Wolken und Weite
Landschaftsbilder aus dem deutschen Osten
VON FRIEDRICH FABER
Fritz Faber, ein Sohn von Apotheker Erich Faber und seiner Frau Elli aus Lipke/Kr.LaW und Bruder von Hans Faber, heute in Herrsching am Ammersee, war für seine und unsere Heimat ein „kleiner Löns", so sein Buch
WOLKEN UND WEITE,
aus dem dieser Artikel stammt.
Fritz Faber hat bis 1945 seine Heimat verteidigt und ist seitdem verschollen.
Wald, viel Wald, dunkellockiges Kieferngewoge mit kupferfarbenen Stämmen, sandige Triften mit zarten Birken lose bestanden, zähe Wacholder am Hang, wo im August die Erika blüht, und über dem Walde, auf den die blanke Sonne heruntersengt, das süß-melancholische Lied der Heidelerche. In den endlosen Forsten aber das Wild! Einsame Dörfer und magere Äcker.
Und dann ein See mitten im Wald. Du bist Stunde um Stunde darin gewandert, nicht nur dunkle Kiefern, auch schlanke Buchen sind dir zuweilen begegnet und Eichenstämme und im Grunde ein Bächlein mit kristallenem Wasser, plätschernd und munter. Und nun der See, der so plötzlich da war, als der Weg nur einen Augenblick fiel. Er liegt da in einer flachen Mulde, wie du jetzt siehst, und überall rings um seinen blanken Spiegel steht Wald, und sein Abbild steht zitternd in der leise bewegten Fläche. Stämme ragen hoch vor dir auf, da könnten Adler drin horsten. Und ruhig in einsamer Majestät kreist denn auch eine Weihe mitten über dem See. Weiß blitzen jetzt Taucher drüben am Ufer.
Wasser ist so lebendig. Es fällt das Bruch dir jetzt ein, das du auf deiner Heimfahrt noch wieder durchqueren mußt. Der Fluß und die grünen Triften, fröhliche Bauernhöfe und Wege und Dämme. Ist das Bruch nicht auch einst Sumpfwald gewesen? Wald hat einst alles beherrscht, das Bruch viel eher noch als den Sand, den oft nur die öde Heide bedeckt hat. Wie anziehend ist doch immer der Fluß für dich. Im Sommer sind die Abende dort so herrlich, wenn Fuder auf Fuder mit duftendem Heu auf der ratternden Fähre den Strom überquert, der Storch noch durch die Wiesen schreitet und Schwalben gedankenleicht über das Wasser flitzen. - So schön ist das Bruch!
Wald und See und Bruch zusammen geben die Melodie zu dem Lied unserer Landschaft.
Sie ist auf einen einfachen Ton abgestimmt, die Züge ihres Gesichtes sind weit und ernst. Aber auch viel stille Schönheit ist darin und manchmal so etwas wie eine verständige Fröhlichkeit. Ihr Profil hat dieser Landschaft die Eiszeit gegeben.
Oben am Hang steht ein Bauer im Frühlingswind und schaufelt Sand. Dumpf fallen die ersten Schollen auf den leeren Wagen, bis sich langsam der gelblich-feuchte Sand darauf häuft und man nur noch die Schippe leise knirschend in den Sand stoßen hört. Geduldig steht das kleine Pferd vor dem Wagen und wartet.
Der Bauer ist auf seinem einfachen Gefährt vom Bruch heraufgekommen. Den Damm ist er entlang gefahren, an dem die kleinen und größeren Gehöfte liegen in bunter Reihe wie auch sein eigener. Langsam begann der ausgefahrene Weg dann zuletzt noch zu steigen, bis er am Sandberg war, den langen, waldbestandenen Rücken, die sich an beiden Seiten des Bruches entlangziehen und von überallher zu sehen sind, wenn mitten aus dem Bruch her auch oft nur als blaue Streifen in dunstiger Ferne.
Aber ehe der Bauer zum ersten Wurf mit der Schaufel sich angeschickt hat, hat ihn der klare Frühlingstag doch einmal verleiten können, die Augen über das Bruch schweifen zu lassen. Er hätte gewiß nicht gesagt, daß das, was er sähe, schön sei, aber empfunden hat er es wohl doch so.
Er sieht weithin über das Bruch und in der klaren Luft erkennt er unendlich viel Einzelheiten. Bäume und Dächer, Äcker und Wege, Wiesen, Gräben, breite Torfstiche voll blanken Wassers und winzige Reihen weißer Steine, die in der Sonne herüberleuchten, da, wo in der Ferne mit hölzerner Brücke der Damm über einen Wasserarm geleitet ist. Nie ist der Blick auf das Bruch so schön wie jetzt im Frühjahr, ehe die Bäume grün werden. Und dies Bild, das bis in die Reiser der Bäume in seinen Einzelheiten erkennbar ist, klingt doch zusammen zu einem Teppich unendlich zarter Töne wie gezeichnet aus mildem Pastell.
Die vielen Erlenwipfel sind zahllos darüber verstreut wie ein gesticktes Muster von einer unendlich zierlich und fleißig arbeitenden Hand. Die Kuppeln der Wipfel, die bald in langer Reihe einen Graben begleiten, bald das rote Dach eines Gehöftes umstehen, dann wieder am Rand eines Torfwassers mit weißstämmigen Birken wechseln, haben von all den zum Aufspringen frischen Knospen einen ganz violetten Schimmer. Die Wintersaat, die in Streifen hinter den Bauernhöfen sich breitet, hat ein Grün, das die Atmosphäre zu einem innigen Ton dämpfte, wie sie das Schwarz der frisch umgebrochenen Äcker zu einem dunklen Braunviolett gemildert hat.
Nach rechts hin verliert sich das blaß-violette Wipfelmeer der Bruchbäume in immer matter werdenden Wogen, bis sie verebbend im silbernen Licht der Ferne verschwimmen.
Nur gegenüber erkennt man den bewaldeten Rücken, der ganz parallel dem unsern verläuft. Ein Städtchen liegt darauf mit seinen Türmen und Dächern, Wald wechselt mit Feldern, und obwohl die Luft so unendlich klar heute ist, liegt über allem ein weicher Schimmer, und der Dunst der Ferne erscheint auch hier nun fast silbern unter den Strahlen des Märzsonnenscheins.
So liegt das Bruch, bewahrt von den Sandrücken, die meistens bewaldet sind, da sie ja oft nur aus losem Sand bestehen, die auf weiten Strecken aber auch Äcker tragen mit reichen Ernten.
Es gibt kaum einen anderen Platz, auf dem man stehen könnte, um die Beschaffenheit unserer Landschaft zu erkennen, wo man so gut in den Werdegang ihrer Entstehung hineinsehen könnte, wie auf der erhöhten Warte des Hanges. Es sind viele solcher Blickpunkte in der östlichen Mark, und neben den waldumkränzten Seen, die in ihrer abgeschlossenen Einsamkeit oft etwas Verträumtes und Geheimnisvolles haben oder auch hell wie der Inbegriff aller Sommerlichkeit unter einem strahlenden Himmel liegen, gehören diese Blicke über das Bruch von einem kiefernbestandenen Hang herunter zum Schönsten, was unsere Landschaft geben kann.
Da ist der Gletscher im breiten Tal entlang gezogen, als die riesigen Eismassen der Diluvialzeit abzuschmelzen begannen und immer mehr nach Norden hin weichen mußten, und hat schürfend und langsam sich vorwärtsdrängend das breite Tal gegraben, in dem nun das fruchtbare Bruch liegt. Zur Seite hin aber lud er Sandberge ab und Lehm, den er von weither mit sich führte, Feuersteine und Findlingsblöcke. Es ist die Art der Landschaftsbildung, die im ganzen nordöstlichen Deutschland vom Baltikum herunter bis wieder nach Holstein hinauf das Relief des Bodens geformt hat, die das Material dazu herantrug, wie sie ihm die Gestaltung gab. Seen, Brüche und Wälder bestimmen jetzt ihr Gesicht. Und auf die Jahrhunderte und Jahrtausende der Eiszeit folgt milderes Klima. Endlich, nach ebensolang dauernden Übergangszeiten, die noch mehr als die Zeit vorher schürften und gruben, sandige Halden und riesige Findlingsblöcke abluden, da, wo die Schmelzwässer sich eine Bahn brachen und die immer stärker werdende Bewegung der Eisgebirge vorüberdrängten, endlich lag das Ostland frei und wurde ein Chaos aus undurchdringlichen Sumpfwäldern, weiter Heide, hundert armigen Strömen und zahllosen Seen die auf der Spur der Gletscher entstanden waren.
Das Land lag da und wartete auf den Menschen, der es nutzen und ordnen sollte.
Von aller Wildnis ringsum aber mögen die Brüche am längsten wie Inseln von unbewohntem und unerschlossenem Land im östlichen Gebiet gelegen haben Sie waren am schwersten zu besiedeln und boten dem Durchzug der Menschen den größten Widerstand. Darum setzten sie auch feindlichem Vordringen ein so starkes Hindernis entgegen im Kampf zwischen Slawen und Germanen. Befestigte Plätze wurden auf den angrenzenden Höhen gebaut und halfen den Schutz der Brüche verstärken.
Dann kamen spät die ersten Siedler, zu roden und zu entwässern. Die preußischen Könige zogen erfahrene Fremde ins Land, die den Sumpfboden zu nutzen verstanden und mit Handwerkstüchtigkeit und Siedlerfleiß das Ostland erschließen halfen. Noch viele Ortsnamen im Bruch erinnern an sie.
Wieder andere Dörfer entstanden aus dem Besitz der riesigen Güter, die geteilt werden mußten, und die Geschichte ganzer Bruchbezirke ist die Geschichte der Güter und ihrer Besitzerfamilien.
Es sind einfache und fleißige Menschen, die unsere Heimat besiedelt haben, kleine und größere Bauern, Forstbeamte und Waldarbeiter und solche, die an den Gütern bedienstet sind. Sie sind von jeher mit ihrem Leben dem Wald und dem Acker verbunden
Der Bauer am Hang hat die letzte Schaufel voll Sand auf den Wagen gehäuft. Nun stößt er die Schaufel schräg in den Sandberg zwischen den Brettern und knotet ruhig die Leine los, sagt mit einem Rucken am Zügel dem Pferde, daß es nun wieder heimwärts trotten soll. Ein hartes Anziehen, dann rollt der Wagen leicht durch den losen Sand.
Er fährt wieder ins Bruch zurück, und Stetigkeit liegt in all seinem Tun wie im Rhythmus der Natur, die im Wechsel der Gezeiten des Jahres nur in harter Arbeit sich etwas abringen läßt.
Jetzt, wo der Frühlingswind über das Bruch hinweht, scheint alles wie freudig erregt, drängend und tätig, Mensch und Tier und Pflanze. Der Bauer biegt endlich in den Torweg ein, kläffend empfängt ihn der Hund, und vom Acker kommt schwankend die Magd herein, den Schubkarren türmend beladen. Im Stall klirren die Eimer, stampft das Vieh.
Das ist das Kennzeichen östlicher Landschaft, daß noch die Natur alles beherrscht, den Menschen mit ihrer Weite umgibt und ihm seine Aufgaben stellt, eine Natur, die noch den schweigenden Ernst und die Größe von etwas Ursprünglichem hat.
Bald wird am Waldrand wieder der Wächter seinen hölzernen Turm beziehen und seinen Blick wachsam über die Baumkronen schicken, um einen Waldbrand gleich zu entdecken. Er sieht über den Wald hin, der von hier oben ist wie ein Meer, so unermeßlich und gleichförmig. Nur ein paar Birken unterbrechen manchmal die blaugrünen Wogen der Kiefernwipfel, und der Himmel darüber scheint, wenn nicht die Sonne mit sengender Glut die Luft über den Wäldern erzittern macht und Wolken dichtgeballt und dunkel darüber jagen, ja, auch dann noch erscheint hier im Ostland die Himmelskuppel gewaltig und höher gewölbt als anderswo sonst.
Das sieht alles der Wächter. Über die Schneise, die gerade wie eine Straße den Wald zerteilt, zieht abends, wenn Fluten von rotem Licht die Wolkenschwaden verfärben und ein Hauch davon auch über das Wipfelmeer fliegt, das Wild. Bisweilen schleicht an der Schonung ein Fuchs entlang, ein Raubvogel schwebt lautlos vorüber. Nur im Herbst dröhnen die Wälder vom Brunftschrei des Hirsches, um dann von neuem in ihr Schweigen zu fallen, das fast überwältigend ist.
Aber gibt es nicht auch die Seen und den herrlichen Buchenwald? Sind da nicht Schluchten im bewegten Waldgelände mit tannenbeschatteten Hängen? Es ist fast immer dämmrig zwischen den Stämmen, und dürre Reiser stehen kraus um das braunviolette Astgewirr, bis an einer lichteren Stelle plötzlich eine Insel von blühenden Kräutern aufleuchtet. Dort könnte der Fingerhut seinen Zauberstab recken. Und wie du der Schlucht weiter gefolgt bist, war mit einem Male das Bächlein da - du hast es schon rauschen hören -, jenseits aber steigt eine Wand auf, so steil, daß du glaubst, in die wald- und hügelreiche Mitte Deutschlands versetzt zu sein. Im klaren Wasser des Bächleins wirst du unwillkürlich nach einer blitzschnellen Forelle suchen, die zwischen den Steinen stehen könnte, die das Wasser gurgelnd umrauscht.
Du brauchst nur ein wenig weiter dem fröhlich auf- und absteigenden Weg zu folgen im silberstämmigen Buchenwald, dann wirst du endlich den See entdecken, der da im einsamen Forst liegt und mit seinen waldumrauschten und beschatteten Ufern fast an eine vergessene Sage erinnert.
Aber auch andere Seen könntest du finden, die sind wie ein lichter Spiegel und alles Licht, das sie fangen, scheinen sie in das Städtchen zu werfen am Ufer, wie Spiegel zuweilen im Zimmer tun, und alles ist heiter und hell. Vielleicht liegt gar ein Kurhaus am steigenden Ufer und eine Terrasse blickt zum Wasser hinunter. Musik klingt herüber und buntes, fröhliches Leben herrscht, wenn auch alles wieder der Wald umkränzt.
Oh, sie ist schön, unsere Ostmarklandschaft, nicht nur ernst und weit und traurig stimmend, sie kann sich auch heiter geben und da das nur zuweilen geschieht, ist es um so mehr bezaubernd, überraschend und voller Anmut.
Aber diese Plätze voll heiterer Schönheit sind doch nur wie ein erlesener und seltener Schmuck über ein Kleid verstreut, das einfach und ernst gehalten ist, wenn sie im ganzen auch zu seinem Charakter gehören.
Nicht der romantische Reiz uralter Kultur- und Machtzentren schwingt im Erlebnis östlicher Landschaft mit, wie so oft im Anblick süd- und westdeutscher Gefilde, so neben den Formen ihrer herrlichen Hügel, Berge und Täler, neben dem heiteren Himmel ihres verlockenden Klimas jene bewegende Atmosphäre großer Menschheitsgeschichte mit ihren noch sichtbaren Urkunden, die nun der Zauber des Vergangenen umgibt, so unvergeßliche Eindrücke schenkt.
Aber wie es vor allem immer zwei menschenformende und -stimmende Kräfte sind, welche den Klang erzeugen, der sich dir unmerklich mitteilt und dich überfällt, wenn du ein Land dir reisend und wandernd gewinnst: Landschaft und Geschichte, so wird auch im östlichen Grenzland dir etwas spürbar werden von der Geschichte des Landes, die die seiner Besiedlung, seiner Bearbeitung und seines Grenzschicksals ist; und von seiner Landschaft, über deren endlosen Wäldern, weiten Brüchen und spiegelnden Seen sich ein wolkenreicher Himmel wölbt.
Erstellt am 05.10.2016 - Letzte Änderung am 05.10.2016.