damals... Meine Heimatstadt von E. Paucksch - Landsberger Heimatblatt 1990 Nr. 1+2 S.12+21
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damals ...
Landsberg/Warthe — Meine Heimatstadt
von Eberhard Paucksch

Das Titelbild der Landsberger Blätter mit unserer markanten Marienkirche und dem ausdrucksvoll gestalteten Brunnen (eine Stiftung meines Großvaters Hermann Paucksch) läßt immer wieder den Schmerz um den Verlust unserer Heimatstadt wach werden.

Meine Erinnerungen (1903 in Landsberg geboren) umfassen die Zeit bis 1916. Dann zogen wir nach Bromberg. Ich fühle eine gewisse Verpflichtung zu dieser Niederschrift, weil so viele jüngere Landsberger die Stadt in diesen Jahren nicht kennen und um meinen Kindern und Enkeln ein lebendiges Bild ihrer Heimat zu vermitteln.

Wir wohnten in Landsberg in der Fernemühlenstraße 29, einer Nebenstraße der Neuen Straße hinter dem Moltkeplatz. Die Neue Straße setzte sich in der Meydamstraße bis zu den Kasernen der in Landsberg stationierten Abteilung des Feldartillerieregiments 54 fort.

Dieses dreigeschossige Mietshaus mit einem hinteren Flügel für die Wirtschaftsräume, Küchen und im Keller den Waschküchen trug dem damaligen Dünkel der Wohlhabenden Bürgerschichten entsprechend selbstverständlich an der Haupttreppe das Schild

Aufgang nur für Herrschaften
Zur Hintertreppe über den Hof

Wir bewohnten die zwei oberen Geschosse, im Parterre wohnte die Familie Kunkel. Das Kinderzimmer, von meiner drei Jahre älteren Schwester Rosemarie und mir bewohnt, lag über dem Zimmer des etwas älteren Hans Kunkel. Wenn er darin bei offenem Fenster arbeitete, foppten wir beide ihn dadurch, daß wir aus unserem Fenster heraus meinen großen Teddybären »Petz« an einer langen Schnur hängend vor seinem Fenster tanzen ließen, Hans Kunkel: er war der hervorragende spätere Schriftsteller psychologisch-philosophischer Werke. Er starb 1956 durch Krankheit. Jetzt habe ich mit tiefer Bewegung sein Buch »Auf den kargen Hügeln der Neumark« gelesen. Seine Eltern besaßen in Gennin (an der Straße nach Küstrin gelegen) einen Gutsbetrieb. Sein Buch erinnert mich an die sandige, hügelige Landschaft unseres Nachbardorfes Wepritz. Dort war so eindrucksvoll, wenn die einzeln stehenden großen Ginsterbüsche in ihrem goldenen Blütenschmuck leuchteten. Sein Buch, im Holzner-Verlag, Würzburg verlegt, ist leider vergriffen.

Mein Schulweg zu Fuß führte mich die Neue Straße entlang über den Markt um den Brunnen am »Hotel zur Krone« bis ans Ende der Schloßstraße. Jawohl! Das »Schloß« war meine Penne, das Gymnasium mit Oberrealschule und nur diesen Schulen zugehörigen Vorschule mit den Klassen Nona, Oktava und Septima. Das Wort »Nonaner« wurde auch als herablassende Anrede für Dummköpfe gebraucht. Ober den großen Pausenhof mit einer Ulme als Mittelpunkt führte der Weg zu den nebeneinander liegenden großen Portalen. Wenn mein Gedächtnis mich nicht täuscht, zierte das eine Portal der Spruch 'Ihr seid das Saatkorn einer neuen Welt', das andere der Spruch 'Ut sementem feceris, ita metes' (Wie die Saat, so die Ernte).

Der Abschluß der Untersekunda berechtigte zum einjährig-freiwilligen Militärdienst als Grundlage für die Offizierslaufbahn. Verschiedenfarbige Schülermützen kennzeichneten die Klassenzugehörigkeit. Sekunda: samtblau, Prima: weiß mit Goldrand.

Die Pausenordnung führte die Mehrzahl um den großen Baum herum, die Vorschüler hatten ihren Tobeplatz neben der Turnhalle und die Primaner schritten würdevoll auf einem durch Akazien abgeteilten Gang auf und ab. Unabhängig vom Gymnasium gab es nach Geschlechtern getrennt die Volks- und Mittelschulen.

Das Bild meiner Schule wäre unvollständig, ohne den Vorschulbetrieb zu beschreiben. Die drei Klassen waren seinerzeit dem Vorschullehrer, Herrn M. (unserem Nachbarn) unterstellt, einem älteren, untersetzten Herrn. Sein Haar war schon weiß, auch sein dreiteiliger Bart, eine Kombination von Schnurr- und Kinnbart mit gelblich gefärbten langen Spitzen.

Damals war der Rohrstock (70 cm lang) noch ein offizielles Erziehungsinstrument. Herr M. beherrschte ihn meisterhaft; die Bestrafung ein köstliches Ritual: Den Rohrstock in der rechten Hand hochhaltend, winkte er mit dem noch freien Zeigefinger das Opfer mit den eindrucksvoll gesprochenen Worten 'Komm mal her!' nach vorn. 'Bück dich!' Die Linke von Herrn M. faßte den hinteren Hosenbund, zog die Hose stramm, glättete etwaige Falten und dann schlug er dreimal abgemessen auf die Kehrseite. Das Opfer enteilte dann, die betroffenen Stellen mit den Händen bedeckend, auf seine Bank zurück. Darauf Herr M.: 'Wenn deine Mutter heute Abend drei rote Striemen sieht, so sage ihr: Das ist das warme Frühstück von Herrn M.' Im Grunde genommen war er eine ruhige, gerechte Persönlichkeit; die Prozeduren aber eine köstliche Erinnerung.

Nun zurück zur Stadtbeschreibung. Vom Marktplatz führte die Brückenstraße hinab zur Warthebrücke, Sie kreuzte vorher die Eisenbahn der großen Hauptstrecke Berlin - Küstrin-Landsberg - Schneidemühl - Dirschau-Königsberg - Gumbinnen - Eydkuhnen. Bei geschlossenen Schranken entstanden lange Wartezeiten. Wenn unser Kutscher Hentschke Vater aus der Fernemühlenstraße abholen mußte, waren bei Verspätung natürlich immer die geschlossenen Schranken daran Schuld. Meine Schwester Rosemarie erinnert sich an lange Güterzüge mit polnischen Stoppelgänsen, die ins Oderbruch zum Mästen gebracht wurden.

Noch vor 1914 wurde die Bahnstrecke auf ein brückenartig gebautes Gebilde mit großen unteren Torbogen hochgelegt, um den Verkehr auf der Warthebrücke von den Stauungen zu befreien.

Ich kenne sie noch als alte Holzbrücke. Ihr Bodenbelag klapperte noch unter den Wagenrädern. Auf der Südseite war gegenüber zurückgebaut eine Apotheke, auf deren Vorplatz die Bronzebüste Großvaters stand. Die Pfeiler der Brücke wurden von der Stromseite durch große, dachförmige, eisenbeschlagene Eisbrecher geschützt. Im Frühjahr führte die Warthe Hochwasser, von großen, sich drehenden Eisschollen bedeckt. Die Schollen hatten durch die Drehungen weiße Ränder.

Auf der Vorstadtseite zweigten von der Brücke die Dammstraße und die Angerstraße, die schmale Probstei einschließend, Richtung Zielenzig, Schwiebus und Meseritz ab.

Unsere Heimatstadt hatte damals eine Damen- und eine Herrenbadeanstalt (Garnisonsschwimmbad). Erstere lag oberhalb der Warthebrücke auf der Südseite und war im Frühjahr durch den Eisgang gefährdet. Die Männerbadeanstalt war auf dem rechten Ufer an der Mündung der Kladow. Ich erlernte dort an der Angel das Schwimmen. Zum Freischwimmen mußte man ins tiefe Wasser springen. Eine etwas lange Zeit beim Auftauchen verhalf mir zu dem ungewöhnlichen Erlebnis, daß blitzartig mein bisheriges Leben filmartig in allen Einzelheiten an mir vorüber zog.

Die alte Kernstadt war früher durch eine Stadtmauer geschützt, von der ein Stück auf der Nordseite noch erhalten war.

Noch vor dem Krieg erstand in der Moltkestraße das große mehrstöckige Wohlfahrtshaus. Es diente im Krieg als Lazarett. Meine älteste Schwester Rosemarie wirkte darin als Rotkreuzschwester und lernte dabei ihren Mann, den späteren Schuldirektor des Gymnasiums in Unna / Westfalen kennen. Sohn einer Pastorenfamilie in Gütersloh. Er, Dr. Paul Nelle, war ein grundgütiger, kluger, auch dem Humor aufgeschlossener Mensch. Meiner Mutter erschien er als einfacher Lehrer anfangs nicht »standesgemäß«.

Wenn ich das erwähne, so nur, um den Boden zu kennzeichnen, der als gesunden Protest die damalige Jugendbewegung entstehen ließ, darunter auch den Alt-Wandervogel, von dessen Gruppe ich als Mitglied geworben wurde; eine reine Jungengruppe. Zurückdenkend drängt sich mir immer wieder der Vergleich dieser damaligen idealen Reaktion zu dem heutigen Teil unserer Jugend auf, die Schaufenster einschlägt, Autos demoliert und die Polizei in Atem hält.

Der Alt-Wandervogel hat damals grundlegend mein Leben geprägt. Es war keine Massenbewegung mit Kommando-Allüren. Wir waren eine kleine Gruppe, deren Führer meist Primaner waren, so z.B. Heinz Axhausen (aus dem Baugeschäft), Hans und Max Burchard und last not least 'Motz' Riedel, der Sohn des Eulamer Pfarrers, seinen richtigen Vornamen kenne ich nicht. (Martin Riedel, s.Jugendbewegung, 3. Artikel, von Käthe Gesche)

damals...
Landsberg/Warthe — Meine Heimatstadt (Teil 2)
Von Eberhard Paucksch

Der Druckfehlerteufel hat uns im ersten Teil durch Auslassung eines k einen bösen Streich gespielt. Es muß natürlich auf Seite 13, letzter Absatz heißen: Es war !keine! Massenbewegung mit Kommando-Allüren [korrigiert, wh].

Wir erwanderten uns unsere wunderschöne Neumark mit ihren weiten Wäldern und Seen. Bei Himmelstädt hatten wir als Landheim ein kleines ehemaliges Ziegeleiarbeiterhaus. Es lag dicht am Waldrand an dem kleinen mir unvergeßlichen Mitzeltinsee. Eine große Strohschütte mit einem unteren Begrenzungsbrett war unser Schlaflager, auf dem wir in unseren Schläfsacken schliefen. Viele schöne Wochenenden haben wir dort verbracht.

Durch unser Leben, auch durch gemeinsame Liederabende und Sonnenwendfeiern und dergleichen bekehrten wir unsere Eltern. Auf einer Sonnenwendfeier am Hang der Zechower Wiesen bin ich mit meinem Vater durch das Feuer gesprungen.

Mein entscheidendes Erlebnis war das Jahr 1914, in dem sich unsere Führer freiwillig zur Front meldeten und wie selbstverständlich ein anderer die Gruppenführung übernahm. Unser Erziehungsgrundsatz war das Vorbild. Ein nicht vergessenes kleines Beispiel: Auf unseren Fahrten wollte niemand gern die angeschwärzten Aluminiumtöpfe scheuern. Vor mir sehe ich noch "Motz" Riedel einige Schritte abseits am Seeufer sitzend einen solchen Topf mit einem Stückchen Holz und Sand abscheuern.

Es ist hier vielleicht der Platz, ein köstliches unvergessenes Erlebnis einzuflechten. Von Vater zu waidmännischem Verhalten erzogen, wollte ich zwei weiteren jumgen Wandervogelkameraden zur Beobachtung von Wild verhelfen. Wir legten uns abends zu dritt in einem großen Schlafsack an den Rand der Wildwiese, um morgens Reh- und Rotwild bei der Äsung beobachten zu können. Doch mit des Geschickes Mächten ...“ wir schliefen fest, bis dicht neben uns Schwarzwild (Wildschweine) durch sein Grunzen und Schmatzen unseren lieblichen Schlaf störte. Bei welcher der beiden Parteien der Schreck größer war, ist bis heute ungeklärt. Die Flucht beider in entgegengesetzter Richtung ist jedoch amtlich.

Zurück zur Beschreibung unserer Stadt und ihrer Umgebung. Inmitten der Stadt neben der Kladow lag "Kochs Wiese". Sie wurde im Winter zu einer herrlichen großen Eisbahn überflutet. Sie war dann von Schlittschuhläufern dicht bevölkert. Am Rande übten einzelne Paare den Eiskunstlauf.

Schon lange vor dem Krieg hatte Landsberg eine Straßenbahn, unsere "Elektrische". Von den drei Strecken, die sich auf dem Markt trafen, führte eine über die Neue- und die Meydamstraße zu den Kasernen, auf der Richtstraße eine zum Hauptbahnhof und die dritte zum Krankenhaus. Die Wagen hatten auf beiden Seiten einen geräumigen offenen Perron zum Ein- und Aussteigen, zum Stand für den Fahrer und einige Stehplätze. Der Innenraum hatte zwei lange seitliche Sitzbänke und für die Stehenden oben zwei Reihen kräftiger Lederschlaufen zum Festhalten. Der Fahrer bediente die Bahn mit zwei aufsteckbaren Kurbeln für Strom und Bremse. Der Hebel für die Handbremswelle war gewaltig groß und mit der typischen bronzenen blanken Warnglocke versehen. Die beiden Radachsen lagen wegen der Gleiskurven dicht beieinander, sodaß der Wagen durch rhythmische Kniebeugen auf dem hinteren Perron in eine Wippbewegung bis zur Gefahr des Entgleisens gebracht werden konnte.

Sonntags unternahmen viele Familien bei schönem Wetter mit dem Wagen oder dem mehrsitzigen »Kremser« auf der nordwärts führenden Soldiner Chaussee Ausflüge über Kladow hinaus zu den schon im Wald gelegenen Gasthaus »Kladower Teerofen«. Er besaß außer den Gasträumen eine »Kutscherstube«, an deren Wand ein großes Musikinstrument hing, in das große, runde, mit Noppen versehene Blechscheiben als Spielplatten aufgelegt wurden. Die Kutscherstube war für längeren Aufenthalt erforderlich, weil vom Gasthaus aus große Spaziergänge in den Wald zur »Großen Wildwiese« und zu nahegelegenen schönen Waldseen unternommen wurden. Auf der dem Gasthaus gegenüber liegenden Chausseeseite standen lange Tische und Sitzbänke, an denen bei schönem Wetter die Gäste Kaffee tranken. Die Kellnerinnen brachten die bestellten Sachen über die Straße! Autos gab es ja noch nicht.

Bei diesen Ausflügen durfte ich neben dem Kutscher auf dem Bock sitzen, aber noch nicht die Zügel führen, zumal auf den Heimfahrten die Pferde schon Stalluft witterten und kurzgehalten werden mußten. Gefährlich waren die lästigen Bremsen (Insekten) , deren Stiche die Pferde zum Durchgehen bringen konnten. Große, aus Lederschnüren langmaschig geknüpfte Überwürfe hinderten die Insekten, sich festzusetzen.

Die Chausseen hatten damals neben der befestigten Fahrbahn noch einen unbefestigten »Sommerweg«. Seine weiche. Oberfläche schonte die Hufe und Fußgelenke der Pferde.

Zu den Einrichtungen der Stadt sei noch der Ruderverein »Warthe« genannt. Das Bootshaus lag unterhalb des Schlosses auf dem nördlichen Wartheufer. Damals leitete ihn Herr Alex Berger, Zeichenlehrer am Lyzeum. Es wurden auch Regatten im Bereich der Zechower Wiesen ausgetragen, auf denen sich mein ältester Bruder Carl die ersten Lorbeeren holte.

Bevor ich auf die Geschichte der großväterlichen Fabrik eingehe, möchte ich von meiner häuslichen Erziehung berichten. Sie lag ganz in Mutters Händen und war streng. Ich war leicht erziehbar und durfte wegen eines schweren Keuchhustens in den ersten Kinderjahren nicht geschlagen werden. Mutter brachte uns peinlich genau gutes gesellschaftliches Benehmen bei. Ich bin ihr dafür heute noch dankbar. Bei Tisch durften wir nicht sprechen, nicht die Arme - nur die Hände - auflegen, mußten gerade sitzen und so fort. Es stößt mich heute noch ab, ansehen zu müssen, wenn jemand mit aufgelegtem Ellenbogen seine Suppe auslöffelt. Selbstverständlich mußten wir auf der Straße durch Abnehmen der Mütze grüßen, Älteren den Vortritt lassen usw. Bei falschem Benimm bei Tisch stand Mutter auf, reichte mir ihren Arm und stellte mich in die dunkle Ecke des Flurs. Wollte sie mich dann nach gemessener Zeit wieder zu Tische holen, fand sie mich spielend im Kinderzimmer. Die übrige Tischrunde konnte nur mühsam ihr Schmunzeln ob des mißglückten Erziehungsversuches unterdrücken.

Im Gegensatz zu heute, da den Kindern das Radfahren nahezu angeboren ist, war es damals, als es z.B. noch keine Roller gab, ein Unternehmen, bei dem ein Helfer mitlaufen und dem Lernenden mit der einen Hand am Lenker und der anderen am Sattel stützen mußte. - Kurzum, ich hatte diese Kunst glücklich erlernt. Ausgerechnet begegnete ich einer bekannten Dame, wollte die Mütze ziehen und knallte samt Rad lang auf die Straße.

»Vatchen« war trotz der starken Belastung durch die Werksleitung uns sehr zugetan. Ich habe nie ein böses Wort von ihm gehört. Außer den erwähnten Ausflügen oder seiner Begleitung zu der in Eulam gepachteten Niederwildjagd, war es ein Erlebnis für uns, wenn wir ihn so rechtzeitig in der Fabrik abholen durften, daß wir noch dem Abstich des großen Schmelzofens in der Gießerei zusehen durften. Je zwei Arbeiter trugen an langen Griffen die Pfannen zu den Formkästen und füllten diese vorsichtig mit dem noch hell sprühenden Gußeisen.

Dieser Bericht wäre ohne die Lebensgeschichte unseres Großvaters Hermann Paucksch unvollständig. Er wuchs unter einfachsten Verhältnissen bei seinem Pflegevater, Herrn Kolitz, auf und erlernte das Schlosserhandwerk in Verbindung mit der Bearbeitung von Messing. Sein Lehrmeister erkannte früh seine außerordentliche Begabung und sein Lehrzeugnis vermerkte "... und ist er ein wahres Genie." Es muß in den fünfziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts, die als Beginn des Industriezeitalters bezeichnet werden, gewesen sein. Zu dieser Zeit baute man die ersten großen Antriebsmaschinen, Dieselmotore und Fertigungsmaschinen.

So waren die Voraussetzungen für Großvater zur Gründung einer Maschinenfabrik in der Dammstraße gegeben, mangels eigenen Kapitals als AG. In rastloser Arbeit vergrößerte er sie laufend, bis sie schließlich eine große, langgezogene Fläche bis zur Angerstraße, die dazwischen liegende schmale »Probstei« überspringend, einnahm. Großvater war seinen Mitarbeitern eng verbunden. Während die staatliche Invalidenversicherung erst in den achtziger Jahren gegründet wurde, richtete er Anfang der siebziger Jahre eine werksgebundene Pensionskasse ein. Die Mitglieder zahlten ihren eigenen Teilbeitrag, um das Rentenanrecht zu erwerben. Bis dahin übernahm Großvater im früheren Invaliditäts- bzw. Rentenfall die Zahlungen aus eigener Tasche.

Das Fertigungsprogramm umfaßte große Dampfmaschinen, Liegende Dampfkessel mit verschiedenen Erhitzungselementen, wie z.B. mehrere große Wellrohre, auch flanschartig verbundene sogenannte Stufenrohre, davor auch Wanderrostfeuerungen. Ferner große stationäre Dieselmotore und für die vielen ostelbischen Gutsbetriebe Brennereien zur Gewinnung von staatlich monopolisiertem Alkohol aus Kartoffeln. Eine Spezialität waren auch Kartoffelflocken-Apparate. Mit ihnen wurden gedämpfte Kartoffeln auf zwei darunterliegende beheizte Walzen hauchdünn aufgetragen und zu Flocken zerkleinert. Ein ideales, leichtes, nunmehr wasserfreies Viehfutter.

Zur Fabrik gehörte auch eine Schiffswerft. Sie lag an der Warthe gegenüber dem Hauptbahnhof gleich unterhalb der Eisenbahnbrücke für die Strecke Schwiebus, Zielenzig usw. Neben Flußschiffstypen verschiedener Art gehörten auch starke Schleppdampfer zu dem Bauprogramm. Alle Typen waren als solide und zuverlässig bekannt. Die Stapelläufe mußten wegen der geringen Breite der Warthe querschiffs auf eingeseiften Holzbohlen erfolgen.

Eine kleine Abschweifung über die starken Schleppdampfer. Sie wurden im Krieg als Küstenwachtboote auf der Nord- und Ostsee eingesetzt. Dazu mit Geschützen bestückt, verlagerte sich der Schwerpunkt bedeutend nach oben, sodaß sie bei Seegang stark schaukelten. Ich erinnere mich gern des Berichts von Vater, daß infolgedessen die ältesten Seebären darauf seekrank wurden.

Die Fabrik nahm leider ein unrühmliches Ende. Das Konkurrenzwerk, die Görlitzer Waggon- und Maschinenfabrik gelangte in den Mehrheitsbesitz der Aktien und löste die Fabrik in Landsberg auf. (1924) Vater versuchte noch mit Hilfe der Danziger Werft Klawitter einen einschlägigen Maschinenbau auf die Beine zu stellen, jedoch vergeblich.

Als Abschluß möchte ich auf den schönen Pauckschbrunnen auf dem Landsberger Markt zurückgreifen. Er ist ein Kunstwerk und Großvater muß mit seinem Bau einen hochbegabten Denkmalsbauer beauftragt haben. Auf hohem Sockel steht die Bronzegestalt des jungen Mädchens, das an der Schultertrage die beiden Wassereimer hält; das Sinnbild für die Warthe. Zu Füßen des Sockels spielen die drei Knaben. Einer faßt ein Zahnrad an, den Maschinenbau symbolisierend. Der zweite hält die Angelrute und verkörpert den Fischfang. Schließlich spielt der dritte mit einem Schiffchen, den Schiffbau vertretend. An den beiden seitlichen Beckenrändern sprühen die beiden kleinen Schildkröten einen feinen Wasserstrahl zu dem jungen Mädchen hinauf und verleihen damit der ganzen Mittelgruppe eine wunderbare Leichtigkeit.

Der Brunnen auf der Titelseite der Landsberger Blätter und unsere gottlob erhaltene gotische Backsteinkirche pflanzen die Erinnerung an unsere Heimat fest in unsere Herzen!

Eberhard Paucksch,
Eichenweg 13,
W-3057 Neustadt l,
Ruf:05032/2159

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Erstellt am 12.10.2016 - Letzte Änderung am 12.10.2016.