Ein Dorf entsteht, Massin
Erzählt von Walter Schulz
Ich habe in unserer Heimatzeitung schon viel von dem kleinen Dörfchen Massin berichten dürfen. Heute möchte ich mit Hilfe der Massiner Chronik von A. Zimmermann † einmal erzählen wie dieses Dörfchen entstanden ist. Es könnte so oder ähnlich auch bei anderen Ansiedlungen in unserer alten Heimat gewesen sein.
Es ist wohl allgemein bekannt, daß der Deutsche Ritterorden etwa um 1200 n. Chr. nach Osten in das recht unwirsche und kaum besiedelte Land vordrang. Es folgten ihnen Menschen, die aus verschiedenen Gründen eine neue Heimat suchten. Das Land war weit und bot ihnen die Möglichkeit, ihren Traum nach einem freien Leben auf eigener Scholle zu verwirklichen. Menschen hatten sie hier nicht zu fürchten. Außer Sumpf gab es nur fast undurchdringliche Wälder in denen noch u. a. Wolf, Bär und Luchs hausten.
Feuer, Wasser, Kälte und Dürre vernichteten oft jahrelange Arbeit und Mühe. Es dauerte Generationen, um ihr Ziel zu erreichen. Obwohl sie noch ihrem Lehnsherrn, dem Kloster Himmelstätt, Frondienste leisten mußten, fühlten sie sich doch frei. Natürlich war es oft bitter, bei schlechtem Erntewetter nach Himmelstätt zu müssen, um dort die Ernte einzubringen, wenn die eigene noch auf dem Felde stand. Frauen und Kinder mußten dann die Männerarbeit leisten.
Etwa in der zweiten Generation der Ansiedler, gründete das Kloster Himmelstätt in Massin ein Vorwerk. Diesem stand ein sogenannter Hofvogt vor. Es war kein so harter Mann wie der Vogt in Himmelstätt; denn unter den Lehnsbauern konnte er leicht einmal „verunglücken“. Aber immerhin war er in Bezug auf Aufgaben ziemlich genau, half aber den Bauern, wenn es irgendwo haperte. Mal lieh er Saatgut, dann stundete er auch mal die Abgaben oder half mit Gespannkraft aus; denn die Bauern durfte er irgendwie nicht vergrämen.
Auf dem Roten Strumpf wohnten damals einige Wenden. Mit diesen kamen die Siedler gut aus. Alle sprachen eine Sprache. Diese war noch weit weg von der reinen deutschen Sprache. Sie jagten zusammen, liebten und heirateten einander.
Auf einer kleinen Erhöhung erbauten sie ihr schmuckloses Fachwerk-Kirchlein. Ringsum ruhten die Toten. Am Fuße des Kirchhügels stand ein sogenanntes Langhaus für die Tagelöhner des Vorwerks. Es stand hier, damit die Arbeiter die Kirche stets im Auge haben sollten. Vielleicht auch umgekehrt. Hinter dem Haus befand sich der kleine Dorfteich und dahinter die Wirtschaftsgebäude. Diese bildeten ein Rechteck in dem der Hof und auch ein Teil des Teiches lagen.
Auf der anderen Seite des Kirchleins bzw. Friedhofes lag der Posthof an der Handelsstraße Berlin, Letschin, Küstrin, Kamin, Massin, Zanzin und weiter nach Osten. Im Posthof standen auch die Wechselpferde für Kuriere und Kaleschen.
Zu den Posthöfen gehörten große Ländereien und viele sogenannte Gerechtigkeiten, wie z.B. das Braurecht.
Die Häuser der Bauern, Stall, Scheune und Wohnraum unter einem Dach, lagen ebenfalls in der Nähe des Dorfteiches. Alle mit dem Giebel zur Straße.
Im Laufe der Jahre weitete sich das Dorf aus. Es wurde immer mehr Land urbar gemacht und Sümpfe trocken gelegt. Neben der Windmühle bauten Handwerker, die aus der Pfalz kamen, an der vorher regulierten Senne eine Wassermühle. Diese Sennewitzmühle lag tief im Wald. Ihr Zugang konnte durch das Stauen des Untersees unmöglich gemacht werden und schützte somit gleichzeitig den Zufluchtsort Böhmenwerder gegen Angreifer.
Ein gutes Stück weg von den mit Schilfrohr gedeckten Häusern des Dorfes standen die aus Lehm gebauten mannshohen halbkugelförmigen Backöfen. Sie waren Gemeinschaftseigentum, ebenso auch die offenen Brunnen. Im Backofen wurde ein längliches Schwarzbrot gebacken und Äpfel, Birnen, Pflaumen, Pilze gedörrt. Dieses Obst wuchs wild im Wald.
Alles Vieh blieb vom Frühjahr bis zum Herbst auf den Weiden. Die Gänse allerdings immer in Sichtweite der Häuser und wurden nachts in feste Ställe gebracht, wegen der Raubtiere.
Für die jungen Mädels war es immer eine schöne Zeit, abends die Milch von den Weideplätzen zu holen. Auf dem Rücken hatten sie die Borge, das Trageholz, und an jedem Ende einen schneeweiß gescheuerten Holzeimer mit Kupferbändern. Fröhlich singend gingen sie zu den oft mehrere Kilometer entfernten Melkplätzen. Dies mußte auch bei unwirtlichem Wetter getan werden.
Für das Heil der Seelen sorgte der von den Bauern bestimmte Pfarrer, der genauso wie alle seinen Hof bewirtschaften mußte. Seine Vergütung war die Freistellung vom Wegebau und sonstiger Gemeinschaftsarbeiten. Der Führer und Schlichter bei Streitigkeiten im Dorf war der Schulte. Sein Wort galt. In seiner Obhut waren die Dokumente über die Gerechtigkeiten der Ansiedler. Sie waren mit dem Siegel des Ritterordens und der Unterschrift des Oberen des Klosters Himmelstätt sowie der Unterschrift des Schulten versehen.
Im Laufe der Zeit wurden dann unverständliche Namen, die ja z.T. aus dem Französischen und Holländischen stammten, deutlich gemacht, z. B. wurde aus Fenn = Sumpf, aus Borge eine Trage oder aus Pitte ein Brunnen. Die Wruke wurde eine gelbe Rübe und Bälge wurden Kinder. Aus den Familiennamen van der Frihs wurde z.B. Friese und aus anderen Namen entstanden Briese, Tietz, Liese oder Giese.
Der Ritterorden bahnte den Weg, und die Lehnsbauern eroberten und befestigten das Neuland mit ihrer Hände Arbeit. Mit ihnen entwickelte sich die Kultur. Sie hatten die Freiheit gefunden, die die Vorfahren in der Weite der unendlichen Wälder gesucht hatten.
So war nun unser kleines Dörfchen Massin mitten in den märkischen Wäldern entstanden.
Erstellt am 10.10.2016 - Letzte Änderung am 10.10.2016.