Einweihung in Marienspring
Ansprache des stellvertretenden Vorsitzenden der BAG
Zur Geschichte von Marienspring
Das Ende 1945
Einweihung in Marienspring
von Horst Eisermann
Nun ist es vollbracht. Die Gedenkstätte Marienspring - Marzecin wurde eingeweiht. Seit der ersten Erwähnung des Schicksals der kleinen Waldgemeinde Marienspring im Februar 1945 (Heft 10 S. 82) sind nun über 4 Jahre vergangen. Es sah aus, als wäre damit das traurige Kapitel des kleinen Ortes vergessen. Weit gefehlt! Hinter den Kulissen und nicht öffentlich wahrnehmbar, bemühten sich engagierte Heimatfreunde, Licht in das Dunkel der Ereignisse zu bringen. Viele Beratungen, Begegnungen und örtliche Begehungen gingen voraus. Vor allem dem Verständnis und dem Mitwirken unserer polnischen Freunde des Amtes Klodawa, trotz mehrfachem Wechsel des Gemeindevorstehers, ist das Zustandekommen einer Vereinbarung sowie die Errichtung der Gedenkstätte zu verdanken. Herr March, der das Drama der vollständigen Zerstörung des Dorfes Marienspring als 5-jähriger miterlebte, erarbeitete eine Chronik der Gemeinde, in der neben den historischen Gegebenheiten vor allem die Geschehnisse der Februartage 1945 beleuchtet werden. Diese fand Eingang in die Festschrift, die von Herrn Handt in Abstimmung mit Herrn Rymar und dem Gemeindevorsteher verfaßt wurde.
Die polnische Firma „Poraj“ in Gorzów führte die Arbeiten aus und bemühte sich, das alte Kriegerdenkmal nach gemeinsamer Entzifferung der Inschrift originalgetreu zu restaurieren. Der Fertigstellungstermin, 30.April 1999, wurde eingehalten. Einige noch erhaltene Grabsteine auf dem alten Friedhof wurden wieder aufgerichtet und die Umgebung gestaltet. Mit der Gemeindeverwaltung wurde die offizielle Einweihungsfeier auf den 9.9.99 festgelegt. Die Finanzierung erfolgte durch die BAG unter Beteiligung des Amtes Klodawa. Der 9.9. wurde auf Wunsch der polnischen Freunde festgelegt, da sich bis zu diesem Zeitpunkt die kommunalpolitischen Verhältnisse aufgrund der Wahlen stabilisiert haben würden. Andererseits kam er auch uns entgegen, konnten wir doch in Gründlichkeit die Teilnahme und Anfahrt der Marienspringer und Bewohner der umliegenden Dörfer vorbereiten. Die polnischen Freunde sagten die kulturelle Umrahmung sowie die lukullische Betreuung zu. Trotz intensiver Vorbereitung blieb bei den Organisatoren die bange Frage offen: wird auch alles gelingen und gut ablaufen?
Der Tag begann mit herrlichem Sonnenschein, scheinbar hatte auch Petrus sich in unsere Vorbereitungen eingeklinkt. Zur Vermeidung der Brandgefahr durch parkende Fahrzeuge wurde die Umgebung vormittags durch Forstangestellte gemäht. Bis 12.30 Uhr herrschte dann absolute, fast unheimliche Ruhe. Die sprichwörtliche Ruhe vor dem Sturm. Dann wurde es lebendig. Auto für Auto, sowohl der Gäste als der Aktiven, rollte an. Die Feldküche, Getränkestützpunkt und Grilleinrichtung nahmen ihren Platz unmittelbar am Wasser neben dem Wehrdurchlaß ein. Ein gut gewählter Standort, denn sowohl Sonnenhungrige als auch Schattensuchende kamen zu ihrem Recht.
Pünktlich zur festgelegten Zeit um 13.00 Uhr begann die offizielle Feierlichkeit. Nach den Ansprachen des Gemeindevorstehers, des Landrates und der Vertreter der Bundesarbeitsgemeinschaft Landsberg (Warthe) Stadt und Land wurde die Orts- und Hinweistafel enthüllt. Auf ihr ist der ursprüngliche Plan des Dorfes mit Erläuterungen in polnischer und deutscher Sprache dargestellt. Der Auftritt der Kulturgruppe der Gemeinde fand begeisterten Zuspruch. Vertreter der polnischen Presse und des Fernsehens waren mit vor Ort.
Nach dem anstrengenden Teil strebten alle dem Verpflegungsstützpunkt zu, um sich an einem kühlen Trunk, einer kräftigen Erbsensuppe, einer Grillwurst bzw. Schaschlik zu laben. Es kam zu vielfältigen zwanglosen Gesprächen, teilweise unter Verwendung von Händen und Füßen, sofern die Dolmetscherkapazität nicht greifbar war. Die Volkskunstgruppe lockerte mit Gesang und Tanz die Stimmung auf. Eine würdige und gelungene Veranstaltung, das war die Meinung der polnischen und deutschen Besucher. Je nach zu bewältigender Entfernung begab sich dann jeder auf den Heimweg. Die letzten genossen die angenehme Abendkühle. Erst in diesem Augenblick kam einem die friedliche Ruhe am Wasser zum Bewußtsein. Welch extremer Gegensatz zu den Ereignissen im Februar 1945! Eine Beschilderung in polnischer und deutscher Schrift wurde an der Weggabelung in Himmelstädt (Mironica) sowie an dem von der Kopfsteinchaussee abzweigenden Waldweg nach Marienspring (Marzecin), ca. 5 km von Himmelstädt, angebracht. Etwa auf halbem Weg liegt die ehemalige Försterei Schweinebrück.
Horst Eisermann
Traubenweg 1
15236Frankfurt/Oder
Ansprache des stellvertretenden Vorsitzenden der BAG
Horst Eisermann
Sehr geehrter Herr Landrat, sehr geehrter Herr Gemeindevorsteher, sehr geehrte Damen und Herren des Landratsamtes und des Gemeinderates, liebe polnische Bürger, Heimatfreunde aus Marienspring und Umgebung, liebe Gäste!
Zur Neueinweihung der Gedenkstätte hier im ehemaligen Marienspring möchte ich Sie im Namen der Vorsitzenden und des Vorstandes der Bundesarbeitsgemeinschaft Landsberg (Warthe) willkommen heißen. Diese Gedenkstätte soll nicht nur an die vor 1945 hier begrabenen und im ersten Weltkrieg 1914 -1918 gefallenen Dorfbewohner, sondern vor allem an die Ereignisse, die sich im Februar 1945 hier zugetragen haben, erinnern. Ich möchte den Vertretern der Gemeinde Klodawa sowie auch Herrn Czarnuch aus Witnica meinen Dank für die uneigennützige Hilfe und Unterstützung aussprechen und damit die Bitte verbinden, daß sich auch in Zukunft eine gute Zusammenarbeit ergeben möge. Auch Herr March sollte nicht unerwähnt bleiben. Er hat als 5-jähriger die Situation miterlebt und nun in mühevoller Arbeit eine Dokumentation darüber geschrieben. Wir danken ihm dafür, und ich denke, dies auch im Namen aller Anwesenden tun zu dürfen.
Der durch die Wende in Deutschland und Osteuropa entstandenen neuen politischen Situation haben wir es zu verdanken, daß wir heute gemeinsam mit unseren polnischen Freunden Stätten der Erinnerung und des Gedenkens hier in der ehemaligen Heimat rekonstruieren und erhalten können. Warum auch nicht! Hat doch die Bewahrung der Geschichte, verbunden mit der Sehnsucht, Heimatwurzeln aufzuspüren, nichts mit Revanchismus und dem Gedanken an eine Wiederkehr zu tun. Ich weiß, daß auch diese Ängste noch bei polnischen Bürgern, die inzwischen hier Heimatrecht erworben haben, vorhanden sind. Die meisten deutschen Besucher sind befriedigt, im Alter nochmals Stätten ihrer Geburt aufsuchen zu können und noch bestimmte Erinnerungspunkte vorzufinden. In den letzten Jahren wurden vielfältige Freundschaften mit den polnischen Dorfbewohnern, meistens den Nachfolgenutzern der ehemaligen deutschen Grundstücke, geschlossen - und so wollen wir als Deutsche auch die Zukunft sehen .....
Unser Bestreben ist es, gemeinsam die Geschichte unserer Dörfer zu schreiben. Die Deutschen vor 1945 - die Polen nach 1945 und dieses dann als Gemeinschaftswerk unserer interessierten Nachwelt zu hinterlassen. Hierzu gehören dann auch steinerne, wenn auch stumme Zeugen, wie Denkmäler, Friedhöfe und dergleichen........
Horst Eisermann
Stellvertretender Vorsitzender der BAG,
Heimatkreisbetreuer Landsberg-Land
Traubenstraße 1
15236Frankfurt/Oder
Zur Geschichte von Marienspring
von Dietrich Handt
Wir stehen hier an einer Stelle, die noch vor 55 Jahren der Mittelpunkt eines Dorfes war. An diesem Wegekreuz standen Denkmal und Glockenstuhl, Schule und Gasthaus, Wohnhäuser und Wirtschaftsgebäude schlössen sich an. Noch vor einem Jahr wäre hier ein Unkundiger nicht daran erinnert worden. Und selbst jemand, der von diesem früheren Ort wußte, konnte nur mit Mühe noch einige Spuren finden. Da gab es den Sockel des ehemaligen Kriegerdenkmals, ziemlich verborgen im Gras, und davor, zeitweise zur Befestigung des Sandwegs verwendet, der Aufsatz des Denkmals. Man konnte noch einen alten Apfelbaum und auch einig e verwilderte Fliederbüsche und andere Gartengehölze entdecken. Im Vorfrühling blühten hier und da unter den Büschen Schneeglöckchen. Bei gründlicher Suche konnte man auch noch den einen oder anderen Ziegelstein finden und auf dem alten Friedhof einige herumliegende Grabsteine.
Das Schicksal von Marienspring ist für den ehemaligen Landkreis Landsberg (Warthe) einmalig. Soweit wir wissen, gab es seit Beginn der deutschen Kolonisation im 13. Jahrhundert bis heute kein anderes Dorf im Landsber-ger Kreis mit gleichem Schicksal. Zwei Dörfer, die als solche eingingen, Glinike und Schönfeld, existierten als Vorwerke weiter.
Marienspring ist das einzige Dorf, das infolge kriegerischer Ereignisse ganz und auf Dauer unterging.
Das ist erstaunlich. Denn das Landsberger Land ist ein leidgeprüftes Land, das, vom 16. Jahrhundert abgesehen, in jedem Jahrhundert auch von Kriegen heimgesucht wurde. Im 14. Jahrhundert gab es die Einfälle der Polen und Litauer, im 15. Jahrhundert kamen die Hussiten plündernd, mordend und brandschatzend ins Land. Das 17. Jahrhundert brachte die unendlichen Leiden des 30jährigen Krieges und das 18. Jahrhundert die Schrecken des 7jährigen Krieges. Im 19. Jahrhundert wurde unsere Region hineingezogen in die napoleonischen Kriege. Die Kriege führten zu großen Verwüstungen und auch zur Totalzerstörung vieler Ortschaften. Aber stets hatten die Einwohner nach Kriegsende Gelegenheit, ihre Orte wieder aufzubauen. Und sie taten das mit neumärkischem Fleiß und neumärkischer Zähigkeit. In unserem Jahrhundert nach Ende des 2. Weltkriegs hatten die Deutschen, auch die deutschen Einwohner von Marienspring, diese Möglichkeit nicht mehr. Wir Deutsche möchten, daß dieser Ort nicht vergessen wird und wir sind glücklich, daß unsere polnischen Partner diesen Wunsch mit uns teilen. Wir meinen, daß wir es den Menschen die hier lebten und starben schuldig sind. Neben den Maßnahmen am Ort, der Informationstafel, dem Denkmal, dem Lapida-rium und den Wegweisern, haben wir in polnisch-deutscher Zusammenarbeit Marienspring auch mit einer kleinen Publikation ein bescheidenes literarisches Denkmal gesetzt. Dort kann sich jeder über die Geschichte und das Ende des Dorfes informieren, Marienspring war ein kleines Dorf. Nie hatte es mehr als 200 Einwohner, zuletzt nicht einmal 150, und dabei sind schon die außerhalb liegenden Wohnplätze mitgezählt.
Marienspring hatte nur eine kurze Geschichte. Es entstand erst im 18. Jahrhundert zur Zeit Friedrichs des Großen wie viele Dörfer im Landsberger Land. Das Kolonisationswerk Friedrichs erfaßte nicht nur das Warthe- und Netzebruch, sondern auch Teile des Waldgebiets der Landsberger Heide. In jener Zeit entstanden u.a. auch Briesen-horst, Lotzen, Rohrbruch, Zanzhausen und Zanzthal. Setzt man 1782 als Gründungsjahr an, so dauerte die Geschichte von Marienspring nur 163 Jahre. Marienspring entstand, weil hier ein Hammerwerk eingerichtet wurde. Das Hammerwerk wurde hier gebaut, weil es durch die Kladow Wasser als Antriebskraft gab und weil es in den Wäldern Holz gab zur Herstellung von Holzkohle als Brennmaterial. Sonst war die abgeschiedene Lage für das Hammerwerk eher ungünstig. Roheisen mußte von der Schmelze in Vietz oder von noch weiter entfernten Orten herangeschafft werden, und die Produkte gingen meist zum Verschiffen nach Landsberg oder nach Zanzhausen zur Weiterverarbeitung. Es war schon eine gewaltige Transportleistung, die die mit Eisen schwerbeladenen Fuhrwerke vollbrachten, wenn sie sich durch den märkischen Sand quälen mußten.
Als das Hammerwerk nach einigen Jahrzehnten den Betrieb eingestellt hatte und als auch die ihm folgende Maschinen-Papier-Fabrik eingegangen war, blieb ein Dorf zurück, für das der Wald die wichtigste Wirtschaftsgrundlage wurde, weil man auf dem gering bemessenen und kargen Boden von der Landwirtschaft alleine nicht leben konnte. Die abgeschiedene Lage inmitten weiter Wälder wurde jetzt zum Vorteil, weil Wohnort und Arbeitsstellen im Wald nahe beieinander lagen.
Marienspring war kein reiches Dorf. Das Leben war von harter Arbeit geprägt. Es gab aber auch frohe Stunden. Wir haben ja Marienspringer unter uns. Sie können davon erzählen, und wir sollten ihnen zuhören. Was ist nun geschehen? Wir haben jetzt eine Informationstafel. Sie enthält den Ortsplan nach dem Stand von 1944. Der Betrachter kann sich danach ein Bild von dem Ort machen, der auf einer großen Lichtung lag. Es war zuletzt ein stilles Dorf, anders als zur Zeit des Hammerwerks, als das Wasser über die vier großen Wasserräder mit mehr als 3 Meter Durchmesser rauschte und die beiden Eisenhämmer dröhnten.
Auf dem alten Friedhof haben wir die Grabsteine, die noch zu finden waren, gerettet und an zentraler Stelle zu einem Lapidarium zusammengetragen. Eine entsprechende Aktion auf dem neuen Friedhof, den die Natur inzwischen eingenommen hat, war leider nicht mehr möglich. Wir haben die Schrift am Kriegerdenkmal restauriert und für das Denkmal eine würdige Form gefunden, nachdem sich seine Wiedererrichtung in alter Weise als schwierig herausstellte. Es ist zwar nicht das erste, aber immer noch eines der ersten wiederhergestellten deutschen Kriegerdenkmäler in der Region. Sie werden mir zustimmen, daß dieser Maßnahme besonderes Gewicht zukommt. Der Respekt, den wir den Kriegstoten entgegenbringen, ist Teil unserer europäischen Kultur, wobei das ehrende Gedenken nicht nur den Toten der eigenen Nation, sondern aller Nationen gilt. Alles, was hier gemacht wurde, haben, bis in die Einzelheiten, Polen und Deutsche gemeinsam geplant, und zwar nicht mit dem Blick zurück, sondern mit dem Blick nach vorn. Wir haben an die Jugend, an die Nachwelt, an die Zukunft gedacht. Wer die Zukunft in rechter Weise meistern will, muß die Vergangenheit kennen. Der Heimat- und Regionalgeschichte kommt dabei eine besondere Bedeutung zu, weil ihre Schauplätze den Lernenden bekannt sind. Die Geschichte unserer Heimat hat nicht erst 1945 begonnen. Das müssen die Polen wissen. Die Geschichte hat allerdings auch nicht 1945 aufgehört. Das müssen die Deutschen wissen. Für Marienspring soll gelten: Vergangen, aber nicht vergessen.
Dietrich Handt
Das Ende 1945
(nach deutschen Berichten)
von Jochen March
Die Großoffensive der Roten Armee hatte am 12. Januar 1945 an der Weichsel begonnen, und die Front rückte mit beängstigender Schnelligkeit auf die deutschen Grenzen und unsere Heimat zu. Es gab kaum noch geordneten Widerstand der deutschen Streitkräfte. Marienspring wurde in der Nacht vom 31. Januar auf den 1. Februar, und zwar kurz nach Mitternacht, besetzt. Alle Gebäude wurden nach versteckten deutschen Soldaten durchsucht. Die Bewohner mußten zusammenrücken, um für die Einquartierung Platz zu machen. Die Möbel der besten Stube wurden zusammengeschoben oder einfach „ausgelagert“, die freie Fläche mit Stroh aus der Scheune belegt und so ein Nachtquartier für die kämpfende Truppe geschaffen. Draußen war tiefster Winter mit hohem Schnee und Minusgraden. Im Dorf herrschte totale Unordnung, einige Nebengebäude brannten, und Vieh lief frei herum. Max Brandt (Haus Nr. 1) war als Bürgermeister ständig unterwegs, meiner Erinnerung nach auf Strümpfen, denn die Stiefel hatte man ihm bereits abgenommen. Nach Aussage seiner Tochter Luise war im Hause Max Brandt zusätzlich ein Raum als Lager für Verwundete hergerichtet worden. Von einem verwundeten russischen Soldaten, den er versorgt hatte, erhielt Max Brandt einen Zettel in kyrillischer Schrift, den er gut aufbewahren sollte. Es war gut gemeint, aber dieser Zettel hat ihm zwei Wochen später auch nichts mehr genützt.
Bei der Besetzung des Dorfes sind zwei Einwohnerinnen durch Schußverletzungen ums Leben gekommen, und zwar Frau Luise Säwert (Haus Nr. 21) und Erika Sommerfeld (Haus Nr. 13), gerade erst zehn Jahre alt.
Zumindest im letzten Fall handelte es sich nicht um einen gezielten Schuß. Frau Sommerfeld war mit ihren drei Kindern aus Panik in den Wald geflohen. In diesem Zusammenhang kam es zu dem Vorfall, weil Bewegungen bei Dunkelheit in einer derartigen Situation sehr gefährlich sind. Kampfhandlungen haben nicht stattgefunden. Es erfolgte jedoch ein Angriff deutscher Tiefflieger, nach Aussage von Gerda Donndorf, geb. Schripp, in den Mittagsstunden des 2. Februar. Es kann auch der 1. Februar gewesen sein, nämlich an dem Tag, als die sowjetische Truppe im Begriff war weiterzuziehen. Über die Anzahl der Flugzeuge konnten keine Angaben gemacht werden.
Ich selbst habe nur ein Flugzeug gesehen. Es war ein Jagdflugzeug, das in Firsthöhe über das Haus flog und aus Bordwaffen schoß. Über den Erfolg der Aktion liegen ebenfalls keine Angaben vor.
Marienspring war in der Folgezeit nicht von sowjetischem Militär besetzt. Vielmehr wurden täglich Streifenfahrten durchgeführt, und zwar von Mollberg aus. Die Rote Armee hatte die Försterei Mollberg erst am Sonntag, dem 4. Februar, erreicht bzw. gefunden. Der Standort muß den Soldaten als Stützpunkt und Kommandantur wohl zugesagt haben, denn alle Bewohner wurden kurzerhand vertrieben. Die Familie Schmidt verbrachte einige Nächte im Wald im Schutz einer Wildfütterung, bis sie sich nach Marienspring aufmachte und bei der Familie Paul Brandt (Haus Nr. 4) Obdach fand. Als die Besatzer später von Mollberg abrückten, haben sie alle Gebäude niedergebrannt.
Obwohl die täglichen Patrouillenfahrten durch das Dorf nach übereinstimmenden Aussagen relativ ruhig verliefen, folgte durch den andauernden Kriegszustand, verbunden mit einer totalen Ungewißheit und Rechtlosigkeit, eine schlimme Zeit. Ungefähr zu Beginn der zweiten Februarwoche (ab 12. Februar) wurden alle im Dorf verbliebenen erwachsenen Männer zusammengetrieben und anschließend abgeführt. Sie blieben für immer fort.
Kurz darauf kam es dann zu einem Zwischenfall, der das Ende des Dorfes bedeuten sollte. Ein genaues Datum konnte keiner der Befragten nennen. Hildegard Rennspieß, geb. Schmidt, aus Mollberg hat ein Kalenderblatt des Monats Februar 1945 rekonstruiert und kommt zu der präzisesten Aussage: Nach der Vertreibung aus Mollberg und den Tagen im Wald kam die Familie am Mittwoch, dem 7. Februar, nach Marienspring zu der Familie Paul Brandt (Haus Nr. 4). Den folgenden Sonntag haben sie noch im Dorf verbracht, den nächsten (18. Februar) jedoch nicht mehr. So ist der Zeitpunkt vom 14. bis 16. anzunehmen. Versprengte deutsche Soldaten kamen wie auch schon einige Male zuvor in das Dorf, um sich aufzuwärmen und um Verpflegung zu bitten. So waren an diesem Tag auch drei Soldaten im Haus der Familie Paul Brandt. Irmgard Käding schildert den Vorfall wie folgt: „Es waren drei Soldaten. Meine Mutter sagte ihnen, sie sollten schnell verschwinden, denn die russische Streife kommt jeden Tag um die gleiche Zeit, und es wäre bald wieder so weit. Darauf erwiderte einer der Soldaten, ein nicht einmal Zwanzigjähriger, sie hätten keine Angst, außerdem seien sie zu mehreren und wären bewaffnet. Nachdem die Soldaten ihr Brot verzehrt hatten, verließen sie das Haus. Kurz darauf waren aus dem Unterdorf Schüsse zu hören. Günter Schmidt ergänzt hierzu, daß der Schußwechsel gegen 11 Uhr stattfand. Das Militärfahrzeug der sowjetischen Patrouille stand am sog. „Schlackenberg“, dem Straßenstück zwischen Kriegerdenkmal und Mühle. Vier russische Soldaten kamen ums Leben, zwei weitere überlebten und entkamen zu Fuß nach Mollberg. Zwischen halb eins und ein Uhr näherten sich drei sowjetische Panzer mit aufgesessener Infanterie von Norden dem Dorf, zwei auf der Straße, ein weiterer westlich durch die Gärten. Die Soldaten saßen ab und forderten die Bewohner zum umgehenden Verlassen der Häuser auf. Man durfte nur das Nötigste mitnehmen. Anschließend wurden alle Gebäude in Brand gesteckt. Die Bewohner mußten das Dorf nach Norden verlassen, also in Gegenrichtung der Aktion. Sie mußten sich am „Großen Stein“ (Nr. 31) sammeln. Gerda Donndorf berichtet, daß einige Häuser im Unterdorf von Panzern in Brand geschossen wurden, so auch das ihrer Familie.
Unter den Betroffenen befanden sich außer mir selbst auch meine beiden älteren Schwestern, damals neun bzw. zehn Jahre alt, und eine Tante meines Vaters aus Berlin. Wir hatten einige Sachen in einem Wäschekorb verstaut, den meine Schwestern trugen. Dabei konnte jeweils nur eine in der Panzerspur gehen, die andere mußte im Schnee marschieren. Ich selbst konnte in der Spur bleiben. Wir mußten sie nur kurzzeitig verlassen, als weitere Panzer Richtung Dorf fuhren.
Im Laufe der Ausweisung kamen vier weitere Personen ums Leben. Otto Melzer (Haus Nr. 3) machte einen Fehler und verließ das Haus nach hinten, um in Vorahnung des Kommenden die Pferde aus dem Stall zu lassen. Das erweckte das Mißtrauen der aufgebrachten russischen Soldaten, und er wurde erschossen. Ferner ist das Ehepaar Sassenhagen aus Berlin ums Leben gekommen. Sie waren in Marienspring zu Besuch, denn Marienspring galt als ruhige ländliche Gegend und bot somit Schutz vor den ständigen Bombenangriffen. Der Mann war an den Rollstuhl gefesselt und ist höchstwahrscheinlich im Haus verbrannt. Die Frau lag erschossen vor dem Haus. Vermutlich hat sie Widerstand geleistet, um ihrem Mann zu helfen.
Ein besonders tragisches Schicksal erlitt Henriette Kuhrt (Haus Nr. 5), damals 80 Jahre alt. Sie war allein in ihrem Haus und fand nicht schnell genug den Anschluß an die Ausgewiesenen. Ihre Tochter Anna Brandt (Haus Nr. 1) wollte ihr helfen, durfte aber die paar Meter nicht mehr ins Dorf zurück. Frau Kuhrt ging dann in die falsche Richtung, nämlich nach Norden in Richtung Karzig, und ist an Erschöpfung und Unterkühlung gestorben. Sie wurde kurze Zeit später im Wald gefunden und von ihren Angehörigen auf dem Friedhof in Marienspring beerdigt.
Der Treck der ausgewiesenen Bewohner marschierte nach Himmelstädt bzw. Kladow, wo alle irgendwie Unterkunft fanden. Es folgte eine Zeit wie überall in unserer Region, nämlich mit Arbeitseinsatz oder Hunger oder auch beidem. Die meisten mußten im Juni 1945 die Heimat verlassen, andere folgten z.T. erst Jahre später. Die überlebenden Marienspringer haben sich in alle Himmelsrichtungen verstreut, wie auch aus der anschließenden Liste der Befragten ersichtlich ist.
Jochen March
Hindenburgstr. 22
37154Northeim
Erstellt am 30.10.2016 - Letzte Änderung am 30.10.2016.