Unwetter in der Rhene
Erzählt von Walter Schulz
In Anlehnung an die Massiner Chronik
Wieder einmal waren verschiedene Bauern aus Massin mit ihren großen und schweren Leiterwagen unterwegs, um aus der Rhene das letzte Heu nach Hause auf den Hof zu holen.
Ich habe in meinen letzten Erzählungen schon ausführlich erklärt, was die Rhene ist. aber vielleicht sage ich es noch einmal ganz kurz. Die Rhene, das waren große Wiesen zwischen den einzelnen Dämmen, die bei der Trockenlegung des Warthebruches etwa südlich von Vietz entstanden. —
Der Tag kündigte sich schon recht unruhevoll an. Ein Bauer hat so etwas in der Nase, und so beeilte man sich, zur Rhene zu kommen, um möglichst noch vor dem Einsetzen des ungünstigen Wetters mit dem Heu zurück über die Warthe zu kommen und vielleicht auch noch trocken den heimatlichen Hof zu erreichen.
Die ungewöhnliche Schwüle trieb den Schweiß aus allen Hautporen Am Nachmittag war man dann wieder so weit. Der letzte Bauer hatte seinen Wagen beladen. Der Himmel hatte sich inzwischen blaugrau überzogen und ließ nichts Gutes ahnen. Es bewegte sich kein Lüftchen. Unruhig rief der Bauer auf dem Wagen nach dem Bindebaum. Kaum war dieser festgezogen, schoß auch schon aus den Wolken am schweren Himmel das grelle Zickzackband des ersten Blitzes zur Erde nieder, dem sogleich ein Krachen folgte, als sei der Himmel aufgerissen. Die Pferde bäumten sich auf und der Fahrer schrie nach Leine und Peitsche. Mit der Peitsche knallend und mit Zurufen die Pferde anfeuernd, jagte der Wagen dem Deich zu. Der Gehilfe konnte gerade noch mit kühnem Sprung das Unterbrett des Wagens erreichen. Mit der einen Hand sich am Bindestrang und mit der anderen die Stakforke festhaltend, sauste das schwere Gefährt schon dahin. Der dritte Mann mit zwei Harken und einer Forke auf der Schulter konnte den eiligen Wagen nicht mehr einholen und trabte daher hinterher. Es war der letzte Wagen. Die anderen waren schon unterwegs.
Keine Minute zu spät erreichte die Fuhre die Unterkunftsscheune. Der bereits vorgefahrene Bauer aus Balz hatte in der Scheune Platz für den letzten Wagen gelassen. Schnell waren die Pferde abgespannt und angebunden.
Das Unwetter war jetzt voll da, und der Sturm sprang die Scheune wie ein Tiger an. Doch die war solide gebaut, nachdem der Herbststurm die erste wie ein Puppenhaus in die Warthe geworfen hatte. Ihr gut verstrebtes Gebälk ruhte fest verankert auf einem wuchtigen Fundament. Die Tore wurden von starken Riegeln gehalten.
Draußen tobte sich jetzt das Unwetter aus. Blitz auf Blitz zuckte vom Himmel herab. Durch das Grollen des rollenden Donners hörte man das Niederprasseln der vom Sturm gepeitschten Wassermassen. Ab und zu schlug ein von Pappeln abgerissener Ast gegen die Scheune. Zuweilen ruhte der Sturm, um dann mit frischer Kraft auf die Pappeln loszugehen. Doch da half kein Rütteln und Zausen, zu weit und zu fest hatten sie ihre Wurzeln in den Boden gespannt und verankert. Auch der Blitz hatte sie geritzt, aber zu Tode getroffen hatte er sie nicht.
Stunde um Stunde verrann. Der Sturm wütete und tobte, ebbte ab und braustevon neuem gegen die Scheune. Die Männer hatten sich schon damit abgefunden, die Nacht in der Scheune zu verbringen. Doch plötzlich wie er gekommen, verstummte der Sturm. Nur ein steter Wind fegte die letzten Wolkenfetzen vom Himmel. Die Sonne stand glutrot im Westen der Rhene. Es war spät geworden, und die wärmenden Sonnenstrahlen erreichten die Männer mit ihren Tieren und Fahrzeugen nicht mehr. Fröstelnd standen sie vor der Scheune und prüften den Himmel. Das Unwetter war vorüber. Man entschloß sich doch, die schon ungeduldig scharrenden Pferde anzuspannen und nach Hause auf den Hof zufahren. Es mußte nun nur recht schnell gehen, damit man noch vor dem Dunkeln mit der Fähre über die Warthe kam. Dann war das Schlimmste geschafft!
Die letzte Fuhre war nicht gar so schwer, und so hoffte man, noch vor Mitternacht zu Hause zu sein. Die Sonne war nun am Horizont versunken. Aber da kroch plötzlich von fern eine unheimlich graue Masse auf die Wagen zu. Nebel! Leise brodelnd kam er näher und näher und verwandelte Büsche und Sträucher in wilde Gestalten der Unterwelt. Langsam schwabbelte er den Deich hinauf und deckte diesen mit seinem weißen Leinentuch ab. Wohl fanden die Pferde noch die Spur auf dem Deich, aber dem Fahrer oben auf der Fuhre war nicht mehr wohl zumute. Er stieg ab und führte das linke Pferd zu Fuß, während auf der anderen Seite der andere Gefährte das Tier am Kopfzügel nahm.
Es war nun dunkel geworden. Deshalb wurde von Zeit zu Zeit angehalten und angestrengt in die Dunkelheit gelauscht. Obwohl mit einem entgegenkommenden Fahrzeug kaum zu rechnen war, mußte diese Vorsicht eingehalten werden; denn wehe, wenn doch! Dann wurde es gefährlich! Die beiden letzten Gespanne schoben sich tapfer in Hörweite durch die unheimliche graue Nebelmasse.
Der Fährmann an der Warthe unterdes lief unruhig zwischen Wirtschaft und Fähre hin und her; denn er wußte die Gespanne noch in der Rhene und machte sich Sorgen. Mit Abständen schlug er mit einem Hammer an eine an einem Baum hängende Pflugschar, daß es weithin dröhnte. Ohne dieses Signal war es fast unmöglich, in der nebligen Finsternis die Fähre zu finden!
Angestrengt horchte er in die Nacht hinein, aber der Nebel verschluckte schier jedes Geräusch. Mit Fluchen und Schimpfen auf die Bauern und den Nebel vertrieb er die Angst in seinem Innern. Er fluchte auch noch, als er wie durch Watte den ihm wohlbekannten Ruf „Hool upp!“ hörte. Jetzt kam Leben auf. Er schrie nach den Knechten und schrie nach Laternen, obwohl die Knechte draußen auf der Bank saßen und ebenso auf die Bauern mit ihren Wagen und Tieren warteten und alles längst parat hatten.
Es lief alles wie am Schnürchen und im Handumdrehen waren beide Gespanne übergesetzt. Die Bauern mußten zwar Nachtgebühr bezahlen, waren aber froh, die Deiche mit ihren Gefahren hinter sich zu haben.
Nachdem zuerst die Pferde versorgt waren, tranken die Männer noch ein Bier und vergaßen auch nicht für die Fährknechte ein Getränk auszugeben. Das sollte bei den knickrigen Bauern schon was heißen. Nach kurzer Rast übernahm dann das Gespann aus Balz die Führung, und die Massiner folgten in Sichtweite. In Vietz trennte man sich dann.
Zu Hause im Dorf warteten die Daheimgebliebenen schon voller Unruhe auf die letzten Fuhren. Sie blieben diesmal gar zu lange aus, und das Unwetter wurde auch hier von weitem wahrgenommen. Nun, es war wieder einmal alles mit viel Plagerei und unermüdlicher Arbeit gut abgelaufen und das Heufutter für das Vieh unter Dach und Fach.
Von dieser aufreibenden, mühevollen und oft nicht ungefährlichen Arbeit unserer heimatlichen Bauern haben wohl viele nichts gewußt. Darum freue ich mich, daß ich Ihnen eines dieser bäuerlichen Abenteuer aus unserer alten Heimat erzählen darf.
Erstellt am 10.10.2016 - Letzte Änderung am 17.10.2016.