, in dem die Farben derart angeordnet sind, daß die dazugehörigen Atherwellen, beim Rot angefangen, immer kleiner werden bis zum Blau. Da die Wellenlänge des äußersten Rot mit ungefähr 0,0007 mm beinahe doppelt so groß ist wie die Wellenlänge des äußersten Blau mit etwa 0,0004 mm, so können wir von einer Oktave sprechen wie in der Akustik, wo die Schallwellen des Grundtons doppelt so lang sind wie die Schallwellen der Oktave.

Nun wäre es aber sehr merkwürdig, wenn im Äther keine anderen Wellen möglich wären als gerade die Wellen der Farben des sichtbaren Spektrums und in der Tat existieren noch weitere Oktaven von Ätherwellen, die wir mit dem Auge nicht mehr wahrnehmen können. Zum Teil müssen wir solche Ätherwellen künstlich hervorrufen, zum Teil kommen sie auch in der Natur vor, ja auch das Sonnenspektrum enthält Strahlen, die wir nicht mehr sehen. Die letztere Tatsache wurde schon i. J. 1800 von dem Astronomen Herschel entdeckt. Er führte ein berußtes, schmales Thermometer durch das Sonnenspektrum vom blauen bis zum roten Ende und fand, daß die Temperatur desto höher wurde, je mehr er sich dem roten Ende näherte; die Temperatur nahm aber merkwürdigerweise noch mehr zu, als er das Thermometer über das rote Ende hinausführte, wo das Auge nichts mehr wahrnimmt, denn hier befinden sich die unsichtbaren infraroten Strahlen, die man wegen ihrer Wärmewirkung auch Wärmestrahlen heißt und die von jedem warmen Körper ausgehen. Außer durch

719

ihre Wärmewirkung lassen sich diese infraroten Strahlen übrigens auch dadurch nachweisen, daß sie die Fluoreszenz eines vorher dem Licht ausgesetzten Zinksulfidschirms vernichten.

Aber auch über das blaue Ende hinaus lassen sich noch Strahlen im Spektrum verfolgen. Photographiert man nämlich das Sonnenspektrum oder noch besser das mit einer Quarzlinse und einem Quarzprisma hergestellte Spektrum des elektrischen Lichtbogens, so findet man, daß die Schwärzung der Platte noch weit über das blaue Ende des Spektrums hinausreicht, und zwar rührt diese Schwärzung jenseits des sichtbaren Spektrums von den ultravioletten Strahlen her, die sich auch dadurch nachweisen lassen, daß sie eine Reihe von Stoffen, wie Zinksulfid, Chininsulfat usw. zur Fluoreszenz erregen. Es hat sich gezeigt, daß der Wellenbereich der unsichtbaren Strahlen weit größer ist als der des sichtbaren Lichts, denn während das Auge einen Umfang von Farbtönen empfindet, der akustisch gesprochen noch nicht ganz eine Oktave ausmacht, sind uns durch geeignete Wahl der Strahlungsquellen mit Hilfe der physikalischen Apparate insgesamt etwa 13 Oktaven zugänglich gemacht worden; dabei fallen 3 Oktaven auf die ultravioletten Strahlen und 9 Oktaven auf die infraroten Strahlen (44).

Wir können uns keine Vorstellung davon machen, welche Fülle von Eindrücken uns dadurch verloren geht, daß unser Auge in seiner Aufnahmefähigkeit für Atherwellen so sehr begrenzt ist. Wäre unser Wahrnehmungsbereich für die Ätherwellen umfangreicher, so müßte uns die Umgebung in viel größerer Mannigfaltigkeit erscheinen und es wäre uns ein großer Teil der Arbeit erspart geblieben, die notwendig war, um uns die unserem Auge verborgene Welt zu erschließen. Auch wenn unser Sehorgan nicht für die gewöhnlichen Lichtwellen, sondern für andere Atherwellen eingerichtet wäre, würde sicherlich die Umwelt ein ganz anderes Aussehen haben und unsere äußeren Verhältnisse würden dadurch eine beträchtliche Veränderung erfahren. Wären z. B. unsere Augen nur für die ultraroten Strahlen empfänglich, so könnten unsere Fensterscheiben aus dünnen Hartgummiplatten bestehen und unsere Fernrohre könnten Hartgummilinsen enthalten, da die ultraroten Strahlen durch eine dünne Schicht Hartgummi hindurchgehen (45).

Hier erhebt sich auch die Frage, ob nicht manche Tiere imstande sind, Ätherwellen wahrzunehmen, die für uns unsichtbar sind; es würden sich dadurch manche uns noch rätselhafte Erscheinungen der Tierwelt erklären lassen. Vorläufig ist aber in diesem Punkt Vorsicht geboten, denn wir haben bis jetzt noch keine einwandfreien Beweise dafür, daß ein Tier Ätherwellen als Licht wahrnimmt, die außerhalb des sichtbaren Spektrums liegen. Es ist zwar festgestellt worden, daß Ameisen durch ultraviolette Strahlen gereizt werden, denn wenn man auf ein künstlich angelegtes, flaches, mit einer Glasscheibe bedecktes Ameisennest ein Spektrum wirft, so tragen die Tierchen schleunigst ihre Puppen aus dem Ultraviolett ins Infrarot, da die Ameisen für ihre Brut die Dunkelheit aufsuchen. Es ist aber sehr wahrscheinlich, daß das ultraviolette Licht die lichtbrechenden Substanzen des Auges zu schwacher Fluoreszenz erregt, wie dies ja auch beim menschlichen Auge der Fall ist und daß dann diese Fluoreszenz als Lichtschein wahrgenommen wird. Aber auch wenn dies nicht der Fall wäre, wäre man nicht sicher, ob es sich um eine Lichtwirkung und nicht um eine Reizung anderer Art, z. B. chemischer Natur, handelt.

Die längsten infraroten Ätherwellen, die bis jetzt nachgewiesen werden konnten, haben eine Länge von 0,3 mm (46); wir sind aber damit noch lange nicht bei den längsten Wellen angelangt. Die infraroten Wellen sind vielmehr nur durch ein ganz kleines noch unerforschtes Intervall von dem großen Gebiet der von Hertz entdeckten elektrischen Wellen getrennt, die eine Länge von 2 mm (47) bis zu vielen Kilometern haben und so das eine Ende der „Oktavenskala” der Ätherwellen darstellen. Wir können nicht nur elektrische Wellen von beliebiger Länge erzeugen, wir haben auch eine ganze Reihe von Apparaten, wie z. B. den Fritter und die Detektoren, mit denen wir diese Wellen, die unseren Sinnen für immer verborgen bleiben müßten, wahrnehmen können. Auf diese Weise gelingt es, uns über große Strecken, ja über ganze Erdteile hinweg bis zu einer Entfernung von mehreren tausend Kilometern durch drahtlose Telegraphie zu verständigen, was früher auch die kühnste Phantasie nicht für möglich gehalten hätte. Wir sind z. B. jetzt imstande von Nauen aus nach dem 10 000 km entfernten Java Zeichen zu geben (48).

Seitdem wir in der Lage sind, mit Hilfe des Poulsenschen Lichtbogens, mittels der Hochfrequenzmaschine und neuerdings auch mit Hilfe der Elektronenröhre ungedämpfte elektrische Schwingungen zu erzeugen, ist es auch möglich drahtlos zu telephonieren ; man hat dabei in letzter Zeit Entfernungen von mehreren 1000 km (49) überbrückt, so daß die Zeit nicht mehr fern sein wird, in der man über den Ozean hinüber nach Amerika drahtlos telephonieren kann. Noch vor einem halben Jahrhundert würde man jeden für einen Phantasten gehalten haben, der an die Möglichkeit einer drahtlosen Verbindung zwischen solch weit entfernten Orten geglaubt hätte und doch hat man sich bei den Lichtsignalen im Prinzip schon längst der drahtlosen Telegraphie bedient; man verwendete eben hier Ätherwellen, die leicht zu erzeugen waren und für die das Auge empfänglich war. Ja auch die drahtlose Telephonie wurde zuerst mit gewöhnlichem Licht durchgeführt, wobei als Empfänger eine Selenzelle verwendet wurde (50).

Die elektrischen Wellen finden übrigens auch sonst noch Verwendung; so gelingt es z. B. mit Hilfe derselben Gewitterregistrierapparate (51) zu

720

bauen, die die atmosphärischen Entladungen in einem Umkreis von über 100 km anzeigen und uns so weit über das hinausführen, was uns durch das Auge und Ohr zum Bewußtsein kommt. Ferner sei darauf hingewiesen, daß Löwy und Leimbach (52) eine Methode ausgearbeitet haben, mit Hilfe der elektrischen Wellen das Erdinnere zu erforschen, um auf diese Weise Erzlager, Kohlenflöze und Grundwasserspiegel zu entdecken; das Verfahren scheint allerdings noch keine praktische Bedeutung erlangt zu haben. Lange Zeit schien es, als ob die ultravioletten Strahlen die kürzesten Ätherwellen seien, die wir kennen, bis i. J. 1912 durch Laue (53) und seine Mitarbeiter der Beweis erbracht wurde, daß wir es auch bei den Röntgenstrahlen mit einer wellenartigen Ausbreitung im Äther zu tun haben. Durch wenige Entdeckungen wurde uns so deutlich gemacht, in welch hohem Maß die Physik den Wahrnehmungsbereich unserer Sinne zu erweitern imstande ist, wie durch die Entdeckung der Röntgenstrahlen. Eine ganze Reihe von Stoffen, wie Holz, Tuch, Leder usw. sind dadurch für uns durchsichtig geworden, wie Glas und der alte Wunsch der Ärzte, ins Innere des menschlichen Körpers hineinsehen zu können, ist durch die epochemachende Entdeckung Röntgens wenigstens zum Teil in Erfüllung gegangen. Wir werden wohl kaum darauf hinweisen müssen, daß die Röntgenstrahlen in gleicher Weise für den Chirurgen, wie für den Arzt, der eine Diagnose stellen muß, von außerordentlicher Wichtigkeit sind. Es gelingt damit nicht nur, die Lage von Fremdkörpern, wie Nadeln, Granatsplittern usw. festzustellen oder komplizierte Knochenbrüche genauer zu untersuchen, man sieht mit Hilfe der Röntgenstrahlen auch Nieren- und Blasensteine und kann das Herz, die Lunge und den Magen der Untersuchung zugänglich machen. Auch in der Industrie wurde schon versucht, die Röntgenstrahlen zur Untersuchung auf Gußfehler zu verwenden.

Durch die Untersuchungen von Laue und anderen Physikern ist es sogar möglich geworden, mit Hilfe der Röntgenstrahlen die innere Struktur der Kristalle und die Anordnung der Atome in denselben zu erforschen, eine Aufgabe, deren Lösung früher auch die lebhafteste Phantasie nicht für möglich gehalten hätte. Man erhält nämlich, wenn man die Röntgenstrahlen durch einen Kristall hindurchläßt, bestimmte Beugungsbilder, aus denen man auf die Anordnung der Atome im Kristalle schließen kann. Es wurde so nicht nur die Richtigkeit der schon i. J. 1850 von Bravais aufgestellte Raumgittertheorie der Kristalle bestätigt, wir haben damit auch einen weiteren Anhaltspunkt für die atomistische Struktur der Materie.

Wenn man übrigens die Röntgenstrahlen mit den Lichtstrahlen vergleicht, muß man bedenken, daß dies nur unter gewissen Einschränkungen statthaft ist, denn wenn es sich bei den Lichtstrahlen um einen Zug zusammenhängender Wellen handelt, muß man den Röntgenstrahlen eine „aufgelöste, zerrissene Struktur” (54) beilegen, weshalb auch schon die Lichtstrahlen mit ruhigen, musikalischen Tönen und die Röntgenstrahlen mit abgerissenen, kurzen, schrillen Tönen verglichen wurden. Aber auch bei den Röntgenstrahlen können wir von einer Art Wellenlänge sprechen, wenn wir die sog. „Impulsbreite” als solche ansehen und es hat sich gezeigt, daß dann die Röntgenstrahlen nur durch ein kleines noch unerforschtes Intervall von den ultravioletten Strahlen getrennt sind. Während die kürzeste bis jetzt nachgewiesene ultraviolette Welle eine Länge von 0,06 /< (55) {i /x = Viooo irim) hat, kommt der längsten bei den Röntgenstrahlen auftretenden Welle eine Länge von 0075 [.i zu. Da die kürzeste Wellenlänge etwa 000002 /( (56) beträgt, so haben wir also durch die Röntgenstrahlen, wozu wir auch die wesensgleichen y-Strahlen des Radiums rechnen müssen, das Gebiet der Ätherwellen um weitere 12 Oktaven vergrößert.

Wir müssen immer wieder staunen, wenn wir uns die Mannigfaltigkeit der Erscheinungen im Äthermeer vergegenwärtigen, die wir uns mit unseren Apparaten erschlossen haben, denn das Gesamtgebiet der Ätherwellen umfaßt etwa 60 Oktaven und davon kommt uns durch das Auge nur eine einzige Oktave zum Bewußtsein (56). Nichts zeigt uns deutlicher wie mannigfaltig die uns umgebende Natur ist und wie wenig uns davon durch unsere Sinne allein geoffenbart wird.

Wenn wir einerseits die Naturvölker und manche Tiere um ihre Sehschärfe beneiden müssen, so haben wir andererseits im Fernrohr und im Mikroskop Apparate, über deren Leistungen jeder erstaunt ist, der zum erstenmal mit einem solchen Instrument in eine für ihn neue Welt blickt.

Namentlich das Fernrohr ist eines der wichtigsten Apparate, über die wir verfügen, denn seine Anwendung erstreckt sich auf fast alle Gebiete der Meßtechnik. Wenn wir mit dem Spektralapparat ein Spektrum untersuchen, wenn wir die Länge und Breite eines Ortes oder die Zeit bestimmen, wenn wir die Schwankungen der magnetischen Kräfte der Erde messen wollen, überall brauchen wir das Fernrohr.

Die Fernrohre, mit denen wir uns die Gegenstände auf der Erde näher bringen, sind in der Regel binokular, wodurch es ermöglicht wird, unseren Gesichtssinn noch in einem weiteren Punkt zu verbessern. Wir können nämlich mit dem Fernrohr die Tiefenplastik der Bilder erhöhen. Dieselbe kommt ja bekanntlich dadurch zustande, daß die beiden Netzhautbilder ein wenig voneinander verschieden sind; wäre daher unser Augenabstand und damit auch die Verschiedenheit der Netzhautbilder größer, so würde uns die Umgebung plastischer erscheinen. In den binokularen, prismatischen Feldstechern wird nun tatsächlich der Augenabstand künstlich dadurch vergrößert, daß man den beiden Objektiven einen größeren Abstand gibt, als den beiden Okularen, die naturgemäß immer Augenabstand haben müssen. Während

721

man bei den Feldstechern den Objektivabstand in mäßigen Grenzen halten muß, wird derselbe in den Scheren- und Relieffernrohren auf das 4-, 6- und 10 fache des Augenabstandes gebracht, so daß die Bilder in wunderbarer Plastik erscheinen. Die einzelnen Gegenstände sind dabei aus der Fläche herausgehoben und scheinen im Raum zu schweben, weshalb wir viel besser, als mit bloßem Auge sehen können, welche Gegenstände uns näher liegen und welche weiter von uns entfernt sind.

Sehr wichtig ist es, daß mit Hilfe der Relieffernrohre die Konstruktion von Entfernungsmessern möglich geworden ist. Wäre z. B. in die mit dem Fernrohr betrachtete Landschaft von vorn nach hinten ein mehrere km langer Maßstab mit deutlich erkennbaren Maßzahlen hineingelegt, so könnten wir die Entfernung der Gegenstände, die in der Nähe des Maßstabes liegen, genau angeben. Dasselbe wird nun bei den Stereotelemetern dadurch erreicht, daß man einen Maßstab, gewissermassen in die Landschaft hinausprojiziert. Man kann nämlich von einem Maßstab, wie dem oben erwähnten, eine stereoskopische Aufnahme mit einem Objektivabstand, der gleich demjenigen des Relieffernrohrs ist, machen und kann dann die beiden Stereoskopbilder in den beiden Rohren des Relieffernrohrs derart anbringen, daß der Maßstab für den Beobachter frei im Raum zu schweben scheint. In Wirklichkeit verwendet man allerdings immer eine berechnete Markenreihe, die derart beschaffen ist, daß sich die einzelnen Marken in den ihnen entsprechenden Entfernungen vom Fernrohr zu befinden scheinen. Will man also die Entfernung eines Gegenstandes messen, so braucht man nur festzustellen, zwischen welche Marken der Skala derselbe zu liegen kommt. Dieses Verfahren ist namentlich für Kriegsschiffe sehr wertvoll, da eine Entfernungsschätzung auf dem Meer noch schwerer ist, als auf dem Land und da es sich hier hauptsächlich darum handelt, die Geschütze möglichst rasch auf eine bestimmte Entfernung einzustellen. Es bedarf übrigens einer langen Übung, um die Instrumente handhaben zu können und es hat sich gezeigt, daß viele Menschen wegen irgendeiner Augenanomalie nicht genügend stark und sicher tiefenplastisch sehen und deshalb auch nicht zur Entfernungsmessung mit dem Stereotelemeter zu brauchen sind. Man hat aus diesem Grund Telemeter konstruiert, bei denen man nur mit einem Auge beobachtet. Der Beobachter sieht von dem Gegenstand, dessen Entfernung er messen will, zwei nebeneinander liegende Bilder, von denen das eine durch das linke, das andere durch das rechte Objektiv des Apparates entsteht. Die beiden Bilder sind nun desto weiter voneinander entfernt, je näher der Gegenstand sich beim Beobachter befindet, so daß also der Bildabstand ein Maß für die Entfernung abgibt. Je größer der Objektivabstand ist, desto genauer läßt sich die Entfernung feststellen, weshalb man bei feststehenden Telemetern auf Kriegsschiffen oder in Festungswerken bis zu einem Objektivabstand von 6 oder gar 10 m (57) gegangen ist.

Hätten wir Relieffernrohre von genügend großem Objektivabstand zur Verfügung, so müßten wir natürlich auch den Himmelsraum plastisch sehen, d. h. wir müßten sehen, daß sich die Planeten mit ihren Monden vor den Fixsternen befinden und die Mondgebirge müßten plastisch erscheinen. Bei der ungeheuren Entfernung der Himmelskörper wäre aber ein Objektivabstand von vielen tausend km notwendig, weshalb man auf diesem Weg nicht zum Ziele gelangt. Das Ziel ist jedoch auf andere Weise erreichbar und zwar mit Hilfe des Stereoskops (58). Man macht z. B. von einem Planeten an 2 aufeinander folgenden Tagen je eine Aufnahme; da die Erde auf ihrer Bahn um die Sonne in 1 Sekunde einen Weg von etwa 30 km zurücklegt, würden also die beiden Aufnahmen einem Objektivabstand von über 2 Millionen km entsprechen. Betrachtet man nun die beiden Aufnahmen mit einem Stereoskop, so tritt der Planet deutlich aus der Bildebene des Fixsternhimmels heraus und scheint im Raum zu schweben. In ähnlicher Weise können wir uns vom Mond stereoskopische Bilder verschaffen, und so die Mondgebirge plastisch sehen. Das Stereoskop stellt überhaupt ein äußerst wichtiges wissenschaftliches Instrument dar, das in mannigfacher Weise das Wahrnehmungsvermögen unserer Augen erhöht. Man kann mit ihm sicher entscheiden, ob zwei gleich scheinende Zeichnungen, Photographien usw. in allen Teilen miteinander übereinstimmen, denn beim Betrachten mit dem Stereoskop verraten sich die kleinsten Abweichungen durch stereoskopisches Vortreten oder Zurücktreten der ungleichen Teile. Man kann so z. B. mit Leichtigkeit feststellen, ob ein Maßstab richtig ist, indem man ihn mit einem genauen Maßstab im Stereoskop betrachtet, auch läßt sich bei einem Wertpapier durch Vergleich mit einem echten Wertpapier feststellen, ob es echt ist oder nicht.

Die höchste Vollendung erreichte die Anwendung des stereoskopischen Prinzips in dem von Pulfrich konstruierten Stereokomparator (59). Ein Hauptbestandteil dieses äußerst sinnreichen Apparates ist die „wandernde Marke”, die ähnlich wie die festen Marken beim Entfernungsmesser frei im Raum zu schweben scheint und die sich durch Schrauben in jeder beliebigen Richtung verschieben läßt. Betrachtet man nun etwa die stereoskopische Aufnahme einer Landschaft mit dem Stereokomparator, so kann man die wandernde Marke ” mit jedem Punkt der Landschaft zur Deckung bringen, wodurch man in der Lage ist, die Abstände, die die einzelnen Punkte des stereoskopischen Bildes voneinander haben, zu messen. Macht man also z. B. vom Ballon aus eine stereoskopische Aufnahme von einem Gebirge, so läßt sich ein plastisch richtiges Modell desselben konstruieren und, um eine Karte herzustellen, braucht man nicht mehr, wie früher, Wochen und Monate lang in dem Gelände Vermessungen zu machen;

722

es genügt jetzt eine stereoskopische Aufnahme, die man dann im Meßzimmer mit dem Stereokomparator ausmißt. Mit dem Stereo- Autographen von Orel (60) kann man sogar die einzelnen Punkte und die Höhenlinien automatisch auf die anzufertigende Karte übertragen, so daß eine Karte, zu deren Herstellung früher Wochen nötig waren, jetzt innerhalb weniger Stunden angefertigt werden kann.

Der Stereokomparator, der wissenschaftlich und technisch gleich bedeutsam ist, ist auch für den Astronomen ein sehr wertvolles Instrument geworden. Es wurden mit ihm nicht nur neue Planeten und eine ganze Anzahl veränderlicher Fixsterne entdeckt, Pulfrich vermochte mit dem Apparat auch die Höhen der Mondkrater, ja sogar die Entfernung des Saturns von der Erde zu bestimmen (61).

Die größten Triumphe feiert das Fernrohr in der Astronomie, wo man natürlich darauf bedacht ist, eine möglichst starke Vergrößerung zu erreichen. Es liegt jedoch in der Natur des Lichts, daß der Leistungsfähigkeit des Fernrohrs bestimmte Grenzen gesetzt sind. Die größte bis jetzt durch ein Fernrohr erreichte nutzbare Vergrößerung ist ungefähr eine l000 fache; mit einem solchen Fernrohr kann man auf dem Mond noch Gegenstände von 200 m Durchmesser wahrnehmen und man kann damit noch Sterne sehen, die nach Ansicht der jetzigen Astronomen noch einen Abstand von 100000 Billionen km von der Erde haben (62). Da die stärkste nutzbare Vergrößerung eines Fernrohres von dem Durchmesser des Objektivs abhängt und sich für die größten Fernrohre ungefähr gleich der Anzahl der mm, die auf den Objektivdurchmesser gehen, ergeben hat (63) und da dieser Durchmesser bei diesen Fernrohren schon 1 m beträgt, wird man, selbst wenn es möglich wäre, den Durchmesser der Linsen auf 2 — 3 m zu steigern, höchstens eine 2 — 3000 fache Vergrößerung erreichen können.

Wenn so der Leistungsfähigkeit der Fernrohre schließlich Grenzen gesetzt sind, erfährt der Astronom von der Sternenwelt eine Fülle neuer Tatsachen dadurch, daß er mit dem Spektroskop das Licht untersucht, das von dem Himmelskörper zu uns gelangt. Durch die Entdeckung der Spektralanalyse bekam die Astronomie einen ganz neuen Aufschwung, denn es konnten jetzt Fragen beantwortet werden, die zu stellen man früher nicht den Mut gehabt hätte.

Wer hätte früher zu hoffen gewagt, daß es einmal möglich sein werde, festzustellen, welche Elemente sich auf der Sonne befinden und doch sind wir jetzt dazu in der Lage, da wir wissen, daß jedes Element ein charakteristisches Linienspektrum besitzt. Finden sich also die Spektrallinien irgendeines irdischen Elements in dem Spektrum eines Sternes, so dürfen wir annehmen, daß das betreffende Element auf dem Himmelskörper vorkommt.

Was die Methode leistet, zeigt z. B. die Entdeckung des Heliums. Im Jahre 1868 wurde im Sonnenspektrum eine Spektrallinie entdeckt, die zu keinem der damals bekannten irdischen Elemente gehörte, weshalb man die Vermutung aussprach, daß man es jedenfalls mit einem Sonnenelement zu tun habe, das auf der Erde noch nicht entdeckt sei, oder dort überhaupt nicht vorkomme. Dieses Element, dem man den Namen Helium gab, wurde dann tatsächlich 27 Jahre später von R a m s a y auch auf der Erde entdeckt. Der Astronom kennt übrigens auch noch andere auf der Erde unbekannte Elemente, wie das Nebulium in den Nebelflecken.

Es sei hier übrigens noch auf ein merkwürdiges Verfahren hingewiesen, das namentlich von Miethe und Wood ausgearbeit worden ist, um über die Gesteinsarten des Mondes Aufschluß zu erhalten, wobei naturgemäß die spektralanalytische Methode versagen muß. Der Gedanke, der dem Verfahren zugrunde liegt, ist der, daß zwei von ein und derselben Stelle aus gemachte photographische Aufnahmen, von denen die eine bei gewöhnlichem Licht, die andere mit ultraviolettem Licht gemacht worden ist, in der Regel sehr verschieden voneinander ausfallen, was davon herrührt, daß das Reflexionsvermögen der Körper namentlich im ultravioletten Teil des Spektrums sehr große Unterschiede aufweist. Bestrahlen wir z. B. Zinkoxyd und Bleikarbonat (64), die in gewöhnlichem Licht beide weiß aussehen, in einem dunklen Raum mit ultraviolettem Licht und photographieren wir nun beide Körper, so erscheint auf der Kopie das Bleikarbonat rein weiß, während das Zinkoxyd fast schwarz aussieht, da es den größten Teil der ultravioletten Strahlen absorbiert. Auf diese Weise ist schon verschiedenfach versucht worden, schwer nachweisbaren Fälschungen auf die Spur zu kommen. Es kommt z. B. vor, daß in Schriftstücken durch chemische Mittel ein Teil der Schrift in so geschickter Weise entfernt worden ist, daß man die Fälschung nicht ohne weiteres nachweisen kann. Wood (65) hat nun gezeigt, daß diese chemisch behandelten Stellen im ultravioletten Licht anders aussehen, als der übrige Teil des Schriftstücks. Ebenso hat man schon mit Hilfe der Photographie im ultravioletten Licht nachträgliche Ergänzungen an Statuen festgestellt, die man mit bloßem Auge nicht wahrnehmen konnte (66). Wood und Miethe haben nun von dem Mond Aufnahmen im ultravioletten Licht, das ja auch im Sonnenlicht enthalten ist, gemacht, indem sie Filter verwendeten, die alles übrige Licht absorbierten und zwar hat sich dabei gezeigt, daß bestimmte Stellen, die bei gewöhnlicher Beobachtung genau wie ihre Umgebung aussehen, sich nun deutlich von derselben unterschieden. So stellte Wood (67) in der Nähe von Aristarchus einen großen dunklen Fleck fest, der darauf hindeutet, daß es 'sich hier um eine Gesteinsart handelt, die sich von derjenigen der Umgebung unterscheidet. Man ging sogar soweit,

723

im Laboratorium mit irdischen Gesteinen Kontrollversuche zu machen, um gewisse Rückschlüsse auf die Gesteinsarten des Mondes machen zu können, wobei man aber wohl nie weiter als zu bloßen Vermutungen gelangen kann.

Die ultravioletten Strahlen werden außerdem auch beim Fluoreszenzmikroskop dazu verwendet, unsere Gesichtswahrnehmung so zu erweitern, daß wir Dinge voneinander unterscheiden können, die bei gewöhnlichem Licht volKtändig gleichartig erscheinen. Der Apparat beruht auf der Eigenschaft der ultravioletten Strahlen, viele unorganische und organische Stoffe, Bakterien, tierische Gewebe usw. zur Fluoreszenz zu erregen und gestattet, um nur ein Beispiel zu erwähnen, auch die geringste Menge Mutterkorn leicht von Mehl zu unterscheiden, da das erstere gelb, das letztere blau fluoresziert (68).

Mit der Spektralanalyse können wir übrigens noch eine Reihe weiterer Fragen beantworten, deren Lösung man früher für unmöglich gehalten hätte. Man kann z. B. aus dem Spektrum erkennen, ob man es mit einem kosmischen Nebel oder nur mit einem Sternhaufen zu tun hat, der so weit weg ist, daß ihn unsere Fernrohre nicht mehr in einzelne Sterne aufzulösen vermögen.

(Schluß folgt.)

724

Hauptsächlich aber ist es das Dopplersche Prinzip, das für den Astronomen sehr wichtig geworden ist. Dasselbe tritt bekanntlich immer dann auf, wenn sich der Abstand zwischen einem Wellen aussendenden Körper, sei es nun eine Lichtquelle oder eine Schallquelle, und dem Beobachter verändert. Fährt z. B. eine pfeifende Lokomotive rasch an uns vorbei, so wird der Pfeifenton höher, wenn sich die Lokomotive uns nähert, während er tiefer wird, wenn sich die Lokomotive wieder von uns entfernt. Von einer ruhenden Schallquelle gelangen nämlich in der Sekunde eine bestimmte Anzahl von Schallwellen ins Ohr. Bewegt sich nun die Schallquelle auf uns zu, so wird das Ohr in der Sekunde von mehr Schallwellen getroffen, während es umgekehrt ist, wenn sich die Schallquelle von uns fortbewegt. Das eine Mal wird also der Ton höher, das andere Mal tiefer erscheinen, als bei ruhender Schallquelle.

Ähnlich liegen nun die Verhältnisse beim Licht, und zwar entsprechen dabei, wie wir schon oben gesehen haben, den Tönen die Farben. Denken wir uns z. B. auf einem Fixsterne leuchtenden Natriumdampf, so sendet der letztere in der Sekunde 509 Billionen Lichtwellen ins Auge, wodurch mit Hilfe des Spektroskops die gelbe Natriumlinie zustande kommt. Bewegt sich nun der Fixstern auf uns zu, so wird das Auge von mehr Lichtwellen getroffen, was sich in Spektroskopen mit großer auflösender Kraft dadurch bemerkbar macht, daß die Spektrallinie etwas gegen das blaue Ende des Spektrums hin verschoben ist; es hat sich nämlich die Farbe der Natriumlinie, wenn auch nur äußerst wenig, geändert. Wäre die Natriumlinie gegen das rote Ende des Spektrums hin verschoben, so dürften wir daraus den Schluß ziehen, daß sich der Fixstern von uns entfernt. Wenn auch diese Verschiebungen, der natürlich alle Spektrallinien des Sterns unterworfen sind, nur sehr klein sind, so können wir daraus doch die Geschwindigkeit des F”ixsterns bis zu einer Genauigkeit von etwa einem Kilometer berechnen (69).

Das Dopplersche Prinzip ist für den Astronomen aber auch noch aus einem anderen Grunde sehr wichtig. Bekanntlich haben wir es bei vielen Fixsternen mit Doppelsternen zu tun, die sich um ihren gemeinsamen Schwerpunkt bewegen und die man mit dem Fernrohr voneinnander trennen kann. Diese Trennung ist nun oft nicht mehr möglich, aber auch in diesem Fall, ja selbst dann, wenn der eine Stern dunkel und deshalb unsichtbar ist, gelingt es uns mit Hilfe des Spektroskops die Doppelsterne als solche zu erkennen, weshalb man solche Doppelsterne auch spektroskopische Doppelsterne genannt hat. Ist einer der Doppelsterne dunkel, so haben wir eine periodische Hinund Herbewegung der Spektrallinien, da sich der helle Plxstern abwechselnd auf uns zu bewegt und wieder von uns entfernt. Auf diese Weise wurde mit Hilfe des Dopplerschen Prinzips mit einem Schlag die Natur vieler Fixsterne mit periodischen Helligkeitssrhwankungen aufgeklärt, denn die letzteren kommen dadurch zustande, daß der dunkle Begleiter den hellen Stern immer wieder verdeckt. Sind beide Fixsterne hell, so verdoppeln sich die Spektrallinien periodisch, da der eine Fixstern sich von uns entfernt, während der andere sich auf uns zu bewegt; die Spektrallinien des einen Fixsterns werden also nach rechts, die anderen nach links verschoben.

Von allen Himmelskörpern ist die Sonne am eingehendsten erforscht und zwar ist einer der wichtigsten Apparate, die im Dienste der Sonnenforschung stehen, der von Haie und Deslandres entdeckte Spekiroheliograph (70). Während wir mit dem gewöhnlichen Spektroskop nur feststellen können, welche Elemente sich in der Sonnenatmosphäre befinden, gelingt es mit Hilfe des Spekiroheliographen auch die Verteilung der Elemente in der Sonnenatmosphäre näher zu untersuchen; denn wir können mit diesem Apparat gewissermaßen die von den einzelnen Elementen gebildeten Wolken beobachten und aus deren Veränderungen und Bewegungen wichtige Schlüsse über die Vorgänge in der Sonnenatmosphäre ziehen. Meistens beschränkt man sich aus gewissen Gründen auf die Beobachtung der Calciumoder Wasserstoffwolken und zwar hat man sich den Vorgang dabei etwa folgendermaßen zu denken: Wollen wir von irgendeiner Stelle der Sonne wissen, ob sich dort Calcium befindet, so entwerfen wir von dieser Stelle ein Spektrum, indem wir den übrigen Teil der Sonne abblenden. Ist Calcium vorhanden, so treten in diesem Spektrum die Calciumlinien auf, von denen man natür* lieh immer nur eine, die sich besonders eignet, zu beobachten braucht. Blenden wir nun das ganze Calciumspektrum mit Ausnahme dieser Linie ab und untersuchen wir auf dieselbe Weise der Reihe nach alle Stellen der Sonne, so können wir die Verteilung des Calciums auf einer photographischen Platte registrieren. Mit Hilfe des Spekiroheliographen gelingt es nicht nur die Chromosphäre auf der ganzen Sonnenscheibe zu verfolgen; wenn die ziemlich schwierigen Deutungen

730

der heliographischen Bilder richtig sind, ist es sogar möglich, die verschiedenen Schichten der Chromosphäre voneinander zu trennen und für sich zu untersuchen. Wir sind also auf dem besten Wege, die Sonnenatmosphäre in absehbarer Zeit genauer zu kennen als unsere eigene Erdatmosphäre, die wir ja nie als Ganzes auf einmal übersehen können.

Durch die Untersuchung der Vorgänge in der Sonnenatmosphäre wurde Haie zu der Vermutung geführt, daß die Sonnenflecken starke lokale Magnetfelder zur Folge haben. Auf den ersten Blick erscheint es unmöglich, den Nachweis dafür zu erbringen, ob die Sonne magnetische Eigenschaften hat oder nicht. Da wir jedoch seit der Entdeckung von Zeeman wissen, daß das Licht durch den Magnetismus beeinflußt wird, können wir auch diese Frage mit Hilfe des Spektroskops lösen. Sobald nämlich der lichtaussendende Körper einem starken magnetischen Feld ausgesetzt wird, findet eine Aufspaltung der einfachen Spektrallinien in mehrere Linien statt und diese Beobachtung hat Haie (71) auch bei den Sonnenflecken gemacht. Haie konnte mit Hilfe des sog. Zeeman Effekts nicht nur diese lokalen Magnetfelder nachweisen, er konnte auch zeigen, daß die Sonne als Ganzes sich wie eine magnetisierte Kugel verhält, so daß wir uns auf der Sonne ein ähnliches magnetisches Feld mit einem Nord- und einen Südpol denken müssen, wie auf der Erde.

Wie wir uns im Fernrohr die optischen Gesetze der Brechung und Reflexion nutzbar machen, so geschieht dies noch bei einer ganzen Reihe anderer Apparate, die es dem Auge ermöglichen, Dinge zu sehen, die es sonst nicht wahrnehmen könnte. Es sei hier nur an das Periskop der Unterseeboote erinnert; ferner an die optischen Apparate, die in der Hand des Arztes zu einer Wohltat für die Menschheit geworden sind, wie die Augen-, Ohren- und Kehlkopfspiegel. Einen Triumpf der optischen Technik stellt auch das Kystoskop (72) dar, mit dem es nicht nur gelingt, das Blaseninnere zu sehen, sondern auch zu photographieren. Der wichtigste optische Apparat, mit dem wir unser Sehvermögen verbessern, ist neben dem Fernrohr das Mikroskop. Man kann die Bedeutung dieses Instruments für Wissenschaft und Technik nicht hoch genug einschätzen; es genügt, sich daran zu erinnern, was für Erkenntnisse wir dem Mikroskop in der Botanik, Zoologie und Anatomie verdanken. Bei keinem Apparat tritt klarer zutage, was wir durch die Physik für den Kampf ums Dasein gewinnen, denn mit dem Mikroskop haben wir unsere größten Feinde, die Bakterien, erkannt, wodurch es uns möglich geworden ist, den Kampf gegen die Infektionskrankheiten aufzunehmen.

Wie der Leistungsfähigkeit des Fernrohrs, so sind auch der des Mikroskops Grenzen gesetzt, die in der Wellennatur des Lichtes begründet sind. Unter dem „Auflösungsvermögen” eines Mikroskops versteht man bekanntlich den kleinsten Abstand, den zwei Punkte eines Objektes haben dürfen, damit sie noch getrennt gesehen werden können. Denken wir uns z. B. als Objekt eine Glasplatte mit einer Anzahl eingeritzter Striche, die denselben Abstand voneinander haben, so könnte das Auge die Striche im höchsten Fall noch dann voneinander getrennt wahrnehmen, wenn ihr Abstand etwa ^4,, mm (73) betragen würde; um noch Striche von kleinerem Abstand voneinander trennen zu können, brauchen wir eine Lupe bzw. ein Mikroskop und zwar lehrt die Theorie, daß die Striche desto näher beieinander liegen dürfen, desto kurzwelliger das angewendete Licht ist. Beleuchten wir das Objekt mit violettem Licht von der Wellenlänge 0,4 n und verwenden wir ein sog. Immersionssystem, bei dem das Objekt in eine das Licht stark brechende Flüssigkeit eingebettet ist, so können wir mit unseren besten Objektiven noch Striche mit einem Abstand von V4000 "^"^ (74) voneinander trennen; da man durch Anwendung der schiefen Beleuchtung die Grenze noch bis zu einem Abstand von Vsooo â„¢^^ (75) herunterdrücken kann, leistet also das Mikroskop etwa 200 mal soviel als das Auge.

Ist es schon gut, wenn man sich bei violettem Licht der photographischen Platte bedient, da dieselbe gegen das kurzwellige Licht empfindlicher ist als das Auge, so läßt die photographische Platte auch noch die Verwendung von ultraviolettem Licht zu, wodurch wir die Grenzen noch weiter herunterdrücken können. So hat A.Köhler (76) eine mikroskopische Einrichtung für ultraviolettes Licht von der Wellenlänge 0,275 /< konstruiert, mit der sich noch Striche mit einem Abstand von etwa Vioouo "^"^ voneinander trennen lassen. Licht von noch kürzerer Wellenlänge läßt sich praktisch nicht verwerten, weil es zu leicht absorbiert wird; es ist deshalb auch der Kohler'sche Apparat mit Ouarzlinsen ausgestattet, da Glaslinsen das ultraviolette Licht absorbieren würden.

Wenn wir mit dem gewöhnlichen Mikroskop nicht über die oben erwähnten Grenzen hinaus gelangen können, hat dies seinen Grund darin, daß bei kleineren Abständen der Striche, d. h. bei feinerer Struktur des Objekts, das Bild infolge der Lichtbeugung unscharf wird. Daran ändert auch das Ultramikroskop nichts, das von Siedentopf und Zsigmondy {]j) konstruiert worden ist und das seinen Namen nur deshalb zu Recht führt, weil man damit noch kleinste Objekte wahrnehmen kann, die man bei gewöhnlicher Beobachtung mit dem Mikroskop nicht mehr sieht. Diese Objekte sieht man mit dem Ultramikroskop nur als helle Punkte; die Farbe, die Form und die etwaige Struktur dieser „ultramikroskopischen” Teilchen läßt sich nicht erkennen.

Um zu einem Verständnis dieses Apparats zu gelangen, ist es am besten, wenn wir uns daran erinnern, daß die Staubteilchen der Zimmerluft für gewöhnlich unsichtbar sind; sobald aber ein

731

Sonnenstrahl ins Zimmer dringt, wird das Sonnenlicht an den einzelnen Staubteilchen „aufgesplittert”, wodurch diese selbstleuchtend werden und so als leuchtende Punkte gesehen werden können. Das wesentliche an einem Ultramikroskop ist also, daß wir die ultramikroskopischen Teilchen durch eine geeignete Vorrichtung von der Seite her sehr intensiv beleuchten, so daß die Teilchen, mit einem gewöhnlichen Mikroskop betrachtet, als leuchtende Punkte erscheinen. Hat man z. B. eine kolloidale Goldlösung vor sich, so sieht man das wunderbare Schauspiel von unzähligen Lichtpunkten, die sich wie Sterne von dem dunkeln Hintergrund abheben und die sich wie ein Mückenschwarm hin- und herbewegen.

Es ist übrigens sehr wohl möglich, auch mit Hilfe des Ultramikroskops zu einer Vorstellung von der Größenordnung der noch sichtbaren Teilchen zu gelangen, denn es gelingt z. B. in einer kolloidalen Goldlösung die Teilchen eines bestimmten Plüssigkeitsvolumens zu zählen (78). Kennt man nun den Goldgehalt der Lösung, so kann man unter der Voraussetzung einer gewissen Form, etwa der Kugelform, den Durchmesser der Teilchen berechnen; dabei wird allerdings angenommen, daß keine Goldteilchen vorhanden sind, die so klein sind, daß man sie nicht mehr sieht, denn auch der Leistungsfähigkeit des Ultramikroskops sind Grenzen gesetzt. Dies rührt einerseits davon her, daß wir mit einem gewöhnlichen Mikroskop beobachten; es dürfen also die Teilchen keinen zu kleinen Abstand voneinander haben, um noch getrennt wahrgenommen werden zu können. Da es hier nicht auf die Schärfe des Bildes ankommt, liegt die Grenze etwas tiefer als die oben beim Mikroskop erwähnte, so daß bei größter Auflösungskraft des Mikroskops noch Teilchen mit einem Abstand von Vi 0000 "^"^ (79) voneinander getrennt gesehen werden. Außerdem aber müssen wir bedenken, daß wir die Teilchen, die zu klein sind, mit dem Ultramikroskop überhaupt nicht mehr sehen können und zwar rührt dies davon her, daß die Helligkeit der ultramikroskopischen Teilchen sehr rasch mit dem Durchmesser, nämlich mit der 6. Potenz (80) desselben, abnimmt. Je kleiner also die Teilchen sind, desto stärker müssen wir sie beleuchten. Nach Zsigmondy (81) liegt die Grenze des Durchmessers der gerade noch sichtbar zu machenden Teilchen bei 0,005 i”> es gelingt also nicht, mit dem Ultramikrobkop die Moleküle sichtbar zu machen, da die mittlere Größe eines solchen etwa 10 mal kleiner ist. Trotzdem hat das Ultramikroskop viel dazu beigetragen, wenn die Atomtheorie heute aufgehört hat, eine bloße Theorie zu sein, denn erst durch diesen Apparat konnten die kolloidalen Lösungen, die Brown'sche Bewegung und andere Erscheinungen, die mit der Atomtheorie zusammenhängen, näher untersucnt werden. Es ist überhaupt erstaunlich, wieviel Scharfsinn und Forscharbeit aufgewendet worden ist, um zu zeigen, daß die Materie eine atomistische Struktur besitzt und es zeigt sich besonders hier deutlich das Bestreben, über unsere gewöhnliche Sinneswahrnehmung hinauszukommen.

Wenn es vielleicht auch nie gelingen wird, die Moleküle und Atome zu sehen — bei den Gasmolekülen ist dies sogar sicher, da sie sich mit enormen Geschwindigkeiten hin- und herbewegen — so können wir doch schon jetzt die Wirkungen einzelner Atome feststellen, falls dieselben eine genügende kinetische oder elektrische Energie besitzen, wodurch sie sich uns bemerkbar machen können. Bekanntlich verdanken wir nun dem Radium Atome, die diese Eigenschaften haben, denn dieses merkwürdige Element sendet, wie einwandfrei festgestellt worden ist, elektrisch geladene Heliumatome aus, die eine ungeheuere Geschwindigkeit besitzen. Es ist nun nicht nur gelungen, die einzelnen Heliumatome bei ihrem Aufprallen auf einen Schirm aus Sidotblende als Lichtblitze wahrzunehmen, man kann auch die elektrische Wirkung eines einzelnen Heliumatoms mit dem Elektrometer messen (82). Wilson (83) konnte sogar die Bahn dieser Atome photographieren, so daß wir für dieselben nach einem Ausspruch von Laue (84) ebensogute Beweisgründe wie für die Sterne haben. Für den Physiker ist sogar schon das Atom selber zu einem Gegenstand der Untersuchung geworden (85), denn durch die radioaktiven Erscheinungen, durch die Spektralanalyse und neuerdings auch durch die Röntgenstrahlen suchen wir uns über den komplizierten Bau der Atome Aufschluß zu verschaffen.

Obgleich wir mit dem Mikroskop höchstens noch 2 Punkte mit einem Abstand von Vsooo '""^ voneinander getrennt wahrnehmen können, sind wir doch in der Lage, Längenmessungen vorzunehmen, die unter dieser Grenze stehen und zwar verwenden wir dabei als Maß die Wellenlänge des Lichts. Wir müssen uns zu diesem Zweck eine homogene Lichtquelle verschaffen, wie wir sie in der Natriumflamme oder noch besser in der Quecksilberlampe besitzen. Lassen wir uns z. B. einen Lichtstrahl, der von einer solchen, am besten punktförmig gedachten Lichtquelle herrührt, auf eine planparallele Glasplatte auffallen, so wird derselbe zum Teil an der vorderen Begrenzungsfläche der Platte reflektiert, zum Teil wird er aber auch in die Glasplatte eindringen und dann erst an der hintersten Begrenzungsfläche zurückgeworfen werden. Da die beiden so von der Platte kommenden Strahlen parallel sind, werden sie durch eine in ihren Weg gebrachte Linse in deren Brennebene vereinigt und dort zur Interferenz gebracht. Je nach der Wegdifferenz, d. h. je nach dem Gangunterschied der beiden Wellenzüge werden sich die beiden Strahlen verstärken bzw. auslöschen. Der betr. Punkt der Brennebene wird also entweder dunkel oder mehr oder weniger hell erscheinen. Da nun von der Lichtquelle auch andere Strahlen ausgehen, kommen auch in den anderen Punkten der Brennebene Interferenzen zustande und zwar derart, daß in der Brennebene

732

eine Reihe von konzentrischen Ringen entsteht, die abwechslungsweise hell und dunkel sind. Diese Interferenzkurven, die dem Physiker unter dem Namen „Kurven gleicher Neigung” bekannt sind, bleiben dieselben, wenn man statt der punktförmigen Lichtquelle eine ausgedehnte nimmt; das Phänomen wird dadurch nur lichtstärker.

Sobald nun die Platte nicht überall gleich dick ist, weichen diese Kurven von der Kreisform ab und damit haben wir ein sehr empfindliches Mittel, um auch die kleinsten Dickenunterschiede der Platte feststellen zu können. Auf diese Weise ist es möglich geworden, äußerst genaue planparallele Platten herzustellen, was für gewisse optische Apparate sehr wichtig ist. So liefert die Firma Zeiß(86) in Jena Platten, die auf größere Strecken bis auf V20 000 ”^ni genau gleich dick smd, und Schönrock hat einen Apparat gebaut, mit dessen Hilfe man noch eine Abweichung von der Planheit ebener Flächen wahrnehmen kann, die nur Vi 000 000 mm (87) beträgt.

Auch andere Interferenzmethoden wurden vielfach zu Messungen verwendet, bei denen es sich um überaus kleine Größenordnungen handelt; als Beispiel sei hier nur angeführt, daß Boltzmann und Töpler (88) mit Hilfe der Interferenzen zeigen konnten, daß ein Ton noch gehört wird, wenn die das Trommelfell in Schwingung versetzenden Luftteilchen eine Schwingungsweite von nur 0,00004 mm haben, woraus hervorgeht, wie überaus empfindlich das Ohr ist. Auf dem Interferenzprinzip beruhen auch die Gasrefraktometer und Gasinterferometer, die zu gasanalytischen Zwecken in der Industrie Eingang gefunden haben, und mit denen man die geringsten Beimengungen der Luft feststellen kann; das Gasinterferometer von Zellinek (89) zeigt z. B. schon den Methangehalt der Bergwerksluft an, wenn derselbe nur Vson % beträgt.

Wie sehr wir bei der Erweiterung unserer Sinne der Apparate bedürfen, zeigt sich ganz besonders beim Zeitsinn. Bekanntlich ist es uns nicht möglich, eine größere Zeitstrecke auch nur annähernd genau zu schätzen, was sich leicht dadurch ergibt, daß wir mehrere Personen gleichzeilig einen bestimmten Zeitraum schätzen lassen; aber auch bei der Schätzung von Zeiträumen, die nur wenige Sekunden betragen, werden noch Fehler von einigen Zehntel Sekunden gemacht. Während sich größere Zeiträume mit Hilfe der Uhren und Chronometer verhältnismäßig leicht bis zu einer Genauigkeit von Viooo Sekunde messen lassen, sind wir sehr oft vor die schwierigere Aufgabe gestellt, äußerst kleine Zeiten zu messen. Eine einfache Methode, die diesem Zwecke dient, besteht in der Verwendung der Schreibstimmgabcl ; dieselbe zeichnet ihre Schwingungen auf eine mit Ruß bedeckte zylindrische Trommel, die sich um ihre Achse dreht, in Form von Wellenlinien auf; ist nun die Schwingungszahl der Stimmgabel genau bekannt, so kennt man auch die Zeit, die zu irgendeiner Anzahl von Wellen notwendig war. Wollen wir daher eine kurze Zeitstrecke messen, so brauchen wir bloß den Anfang und das Ende derselben auf der Trommel zu markieren und die dazwischen liegenden Wellen abzuzählen. Eine klassische Anwendung dieser Methode verdanken wir Helmholtz (90), der damit die Zeit bestimmte, die zwischen dem Moment der elektrischen Reizung eines Muskels und dem Beginn der dadurch hervorgerufenen Konzentration des Muskels liegt; bekanntlich beträgt diese „Latenzzeit” nur einige tausendstel Sekunden. Eine andere sehr wichtige Methode zur Messung sehr kurzer Zeiträume beruht auf der Anwendung des rotierenden Spiegels, mit dem man z. B. die Zeitdauer eines elektrischen Funkens messen kann; betrachtet man nämlich den elektrischen Funken in dem rasch rotierenden Spiegel, so sieht man ein breites Lichtband, das desto breiter ist, je rascher der Spiegel gedreht wird; wenn nun die Umlaufsgeschwindigkeit des Spiegels bekannt ist, kann man aus der Breite des Bandes auf die kurze Zeitdauer des elektrischen Funkens schließen. Mit Hilfe des rotierenden Spiegels lassen sich noch Zeiträume von 10^ Sekunden (91) messen, so daß es möglich ist, die Zeit zu messen, die das Licht braucht, um einen Weg von wenigen Metern zurückzulegen. Foucault (92) gelang es z. B. auf diese Weise, die wichtige Frage zu entscheiden, ob das Licht in Wasser oder in Luft die größere Fortpflanzungsgeschwindigkeit besitzt, indem er feststellte, daß in einer 4 m langen Wassersäule das Licht gegenüber einer ebenso großen Luftsäule eine Verzögerung von ungefähr '/200 000 ono Sekunde erfährt.

Die kürzeste Zeitmessung verdanken wir Marx, der anläßlich der Geschwindigkeitsbestimmung der Röntgenstrahlen auf elektrischem Weg noch Zeiträume von 3X10”'° Sekunden (93) gemessen hat, in denen also das Licht nur einen Weg von 9 cm zurücklegen würde.

Mit dem rotierenden Spiegel lassen sich nicht nur äußerst kleine Zeitintervalle messen, es lassen sich damit auch die äußerst rasch verlaufenden Vorgänge, die sich innerhalb einer solch kurzen Zeit abspielen, der Untersuchung zugänglich machen. Als ein einfaches Beispiel wählen wir eine singende Flamme, bei der wir es mit einem periodischen Ab- und Anschwellen der Flamme zu tun haben, das je nach der Tonhöhe mehr oder weniger rasch, in der Regel mehrere hundertmal in der Sekunde erfolgt. Diese periodische Bewegung der Flamme nehmen wir für gewöhnlich nur als ein Zittern der Flamme wahr. Sobald wir aber den Kopf rasch um seine vertikale Achse drehen, während wir dabei die Flamme immer im Auge behalten, sehen wir die einzelnen voneinander getrennten Flammenbilder, da jetzt jedes Flammenbild auf eine andere Stelle der Netzhaut zu liegen kommt und dort als Nachbild zurückbleibt. Viel besser können wir nun die einzelnen Flammenbilder mit Hilfe des rotierenden Spiegels voneinander trennen, mit dem es auch gelingt, die auf eine Sekunde kommenden Flammenbilder zu zählen.

733

Wieviel diese Methode zu leisten imstande ist, zeigt am besten der klassische Versuch von F e d d e r s e n (94). Feddersen erhielt nämlich bei der Beobachtung des elektrischen Funkens mit dem rotierenden Spiegel kein kontinuierliches Lichtband, sondern eine Anzahl voneinander getrennter Streifen und machte so die weittragende Entdeckung, daß ein elektrischer Funke nicht aus einer einmaligen Entladung, sondern aus einer Reihe von ungeheuer rasch aufeinander folgenden Oscillationen besteht. Da man mit Hilfe dieser Methode noch Oscillationen wahrnehmen kann, von denen mehrere Millionen auf eine Sekunde kämen (95), wenn der Funke überhaupt so lange andauern würde, erkennt man, wie man gewissermaßen durch einen rotierenden Spiegel die Zeit in die Länge ziehen kann.

Bei vielen Untersuchungen kann der rotierende Spiegel auch durch ein rasch bewegtes Filmbad ersetzt werden. Um z. B. die komplizierten und äußerst raschen Schwingungen der Schallplatte eines Telephons zu analysieren, verbinden wir dieselbe derart mit einem kleinen Spiegelchen, daß dasselbe die Schwingungen der Schallplatte mitmacht. Lassen wir nun auf das Spiegelchen einen Lichtstrahl auffallen, so macht auch der reflektierte Strahl die Schwingungen mit, und wenn wir diesen Strahl auf ein rasch bewegtes Filmband werfen, entsteht auf letzterem eine Kurve, die in allen Teilen den Schwingungen der Schallplatte entspricht. Auf diese Weise lassen sich auch die Klänge analysieren und zwar unter vollständiger Ausschaltung des Ohrs. Man braucht nur mit Hilfe des Fouriersehen Theorems die auf dem Film sich abbildende Klangkurve in die Grundkurven, die den einzelnen Tönen entsprechen, zu zerlegen.

Ein äußerst wichtiger Apparat, mit dem es ebenfalls gelingt, rasch wechselnde Vorgänge der Untersuchung zugänglich zu machen, ist neben einigen anderen elektrischen Apparaten, wie der Braunschen Röhre und dem Oscillographen, auch das Einthovensche Saitengalvanometer, bei dem zwischen den Polen eines Magneten ein feines Drähtchen, die Saite, ausgespannt ist. Sobald ein elektrischer Strom durch die Saite hindurchgeht, wird die Mitte derselben je nach der Richtung und Stärke des Stromes mehr oder weniger nach der einen oder anderen Richtung ausgebogen und wenn wir durch die Saite einen Wechselstrom hindurchschicken, wird sie in Schwingungen versetzt, die ein getreues Abbild des Stromwechsels darstellen. Wollen wir also einen Wechselstrom näher untersuchen, so brauchen wir nur die Schwingungen der Saite durch eine photographische Registriervorrichtung aufzuzeichnen. Man wird z. B. auf diese Weise auch die oben erwähnten Klangkurven erhalten, wenn man den durch das Telephon gehenden Strom durch das Saitengalvanometer hindurchläßt.

Wie bei der Klanganalyse dient das Saitengalvanometer auch sonst noch vielfach zu Untersuchungen, die an und für sich gar nichts mit Elektrizität zu tun haben. So untersuchte Neuscheler (9O) damit den sehr geringen, aber äußerst rasch erfolgenden Temperaturwechsel, der in den Knoten einer tönenden Orgelpfeife durch die Verdichtungen und Verdünnungen der Luft hervorgerufen wird. Mit Hilfe eines Bolometers wurden die Temperaturschwankungen in Stromschwankungen umgesetzt und diese mit dem Saitengalvanometer auf einem Film aufgezeichnet. An den so entstandenen Wellenlinien konnte nicht nur die Art des Temperaturwechsels genau verfolgt, er konnte auch der Größe und Zeit nach gemessen werden. Wenn wir bedenken, daß der Temperaturunterschied nur ungefähr '/lo^C betrug und daß in einem der untersuchten Fälle 167 Temperaturwechsel in der Sekunde vorhanden waren, so sehen wir wieder deutlich, was wir durch die physikalischen Apparate gewinnen und wie sehr dieselben unseren Sinnen überlegen sind.

Ein sehr wichtiges Mittel zur Untersuchung sehr rasch verlaufender Vorgänge ist auch die Momentphotographie in Verbindung mit der Kinematographie. Man kann z. B. an der Hand einer kinematographischen Aufnahme nicht nur in aller Ruhe irgend eine Bewegungsphase eines galoppierenden Pferdes genau studieren, man kann auch den ganzen Bewegungsvorgang bis zu einem gewissen Grad dadurch künstlich verlangsamen, daß man den Film im Kinematographen langsamer laufen läßt, als dies bei der Aufnahme geschehen ist. Auf diese Weise ist es gelungen, eine ganze Reihe von Bewegungsvorgängen zu untersuchen, die uns früher nur unvollkommen bekannt waren; es sei hier nur auf den Insekten- und Vogelflug, auf die Bewegungen einer fallenden Katze und auf die Fußstellungen sich rasch bewegender Tiere hingewiesen. Die höchsten Anforderungen werden an diese Methode in der Ballistik gestellt, wo es sich um die kinematographische Aufnahme von sich ungeheuer rasch bewegenden Geschossen, sowie um die genauere Feststellung der zerstörenden Wirkungen dieser Geschosse handelt. Es können hier natürlich nur äußerst kurze Momentaufnahmen in Betracht kommen, denn ein modernes Infanteriegeschoß legt in Viono Sekunde einen Weg von ungefähr 1 m zurück, ja eine Momentaufnahme von 1 Millionstel Sekunde würde noch ein unscharfes Bild ergeben. Um nun zu solch kurzen Momentaufnahmen zu gelangen, wie man sie bei der Geschoßphotographie benötigt, bedient man sich der von Mach begründeten elektrischen Momentphotographie, die namentlich von Cranz zu höchster Vollkommenheit ausgebildet worden ist. Man macht dabei die Aufnahmen im Dunkeln bei offenem Objektiv und beleuchtet das Geschoß durch einen nur kurz andauernden elektrischen Funken. Da es möglich ist, Funken zu erzeugen, während deren Dauer das Geschoß stillzustehen scheint, und da es außer

734

dem gelungen ist, in der Sekunde bis zu 100000 solcher Funken (97) zu erzeugen, kann man mit Hilfe äußerst rasch bewegter Filmbänder kinematographische Aufnahmen machen, auf denen man z. B. die Durchschießung von Knochen, Explosionsvorgänge usw. genau verfolgen kann.

Mach hat übrigens gezeigt, daß man bei der Momentaufnahme eines Geschosses nicht nur das Geschoß selbst, sondern auch die Luftwellen, die das Geschoß verursacht und mit sich führt, auf die Platte bringen kann, was aus dem Grund sehr wichtig ist, weil man daraus wichtige Schlüsse über die zweckmäßige Form eines Geschosses ziehen kann. Er bediente sich dabei der T ö p l e r s c h e n Schlierenmethode, durch die man in einem homogenen durchsichtigen Medium die Schlieren, d. h. die Stellen, die das Licht anders brechen als die Umgebung, erkennen kann. Da sich noch Schlieren bemerkbar machen, deren Brechungsexponent sich von dem der Umgebung um nur 1 millionstel (98) unterscheidet, ist die Methode außerordentlich empfindlich, weshalb sie auch vielfache Anwendung gefunden hat. Bekanntlich lassen sich mit Hilfe der Schlierenmethode auch die Schallwellen photographieren und sichtbar machen und von großer praktischer Bedeutung ist, daß man damit in Glasblöcken die zu optischen Apparaten verarbeitet werden sollen, die störenden Schlieren erkennen kann.

Hier sei übrigens noch darauf hingewiesen, daß man mit Hilfe der Polarisationserscheinungen auch den Spannungen in Glasplatten und Linsen auf die Spur kommen kann (99), was deshalb wichtig ist, weil die Linsen aus spannungsfreiem Glas bestehen müssen.

Mittels der Kinematographie kann man nicht nur die Zeit künstlich in die Länge ziehen, man kann auch umgekehrt die sich in einem größeren Zeiträume abspielenden Vorgänge auf einen kleineren Zeitraum zusammendrängen. So vermochte z.B. L. Mach (100) dadurch, daß er eine Pflanze zu verschiedenen Zeiten ihres Wachstums photographierte, dieses mehrere Wochen währende Wachstum auf wenige Sekunden zusammenzudrängen; das Wachsen des Stengels, das Entstehen der Blätter, das Entfalten der Knospen, alles das läuft in kürzester Zeit vor dem Beobachter ab. Leichter ist es natürlich mit einem Kinematographen die Bewegungsvorgänge in ihrer zeitlichen Reihenfolge umzukehren und so das Unmögliche möglich zu machen. Man braucht nur das Filmband umgekehrt durch den Apparat laufen zu lassen.

Ebenso wie die Gesichtseindrücke lassen sich auch die Gehörseindrücke festhalten. Gewöhnlich bedient man sich zu diesem Zwecke des Grammophons, bei dem die Schwingungen einer Schallplatte in eine weiche Platte eingegraben werden. Ein anderer äußerst sinnreicher Apparat zur Festhaltung von Gehörseindrücken ist das Telegraphon von Poulson (101). Bei demselben wird das Gespräch, bzw. das Musikstück auf einem Stahldraht fixiert und zwar geschieht dies dadurch, daß man den Stahldraht sehr rasch an dem Magneten eines Telephons vorbeiführt. Wäre der Magnet immer gleich stark, so würde auch der Stahldraht gleichmäßig magnetisiert werden; dadurch aber, daß man gegen das Telephon spricht, entstehen in dem Magneten Schwankungen der magnetischen Kraft, die vollständig den Schwingungen der Schallplatte entsprechen; es wird daher auch der Stahldraht an verschiedenen Stellen verschieden stark magnetisch. Führt man nun diesen Draht mit derselben Geschwindigkeit wieder an dem Magneten eines Telephons vorbei, so werden in dem letzteren Stromschwankungen erzeugt, die in allen Teilen der Magnetisierung des Stahldrahts entsprechen; dadurch gerät die Telephonplatte in die entsprechenden Schwingungen, so daß man das aufgenommene Gespräch hört.

Weniger bekannt ist, daß man auch mit Hilfe des Kinematographen Gehörseindrücke festhalten und reproduzieren kann. Es ist nämlich möglich, mittels einer sprechenden Bogenlampe auf einem Film ein Gespräch aufzunehmen, das man dann mit Hilfe der Selenzelle wieder abhören kann (102).

Wenn wir jetzt zu den magnetischen und elektrischen Erscheinungen übergehen, so kommen wir damit zu Naturvorgängen, für die uns ein direktes Sinnesorgan fehlt. Trotzdem ist es uns gelungen, diese Erscheinungen in einer so vollkommenen Weise zu erforschen und sie für unsere Zwecke derart nutzbar zu machen, daß man unser Zeitalter das Zeitalter der Elektrizität genannt hat.

Es hat natürlich nicht viel Wert, wenn wir uns darüber Gedanken machen, wie es wäre, wenn wir einen magnetischen Sinn hätten. Das eine kann man aber wohl sagen, daß uns dann die magnetischen Kräfte der Erde nicht verborgen bleiben würden; wir würden durch die Kraftlinien des erdmagnetischen Feldes beeinflußt werden und wären damit im Besitz eines vorzüglichen Orientierungsorgans. Bis zu einem gewissen Grad ist sogar schon durch Versuche an Krebsen gezeigt worden, wie ein magnetischer Sinn wirken könnte. Es gibt Krebse, die die Eigenschaft haben, daß sie sich nach der Häutung Steinchen, sog. Statolithen, ins Ohr stecken, wo diese Steinchen auf Fühlhärchen drücken und so dem Krebs die Richtung der Schwerkraft anzeigen. Wir haben es hier also mit einem Gleichgewichtsorgan zu tun, wie es in der Tierwelt häufig vorkommt; auch derMensch hat in der Nähe des Gehörorganes solche Statolithen in Form von kleinen Kristallen von kohlensaurem Kalk. Kreidl (103) hat nun den Krebsen die Gelegenheit genommen, unmittelbar nach der Häutung Steinchen aufzunehmen und hat ihnen dafür Eisenstaub angeboten, wodurch die Versuchstiere eiserne Statolithen bekamen. Der Erfolg war, daß die Krebse jetzt durch einen Magneten beeinflußt werden konnten, indem sie sich senkrecht zur Summe der magnetischen Kraft und der Schwerkraft einstellten.

735

Der Apparat, der uns den magnetischen Sinn ersetzen muß, ist die Magnetnadel, die für den Physiker zu einem unentbehrlichen Hilfsmittel geworden ist und nicht nur bei magnetischen, sondern auch bei elektrischen Untersuchungen eine große Rolle spielt. Die empfindlichsten Apparate, deren wesentlicher Bestandteil die Magnetnadel ist, besitzen die magnetischen Observatorien, wo die magnetischen Kräfte der Erde aufs genaueste untersucht werden können und wo die Veränderungen des Erdmagnetismus registriert und seine früher so rätselhaften Zusammenhänge mit den Sonnenflecken und Polarlichtern erforscht werden können.

Da die Magnetnadel die Eigenschaft hat, immer der Richtung der magnetischen Kraftlinien zu folgen, wurde sie von jeher in der Form des Kompasses als Orientierungsmittel verwendet. Schon die Normannen sollen sich bei ihren Fahrten des Kompasses bedient haben, sicherlich hat man aber den Kompaß schon 400 Jahre vor der Entdeckung Amerikas im Mittelmeer verwendet (104). Man muß den Kompaß zu den größten Erfindungen rechnen und kann seine Bedeutung nicht hoch genug einschätzen; man braucht sich nur daran zu erinnern, wie sehr die Entwicklung der Seeschiffahrt von dem Kompaß abhing und wieviel er zur Ausbreitung der europäischen Kultur beigetragen hat. In Ländern mit einem weit verzweigten Straßensystem, wo man sich außerdem mit Hilfe von Karten orientieren kann, denkt man ja im allgemeinen nicht daran, wie wichtig der Kompaß als Orientierungsmittel ist; erst wenn man sich in vollständig unbekannten Gegenden zurecht finden muß, oder wenn jegliche Merkmale für eine Orientierung — abgesehen von den nicht immer möglichen astronomischen Beobachtungen — fehlen, wie z. B. auf der See, in der Luft und namentlich in einem Bergwerk, wird man den Wert des Kompasses in seiner ganzen Bedeutung erkennen.

Da auf den modernen Stahlschiffen, die von einem Netz von elektrischen Leitungen durchzogen sind, das Arbeiten mit dem Magnetkompaß immer schwerer wird, ist es von großer Wichtigkeit, daß wir seit neuerer Zeit in dem Kreiselkompaß ein Hilfsmittel haben, das von magnetischen und elektrischen Einflüssen unabhängig ist. Dieser Kompaß besteht aus einem sich ungeheuer rasch drehenden Kreisel, dessen Achse infolge der Drehkräfte der Erde immer nach dem Nordpol der Erde weist. Technisch vollkommen wird man allerdings den jetzigen Kreiselkompaß wohl noch nicht nennen können, zudem muß man bedenken, daß er durch die Bewegungen des Schiffs beeinflußt wird.

Während des Kriegs wurde auch die drahtlose Telegraphie in den Dienst der Orientierung gestellt, denn mit Hilfe der elektrischen Wellen ist die Lösung des schwierigen Problems gelungen, auch bei unsichtigem Wetter die augenblickliche Lage und den Kurs eines Schiffes oder eines Luftschiffes festzustellen, was dadurch erreicht wird, daß man die relative Lage der beweglichen drahtlosen Station zu mehreren bekannten festen Stationen bestimmt. Sendet z. B. ein Luftschiff Wellen aus, die von diesen Stationen aufgefangen werden, so läßt sich mit Hilfe besonderer Empfangsapparate auf den einzelnen Stationen die Richtung der ankommenden Wellen feststellen und dadurch ist es möglich, dem Fahrzeug seine augenblickliche Lage zu übermitteln.

Eine andere Möglichkeit wäre die, daß die festen Stationen Signale geben und daß dann auf dem Schiff bzw. Luftschiff festgestellt wird, aus welcher Richtung die Signale kommen. Würde man also etwa längs der Grenze eines Landes eine Reihe von festen Stationen errichten, so könnten die Insassen eines Luftfahrzeugs auch bei unsichtigem Wetter mit ihrem Empfangsapparat feststellen, ob sie die Grenze überflogen haben oder nicht (105).

Wie schon erwähnt, haben wir auch für die Elektrizität kein unmittelbares Sinnesorgan, wir können dieselbe vielmehr nur mittelbar an den Wirkungen erkennen, die sie auf andere Körper ausübt, wenn wir davon absehen, daß wir stärkere elektrische Ströme auch direkt durch das Gefühl wahrnehmen können. Wollen wir sehen, ob ein Körper, z. B. ein geriebener Hartgummistab, elektrisch ist, so benutzen wir ein Elektroskop, bei dem wir bekanntlich von der Eigenschaft Gebrauch machen, daß sich gleichnamig elektrische Körper — in diesem Fall dünne Metallfolien — gegenseitig abstoßen, während sich ungleichnamig elektrische Körper anziehen. Man kann diese Elektroskope außerordentlich empfindlich machen, so daß man damit auch die geringsten Elektrizitätsmengen nachweisen kann. Es sind Apparate gebaut worden, deren Energieschwelle ungefähr bei iO~'^ Erg liegt (106); die Energiemenge, durch die die Blättchen solcher empfindlicher Elektroskope noch in Bewegung versetzt werden, ist also 10 Millionen mal kleiner als die kleinste Energiemenge, durch die das Auge und das Ohr gerade noch gereizt werden und man kann sagen, daß die Arbeit, die zu einem einzigen Augenaufschlag nötig ist, für lOO Billiarden Elektroskopausschläge ausreichen würde. Diese hochempfindlichen Instrumente spielen nicht nur bei radioaktiven Untersuchungen eine große Rolle, sie sind auch zum Nachweis der oben erwähnten Photoströme notwendig, die noch angezeigt werden, selbst wenn sie nur noch eine Stärke von I0~'^ Ampere besitzen (107).

Noch empfindlicher gegen statische Ladungen als diese Elektroskope ist ein Apparat, der zum erstenmal von Ehrenhaft gebaut worden ist und der von ihm und anderen Forschern hauptsächlich zur Untersuchung der Frage nach dem Elektrizitätsatom verwendet wurde (108). Es handelt sich dabei in der Hauptsache um 2 horizontale Kondensatorplatten, zwischen denen sich ein regulierbares elektrisches Feld befindet. In dieses Feld brachte nun Ehrenhaft äußerst

736

kleine, elektrisch geladene Ouecksilberkügelchen, deren Halbmesser nur ungefähr io~^ cm betrug und die deshalb mit dem Ultramikroskop betrachtet werden mußten. Durch Regulierung des elektrischen Feldes konnte unschwer ein beliebiges Kügelchen schwebend erhalten werden, sobald jedoch die Ladung des Kügelchens sich auch nur um den geringsten Betrag änderte, was durch Ionisation der Luft erreicht werden konnte, begann das Kügelchen zu steigen bzw. zu fallen. Es konnten auf diese Weise Ladungsänderungen beobachtet werden, die auch das empfindlichste Elektroskop nicht mehr anzeigen würde.

An diesen Kügelchen konnte übrigens auch die Einwirkung des schon früher erwähnten Strahlungsdrucks direkt wahrgenommen werden und bei Kügelchen von bestimmter Größe konnte sogar der Anziehungskraft der Erde durch den Lichtdruck das Gleichgewicht gehalten werden (109), eine Tatsache, die geeignet ist, die bekannten astrophysikalischen Hypothesen von Arrhenius zu stützen. Der Ehrenhaftsche Apparat stellt also nicht nur einen elektrischen Apparat dar, der noch vielfach empfindlicher ist, als die empfindlichsten Elektroskope; es können damit auch noch Drücke von I billionstel mg nachgewiesen werden (110), so daß er, mit einer Wage verglichen, noch 1 Million mal empfindlicher gegen Drücke ist, als die empfindlichste Mikrowage.

Zu den empfindlichsten Instrumenten, die wir besitzen, gehören auch die Galvanometer, bei denen sich hauptsächlich das Spiegelgalvanometer von Paschen(111) durch seine große Empfindlichkeit auszeichnet; es besitzt eine Reizschwelle von etwa 1 billionstel Erg und gestattet noch Ströme von weniger als I0~" Ampere zu messen, so daß damit z. B. noch die äußerst schwachen Ströme nachgewiesen werden können, die entstehen, wenn man das Galvanometer mit 2 Stellen des menschlichen Körpers, etwa der Ober- und Unterseite einer Hand, verbindet. Es hat sich dabei gezeigt, daß diese elektrischen Ströme von Gemütsbewegungen beeinflußt werden; wir haben es also hier mit einer ähnlichen Erscheinung zu tun, wie bei den schon erwähnten Apparaten, durch welche Gefühlsvorgänge registriert werden können.

Ebenso empfindlich wie das Paschensche Spiegelgalvanometer ist das Einthovensche Saitengalvanometer (112), von dem schon oben die Rede war. Interessant ist dessen Verwendung zur Aufzeichnung des Elektrokardiogramms. Durch die Bewegungen des Herzens entsteht nämlich ein elektrischer Strom, der sog. Aktionsstrom, den man z. B. an den beiden Händen abnehmen und dann durch das Galvanometer gehen lassen kann. Das letztere zeigt deutlich die Stromschwankungen an, die sich bei jedem Herzschlag wiederholen und die bei einem gesunden Herzen von ganz bestimmter Art sind. Arbeitet das Herz, etwa infolge eines Klappenfehlers, nicht normal, so zeigt sich dies sofort an der aufgezeichneten Herzschrift, dem sog. Elektrokardiogramm, weshalb das Saitengalvanometer für die Diagnostik von Herzkrankheiten von großem Wert ist, wie es auch sonst noch vielfach in der Elektrophysiologie Verwendung findet. Mit seinem Galvanometer ist Einthoven sogar das Kunststück gelungen, die Diagnose bei Herzkranken zu stellen, die mehrere km von ihm entfernt waren (113). Es ist dies übrigens nur ein Beispiel von vielen für die Anwendung der Elektrizität bei Fernübertragungen, die wir schon beim Telephon und beim Telegraphen sowie bei der Fernphotographie erwähnt haben ; auch die Temperatur läßt sich z. B. auf diese Weise in der Ferne ablesen und registrieren.

Eine große Rolle in der Physik spielt die Vertauschung der Sinnesorgane; wo ein Sinnesorgan versagt, muß ein anderes, das sich zur Messung besser eignet, an dessen Stelle treten, wie ja auch der Blinde das fehlende Auge durch die tastende Hand und durch das verfeinerte Gehör zu ersetzen sucht.

Als ein Beispiel von vielen sei hier erwähnt, daß man mit Hilfe des Auges viel besser als mit dem Ohr feststellen kann, ob 2 Stimmgabeln genau aufeinander abgestimmt sind oder nicht, ganz abgesehen davon, daß dabei gar nicht in Betracht kommt, ob man ein musikalisch geübtes Ohr hat oder nicht. Man befestigt zu diesem Zwecke die beiden Stimmgabeln in 2 zueinander senkrechten Richtungen und versieht jede Stimmgabel mit einem kleinen Spiegelchen, das man an einem der beiden Zinken festmacht. Läßt man nun einen Lichtstrahl auf das eine Spiegelchen auffallen und sorgt man dafür, daß der reflektierte Strahl das Spiegelchen der anderen Stimmgabel trifft, fängt man ferner den von diesem Spiegelchen kommenden Strahl auf einem Schirm auf, so führt der dort entstehende Lichtpunkt, falls man beide Stimmgabeln anschlägt, 2 aufeinander senkrecht stehende Schwingungen aus, die sich zu einer Lissajousschen Schwingungskurve addieren. Sind nun die beiden Stimmgabeln ganz genau gleich gestimmt, so muß die entstehende Lissajoussche Kurve ihre Gestalt unverändert beibehalten ; ist dies nicht der Fall, so sind die Schwingungszahlen der Stimmgabeln verschieden. Im letzteren Fall treten allerdings auch Schwebungen auf, so daß man die Verstimmung auch mit dem Ohr wahrnehmen kann; wenn jedoch die Verstimmung eine äußerst geringe ist und die Schwebungen infolgedessen sehr weit auseinander liegen, kann man nur noch mit der optischen Methode den Unterschied der beiden Töne feststellen.

Die meisten Apparate sind für die Beobachtung durch das Auge eingerichtet, wie wir uns ja auch im täglichen Leben hauptsächlich mit Hilfe des Auges in der Außenwelt orientieren; es gibt aber auch Fälle, wo das Ohr mit Vorteil als das beobachtende Sinnesorgan verwendet wird, wie wir schon oben bei der Schlagwetterpfeife gesehen haben. Einen etwas kuriosen Fall für

737

die Anwendung des Ohrs stellt das akustische Thermometer von Quincke (114) dar, bei dem von dem Zusammenhang zwischen der Temperatur eines Körpers und der Schallgeschwindigkeit in demselben Gebrauch gemacht wird. Es kann also z. B. mittels des Ohrs die Temperatur einer Luftmasse dadurch bestimmt werden, daß man mit Hilfe des bekannten Quinckeschen Interferenzapparats die Schallgeschwindigkeit in dieser Luft bestimmt.

Verschiedenfach wurde auch schon versucht, mit Hilfe der Selenzelle dem Blinden mittelst des Ohrs einen Ersatz für das Auge zu verschaffen. So baute Fournier d'Albe (115) einen Apparat, bei dem sich eine Selenzelle mit einer Stromquelle und einem Hörer, wie er in ähnlicher Form von Reis, dem ersten Erfinder des Telephons, verwendet wurde, in einem Stromkreis befindet. Sobald die Selenzelle belichtet wird, wird der Strom und infolgedessen auch der Ton stärker, so daß dem Blinden die Helligkeitsunterschiede durch das Ohr zum Bewußtsein gebracht werden. Er wird also z. B. mit Hilfe dieses Apparates, des sog. Optophons, hören, ob die Sonne scheint, ob er sich einem Fenster nähert, ob bei Nacht ein Zimmer beleuchtet ist usw. Es ist auch schon der Plan aufgetaucht, mit Hilfe der Selenzelle eine Blindenlesemaschine zu konstruieren; leider wird aber das meiste Zukunftsmusik bleiben, wie so manches andere, was man mit Hilfe der Selenzelle zu erreichen hoffte.

Auch sonst sind uns natürlich in allem, was wir zu erreichen wünschen, Grenzen gesetzt. Es wird aber trotzdem immer unser Bestreben sein, der Natur hinter ihre Geheimnisse zu kommen und so unsere Sinne immer mehr zu erweitern für das, was um uns herum vorgeht; wir werden immer mehr darnach trachten müssen, die Naturgesetze kennen zu lernen, dann ist auch das scheinbar unmögliche möglich, dann kann man z. B. auch mit Hilfe eines Thermometers die Höhe eines Berges messen; man braucht zu diesem Zwecke nur zu wissen, in welcher Weise der Luftdruck mit der Höhe abnimmt und wie andererseits der Siedepunkt des Wassers vom Luftdruck abhängt. Es werden dann noch manche rätselhafte Erscheinungen, vielleicht auch die Frage der Wünschelrute, ihre Erklärung finden. Wie lange hat es nur gedauert, bis wir dem merkwürdigen Zusammenhang zwischen den Sonnenflecken und Polarlichtern auf die Spur kamen? Erst in dem letzten Jahrzehnt konnte man feststellen, daß es sich dabei um die Wirkung elektrischer Strahlen handelt, die von der Sonne ausgehen. Bekannt ist auch die Anekdote von Liebig (116), der sich nur mit großem Mißtrauen einer Kur in Gastein unterwarf Er untersuchte nämlich vorher das Wasser und da es sich als vollständig neutral erwies, erklärte er, destilliertes Wasser könne er zu Hause billiger haben. Hätte Liebig etwas vom Radium gewußt, wäre ihm die Heilwirkung der Quelle nicht so rätselhaft gewesen.

Es ist natürlich keine Frage, daß es noch weitere Naturgesetze und Naturerscheinungen gibt, die wir noch nicht kennen und denen gegenüber wir uns in einer ähnlichen Lage befinden, wie der Blinde gegenüber dem Licht. Aber wie wir uns, nach einem Ausspruch von Lodge (117), vorstellen können, daß ein Geschlecht blinder Physiker imstande sein könnte, experimentelle Mittel zur Erforschung der Lichtstrahlen zu ersinnen, so ist es nach allen bisher gemachten Erfahrungen sicher, daß wir noch weitere Naturerscheinungen entdecken werden, die unseren Sinnen bis jetzt verborgen geblieben sind.


Literaturverzeichnis.

1) H. Spencer, Die Prinzipien der Psychologie. I. Bd. E. Schweizerbart, Stuttgart 1882. S. 380.
2) O. Wiener, Die Erweiterung unserer Sinne. J. A. Parth, Leipzig 1900. S. 20.
3) Beckmannsche Thermometer.
4) Jul. H. West, Annalen der Physik. Bd. 65. 1S98.
5) C. V. Boys, Proceedings oi the Royal Society. 47. 1890.
6) E. F. Nichols, The Astrophysical Journal. 13. 1901.
7) H. C. Jones und J. S. Guy, Physikalische Zeitschrift. Bd. 13. 1913.
8) F. Paschen, Ann. d. Phys. Bd. 48. 1893.
9) O. Wiener, (2) S. 8.
10) Handwörterbuch der Naturwissenschaften. G. Fischer, Jena. Bd. VIII. S. 991.
11) F. Eraich, Die Naturwissenschaften. Bd. 3. 1915.
12) J. Giesen, Ann. d. Phys. Bd. 10. 1903.
13) D. Steel e und K. Grant, Proceedings of the Royal Society. 82. 1909.
14) Die Naturwissenschaften. Bd. 3. 1915. S. 316.
15) O. Wiener, Physik und Kulturentwicklung. B. G. Teubner 1919. S. 10.
16) A. Top 1er, Ann. d. Phys. Bd. 56. 1895.
17) M. Töpler, Ann. d. Phys. Bd. 57. 1896.
18) P. Lebedew, Ann. d. Phys. Bd. 6. 1901.
19) E. Wiechert, Phys. Zeitschr. Bd. 9. 1908.
20) Naturwissensch. Wochenschrift. Bd. 24. 1909. S. 29. S. auch A. Fürst, Die Wunder um uns. Vita, Deutsches Verlagshaus, Berlin.
21) H. Berger, Die Naturwissenschaften. Bd. I. 1913.
22) O. Wiener, (15) S. II.
23) Handwörterbuch der Naturwissenschaften. Bd. VIII. S. 461.
24) Handwörterbuch der Naturwissenschaften. Bd. VIII. S. 462.
25) J. Donau, Monatshefte für Chemie. Bd. 34. 1913.
26) A. Voller, Phys. Zeitschr. Bd. 6. 1905.
27) Handwörterbuch der Naturwissenschaften. Bd. IX. S. 207.
28) Müller-Pouillet, Lehrbuch der Phylik. II. Bd. Optik. 1907. S. 654.
29) Die Naturwissenschaften. Bd. 2. 1914. S. 1059 und S. 344
30) S. Valentiner und R. Schmidt, Ann. d. Phys. Bd. 18. 1905.
31) H. Haber, Die Naturwissenschaften. Bd. i. 1913.
32) O. Wiener, (2) S. 17.
33) L. Grätz, Die Elektrizität und ihre Anwendungen. 19. Aufl. 1919. S. 729 S. 730.
34) W. Altberg, Ann. d. Phys. Bd. 23. 1907.
35) E. Dieckmann, Ann. d. Phys. Bd. 27. 1908.
36) P. Lebedew, Ann. d. Phys. Bd. 35. 1911.
37) O. Wiener, (2) S. 17.
38) H. Ambro nn, Ann. d. Phys. Bd. 10. 1903 u. Die Naturwissenschaften. Bd. 2. 1914. S. 907.
39) C. Ries, Sehende Maschinen. Verlag C. Huber, Diefien vor München 1916.
40) A. Korn, Fortschritte der naturw. Forschung. Bd. I. 1910. S. auch A. Korn, Die Naturwissenschaften. Bd. 4. 1916.

738


41) Müller-Pouillet, Lehrbuch der Physik. 4. Bd. 1914. S. 1060.
42) W. Block, Das Weltall. Bd. 14. 1913/14.
43) P. Guthnick und R. Prager, Die Naturwissenschaften. Bd. 3. 1915.
44) Müller-PÖuillet, (28) Tafel IV.
45) O. Wiener, (2) S. 24.
46) H. Rubens und O. v. Baeyer, Berliner Berichte 1911.
47) R. W. Wood, Phys. Zeitschr. Bd. 14. 19 13.
48) L. Grätz, (33) S. 769.
49) L. Grätz, (33) S. 772.
50) G. Bern dt. Das Weltall. Bd. 6. 1906.
51) Th. Toramasina, Phys. Zeitschr. Bd. 2. 1900.
52) H. Lö wy und G. Leimbach, Phys. Zeitschr. Bd. 11. 1910 u. Bd. 13. 1912.
53) W. Friedrich, P. Knipping und M. Laue, Ann. d. Phys. Bd. 41. 1913.
54) Handwörterbuch der Naturwissenschaften. Bd. VIII. S. 468.
55) Die Naturwissenschaften. Bd. 3. 1915. S. 621.
56) Zeitschrift für den phys. u. ehem. Unterricht. 19 15. 5. Heft. S. 276.
57) F. Auerbach, Die Physik im Kriege. G. Fischer, Jena 1916. S. 57.
58) M. Wolf, Stereoskopbilder vom Sternhimmel. J. A. Barth, Leipzig.
59) C. Pulfrich, Stereoskopisches Sehen und Messen. G. Fischer, Jena 1911.
60) Handwörterbuch der Naturwissenschaften. Bd. VII. S. 762.
61) Müller-Pouillet, (28) S. 384.
62) K. Schwarz Schild, Über das System der Fixsterne. B. G. Teubner, 1916. S. 39.
63) K. Schwarzschild, (62) S. 8.
64) O. Mente, Unsichtbare Strahlen. Die Wunder der Natur, 3. Bd. Deutsches Verlagshaus Bong & Co.
65) Die Naturwissenschaften. Bd. 2. 191 4. S. 30S.
66) O. Mente, (64).
67) R. W. Wood, The Astrophysical Journal 36. 1912.
68) Th. .Vogt, Prometheus. Bd. 23. 1912.
69) H. Sieveking, Die meoschlichen Sinne und ihre Erweiterung durch
Instrumente. B. G. Teubner, 1913. S. 14.
70) P. Guthnick, Fortschritte der naturwissenschaftl. Forschung, i. Bd. 1910.
71) P. Zeeman, Phys. Zeitschr. Bd. 13. 1912.
72) M. V. Rohr, Die Naturwissenschaften. Bd. 4. 1916.
73) O. Wiener, (2) S. 11.
74) Müller-Pouillet, (28) S. 454.
75) Müller-Pouillet, (28) S. 455.
76) A. Köhler, Phys. Zeitschr. Bd. 5. 1904.
77) H. Siedentopf und R. Zsigmondy, Ann. d. Phys. Bd. 10. 1903.
78) F. Kirchner und R. Zsigmondy, Ann. d. Phys. Bd. 15. 1904.
79) Handwörterbuch der Naturwissenschaften. Bd. VII. S. 323
80) Müller-Pouillet, (28) S. 458.
81) R. Zsigmondy, Zur Erkenntnis der Kolloide. G. Fischer, Jena. 1905. S. 97.
82) Müller-Pouillet, Bd. IV. S. 1252.
83) Müller-Pouillet, (82) S. 1265.
84) M. V. Laue, Die Naturwissenschaften. Bd. 2. 19 14.
85) L. Grätz, Die Atomtheorie in ihrer neuesten Entwicklung. J. Engelhorns Nachf., Stuttgart 1918.
86) Müller-Pouillet, (28) S. 756.
87) E. Gehrcke, Die Anwendung der Interferenzen in der Spektroskopie und Metrologie. F. Vieweg, Braunschweig.
88) L. Boltzmann und A. Top 1er, Ann. d. Physik. Bd. 141. 1870.
89) K. Zellinek, Phys Zeitschr. Bd. il. 1910.
90) E. Lech er, Lehrbuch der Physik. B. G. Teubner, 1917. S. 103.
91) H.Abraham und J. Lemoine, Annales ds chimie et de physique. 20. 1900.
92) L. Foucault, Ann. d. chim. et de phys. 41. (3). 1854.
93) E. Marx, Ann. d. Phys. Bd. 33. 1910.
94) W. Feddersen, .^inn. d. Phys. Bd. 103. 1858.
95) Müller-Pouillet, (82) S. 897.
96) K. Neusc heier, Ann. d. Phys. Bd. 34. 191 1.
97) B. Glatzel, Elektrische Methoden der Momentphotographie. F. Vieweg, Braunschweig.
98) Handwörterbuch der Naturwissenschaften. Bd. VIII. S. 927.
99) Müller-Pouillet, (28) S. 573.
100) E. Mach, Populärwissenschaftliche Vorlesungen.
101) G. Eichhorn, Fortschritte der naturwissenschaftl. Forschung. Bd. 5. 1912.
102) E. Ruhmer, Phys. Zeitschr. Bd. 2. 1900.
103) O. Wiener, (15) S. 31. Handwörterbuch der Naturw. Bd. I.X. S. 48.
104) Zeitschrift für den phys. u. ehem. Unterricht. 30. Jahrgang. 191 7. S. 263.
105) G. Eichhorn, Fortschritte der naturw. Forschung. Ed. 7. 19:3.
106) O. Wiener, (15) S. 33.
107) E. Wertheimer, Phys. Zeitschrift. Bd. 14. 1913.
108) D. Konstantinowsky, Die Naturwissenschaften. Bd. 6. 1918.
109) Zeitschrift für den phys. u. ehem. Unterricht. 30. Jahr- gang. 1917. S. 40.
110) O. Wiener, (15) S. 34.
111) F. Paschen, Ann. d. Phys. Bd. 48. 1893.
112) W. Einthoven, Ann. d. Phys. Bd. 12. 1903. Bd. 14. 1904 u. Bd. 21. 1906.
113) Du Bois-Reymond, Die Naturwissenschaften. Bd. I. 1913.
114) G. Quincke, Ann. d, Phys. Bd. 63. 1S97.
115) E. Fournier d'Albe, Phys. Zeitschr. Bd. 13. 1912. M. Ikle, Das Weltall. Bd. 15. 1914/15.
116) H. Sieveking, Die Naturwissenschaften. Bd. 2. 1914.
117) O. Lodge, Leben und Materie. K. Curtius, Berlin 1908. S. 89.

------- ENDE --------


Erstellt am 20.02.2012 - Letzte Änderung am 20.02.2012.


RR «««  -  zum Anfang - weitere Artikel aus dem Band 1919 - zurück und weiter