Fräulein Hildegard Friebe * 1.1.1904 in Landsberg/Warthe, † 28.10.1992 in Paderborn
Auszug aus dem Landsberger Heimatblatt Nr. 6 S. 70-73
Friebe, Hildegard aus Landsberg * 01.01.1904 † 28.10.1992 in Paderborn
Aufzeichnungen von Hildegard Friebe 1945
1 . Januar 1945, mein Geburtstag letztmalig in meiner Wohnung Schützenstr. 7 (Kapelle) mit einigen Gästen, u.a. Elisabeth Ciesielski, mit Mutter Martha, Halbjüdin. Dr. med. Ciesielski war unser Hausarzt. Schon verstorben. Ein Gänsebraten war der Clou. Beschaffer war Otto D., Landsberger Papierwarenfabrik, vorm. Cohn. Dort war ich dienstverpflichtet als 1. Buchhalterin. Der Krieg kam näher. Schwerer Luftangriff auf Oranienburg bei Berlin. Wir sahen in der hellen, kalten Nacht die Christbäume. Erste Trecks aus dem Osten.
30. Januar 1945, abends gegen 1/2 7 Uhr Sprengung der Warthebrücken durch die deutsche Wehrmacht ohne Vorwarnung. Passanten fielen ins Wasser, ertranken. Noch im Juli lag eine Frauenleiche im Wasser an der alten Eisenbahnbrücke. Strom und Wasserversorgung fielen aus. Im Heizungskeller stand dann das Kloakenwasser mit allen Nebenergebnissen. Durch den Stadtrundfunk ließ der Kreisleiter (Koltermann) pausenlos verkünden, daß die Stadt nicht geräumt werden würde. Er mit Stab waren dann weg. Zu mir war inzwischen meine Schwester Hedwig mit ihrem Mann Bruno Welkisch (Postamt) gekommen, da ich ganz allein im großen Haus war. Die Priester W. und H. waren über die Warthe zum letzten Zug Richtung Westen verschwunden. Zurück blieb die Nichte Elsbeth von Pater W. 10-12 Jahre [alt, wh], evakuiert aus Dortmund. Mein Schwager und ich fanden im Klostergarteo Naziuniformen, Waffen, Orden und viele andere Dinge in Menge. Wie wir es geschafft haben, die gefährlichen Dinge zu vernichten, weiß ich heute nicht mehr genau. Jedenfalls bedeuteten all diese Nazihinterlassenschaften im Klostergarten für uns Todesgefahr, was von den Naziverbrechern wohl beabsichtigt war. Am 30. Januar ging mein Schwager Bruno Welkisch als pflichttreuer Beamter noch zu seinem Dienst ins Hauptpostamt und ich zum Büro Dunst und Miere, vormals Cohn in die Küstriner Straße. Die Erlaubnis, vom Landsberger Kreditverein Geld für die Januargehälter zu holen, wurde vom Chef O.D. nicht gegeben. Er mit Familie aber hatten ihren Fluchtplan perfekt realisiert, wurden nicht mehr gesehen. (Erst lange Zeit später gab es eine Wiederbegegnung nach tragischen Zwischenfällen der Familie Otto Dunst, u. a. in Berlin-Tempelhof.) Den Mitinhaber der Firma, Herr Otto Miere, (Geschw. Gimon, Hüte für Damen am Markt) Träger des Goldenen Parteiabzeichens (wg. Motorsport) konnte später durch meine Aussagen wg. Nazi vergangenheit mit Erfolg entlastet werden. Er war immer ein human denkender Chef im Fabrikbetrieb, war nicht geflohen, sondern stand in voller Uniform mit Parteiabzeichen auf der Kreuzung Bahnhof-Küstriner Straße, hielt viele Wehrmachtfahrzeuge und andere Fahrzeuge an und erreichte dadurch, daß relativ viele Menschen, bes. Frauen und Kinder in Richtung Westen weiter kamen. Herr Miere lebte später im Oderbruch. Ich schulde ihm noch heute Dank, besonders auch dafür, daß er mir als Katholikin imner den Weg offen hielt, um an unseren Feiertagen den Gottesdienst zu besuchen. Herr Miere sorgte auch dafür, daß im Betrieb Papiersäcke hergestellt wurden für die Beerdigung der vielen verhungerten russischen Kriegsgefangenen. Auch hatte ich von ihm den Auftrag, regelmäßig monatlich eine Unterhaltszahlung an ein Mitglied der Familie Cohn nach Berlin zu überweisen, an eine Deckadresse. Dieser alte Herr hat die Auswanderung nicht mehr geschafft.
Ich schloß dann mein Büro in der Küstriner Straße ab, ging über die Warthebrücke durch ein Chaos von flüchtenden Menschen zur Schützenstraße. Gepäckstücke vom Kinderwagen bis zum Handwagen am Straßenrand. Im Haus war meine Schwester Hedwig, auch kam bald mein Schwager Bruno, vom Chef der Hauptpost "entlassen", und nun warteten wir. Worauf? Von dem, was kommen würde, hatten wir keine Vorstellung. Es war bitterkalt. Die Warthe war durchweg zu einem Brückenschlag hin und her geworden. Ich meine mich zu erinnern, daß es fast Mai war, ehe man den Weg nicht mehr so abkürzen konnte.
Und dann waren die Russen da. Die ersten Schüsse fielen. Inzwischen war Frau Dr. med. Johanna Donin vor unserer Tür und bat um Aufnahme . Wir machten ein Schild an die Tür "Typhus" und das Rote Kreuz und bald wurde Frau Doktor zu russischen Kranken geholt. Mit mir als Begleitung, mit der Binde am Arm, gingen wir oft noch spät auf "Visite" so gar bis zur Pauckschen Villa am Wallende, immer mit klopfendem Herzen, aber unter Gottes Schutz. Russische Offiziere hatten inzwischen das Grundstück und die Kapelle inspiziert und mit einer gewissen Höflichkeit wieder verlassen.
2. Februar, Mariae Lichtmeß! Da begann das große Feuer. Taghe11 war die Nacht. Da die Priester sich abgesetzt hatten, gab es keinen Gottesdienst. Als ich die Kapelle aufgeschlossen hatte, um Nachschau zu halten w. evtl. Einbruch, sprang mir ein großer, schwarzer Hund entgegen, legte sich winselnd vor mir hin. Auch er hatte sich wohl vor dem Feuer entsetzt. Inzwischen gab es ja eine Notbrücke über die Warthe, da konnten die Russen hexen. In der Straße wo Fa. Rud. Schwabe ihren Betrieb hatte, lief die geschmolzene Butter und Margarine wie ein Bach herunter in Richtung Warthe. Viele Menschen "hamsterten und auch ich erwischte Würfelzucker".
4. Februar, Sonntag Sexagesima. Kein Gottesdienst.
6. Februar, plötzlich kam ein Herr Kowak und begleitete mich zu Kaplan Georg Kamrad in die Pfarrkirche, Zechower
Straße.
11. Februar, Sonntag Quinquagesima um 3 Uhr Nachmittag hl. Messe bei uns in der Kapelle. Große Freude mit "Lobe den Herrn ... "
14. Februar, Aschermittwoch, kein Gottesdienst.
15. Februar, Nachm. 3 Uhr hl. Messe. Requiem für Frau Windt.
18. Februar, 1. Fastensonntag, Nachm. 3 Uhr hl. Messe und in der Woche 2 hl. Messen.
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25. Februar, 2. Fastensonntag, 2 hl. Messen und am 2. März 3. Fastensonntag oder 4. März um 3 Uhr hl. Messe.
11. März, 4. Fastensonntag, um 3 Uhr hl. Messe.
18. März, Passions-Sonntag, um 3 Uhr hl. Messe.
19. März Fest des Hl. Josef, Patron unserer Kapelle. 3 Uhr nachm. feierliches Hochamt, schöner Altarschmuck durch Frau Springer. Auch der Chor hatte sicher die Furcht überwunden und war wieder da.
23. März, Fest der sieben Schmerzen Mariens. Feierlicher Gottesdienst.
25. März, Palmsonntag. Um 3 Uhr Palmweihe, Prozession, feierliches Hochamt.
27. März, Meßfeier um 3 Uhr.
29. März, Gründonnerstag um 3 Uhr hl. Messe.
30. März, Karfreitag, Passion gesungen, dann Kreuzprozession.
31. März, Karsamstag, 3 Uhr hl. Weihen (Feuer, Wasser) feierliches Hochamt mit Pfarrer Helewsky aus Hohenarape, den ich durch Gottes Fügung aus einem Zug gefangener Deutscher Männer heraus "locken" konnte.
1. April, und da hatten wir dann um 8 Uhr eine feierliche Auferstehungsfeier mit Prozession.
Inzwischen war die polnische Zivilverwaltung (?) eingetroffen. Neuer Wind, wie wir bald merkten.
Nachm. 4 Uhr dann feierliches Hochamt, Prozession. Kaplan Kamrad.
2. April, Oster-Montag um 4 Uhr nachm. feierliches Hochamt.
Polnischer Oberbürgermeister in der Osterwoche täglich um 4 Uhr nachm. hl. Messe, immer mit Pfarrer E. Helewski (y) aus Hohenrape.
20. Apri1, Haus durch Russen besetzt. Kapelle und Garten blieben GsD frei. Später Garage ein Lager. Ein fettes Schwein schlachteten die Russen ruckzuck, brühten es über Stroh ab. Wir konnten nach jeder hl. Messe eine kurze Maiandacht halten. 32 Tage dauerte die Besetzung des Hauses. Pfingsten hatten wir um 7 Uhr ein feierliches Hochamt, Russische, meist junge Soldaten, kamen oft in unsere Gottesdienste, Betragen durchweg gut, Kapellusch wurde abgenommen. Auf dem Chor umstanden sie mich wie ein Panzer, um mir beim Spiel zuzuschauen.
Christi Himmelfahrt läutete ich zum ersten Mal wieder das kleine Kapellenglöckchen.
27. Mai 1945, Dreifaltigkeitsfest, 17 Uhr feierliches Hochamt, dann täglich um 7 Uhr hl. Messe.
29. Mai, Kinder komrnen erstmalig ZtDll Religionsunterricht.
31. Mai, Fronleichnam, Meßfeier nur in der Pfarrkirche Zechower Straße. Keine Prozession. Polen hatten die Altäre mit "requirierten" Teppichen geschmückt. Ich erkannte den Teppich einer mir gut bekannten Lehrerin (A. Obst) wieder.
1. Juni, Herz Jesu Freitag, Hochamt.
Mit Wagen Hamerski nach Gralow. Gottesdienst ev. und kath. durch Pfarrer Wegener. Sehr gute Zusammenarbeit. Pfarrer Paul Dubianski setzt sich ab nach Frankfurt/Oder. Die Eltern Dnbianski, die im Pfarrhaus Zechower Straße wohnten, weigerten sich, mit mir deutsch zu sprechen, da sie nur polnisch verstünden.?
2. Juli, Fest Mariae Heimsuchung.
Erste große Ausweisungswelle durch die Polen, rigoros. Strömender Regen. Lager am Bahndamm Richtung Beyersdorf. Mit zwei großen Milchkannen mit Suppe gehe ich zum Bahndamm, ein Tropfen auf den heißen Stein. Meine Schwester ist dabei mit dem Dortmunder Kind, Elsbeth W. Meinen Schwager Bruno hatten die Polen inzwischen zur Arbeit abgeholt und ihn bis Posen verschleppt. Verlaust und halb verhungert kam er wieder. Mit einem Kohlenzug konnte ich ihn dann ab Babelsberg in Richtung Westen unterschmuggeln, wo er auch ankam und noch viele Jahre beim Hauptpostamt in Dortmund seinen Dienst machen konnte.
Inzwischen hatten die Russen auch den großen Holzplatz an der Turnstraße/Schützenstraße angezündet, ein riesen Feuer. Bei einem Weg zur Apotheke am Musterplatz Richtung Meydamstraße wurde ich mit drei anderen Frauen von einer Russenstreife abgefangen. Wir sollten eine Grube ausheben für einen russischen Major, der von Polen erschossen worden war. Drei der Frauen setzten sich schnell ab. Ich versuchte in den steinharten Boden einzudringen, bewacht von einem jungen Russen, der mit mir deutsche Sprache üben wollte und mir später das zugesagte Brot abnehmen wollte. Für ihn kein Erfolg.
Der Kaufmann M. in Stadtmitte, plötzlich ein Polenfreund und Brotverteiler an die mit weißem Lappen am Arm, hieß
plötzlich nicht mehr Mattis. Soweit ich mich erinnere, hatte er später keinen guten Abgang bei den Polen.
Als Hitler "kaputt", mußten auch in Landsberg die Glocken eine Stunde lang geläutet werden. Ich habe das 1/2 Stunde lang durchgehalten mit unserem kleinen Glöckchen. Hitlerbüsten hingen vielfach mit dem Kopf nach unten an den Bäumen, auch am Lindenplatz.
August. Inzwischen hatten die Polen das Kommando, man merkte es an allen Ecken und Enden. Da ich eine Option ablehnte, wurde es für mich als "Hausfrau" im Kapellenbereich St. Josef schwieriger. Inzwischen war das Haus fast ein Haus der offenen Tür geworden. Wasser mußte täglich im Keller geschöpft werden. Polnische Priester, oft nicht solo, suchten das Haus und die Kapelle nach Schätzen ab. Die Beichtstühle nahmen sie mit nach Zantoch, da ja die katholische Welle ausgebrochen war. Am 15. August, Mariae Himmelfahrt, war um 6 Uhr früh noch ein gut besuchtes Hochamt. Ich taufte noch zwei größere Kinder, Bärbel P. und Ursula K., die alle Antworten
selbst geben konnten. Dann machte ich noch zwei Versehgänge, Herrn Reschke und Hellack. Dann wurde ich von poln. Miliz verhaftet, verhört, eine Nacht eingesperrt, später ging ich zur russ. Kommandantur wg. Ausreise. Bekam gute Unterstützung durch eine russ. Leutnantsfrau über die mir gut bekannte Frau Englisch, der ich auch viel Dank schulde. Denn sie sorgte dafür, daß ich wenigstens ein Federbett bei meiner ersten abenteuerlichen Reise nach Berlin mitnehmen konnte.
In Gralow kann ich bei Bekannten einige Tage bleiben.
Schwarzmeerdeutsche warteten dort um weiterzutrecken. Gute Menschen. In Landsberg hatte ich inzwischen einen guten Schlepper (Herrn H.) kennengelernt. Episode. Es klopft laut an die Klosterpforte. Vor der Tür steht ein Mann, 1,90 m lg. zerlumpt,
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abgemagert, bittet um Hilfe. Im Pfarrhaus Dubianski hatte man ihn abgewiesen und zum "Kloster" geschickt. Wer ist es? Pater Hans Leppich. SJ auf der Flucht nicht vor den Russen, sondern vor den Polen, aus Oppeln O/S. Als er sich erholt hatte, sprach er von großen Plänen wg. Missionsarbeit an den Russen. Später wurde er sehr bekannt in der BRD durch Massenversammlungen und derber Reden, meistens unter freiem Himmel. Schallplatten und Gruppenbildungen. Mit gemeinsamen Einsatz mit dem guten Herrn H. und einem goldenen Ring gelang die Weitergabe bis Berlin-Steglitz zu seinen Mitbrüdern in der Grunewaldstraße. Nun ist es auch um diesen Weltverbesserer still geworden. Die Hilfestellung von L.a.W. hat er sowieso vergessen.
Episode 29. Juni 1945, Fest Peter und Paul, In der Kapelle kein Gottesdienst, da kein Priester. Mein Weg zur russischen Kommandantur am 28. 6. mit der Bitte um einen Passierschein über die Warthebrücke hat Erfolg und also kann ich mit einer größeren Anzahl von Brückenvorstadt-Katholiken in der Pfarrkirche Zechower Straße ungehindert besuchen.
Episode. Zu den Vertriebenen, die am 2. Juli 1945 am Bahndamm in Richtlmg Beyersdorf auf den Zug warten, Richtung Westen, bzw. Elbe, gehört auch die bereits erwähnte Ärztin Dr. Johanna D. Sie hat einen kleinen Koffer als einziges Gepäckstück auf dem Schoß. Ein polnischer Offizier (?) in voller Montur versucht ihr diesen Koffer zu entreißen; vermutet wohl Schmuck o. ä. Es ist der Koffer mit ärztlichen Instrumenten. Für sie und uns lebenswichtig. Ein Geschrei bricht los, und der brutale Kerl nimmt seine Reitpeitsche aus dem Stiefelschaft und schlägt Frau Dr. D. vom Auge abwärts bis übers Kinn, verschwindet dann. Wir können Frau Dr. D. zum Krankenhaus Bismarckstraße bringen. Später bekam ich Post von ihr aus dem Ruhrgebiet. Ihr Mann hat den Krieg auch überstanden. Ich denke gern an diese Ärztin.
In Landsberg wird es für mich schwieriger. Da die Polen auch kirchlich immer mehr arrogant auftraten, teilweise ganz unpriesterlich und unverschämt, beginnt meine erste Abenteuerfahrt nach Berlin mit Hilfe wie schon erwähnt. Ein russischer Lkw, beladen mit frisch geerntetem Weißkohl, läßt mich aufsteigen mit zwei Reisekörben und einem großen Marienbild, sozusagen mein Schutz und Schirm. Bei Vietz überholen wir einen langen Treck, deutsche Soldaten. Mit dem Fuß stoße ich inmer wieder Kohlköpfe herunter, von den Soldaten blitzschnell aufgegriffen, bis mir der russ. zweite Soldat zu verstehen gibt: Stoi! Die Madonna hat geholfen. In Berlin-Friedrichshagen, also am Stadtrand von Berlin, muß ich absteigen mit Madonna und zwei Reisekörben. Die Sachen stelle ich unter im St. Antoniuskrankenhaus. Dort werden die Körbe durchgewühlt und erleichtert. Vom wem? Und ich mache mich auf den Weg per Pedes Richtung Babelsberg zu meiner Schwester Gertraud (Traudchen) verheiratete Löwe. (Schwiegermutter Löwe hat beim Schützenfest in Landsberg immer Keßners Würstchen reihenweise verkauft.) Meine Schwester Traudchen fällt fast vom Stuhl, als ich vor der Tür stehe. Sie ist noch in ihrer Bleibe. Nichte Ursula hat durch ihr gutes Klavierspiel russische Besatzer gut gestimmt und dadurch viele unangenehme Dinge abgebogen. Ich bleibe nicht lange, mache mich am 7. September 1945 noch einmal auf in Richtung Landsberg an der Warthe, um die Kirchenbücher etc. zu holen. Diese befinden sich jetzt in Königstein im Taunus, Ostsammelstelle. Bahnhof Berlin-Lichtenberg. Betrieb über Betrieb. Ein Zug steht bereit, um die "polnischen Zwangsarbeiter", die nun frei sind, in Richtung Heimat zu bringen. Im Aussehen unterscheide ich mich kaum von ihnen. Ich klettere auf den Tender hinter der Lok. In etwa geschützt vor scharfen Wind. Nicht lange und zwei Polen holen mich herunter in die hinterste Ecke eines Güterwagens. Russische Soldaten warten auf die Zugabfahrt, um schnell aufzuspringen mit der bösen Absicht: plündern. Die Polen sind schneller, verrammeln und verbarrikadieren die Türen, die Russen laufen auf den Wagendächern vor Wut hin und her, bis etwa Strausberg, dann wird es ruhig. Polen geben mir Atzung und stellen Fragen woher und wohin. Vor Küstrin werden sie sehr unruhig, denn dort ist scharfe Kontrolle durch polnische Miliz, auch Fahrkartenkontrolle. Wenn sie eine "Deutsche" entdecken, fatal für den ganzen Personenkreis. Also weiter in die dunkelste Ecke hocken, malade spielen, gezinkte Fahrkarte in der Hand. Aber es geht gut, der Zug rollt nun über die Oder, später sehe ich die Warthe wieder, man versucht, sich zu verständigen. Die Polen freuen sich mit mir über das gute Gelingen. Gleich hinter Wepritz muß der Zug halten, und ich muß aussteigen, denn eine neue Kontrolle im Bereich Landsberg möchten auch die Polen nicht riskieren. Unser Abschiednehmen kostet doch einige Tränen. Ich stehe also zwischen den Gleisen Richtung Friedrichstadt. Es ist noch sehr früh, hell, kühl, inzwischen der 8. September, Fest Mariae Geburt, da ziehen bekanntlich die Schwalben furt. Und es war die Marienwallfahrt nach Rokitten fällig. Früher ein Begriff. Ich mache mich also auf in Richtung Zechower Straße zum katholischen Pfarrhaus. Je näher ich der Stadt komme, um so größer wird das Menschengewimmel, Fahnenschmuck überall. Die Polen nehmen am 8. September 1945 die St. Marienkirche in ihren Besitz, Bischöfe, Priesterscharen, Ministranten, Volksmassen. Im Gedränge kann ich einen Blick in die Kirche werfen. Tannenbäume, Fahnen weiß-rot, ich glaube, die weißgestrichenen Emporen waren schon entfernt. Die Kirche sah sehr verändert aus. Mein Weg durch die Stadt endete auf dem katholischen Friedhof in der Zechower Straße; ganz aber auf dem kleinen Hügel saß ich vor der kleinen Leichenhalle, die Stadt im Panorama. Es war der Geburtstag meines Vaters. (An diesem Tag gab es immer den ersten Pflaumenkuchen, für den Vater Schweinebraten mit Hefeklößen.) Die Grabstelle meiner Eltern sah verwüstet aus. Das schöne Denkmal mit dem Christus am Kreuz war zerschossen. Am 8./9. Mai, dem Tag der Kapitulation, hatten daran russische Soldaten ihren Übermut ausgelassen. Ich war traurig. Hinter der Kirche, gleich hinter dem Altarraum, waren die Gräber der katholischen Priester in erbärm-
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lichen Zustand. Ich meldete das später an das Generalvikariat nach Görlitz. Im Pfarrhaus gab es keinen Empfang für mich, wie auch immer. Trotz der Übermalung konnte ich aber über der Haustür noch lesen: Der Herr schenke treue Wacht dem Hause Tag und Nacht. Nun ist der Abschied fällig. Ich wohne mal da, mal dort, immer bei guten Menschen.
Episode. gute Menschen begegnen einem GsD immer wieder. So die Mitglieder unserer Kuratie St. Josef in der Schützenstraße. Überwiegend Arbeiter in der Jutefabrik-. Eheleute Hellwig, zurückhaltende Menschen. Herr H. sucht mich im Kloster, bringt mir ein frisches Brot, die Familie versorgt mich auch mit einer Holzbadewanne mit warmen Wasser, damit ich ein Bad nehmen kann und endlich auch Abschied nehme von dem Kopftuch, mit dem ich mich zwangsläufig zu einer Babuschka tarnen konnte. Läuse hatte ich nicht. Aus der Turmstraße bekam ich täglich eine Kanne Ziegenmilch, aus der Bulmenstraße Pferdefleisch für die guten Bouletten, hin und wieder ein paar Eier. Die Kirchenbücher sind eingepackt, wenige persönliche Sachen, so auch das Federbett. Und dann hilft wieder Schlepper, bringt mich nach Roßwiese, wo ich eine Nacht im freien Gelände verbringe. Es begrüßt mich ein junger Russe mit dem Ruf: Gildegard, bist du wieder da? Ich hatte diesem mal einen Finger verbunden und einen Knopf angenäht, im Kloster. Er hielt bei mir Wache bis am Vormittag dann der zugesagte Lkw kam und mich wieder bis Friedrichshagen mitnahm, ohne Zwischenfälle. Zunächst machte ich mich auf in das St. Josefskrankenhaus in Berlin-Tempelhof, wo ich den Kaplan Kamrad aus Landsberg wohlversorgt antraf, mit der Familie eines katholischen Bäckermeisters aus der Wasserstraße. Den Namen habe ich vergessen. Evtl. mit M beginnend, er war gleich Klosterbäcker geworden. Ich bekam ein Nachtlager in einem Keller auf einer Bank. Und am 15. September 1945 war ich wieder bei meiner Schwester in Babelsberg. Dort war tatsächlich für mich ein Brief angekommen von einem polnischen jungen Mädchen aus dem Güterwagen Lichtenberg-Wepritz mit der Nachricht von meiner Ankunft in L.
Episode. In der Marienkirche stehen alle Türen offen, ich höre Gejohle, schaue hinein, sehe russische Soldaten mit Kelchen fußballspielen. Die Russen verschwinden, ich nehme die beiden Kelche und bringe sie zu Pfarrer
Wegener in die Schloßstraße. In der Marienkirche begleite ich einmal die Landsberger Sopranistin Eva Koch zu dem Lied Ave Maria zart, und unvergeßlich bleibt mir die Strophe: Darum, oh Mutter mild empfiehl uns deinem Kind, bitt', daß es unser Sünd' verzeihe. Endlich nach diesem Leid, (die ewig Seeligkeit) die ewig Himmelsfreud durch dich, Maria, uns verleihe!
Nun begann der neue Lebensabschnitt, der mich Berlin er Biesenthal/Mark über Halberstadt nach Paderborn führte, inmer der kirchlichen Sozialarbeit verbunden, für wenig Geld, aber doch mit Lebensinhalt. Ich hüte noch ein kleines goldenes Kreuz mit Korpus. Fräulein Anna Scholz aus der Turnstraße Weberin in der Jutefabrik, gab es mir als Dank dafür, daß ich in Zeiten der Bedrängnis in der Gemeinde und bei den Menschen geblieben bin. Viele einfache, schlichte Menschen haben mir beigestanden und mich davor bewahrt, in die Hände von Wüstlingen und ostwärts zu fallen. Pfarrer Obst aus Trebisch, der bei seiner Gemeinde geblieben war, wurde bis an den Baikalsee verschleppt. Ich besuchte ihn viel später in einem Berliner Krankenhaus, gesundheitlich verbraucht, aber nicht zerbrochen. Im Lager haben wir nicht nur geflucht und geheult, sondern auch gelacht und gesungen, einander geholfen.
Anfang 1960 war ich erstmalig wieder in Landsberg. Vielleicht eine Novität. Mit Hilfe der polnischen Mission in Ber1in-Pankow brachte ich fünf wertvolle Bücher wg. der Forschung über die Funde in den Quramhöhlen (Qumram) zu einem polnischen Theologieprofessor nach Bromberg, über Frankfurt/Oder, Reppen, Posen nach Bromberg. Rückreise über Schneidemühl-Kreuz-Friedeberg-Gurkow (Ort meiner Kinderjahre) nach Landsberg, wo mich das Ehepaar Alwin und Philomena Ziska am kleinen Bahnhof erwarteten und gastfrei aufnahmen. Einige Jahre später fuhr ich erneut nach L. über Reppen, Görzig, Küstrin, Vietz. Es war der 1. Pfingstfeiertag. In Küstrin mußte ich lange auf den Anschlußzug warten. Daher folgte ich den vielen Menschen, die ein bestimmtes Ziel hatten. Sie gingen zur kleinen Friedhofskapelle zum Pfingstgottesdienst, die überfüllt war und begrüßten mich beim ersten Lied mit der Melodie: Ich hab' mich ergeben, mit Herz und mit Hand. Diese Rückreise machte ich dann vom Bahnhof Brückenvorstadt über Posen. Als ich in Posen im D-Zug nach Berlin Platz nahm, 1. Klasse und solo im Abteil, kam der Zugführer mit der roten Schärpe, verlangte die Fahrkarte, das mehrmals, schaute mich rundherum an, las wieder daß ich aus Landsberg kam breitete die Arme aus und rief dann: Dann sind sie Fräulein Hildegard Friebe von der Josefskapelle! Ja, ich war es. Und bei ihm handelte es sich um Hans Heinrich vom Buttersteig. Die Familie Heinrich war gut bekannt durch die drei Töchter. Anna starb an Tbc, Gertrud bei der Firma Theodor Arndt 1. Verkäuferin, heiratete den Gärtnermeister Jusko in der Schützenstraße. Alle sind verstorben. Nichten leben in Bernau und Berlin-Teltow.
Nun beende ich diesen Bericht am 10. August 1992, am Fest Hl. Laurentius, der nach der Legende auch hart geprüft wurde. Hier in Paderborn hat mich Herr Gerhard Sroca aufgestöbert, an den ich nun diesen Bericht
schicke, evt1. zum Verbleib in dem Landsberger Archiv in Herford. Ein Bericht voller Idylle ist es nicht, dafür waren die Monate doch sehr hart und voller Angst und auch Schrecken. Meine Heimat ist nach wie vor die Stadt an der Warthe. Und wenn Deutschland heute nach der Landkarte kaum 50 km ostwärts die hochgejubelte neue Grenze für Zeit und Ewigkeit gebastelt worden ist, kann ich in diese Euphorie nicht einstinmen.
Hildegard Friebe
Der handschriftliche Bericht wurde von Gerhard Sroca abgetippt und der Redaktion übersandt. Wenige Tage bevor dieser Text mit Fräulein Friebe durchgesehen werden sollte blieb ihr gutes Herz für immer stehen.
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Aufzeichnungen von Hildegard Friebe (†)
(Fortsetzung und Ergänzungen aus Heft 6)
Liste der Toten aus Landsberg(Warthe), zusammengestellt nach Flüchtlingsberichten, (ohne Gewähr)
Die mit † bezeichneten Personen sind bestimmt verstorben.
† Fleischermeister Märten, ist begraben Bahnhofstr.2 im Garten Hubrich
Drogist Höhne
Drogist Eisner
Drogist Reinfeldt und Frau
Tomaschke, Theo und Frau
Otto, Friseuse und Familie
† Bruhnsen, Direktor, wurde erschossen
Bartoleit, Dr. Frau und Kind, erschoß erst die Familie und dann sich, ist begraben auf dem kath. Friedhof, neuer Teil vom Wege links
Ruwe, Dr.
Nehrdich, Frau geb. Kuntze
Bäckermeister Kernicke und Sohn
Mühlenbesitzer Redemann und Frau
† Gross, Fritz und Frau haben sich selbst erschossen
Klitzing, von, Charlottenhof
† Apotheker Raatz und Frau, Am Wall, haben sich vergiftet, liegen auf dem ev. Friedhof
Rössler, Scherenschleifer, Wollstraße
Jädicke, Superintendant
Werder, von, Pfarrer
Wiedemann, Willi und Frau, Landwirt
Lempful, Gärtner
Panknin, Schuhaus Mercedes
Timme, Eheleute
Mäder. Dr.
† Stadtrat Hofmann und Frau haben sich erschossen, wurden begraben im Garten an ihrer Wohnung, Zimmerstraße.
† Huwe und Frau, Direktor der Dampfschiffsreederei, vergifteten sich
Maurermeister Axhausen und Frau
Kosel, von, Familie
† Fleischermeister Neumann und Schwiegertochter, Luisenstraße
Moritz, Otto, Luisenstraße
Honig, Heinersdorf
Schneidermeister Bohm und Frau
Uhrmachermeister Götz und Frau, Cladowstraße
Schulz, Sparkassendirektor
Wecke, Steffen
† Bahr, Grete, gestorben in Perleburg
† Frau Schleuder, Gemüsehandlung, starb an Thyphus
† Frau Güldenpfcnig, Apotheke, starb an Thyphus
† Schwester Ida aus der Klinik von Dr. Arndt, starb an Thyphus
† Drossel. Elisabeth. Richtstraße, starb im Krankenhaus, liegt im Massengrab auf dem kath. Friedhof gleich unten links an den Priestergraben
† Direktor Lüdtke und Familie aus der Wasserstraße wurden erschossen im Keller gefunden, 5 Personen, liegen im Massengrab l auf dem ev. Friedhof
† Stohrer, Glasermeister aus der Luisenstraße starb an Herzschlag, liegt im Massengrab auf dem ev. Friedhof
† Frau Wende (Lehrerin) wurde in ihrem Erbbegräbnis auf dem kath. Friedhof begraben
† Frau Olesch (Küster)
† Herr Märksch wurde erschossen
† Harnau. Anton wurde erschlagen, liegt im Massengrab auf dem kath. Friedhof oben rechts- Markierung an der Mauer.
† Hellak, Hieronimus starb an Entkräftung bzw. Schwäche, liegt auf dem kath. Friedhof, begraben von einem polnischen Geistlichen.
† Frau Springer, Kuhburgstraße, starb an Magenleiden, liegt auf dem kath. Friedhof, begraben von einem polnischen Geistlichen.
† Frau Griffel, geb. Schwoche (Nikolei) starb an Nervenleiden, liegt auf dem kath. Friedhof, neuer Teil oben links an den Russengräbern.
† Genge, Vater von Frau Ljankowiak, starb an Altersschwäche, liegt ebenda.
† Andrikowski. Franz, starb an Herzschlag, lag schon nackt auf dem städt. Leichenwagen, wurde von mir nach längerem Suchen noch gefunden und dann auf dem kath. Friedhof in seinem Erbbegräbnis beigesetzt. Beim schaufeln der Gruft halfen Leo Stefanski und die Schwiegertochter Leni, geb. Stefanski. Pfr. Dubianski segnete das Grab ein.
† Englick, Ida starb im Altersheim Mittelstraße an Altersschwäche. Wurde von der Heimleitung übereilt im Garten am Hause ohne und Segen eingegraben. War vorher versehen worden.
† Brczinski, Agnes starb an Altersschwäche, wurde auf kath. Friedhof begraben, neuer Teil, oben links, in der Nähe der Russengräber. Die letzten Gebete, Salve Regina, mußte ich noch selbst sprechen, da der polnische Kapuziner vor dem Regen davonlief und nicht mehr wiederkam. (P.Knapp, sonst menschlich)
† Maas, Elisabet, starb an Altersschwäche. Wassersucht, liegt auf dem kath. Friedhof, oben links, bei den Russengräbern.
† Reschke, Paul starb an Herzschlag im Garten, wurde auf dem kath. Friedhof begraben, neuer Teil unten links. Pfr. Dubianski.
† Matz, Bernhard verstarb am 8. oder 9. Mai 1945 im Lager Schwiebus an Lungenentzündung und Gelbsucht lt. Nachricht von Frl. Lucie Friedrich, Schönhofstraße, die aus demselben Lager entlassen wurde.
† Anna Scholz. Mutter der Frau Schönbaum, Turnstraße, starb an Entkräftung; Befand sich in der Irrenanstalt, blieb dort hilflos zurück, da die Anstalt vom Personal verlassen worden war, wurde auf einem Handwagen von der Anstalt zur Turnstraße gebracht und starb wenige Tage darauf in der Wohnung der Tochter. Wurde auf unserem Friedhof begraben.
† Die Eltern von Frau Mali, Turnstraße, Niedecki starben kurz hintereinander an den erlittenen Entbehrungen, der Vater in der Turnstraße, die Mutter im Lager Kuhburginsel (Tschechen); liegen auf dem kath. Friedhof neuer Teil in der Mitte.
† Frau Terban (?) aus Merzdorf. Mann arbeitete auf dem Gut als Elektriker. Bekannter von Gnat, starb an den Folgen der Fluchtstrapazen von Merzdorf bis Landsberg, Turnstraße. Liegt auf dem kath. Friedhof, neuer Teil, unten links.
† Andersch. Frau (Lehrerin) starb in Berlin-Wannsee und liegt auf dem Friedhof in Wannsee, Nachricht des Geistlichen von Wannsee an Kaplan Kamrad, Babelsberg.
† Reiss, Johann(?), Friesenstraße, Vater des Hausbesitzers Reiss, Saarstraße, starb an Krebs. Wurde versehen (letzte Ölung) und auf dem kath. Friedhof beigesetzt.
† Perschmann, Eheleute fand ich als Leichen in ihrem Erbbegräbnis auf dem ev. Friedhof Friedebergerstraße, anscheinend haben sie sich selbst erschossen. In gleicher Lage sah ich eine jüngere Frau in ihrem Sarg in der ev. Leichenhalle liegen, außerdem drei Särge mit männlichen Leichen, die Deckel waren von den Särgen gehoben bzw. geworfen, die Leichen umgedreht, anscheinend durchsucht.
In einem Erbbegräbnis an der Friedbergerstraße fand ich die Leiche einer älteren Frau. Frau Zeiler und ich trugen die Tote auf einer Bahre zum Massengrab, die protest. Männer weigerten sich, mit anzufassen, da ihre Pferde (?) schon genug gefahren hätten. Kpl. Kamrad half beim tragen. Er nahm auch sogleich die Einsegnung vor.
Ein Mann aus Oberhausen, evakuiert nach Meseritz, geflüchtet nach Landsberg, Roßwiesenstraße, wurde erschossen. Er liegt auf dem kath. Friedhof, neuer Teil, ganz unten, zusammen mit einem kath. Schuhmacher vom Schömbachsweg, der erstochen worden ist (Doppelgrab).
Der Mann der Frau Hinz, Mauerstraße, zuletzt wohnhaft Bismarkstraße im Hause Obst, wurde im Keller erschossen. Liegt auf dem kath. Friedhof, neuer Teil, unten links.
Eine vollkommen unkenntliche männliche Leiche fanden wir durch Zufall auf der Friedebergerstraße, über die wir wochenlang hinweggegangen waren. Kpl. Kamrad versuchte trotzdem noch etwaige Erkennungszeichen. Brieftasche usw. zu finden. Mit Hilfe von jungen Holländern wurden die Reste in einem Behelfssarg geborgen und auf dem ev. Friedhof beigesetzt. Dort
schaufelten wir auch auf dem Soldatenteil zwei Massengräber für etwa 35 Särge, Soldaten, die mehrere Wochen hindurch in der Leichenhalle gestanden haben. Infektionskranke (Flecktyphus). Die Deckel waren immer wieder von den Särgen entfernt worden. Kpl. Kamrad hat mit Hilfe der Holländer die Beisetzung dieser Leichen, das Auf- und Abladen, energisch geführt. Wir halfen beim Grabschaufeln und beerdigen. Einzelne Särge trugen Aufschriften wie „unbekannter Mann aus Zantoch“, „Mann aus Schneidemühl“ usw.
† Frau Wolfraum aus der Posenerstraße starb an Entkräftung. Sie wurde auf unserem Friedhof begraben. Pfr. Dubianski.
In die großen Massengräber auf dem ev. Friedhol kamen überwiegend die Selbstmörder. Die Leichen wurden so, wie sie waren, ohne Särge, oft noch ganz ohne Decke oder mangelhaft bekleidet, in die Erde gelegt und soweit zugeschaufelt, daß am nächsten Tag dort wieder fortgesetzt werden konnte. Soweit möglich, wurden die Namen von Kpl. Kamrad und von Pastor Wegner notiert.
Die aus der Gemeinde St. Josef Verstorbenen waren alle versehen, zum Teil von mir selbst, da Kpl. Kamrad der zerstörten Brücke wegen nicht so bald in unseren Stadtteil kommen konnte. Selbstmörder hatten wir bei den Katholiken nicht.
Ich war dabei, als man viele Tote begrub, die mir wohl dem Namen, aber sonst persönlich nicht bekannt waren, sowie bei vielen Unbekannten und Kindern. Särge gab es kaum, viele mußten selbst einen Notsarg für ihre Angehörigen bauen. Die Leichen wurden auf Hundwagen zum Friedhof gebracht und manchen Toten habe ich selbst durch die Stadt gezogen. In den ersten Wochen begrub man die Toten einfach an Ort und Stelle, in dem Garten, in der Angerstraße sah ich mehrere Tage die Leiche einer erschossenen Frau liegen, die niemand fortbringen wollte, desgleichen im Lützowpark, auch die Leichen von deutschen Soldaten aus dem Lazarett Eldorado. In der Turnstraße am Ausgang der Mittelstraße lag ein erschossener Mann, der direkt am Zaun begraben, später wieder ausgegraben worden ist.
Die Verstorbenen der Gemeinde St. Josef habe ich sämtlich in das Totenbuch eingetragen, das im Büro Schützenstraße 7 zurückgeblieben ist.
Am Wall, Am Ausgang des Buttersteiges. kurz vor dem Eisenzaun, ist eine männliche Leiche begraben. Es ist aller Wahrscheinlichkeit nach der Arbeiter Banach vom Wall, der schwerhörig war und daher den Anruf, stehen zu bleiben, nicht gehört [hat].
Bei der Sprengung der Brücken am 30. Januar 1945 abends gegen 1/2 7 Uhr durch die deutsche Wehrmacht kamen auch verschiedene Personen ums Leben, die unterwegs waren. Warnsignale sind nicht gegeben worden. Eine Frauenleiche lag noch im Juli im Wasser an der alten Eisenbahnbrücke.
Eine Leiche sah ich in der Cladow liegen, gegenüber vom Hause Obst, Bismarkstraße. Ich machte Meldung bei Pastor Wegner, die Leiche wurde geborgen.
An der Marienkirche, Kopfseite, lag ein erschossener Mann mit einem Schild: „Erschossen, weil er sein Radio nicht ablieferte“.
Herr Paul Kiczinski starb im Krankenhaus in der Bismarkstraße. Er war vorher versehen worden. Eine Beerdigung konnte ich nicht durchführen, da die Leiche früh aufgeladen und zum ev. Friedhof gefahren, dort in Sammelgräbern notdürftig bestattet wurden.
Das Personal von der Irrenanstalt Friedebergerstraße flüchtete, manch ein ganz hilflos herumirrender Insasse bekam von einem „barmherzigen“ Russen ein Stück Brot. Im Behelfslazarett „Eldorado“ hatte ein Feldwebel das Kommando. Sein Name war P. Bruder, war ein bekannter Name beim Berliner Ordinariat. Das Ganze Kommando flüchtete. Im Lyzeum fand man überwiegend doppeltamputierte Offiziere, die fast alle starben. Bei der Beerdigung war u.a. mein Schwager Bruno Welkisch dabei.
Bei meinem einsamen Beerdigungsdienst auf dem Friedhof Friedebergerstraße erschreckte mich maßlos ein baumlanger Russe, der sich aber schnell als deutscher Offizier vorstellte, von der Gruppe General Paulus, Freies Deutschland. Er wollte „meine Meinung“ hören.
Anmerkung der Redaktion: Dies Ausführungen werden ohne jegliche Änderungen aus dem Manuskript von Frau Friebe übernommen. Auf Wunsch der Verstorbenen werden beide Dokumente dem Bestand des Heimatmuseums zugeführt.