1945
Aus „Gazeta Lubusko“
Der letzte deutsche Zug aus Landsberg / Warthe
von Z. Miller
Der letzte Weltkrieg hatte das Antlitz der "Deutschen Reichsbahn total verändert, die Bahn war Teil der Hitler-Maschinerie geworden. Wegen seiner Lage war Landsberg/Warthe eine wichtige Transit-Station für den Transport von Militärzügen geworden, die Tag und Nacht den Bahnhof in Richtung Polen und später auch in Richtung Ostfront passierten. Im August 1939 wurden Soldaten der Landsberger Garnison in die bereitgestellten Waggons verladen. Verängstigte Frauen. Mütter und Kinder waren zur Verabschiedung erschienen. Die Soldaten und auch die männlichen Zivilisten, die sich auf dem Bahnhofsgelände aufhielten, wurden laufend von der Feldgendarmerie kontrolliert. Nach Beginn der Frontoperation mehrten sich auch die in Gegenrichtung fahrenden Züge. Es waren speziell Verwundetentransporte und auch sogenannte Fronturlauberzüge. Mit Beginn des Krieges gegen die damalige Sowjetunion wuchs die Zahl der den Bahnhof passierenden Züge enorm. Auch Sonderzüge mit hohen Militärs und faschistischen Würdenträgem, einschließlich des Zuges von Hitler, kamen durch Landsberg. In den letzten Kriegsjahren waren die den Hauptbahnhof durchfahrenden Züge meist überlastet.
Aus dem Osten kamen die bereits angeführten Züge mit Verwundeten und Urlaubern. Mehr und mehr kamen dann auch Züge mit Evakuierten aus den Ostgebieten. In Gegenrichtung kamen aus Berlin und den anderen bombardierten Städten Frauen und Kinder, die Unterkunft und Schutz vor den Bomben suchten. In Berlin-Charlottenburg zum Beispiel stürmten die Menschen die ostwärts fahrenden Züge und kämpften um jeden Platz.
Auch viele Landsberger unternahmen trotz, der ständigen Bombenalarme Reisen in den Westen, um z.B. ihre Kinder in Berlin zu besuchen. Schüler der Jahrgänge 1928[6] - 1928 waren dort, als Flakhelfer eingesetzt. 1944 wurden Reisegenehmigungen eingeführt, um die Zahl der Zivilreisenden einzuschränken. Jeder Bürger, der mehr als 100 km reisen wollte, mußte eine Genehmigung des Landrates Dr Hahn (1941 - 1945) vorweisen Der Landrat war damals auch in Personalunion Chef der deutschen Polizei. Die Reisegenehmigungen wurden im Prinzip nur bei wichtigen Familien- bzw. Militärangelegenheiten erteilt. Trotz des deutschen Gehorsams wußten die Leute auch, wie man die genannte Vorschrift umgehen konnte So kaufte man sich eine Fahrkarte nach Küstrin (44 km) und von dort eine weitere nach Berlin.
Der Fahrplan für das Jahr 1944 hatte auf der Hauptstrecke nur 27 abgehende Züge, davon elf Transportzüge, und vier Eilzüge. Trotz aller Schwierigkeiten, wie Fliegeralarm Bevorzugung der Militärtransporte usw. schafften es die deutschen Eisenbahner, die Fahrpläne im Prinzip einzuhalten. Der letzte planmäßige Zug Richtung Westen fuhr am Abend des 29. Januar 1945.
Die Schriftstellerin Christa Wolf schrieb in ihrem Buch "Kindheitsmuster", daß dieser Zug in der Nähe von Vietz in Brand geschossen wurde. Seit dem Frühjahr 1944 zogen Trecks und Züge mit evakuierten Bewohnern der Ostgebiete des Deutschen Reiches durch die Stadt. Das Rote Kreuz versorgte mit Hilfe [von] Frauen und Schülern diese Flüchtlinge mit Essen und Trinken.
Als in der Nacht vom 28. zum 29. Januar 1945 kein Flüchtlingszug mehr kam, begann man zu ahnen, daß jetzt, auch für Landsberg die Zeit der Evakuierung kam. Am 30. Januar 1945 waren noch viele Eisenbahner in Landsberg, die mit dem letzten Zug die Stadt verlassen wollten. Um 20 Uhr fuhren je ein Rettungszug und ein Evakuierungszug in Richtung Küstrin, die die letzten Eisenbahner und Pioniere mitnahmen , die die Sprengung der Warthebrücken durchführen sollten. In Loppow ist dieser Zug, der mit den Pionieren, mit dem dort vor der Einfahrt stehenden Evakuierungszug zusammengestoßen. Der letzte Waggon des Evakuierungszuges, in dem fast ausschließlich Eisenbahner waren, wurde zerdrückt und fiel aus den Schienen. Er fing sofort an zu brennen. 21 Eisenbahner wurden dabei getötet und vier schwer verletzt.
Im Februar 1945 wurde der Landsberger Bahnhof von deutschen Flugzeugen bombardiert und schwer beschädigt.
Aus dem Polnischen ins Deutsche übersetzt von Hansjürgen Ehrke, Neuruppin.
Aus eigenen Erleben schreibt der Übersetzer:
Vom August 1944 bis wenige Tage vor Weihnachten des gleichen Jahres gehörte ich zu den Schülern die dem Roten Kreuz des Bahnhofdienstes bei seiner Versorgungsarbeit halfen. Vom Konrektor der Hauptschule waren wir für diese Tätigkeit eingeteilt worden. Außerdem war ich noch als Lotse tätig, ich begleitete Flüchtlinge, die in Landsberg die Züge, aus welchen Gründen auch immer, verlassen mußten, zu ihren Notunterkünften, die zumeist in Schulen oder Sälen von Gaststätten eingerichtet waren. Ich habe dabei soviel Elend erlebt und gesehen, daß es für mehrere Menschenalter ausreichen würde!
Ab 20. Dezember bin ich dann auf massiven Wunsch meiner Mutter nicht mehr zum Bahnhof gegangen, da HJ und Jungvolk auch unter Kindern Verteidiger für die Stadt rekrutierten. Nochmal zum 30. Januar 1945. Obwohl laufend über den Drahtfunk die Meldung kam, daß die Rote Armee in Friedeberg in schwere Kämpfe verwickelt sei und keinen Boden in Richtung Westen gewinne, wurden wir von einem Nachbarn, einem ehemaligen Kollegen meines Vaters, informiert, daß um 13 Uhr ein Evakuierungszug für Beamte usw. in Richtung Westen fahre, da man an diesem Tage einen massiven Angriff auf Landsberg befürchtete. Da mein verstorbener Vater Wehrmachtsangestellter war. hatte man auch uns benachrichtigt. Schon Weihnachten 1944 hatte meine Mutter einem Verwandten, der in Kladow wohnte, alle Sachen, die wir auf einer eventuellen Flucht mitnehmen wollten, mitgegeben. Auf dem Weg nach Kladow wurden wir von berittener Hilfspolizei informiert, daß sich dieser Ort schon im Besitz der Russen befände. Wir kehrten aus diesem Grunde noch einmal in unser Haus zurück, wo Mutter und eine Tante noch einmal Fluchtgepäck zusammenpackten. Mit einem Schlitten zogen wir nun zum Bahnhof. Die
Bahnhofstraße war aber so voll, daß wir annehmen mußten, keinen Platz mehr im Zuge zu bekommen. Kurz entschlossen zogen wir nun in Richtung Landsberger Holländer, wo andere Verwandte von uns wohnten. Wir wußten, daß diese keinesfalls ihren Bauernhof verlassen wollten.
Zwischen Landsberg und Wepritz war eine Panzersperre errichtet. Der Kommandant dieser Sperre war mein letzter Englischlehrer, den man aus seinem Ruhestand geholt hatte, um eingezogenen Lehrer zu vertreten. Dieser alte Mann stand da in der Uniform eines Offiziers aus dem l. Weltkrieg und befehligte ein paar alte Männer, die nur eine Armbinde "Volkssturm" und ein Wehrmachtskäppi trugen. In Wepritz bogen wir in Richtung Warthewall links ab. Die Bahnschranken waren geschlossen und dann fuhr ein mäßig besetzter Zug in Richtung Küstrin an uns vorbei. Wir nahmen an, daß das der bewußte Zug war. der noch Repräsentanten des Staates und der Partei mit ihren Familien an Bord hatte. Ich weiß nicht, ob es der Wahrheit entspricht, aber dieser Zug soll in der Nähe von Küstrin bombardiert worden sein.
Hansjürgen Ehrke, H.-Rau-Str. 12 O-1950 Neuruppin