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Auszug aus:

"Schicksal und Anteil"

Ein Lebensweg in deutscher Wendezeit
von Heinrich Spiero
erschienen im Volksverband der Bücherfreunde; Wegweiser-Verlag G.m.b.H. Berlin (ohne Datum)
S. 46 - 49

Im Jahre 1893 verkehrten zwischen Königsberg und Berlin noch keine D-Züge; der in schmale, unbequeme, unverbundene Abteile gegliederte Schnellzug hielt Mittag in Schneidemühl so lange, dass man dort hastig ein Essen von mehreren Gängen einnehmen konnte. Die Stadt, in die der junge Student zu seinem ersten Semester einzog, erscheint gegenüber dem heutigen Berlin geradezu geschichtlich. In der Joachimsthaler Straße, wo wir wohnten, war der äußerste Westrand beinahe erreicht, gleich südlich des Kurfürstendamms, hinter der Fasanenstraße, lag zwischen wallenden Getreidefeldern und ausgeworfenen aber unbebauten Straßen hier und da ein Haus, zumeist mit einem großen Atelier im Dach. Den Turm der kleinen, seither abgebrochenen Wilmersdorfer Kirche an der Wilhelmsaue sah man weithin, und das Lokal von Schramm am Wilmersdorfer See, in der heutigen Kaiserallee, war ein Ausflugsziel. Von Schöneberg her puffte über den von wenigen Villen umgebenen Nollendorfplatz und durch die öde Kleist- und Tauentzienstraße an dem Bauzaun der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche vorbei eine Dampfbahn, Donnerwagen genannt, die dann über den leeren Kurfürstendamm nach dem Grunewald fuhr und im Herbst die Pferde der rotröckigen Parforcejagdreiter scheu machte. Sie war neben der Stadtbahn noch drei Jahre lang das einzige mechanische Verkehrsmittel, sonst gab es nur Pferdebahnen, Pferdeomnibusse, deren VerdeckTheodor Fontane (14 KB)  keine Dame besteigen durfte, und zahllose Droschken erster und zweiter "Güte". Morgens gegen acht fuhr, lächelnd erwartet, ein Sonderwagen der Pferdebahn mit dreißig jungen Mädchen vom Spandauer Berg her die Zöglinge des Krainschen Instituts in die Krainsche Schule am damals neuen Lützowplatz. Traf man den alten Theodor Fontane, den grünen oder weißen Schal bei schlechtem Wetter um den Hals, bei gutem in der Hand, am Kanalufer, so bekam man unweigerlich einen Blick der strahlenden blauen Augen, denn er hatte Zeit und Gelegenheit, die wenigen Spaziergänger zu beobachten. Wenn der Theodor Mommsen - Stich von Lenbach (9 KB)  alte Mommsen, der Großmeister der römischen Geschichte, die langen Locken unter dem breiten Schlapphut, an der Marchstraße aus der fahrenden Pferdebahn sprang, zeigte ihn einer dem anderen. Und wenn er, regelmäßig lesend, durch die Dorotheenstraße von der Akademie zum Brandenburger Tor ging, machte ihm jeder Fußgänger und beim Kreuzen des Damms jedes Gefährt selbstverständlich Platz. Einmal gegen Mitternacht musste ich an der Ecke der Friedrich- und Behrenstraße gleich allen anderen Passanten ausweichen; da stand der noch ältere, fast achtzigjährige Adolf Menzel, schaute zu Castans Panoptikum empor und zeichnete beim Licht der elektrischen Laternen etwas auf einen kleinen Block. Adolf Menzel - Foto in hohem Alter (13 KB)  Der Vorgang wiederholte sich, als ich einmal von einer öffentlichen Akademiesitzung die Treppe zum Uhrportal am Friedrichsdenkmal herunterkam; alles bog links und rechts aus, denn Menzel stand mitten auf den Stufen und strichelte mit der linken Hand in ein mit der Rechten gehaltenes Notizbuch eine Figur des Treppenhauses. Über Mommsen und Menzel gingen in Berlin zahlreiche Anekdoten um; die von dem kinderreichen Mommsen, der jedem ihn begrüßenden Kinde, freilich ohne es anzusehen, freundlich die Hand gab, waren meist auf liebenswürdige Züge gestimmt, was man von den Menzelschen nicht immer sagen konnte. Saß Menzel bei Friedrich, dem Weinwirt in der Potsdamer Straße, so baute er, wenn er hereinkam, alle erhältlichen Zeitungen hinter seinem Rücken auf. Ein Bekannter, der zur Lektüre der Vossischen Zeitung eingetreten war, wartete in immer gesteigerter Nervosität auf das eingeklemmte Blatt, während Menzel seelenruhig ein anderes durchblätterte, Schließlich ging der Gequälte an den Tisch und sagte höflich: "Würden Eure Exzellenz mir nur für eine Minute die Vossische Zeitung gestatten?" Ohne den Frager auch nur eines Blickes zu würdigen, erwiderte der Maler knurrend: "Nein!", und jener musste unter dem höhnischen Lächeln der Kellner und Gäste abziehen. - Bei städtischen Festen hatte, wie Georg Reicke mir erzählte, der Oberbranddirektor von Berlin ein für allemal Menzel nach Hause zu fahren. Bei der ersten Fahrt hatte der Begleiter vergessen, sich die Hausnummer sagen zu lassen. Menzel verweigerte die Antwort, und so musste erst auf einem Polizeibureau im Adressbuch nachgeschlagen werden. Es kam auch vor, dass der kleine Herr sich sträubte, Haus und Türschlüssel herauszugeben; dann musste der Begleiter diese selbst aus der Manteltasche heraussuchen. Er brachte den alten Meister die drei Treppen in der Sigismundstraße hinauf, schloss hinter ihm ab und sandte am anderen Morgen die Schlüssel durch einen Feuerwehrmann mit einem Blumenstrauß zurück. Dies Haus sollte einmal verkauft und abgerissen werden. als Menzel dies eines Abends dem Geheimen Kommerzienrat Eduard Arnhold klagte und seine Angst vor dem Umzug äußerte, bekam er nach vierundzwanzig Stunden einen Brief des bekannten Kunstsammlers und Wohltäters, darin sich dieser als seinen neuen Wirt vorstellte und ihm Wohnrecht bis an den Tod zusicherte. Trotz all seinen Schroffheiten ward eben Menzel als eine Art Kleinod und Symbol Berlins gehegt und verehrt. Wie er sich selbst auffasste, zeigt ein ergreifendes Lichtbild. Kaiser Wilhelm II. hatte ihm, dem einzigen Künstler, den Schwarzen Adlerorden und damit den Adel verliehen, und es musste für das Kapitel erst ein Purpurmantel nach den Größenverhältnissen Menzels angefertigt werden. Dann ließ er sich im Schloss in der Ordenstracht photographieren, befahl aber, dass sein Zylinderhut neben ihn auf den Stuhl gelegt würde: "Man soll sehen, dass ich ein Bürger bin."

Zeichnung von Adolph von Menzel - Reiterstandbild des großen Kurfürsten und Schloss (25 KB) 

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entnommen aus:
S. 46-49, »Schicksal und Anteil« Ein Lebensweg in deutscher Wendezeit von Heinrich Spiero
(Fontanes Bildnis und Menzels Zeichnung aus anderen Quellen)

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