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„Die scheinbare Gestalt des Himmelsgewölbes.”
von Otto Baschin

Aus der „Naturwissenschaftliche Wochenschrift„, Organ der Deutschen Gesellschaft für Volkstümliche Naturkunde in Berlin, begründet von H. Potoniß, herausgegeben von Prof. Dr H. MIEHE in Berlin, Neue Folge. 18. Band, (der ganzen Reihe 34. Band), JANUAR — DEZEMBER 1919, JENA VERLAG VON GUSTAV FISCHER 1919.

Die allgemein bekannte Tatsache, daß der Himmel dem menschlichen Wahrnehmungsvermögen nicht als Halbkugel sondern als ein abgeplattetes Gewölbe erscheint, dessen im Zenit gelegener Teil uns beträchtlich näher ist, als der am Horizont verschwindende, hat verschiedene Erklärungsversuche gefunden. Eine ausführliche Würdigung derselben hat in ziemlich vollständiger Weise J. M. Pernter gegeben,1)

1) Meteorologische Optik. Von J. M. Pernter und K. M. Exner, Wien und Leipzig, 1910, S. 5 — 54.

aber auch ihm ist es nicht gelungen eine einwandfreie und zufriedenstellende Erklärung dieser merkwürdigen Täuschung zu geben. In Nr. 11 dieser Zeitschrift wird nun eine Erwägung von Prof Kürschmann mitgeteilt, welche eine nach meinem Dafürhalten durchaus richtige Deutung der Erscheinung gibt. Es heißt dort: „Kürschmann möchte die Vorstellung, das Himmelsgewölbe sei abgeplattet, auf die noch gar nicht in Erwägung gezogene Tatsache zurückführen, daß bei bewölktem Himmel das Wolkengewölbe sehr stark abgeplattet ist, weil der Mittelpunkt dieser Kugelschale mit dem Erdmittelpunkt zusammenfällt, nicht mit dem Standpunkt des Beobachters".2) Diese handgreifliche Erklärung hat Pernter in sein Werk nicht aufgenommen, obgleich eine Bemerkung auf Seite 8 desselben „der Einfluß der Bewölkung liegt darin, daß das Himmelsgewölbe um so gedrückter erscheint, je bewölkter es ist" darauf hindeutet, daß er dem Einfluß der Wolken seine Aufmerksamkeit zugewandt hat. Mir selbst hat sich bereits vor Jahren die obige Erklärung aufgedrängt, und ich hielt sie für neu, weil ich in der Literatur nichts darüber finden konnte. Ich habe daher Veranlassung genommen in einer Sitzung des Berliner Zweigvereins der Deutschen Meteorologischen Gesellschaft am 7. November 1916 einen Vortrag über die scheinbare Gestalt des Himmelsgewölbes zu halten, in dem ich auseinandersetzte, daß ein bewölkter Himmel sich tatsächlich nicht wie eine Halbkugel, sondern wie ein flaches Uhrglas über unseren Standpunkt an der Erdoberfläche wölbe. Von einer 2000 Meter hohen Wolkendecke z. B. ist der zenitale Teil eben 2 Kilometer, der am Horizont gelegene dagegen nicht weniger als 160 Kilometer von uns entfernt, nämlich ungefähr um den Betrag der sogenannten Aussichtsweite aus 2000 Metern Höhe. Da wir nun diese, uns durch langjährige Erfahrung bekannte Wahrnehmung unbewußt auch auf den wolkenfreien Himmel übertragen, so wird in unserem Bewußtsein die Vorstellung von einem abgeplatteten Himmelsgewölbe erzwungen. Meine Ausführungen stießen damals innerhalb der Versammlung auf Widerspruch, namentlich von astronomischer Seite, so daß ich die Absicht hatte, diese Frage durch Veröffentlichung meiner Auffassung zur Erörterung zu stellen, um so eine endgültige Lösung des Problems herbeizuführen. Da wurde ich jedoch zufällig darauf aufmerksam, daß die von mir gegebene Erklärung bereits in dem weitverbreiteten Lehrbuch von FL Wagner angegeben ist. Er schreibt: „Es ist eine optische Täuschung, hervorgerufen vor allem durch die über uns in geringer Entfernung schwebenden Wolken, daß uns das Himmelsgewölbe mehr wie eine gedrückte Kugelkappe erscheint".3) Übrigens findet sich diese Stelle schon in früheren Auflagen des gleichen Lehrbuchs, wo ich sie bis zu der 1900 erschienenen sechsten Auflage zurückverfolgen konnte. H. H e l m h o l t z hat sogar schon 1867 in seinem Handbuch der physiologischen Optik die gleiche Deutung gegeben. Er schreibt: „Da wir nun keine Mittel der sinnlichen Anschauung haben, um die Entfernung des Wolkenhimmels von der des Sternenhimmels zu trennen, so scheint es nur natürlich, daß wir dem letzteren die wirkliche Form des ersteren, soweit wir sie unterscheiden können, mit zuschreiben, und daß auf diese Weise die doch immer sehr vage, unbestimmte und veränderliche Vorstellung, von der flachkuppelförmigen Wölkung des Himmels entsteht".4)

2) Naturwissenschaftliche Wochenschrift, Jena, 1919, Bd. 34, .S. 152—154.
3) Lehrbuch der Geographie. Von Hermann Wagner. I. Bd. 9. Aufl. Hannover und Leipzig, 1912. S. 53.
4) 2. Auflage. Hamburg und Leipzig, 1896.


Trotzdem sich also die gleiche Erklärung in zwei sehr bekannten, ausgezeichneten und grundlegenden Werken findet, scheint sie doch ziemlich verborgen geblieben zu sein, was auch ihr Fehlen in dem ausführlichen Handbuch von Pernter erklärt, das bekanntlich alle Erscheinungen der meteorologischen Optik in eingehender Weise behandelt. Es geht jedoch aus Peruters Darstellung 5) deutlich hervor, daß auch die gewohnheitsmäßige Richtung unseres Blickes bei dem Problem eine wesentliche Rolle spielt, weil unsere Sehvorstellungen im wesentlichen auf solchen Sehwahrnehmungen fußen, die wir bei aufrechter Körperhaltung gemacht haben. Pernter bezieht sich dabei auf Gauss, Filehne, Zoth u. a. Schon C. P". Gauss hat nicht nur erkannt, daß die Blickrichtung die maßgebende Ursache der verschiedenen scheinbaren Größen von Himmelskörpern im Zenit und Horizont sei, sondern er hat seine Ansicht auch durch Versuche mit Spiegeln erhärtet. Aber wohl den klarsten Beweis dafür, der selbst jedem Laien einleuchten muß, hat zuerst Filehne erbracht. Er hängte sich an einem Geländer am Seestrande mit dem Kopfe abwärts im Kniehange auf. Der stirnwärts gerichtete Blick war nun gegen den Erdboden gerichtet und somit ausgeschaltet, und da der fußwärts gerichtete Blick (hier zum Zenit) in bezug auf unseren Fall, wie leicht erweisbar und von Filehne und Zoth auch experimentell nachgewiesen wurde, dem geraden Blick nahezu gleichwertig ist, so war jede Ursache, den Himmel als gedrücktes Gewölbe zu sehen, beseitigt. In der Tat sah Filehne denselben nun als Halbkugel.

5) Seite 41 — 50.

Zoth machte den Versuch in der Art, daß er sich flach auf den Rücken legte. Die gerade Blickrichtung ging nun zum Zenit, die stirnwärts gerichtete nach der einen Seite des Horizontes, die fußwärts gerichtete nach der anderen Seite des letzteren. Es erschien nun das Himmelsgewölbe gegen den Scheitelpunkt des Liegenden gedrückt; Zenit und Fußpunkt waren aber durch den Bogen eines nahezu reinen Quadranten verbunden, so daß also Zenit und Fußpunkt vom Auge ziemlich gleichweit (der Fußpunkt etwas ferner) und zwar gerade um den Radius einer Kugel, mit welchem der Quadrant Zenit-Fußpunkt gezogen schien, vom Auge abstanden, während die Entfernung vom Scheitelpunkt des Liegenden in gleicher Weise verkürzt erschien wie bei aufrechter Körperhaltung die Linie zum Zenit. Hiermit ist also der Beweis erbracht, daß die Blickrichtung allein schon die scheinbare Gestalt des Himmelsgewölbes bedingt. Es ist somit die Gausssche Blickrichtungstheorie durch die Versuche durchaus bewahrheitet.

Wie aus den vorstehenden Ausführungen hervorgeht, hat also Pernter, und vermutlich auch vor und nach ihm noch mancher andere Autor, die Darlegung von Filehne gekannt und berücksichtigt. Auch haben Filehne wie Zoth ihre Untersuchungen schon in den Jahren 1895 und 1899 in einer bekannten und weit verbreiteten wissenschaftlichen Zeitschrift veröffentlicht.6)

6) Die Form des Himmelsgewölbes. Von Wilhelm Filehne. Archiv für die gesamte Physiologie des Menschen und der Tiere. Herausgegeben von E. F. W. Pflüger, Bonn, 1895, Bd. 59, S. 279—306. — Über den Einfluß der Blickrichtung auf die scheinbare Größe der Gestirne und die scheinbare Form des Himmelsgewölbes. Von Oskar Zoth. Ebenda 1899, Bd. 78, S. 363—401.

Wenn daher V. Franz in Nr. 11 der Naturwissenschaftlichen Wochenschrift meint, daß Filehnes Erklärung bisher übersehen worden sei, und wenn er ferner bedauert, daß diese nicht an fachwissenschaftlicher Stelle, sondern in der Deutschen Revue vom Jahre 1912 veröffentlicht wurde, so entbehren beide Behauptungen der tatsächlichen Unterlage. Auch die zu Anfang wiedergegebene Bemerkung von V. Franz, daß die Tatsache der Abplattung des Wolkengewölbes noch gar nicht in Erwägung gezogen worden sei, dürfte durch die angeführten Sätze aus den Werken von H. Helmholtz und H. Wagner als widerlegt zu betrachten sein.

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Erstellt am 17.02.2012 - Letzte Änderung am 17.02.2012.


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