Der Bahnhof Landsberg (Warthe) - Brückenvorstadt - Landsberger Heimatblatt 1980 10-12 S. 10-11
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Der Bahnhof Landsberg (Warthe) - Brückenvorstadt
von Erich Frädrich

Die Stadt Landsberg (Warthe) hat zwei Bahnhöfe Den Hauptbahnhof — am rechten Wartheufer — und den Bahnhof Brückenvorstadt jenseits der Warthe. Der Hauptbahnhof liegt an der Ostbahnstrecke Berlin - Königsberg/Pr. Am Hauptbahnhof beginnen aber auch die Nebenbahnstrecken nach Soldin sowie nach Meseritz und Zielenzig.

Der Hauptbahnhof besteht aus dem Personen- und dem Güterbahnhof, zu einer Dienststelle vereinigt.

Im Jahre 1896 wurde die Strecke Landsberg-Schwerin-Meseritz in Betrieb genommen. Sie begann in Landsberg Brückenvorstadt. Eine Verbindung zum Hauptbahnhof bestand noch nicht. Diese wurde erst im Jahre 1699 durch den Bau der Eisenbahnbrücke über die Warthe hergestellt.

Im Jahre 1912 wurde die Strecke nach Zielenzig in Betrieb genommen, die in Roßwiese von der Strecke Landsberg Meseritz abzweigt. Roßwiese ist der Nachbarbahnhof von Landsberg-Brückenvorstadt.

Die Brückenvorstadt ist ein Teil Landsbergs, der sich am linken Wartheufer ausdehnt. In diesem Stadtteil hatte sich die Industrie entwickelt. Es waren dies die Maschinenfabrik Paucksch, gegründet 1845, die 1903 entstandene Jutespinnerei von Max Bahr, die Schroeder'sche Mechanische Netz- und Kabelfabrik und die Draht- und Hanfseilerei Die Erzeugnisse dieser Firmen wurden mit der Eisenbahn über den Bahnhof Brückenvorstadt den Bestimmungsorten zugeführt. Dadurch hatte der Bahnhof einen regen Güterverkehr. Zu den Fabrikanlagen führte ein Anschlußgleis. Zweimal täglich kam eine Rangierabteilung vom Hauptbahnhof Brückenvorstadt Sie holte die beladenen Wagen vom Gleisanschluß Paucksch ab und stellte Leerwagen hinein. Die Wagen vom Gleisanschluß und die im Bahnhof beladenen Wagen wurden zu einem kleinen Zug zusammengestellt und zum Hauptbahnhof übergeführt, begleitet von einem Rangiermeister des Hauptbahnhofes. Außer den Wagenladungen wurden auch Stückgutsendungen aufgegeben.

Der Personenverkehr war mäßig. Die Reisezüge begannen auf dem Hauptbahnhof am sogenannten Warthebahnsteig, von dem man einen herrlichen Blick über die Warthe hatte. Zum Warthebahnsteig führte — und führt auch heute — eine Unterführung von der Schalterhalle des Hauptbahnhof«, Gleich nach der Abfahrt vom Warthebahnsteig fahren die Züge über die Eisenbahnbrücke zum Bahnhof Brückenvorstadt, der heute Gorzow WLKP Zamoscie heißt.

Am Südende des Bahnhofs Brückenvorstadt überquert die eingleisige Bahnstrecke den Brenkenhofkanal. Ganz in der Nähe des Bahnhofs lag das Lokal „ELDORADO“, in dem man im 1. Weltkrieg ein Lazarett eingerichtet hatte.

Im 1. Weltkrieg nahm der Güterverkehr auf dem Bahnhof erheblich zu.

Die Fabriken fertigten überwiegend in großen Mengen Kriegsmaterial. An manchen Tagen wurden ganze Züge zusammengestellt und abends zum Hauptbahnhof abgefahren. Auch Heu und Stroh wurde verladen. Der Bahnhof Brückenvorstadt hatte eine eigene signaltechnische Eigenart: Es waren weder Einfahr- noch Ausfahrsignale vorhanden. Die Weichen wurden handbedient, und, soweit sie mit den Hauptgleisen in Verbindung standen, mit Schlüsselsicherungen versehen. Bevor der Fahrdienstleiter einen Zug von den Nachbarbahnhöfen Landsberg Hauptbahnhof oder Roßwiese annahm, mußte er sich vergewissern, daß sämtliche Weichenschlüssel am Schlüsselbrett im Fahrdienstleiterraum eingeordnet waren. Diese Schlüssel ließen sich vom Weichenschloß nur abziehen, wenn die Weiche in der Grundstellung verschlossen war. Dieser Zustand besteht auch heute noch.

Der Bahnhof mit seinen Anlagen ist von den Einwirkungen des Krieges verschont geblieben. Nur die Eisenbahnbrücke über die Warthe ist von den deutschen Truppen 1945 gesprengt worden. Sie wurde nach dem Kriege wieder aufgebaut.

Der Dienst auf dem Bahnhof begann um 3.30 Uhr und endete um 23.00 Uhr. Außer den männlichen Bediensteten waren während des 1. Weltkrieges drei Frauen auf dem Bahnhof tätig. Sie versahen den Dienst als Weichenwärterin, Schrankenwärterin und Bahnsteigschaffnerin. Außerdem hatten sie noch einige Nebentätigkeiten. In der Zeit von 23.00 bis 3.30 Uhr Uhr war eine Frau allein im Bahnhofsbüro, sie wurde von einem Schäferhund des Bahnhofsvorstehers behütet.

1917 und Anfang 1918 war ich als Fahrdienstleiter und Abfertigungsbeamter auf dem Bahnhof tätig; dann wurde ich zum Wehrdienst einberufen. Chef des Bahnhofs war damals Herr Päschke, sein Vertreter Herr Göttel. Weitere Mitarbeiter waren die Herren Kossan, Rahmel und Semmler. Weibliche Mitarbeiter waren: Frau Bohnenstengel, Frau Wichura und Fräulein Hertha. Der Chef und sein Vertreter wohnten im Beamten-Wohnhaus gegenüber dem Bahnhofsgebäude. In einem von ihm selbst möblierten Zimmer des Bahnhofsgebäudes wohnte der damalige Junggeselle, Signalwerkmeister Otto Gienau. Er war ein ausgezeichneter Zitherspieler. Wenn abends der Hauptbetrieb auf dem Bahnhof abgeklungen war, kam er gelegentlich mit seiner Zither zu uns in den Dienstraum. Mit Vorliebe sang er das Lied:

„Ich hab' einmal ein Ringlein kriegt von meiner Herzensdirn —

und ich hab' ihr ein Rös'lein geben, wie's halt im Sommer blüht...“

Im Sommer 1979 habe ich meine ehemalige Wirkungsstätte besucht. Es ist nahezu alles unverändert. Die Fahrkartenausgabe ist in den ehemaligen Warteraum verlegt worden. Die Fenster sind, wie in Kassenräumen in Polen üblich, vergittert. Das Bahnhofsgebäude macht einen recht ansprechenden Eindruck.

Es war mir eine Freude, nach mehr als 60 Jahren noch einmal auf dem Bahnsteig zu stehen, auf dem ich damals den Zügen den Abfahrauftrag erteilte.

Erich F r ä d r i c h



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Erstellt am 05.10.2016 - Letzte Änderung am 05.10.2016.