Erinnerungen an unser altes Landsberg!
von Wilhelm Marquardt
Das Bild zeigt den Paradeplatz. An dem Denkmal stand bei hohen Festlichkeiten der standortälteste Offizier der Garnison und nahm die Parade der militärischen Einheiten ab, denn unsere Stadt war s. Zt die Garnison eines Feldartillerie-Regiments, dessen Kasernen in dem Block zwischen Meydam-, Han-denberg- und Heinersdorfer Straße lagen. Die vorbeimarschierenden Truppenteile, aus der Richtstraße kommend, schwenkten dann in großem Linksbogen in die Friedeberger Straße ein zum Rückmarsch in die Kaserne. Diese Straße war schon immer als gut gepflegte Fernstraße von Berlin nach Königsberg/Pr. bekannt. Sie wurde auch als Anmarschweg benutzt von dem Kaiser Napoleon, der mit seinen großen Heereszugen 1812 Rußland erobern wollte. Als die französischen Truppen endlich nach vielen Strapazen und Entbehrungen bei sehr starkem Frost und viel Schnee die Hauptstadt erreichten, um dort zu überwintern, steckten die nationalbewußten Moskauer Bürger Ihre eigene Stadt in Brand, deren Häuser meist aus Holz bestanden und so den verzehrenden Flammen immer neue Nahrung gaben Die Angreifer mußten in aufgelösten Haufen den Rückzug antreten Tausende von Franzosen kamen durch Hunger und Kälte um. Auch in Landsberg befanden sich noch Zeugen dieses Rückzuges Im Quilitzpark, hinter „Ehrenberg's Halle“, befanden sich „Franzosengräber“, vielen Landsbergern gar nicht bekannt. Im Schönfließpark erinnert der „Kosackenberg“ an diese Zeit.
Die Konkordienkirche trug reformatorischen Charakter, dessen geringe Unterschiede zur lutherischen Marienkirche in einigen Glaubenssätzen gar nicht ins Gewicht fielen und somit bedeutungslos waren.
In dem großen Eckgebäude am Paradeplatz - das Gesellschaftshaus früherer Jahre - befanden sich neben den Räumen der Volksfürsorge - Lebensversicherung, das Geschäft für Papier- und Bürobedarf sowie Kunstgewerbe von Johannes Grunow und außerdem die Kammerlichtspiele. Es folgte das Schreibwarengeschäft von Bensel, besonders in Anspruch genommen durch die in der Nähe gelegenen beiden Mittelschulen und der Knaben-Volksschule I. Einige Häuser weiter verbreiterte sich die Zechower Straße nach links zu einem kleinen mit Anlagen versehenen Platz, dem „Karl-Teike-Platz“ Der so geehrte Karl Teike gehörte nicht nur zu dem Musikerkorps des Artillerie-Regiments, sondern er war auch ein begabter und bekannter Komponist, der viele Soldatenmärsche geschaffen hat. Wir berichteten ausführlich darüber in den Heimatblättern 5-6 und 7-8-1972 Der bekannteste Marsch von ihm „Alte Kameraden“ fand durch seine schwungvollen und rhythmischen Melodien in der ganzen Welt Anerkennung.
Der Paradeplatz wird nach Osten begrenzt durch die Ziegelstraße, die zur Warthe führte, von der sich die Theaterstraße abzweigte. An der westlichen Seite führte die Grabenmühlenstraße in die Schloßstraße und zum alten Gymnasium. Die Haupt- und größte Geschäftsstraße war die Richtstraße, die bis zum Paradeplatz diesen Namen trug. Sie führte ursprünglich den Namen Gerichtsstraße, denn in dem spitzen Winkel zwischen Richtstraße und Neustadt lagen das Amts- und Landgericht.
Das zweite Bild zeigt die neue Oberschule für Jungen Die Straße im Vordergrund - die Pestalozzi-Straße - führt in die Heinersdorfer Straße, an deren linker Seite sich die Turnhalle der Mädchen-Volksschule 3 befindet. Die Straße bergauf wurde nach dem Stadtrat Keutel benannt und führt in das neue Siedlungsgelände, das im Volksmund „Groß-Kleckersdorf“ genannt wurde Gegenüber der Schule hatte ein Flüchtlingsarzt - Dr. v. Klot - seine Frauenklinik eingerichtet Auch ein Zahnarzt war da, der den Bewohnern der Siedlung den weiteren Weg in die Stadt ersparte. Überschreitet man den Winzerweg, in dem früher Weinreben gestanden haben sollen, so kommt man auf das Gelände des Serum-Instituts. Diese Anstalt stand vorher in Bromberg und fand später bei uns eine neue Heimat. Hier wurden alle Impfstoffe für kleinere und größere Haustiere hergestellt. Landsberg wurde dadurch sehr bekannt, denn es gab In Ostdeutschland solche Forschungsanstalt nur noch in Königsberg/Preußen.
Die Häuser links der Oberschule auf dem Bild gehören zur Lugestraße Das oberste Gebäude gehört zur General-v. Strantz-Kaserne... u. darunter Wohnhäuser und das neue Finanz- bzw Zollamt Ging man die Pestalozzi-Straße links entlang, gelangte man über die Soldiner Straße zur Pestalozzi-Schule (Knaben-Volksschule 3). Pestalozzi war einer der bedeutendsten und unerschöpflichsten Pädagogen seiner Zeit, der trotz seiner leichteren und einfacheren Lehrmethode den Kindern und den Jugendlichen eine gründlichere geistige Ausbildung gab. Die Pestalozzi-Schule war meine Wirkungsstätte, bevor ich zur Mittelschule versetzt wurde. Sie besaß nur einen kleinen Schulhof und keine Turnhalle. Ich führte immer ein erstes oder zweites Schuljahr, damit ich die übrigen Pflichtstunden für den Turnunterricht in der Oberstufe zur Verfügung hatte. Bei schlechtem Wetter und besonders im Winter hätte manche Turnstunde in der Unterstufe ausfallen müssen. Bei meiner verehrten Kollegin, Frau Dora Giese, fand ich aber immer Gehör, wenn ich die Turnhalle der Mädchen-Volksschule 3 mitbenutzen wollte. Wir begnügten uns mit den Sprossenwänden, mit dem Klettern an Holzstangen und Seilen, dem Klettern an den Leitern und mit einigen Ledermatten, an bzw. auf denen die Jungen ihre Beweglichkeit, Gewandtheit und Kräfte erprobten und stählten.
Das Foto wurde vom alten Friedhof aus aufgenommen. Wohl weil noch Angehörige von Verstorbenen vorhanden, auch manche Grabstellen noch intakt waren - bei einigen standen sogar noch die Kreuze, ließ man diesen Grundbesitz unangetastet In der Nähe der Richtstraße und des Hauptbahnhofes wäre er ein günstiger Bauplatz für Wohn- und Geschäftshäuser gewesen - ... und auch heute finden wir an dieser Stelle eine Grünanlage!
Wilhelm Marquardt
Erstellt am 05.10.2016 - Letzte Änderung am 05.10.2016.