zur Ãœbersicht - RR «««

Aus dem
Heimatblatt
der ehemaligen Kirchengemeinden Landsberg Stadt und Land
Heft Nr. 51 (Dez. 2015)

Erinnerungen an Wanderjahre und Beruf.
Ein weiterer Abschnitt meiner „Erinnerungen an die Heimat“ aus Heft 51, Dezember 2015

Die Ausreise

Anfang September (1950) kam von der Stadtverwaltung die offizielle Order, dass alle Deutschen ausreisen müssen, es sei denn, sie optieren, nehmen also die polnische Staatangehörigkeit an. Meinen Eltern wurde gesagt, dass sie ihr Eigentum, Haus und Gärtnerei behalten und weiter bewirtschaften können. Dennoch kam für meine Eltern, sie waren 58 und 47 Jahre alt und hatten in den Jahren kaum ein Wort polnisch gelernt, diese Möglichkeit nicht in Betracht. So musste gepackt werden. Wir konnten alles mitnehmen, was transport- und tragfähig war. Wir hatten insgesamt 16 Gepäckstücke, Säcke, Kisten, Körbe und Wannen, alle mit Namen und laufender Nummer versehen, dazu unser Handgepäck. Das Gepäck aller wurde tags vorher in Güterwagen verladen. Im Morgengrauen des 10. September 1950 nahmen wir Abschied von der Heimat. Einige waren gekommen um uns zu verabschieden. Polnische Nachbarn, Pan Wachowicz, mein ehemaliger Chef, Pan Prominski, unser bisheriger Verwaltungschef Gartenbau, sagte zu mir: „Pamientaj o ojca! (Denk an Deinen Vater!)“ Dann fuhr der Personenzug vom Bahnhof Brückenvorstadt ab, über Posen und Breslau nach Deutschland, in eine unbekannte Zukunft.

Auf Reisen und in Lagern

Die erste Station unserer Reise über Posen war Wroclaw- Pse Pole (Breslau-Hundsfeld). In Nähe des Bahnhofs war ein großes Lager, in dem ausgewiesene Deutsche, meist Schlesier, gesammelt und für die Ausreise vorbereitet wurden. Wir wurden für 2 oder 3 Tage untergebracht, das Gepäck umgeladen und Dokumente ausgestellt. Alles war gut organisiert. Dann konnten wir einen anderen, langen Zug, bestehend aus Güterwagen für das Gepäck und vielen, mit Roten Kreuzen gekennzeichneten Schlafwagen besteigen und ab ging die Reise für viele Hunderte Menschen. Am späten Abend, im Dunkeln, überquerten wir die Neißebrücke, also die Grenze, bei Forst. Zwei Tage und zwei Nächte waren wir unterwegs, quer durch Deutschland. Es war eine wunderschöne Reise im gemächlichen Tempo damaliger Züge. Wir Jüngeren standen oft auf den offenen Perrons am Anfang und Ende jedes Waggons um in die an uns vorbei ziehende Landschaft, auf Städte und Dörfer zu schauen. In Sachsen und Thüringen gibt es viele Viadukte, Brücken und Eisenbahntunnel. Immer, wenn wir durch einen Tunnel fuhren, konnte wir vorn die Lok Funken sprühen sehen und war der Tunnel vorbei, waren wir draußen Stehenden von Braunkohleruß verschmutzt. Wir fuhren über Leipzig, Altenburg, Crimmitschau und Plauen bis nach Ölsnitz in die südwestlichste Ecke der DDR, ins Dreiländereck DDR-Tschechoslowakei- Bundesrepublik Deutschland. Crimmitschau war mir von zu Hause schon ein Begriff: Vater hatte ein dickes, großes Buch mit Farbbildern über Bromelien, Orchideen und vielen anderen Grünpflanzen von Walter Richter, Gärtnereibesitzer und Züchter eben in Crimmitschau. Zu Hause schon schrieb ich die botanischen Pflanzennamen aus dem Buch ab, bis ich las, dass es 35.000 Orchideen- Arten geben soll. In Ölsnitz, unserer 2. Station, wurde der ganze Transport mitsamt unserem Gepäck auf der Burg hoch über der Stadt untergebracht. Hier durchliefen wir das in Lagern übliche Programm: Entlausung, Körperpflege, ärztliche Kontrolle sowie Papiere, Papiere. Nach einigen Tagen wurden die Ersten entlassen und in Familiengruppen auf die Bahn in die neue Heimat gesetzt: Alle, die vorher schon Zuzugsgenehmigungen hatten, in die DDR oder in die Bundesrepublik, konnten fahren. Alle anderen bemühten sich um Zuzugsgenehmigungen zu Familienmitgliedern in der DDR oder der Bundesrepublik. Diese Gruppen reisten wieder einige Tage später ab und so wurden auch die Landsberger in alle Winde zerstreut. Wir, wie wenige Andere, hatten keine Familienangehörigen, weder hier noch dort und sollten deshalb irgendwo in die DDR eingewiesen werden. Mein Vater sagte leise: „Dann hätten wir gleich zu Hause bleiben können“. Er hatte wohl schon eine Ahnung davon, was in der DDR kommen würde. Jetzt waren wir schon 12 Tage dort und die Einweisung stand bevor. Schließlich kam ein Telegramm vom Ministerium für Flüchtlinge und Vertriebene aus Hannover und wir durften in die Bundesrepublik ausreisen.- Gott sei Dank.

Wie das? Mein Onkel Otto, Eisenbahner aus Küstrin, war in den Wirren 1945/46 mit seiner Familie im Kreis Rotenburg in der Nordheide gelandet. Hinkelmanns waren die einzigen Verwandten, die wir im Westen hatten. Vater hatte sich in unserer Not wohl noch aus Landsberg und dann aus Ölsnitz, wie auch immer es damals möglich war, an ihn um Hilfe gewendet. Onkel Otto hatte sich dem BHE (Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten = politische Partei) angeschlossen und war damals sogar Vorsitzender in dem kleinen Dorf Clüversborstel. Und er hatte so Mittel und Wege gefunden, dass wir ausreisen durften.

Und so wurden wir nach weiteren Tagen in einer kleineren Gruppe wieder auf die Bahn mit einer Fahrkarte nach Heiligenstadt in Marsch gesetzt. Wieder eine schöne Fahrt und von Weitem grüßte das Kyffhäuser-Denkmal bei Bad Frankenhausen in Nord- Thüringen.

Nach einem Tag im Lager Heiligenstadt wurden wir mit Bussen aus Friedland abgeholt. Und dann waren wir im Westen, in den damaligen Nissenhütten von Friedland, die so gar nicht „westlich“ aussahen, unsere 4. Station. Das Lager-Procedere begann wieder, wer wollte, bekam neue Kleider (amerikanischer Herkunft, also in grellen Farben und uns ungewohnten Formen) aber alles war freundlich. Für uns war klar, dass wir nach Niedersachsen, also in die englische Zone wollten. Niedersachsen und Schleswig- Holstein aber, machte man uns klar, waren ohne Zuzugsgenehmigung wegen Überfüllung gesperrt. Man bot uns die französische Zone als neue Heimat. Vater sagte sofort „nein“. Er war 1914/18 als Soldat in Frankreich gewesen und hatte wohl keine guten Erfahrungen gesammelt. Nun war guter Rat teuer. Da fiel uns Schneidermeister Deriko aus Landsberg, Schlossstraße ein, zu dem wir während der Russenzeit, auch er musste dort für die Russen arbeiten, freundschaftliche Beziehungen gepflegt hatten.

Familie Deriko war nach der Ausweisung bei einem Sohn in Bielefeld gelandet und schon wieder selbstständig tätig. Unserer Bitte nach Westfalen wurde ohne Weiteres problemlos entsprochen. So ging denn nach 5 Tagen unsere Reise weiter nach Warburg.

Im 5., unserem letzten Lager im kleinen Dorf Dössel, einige km von Warburg entfernt, wohnten wir in Baracken, nicht sehr komfortabel. Die letzten Wochen des Herbstes gingen hin, an einigen Tagen suchten große Bauern aus benachbarten Dörfern Helfer zum Kartoffellesen. Morgens, noch in Dunkelheit, Nebel und Kälte, wurden wir auf Anhängern im Lager abgeholt. Die Arbeit war mir unangenehm; erst wenn am späten Vormittag die Sonne raus kam wurde es besser. Der Winter kam und in der Ackerbürgerstadt Warburg war auch nicht viel los. Dann, Mitte Dezember 1950, bekamen wir den Marschbefehl nach Löhne in Westfalen. Am 21. Dezember ging die Reise mit der Bahn los; die Baggage sollte nachkommen. Löhne war ein großer Eisenbahnknotenpunkt im Landkreis Herford; wir sollten uns auf dem Amt melden. Nachmittags auf dem Amt angekommen, bekamen wir Ausweispapiere und einen Polizei-Beamten an die Hand, der uns einweisen sollte. „Wir gehen einen schweren Weg“, sagte er, was er meinte, war uns nicht so ganz klar. Wir stiegen in einen Bus und fuhren etwa 3 km bis Gohfeld-Depenbrok, Kriegerdenkmal. Dort besorgte er aus der Nachbarschaft einen Handwagen, auf dem wir unser Handgepäck, Koffer, Taschen etc. verstauen konnten. Dann ging es die Weihestraße hoch, durch das Dorf mit 2 Eisenbahnunterführungen, an der Kirche vorbei und immer weiter und höher. Endlich zeigte er links auf ein schmuckes Zweifamilienhaus hoch am Hang und sagte: „Dort müssen wir hin“. Er klingelte, eine Dame öffnete die Haustür einen Spalt, sah hinaus, sagte: „Pollacken lassen wir hier nicht rein, nur über meine Leiche“! Und wollte die Tür wieder schließen. Aber der Polizist hatte den Fuß dazwischen und begann zu verhandeln. Mittlerweile hatten Frau Höner, die Hauswirtin und ihr Mann mitbekommen, dass wir ganz normal Deutsch sprachen. Sie öffnete die Tür, ließ uns in das Treppenhaus und in ihre Wohnungsdiele, prachtvoll ausgestattet mit einer Sammlung von Trophäen aus dem Leben ihres ersten Mannes in Afrika. Schließlich bekamen wir hier, in der privaten Wohnung, ein kleines Zimmer mit Toilettenbenutzung. Vater monierte, dass wir zwei Zimmer haben sollten; der Polizist sagte hinter vorgehaltener Hand: „Erst mal ganz drin sein“. Schließlich bekamen wir am nächsten Tag auch ein zweites Zimmer, über den Flur und eine Treppe höher, in der ebenfalls abgeschlossenen Wohnung ihres Sohnes Heinz mit Familie, als Schlafzimmer. Das untere Zimmer wurde unsere Wohnküche. So waren eben die damaligen Verhältnisse; für Mieter und Vermieter schwer erträglich und nur bei beiderseitigem gutem Willen auf Zeit hinnehmbar.

Einen Tag später konnten wir uns beim Möbelhändler neue Küchen- und Schlafzimmermöbel aussuchen und bringen lassen (wurde Jahre später beim Lastenausgleich abgezogen). Wieder einen Tag später kam unsere Baggage an und wir konnten unseren Haushalt einrichten. Am Heiligen Abend hatten wir einen kleinen Weihnachtsbaum auf dem Tisch – gestiftet von unserer Hauswirtin. Und einige Wochen später schenkte mir Frau Höner ein altes Fahrrad. Wir waren in der neuen Heimat angekommen.

Ankommen

Jetzt waren wir in Gohfeld- Jöllenbeck, Weihestraße, zu Hause. Vater suchte sofort Kontakte zu den örtlichen Gärtnern. Noch vor Silvester fuhren er und ich zum Kreisgärtnermeister (und Vorsitzenden des Landesverbandes Gartenbau Westfalen-Lippe) Friedrich Strüve nach Herford. Es ging um eine Lehrstelle für mich und um eine Gärtnerstelle für Vater. Keine Frage, dass ich Gärtner werden sollte; ich war Gärtnersohn und wir hatten einen Gartenbaubetrieb zu Hause. Herr Strüve empfing uns freundlich, und er hatte für mich sofort eine gute Empfehlung: den Gartenbaubetrieb Schneider in Gohfeld. Für Vater war es schwieriger zumal er, noch Jahre lang, eine Gärtnerei pachten wollte.

Am 1. März 1951 begann meine Lehre bei Friedrich Schneider. Vater hatte es durchgesetzt, auch über die Landwirtschaftskammer Münster, dass ich nur 2 Jahre lernen sollte: ich war Gärtnersohn und hatte 1 ½ Jahre in der Gärtnerei Wachowicz gearbeitet. Ich hatte viel Glück, fand einen guten Lehrmeister und einen guten Berufschullehrer in Herford, den Dipl.-Gärtner Schmidt- Schachtsiek (Schmidtchen, wie er von den Schülern genannt wurde). Nach einigen Anfangsschwierigkeiten, immerhin hatte ich über 6 Jahre keine Schule gesehen, kam ich nun in eine Gärtnerberufsschulklasse, die schon ein Jahr absolviert hatte. Doch dann kam ich in allen Fächern gut mit. Abends zu Hause gab es wenig Ablenkung und ich wollte und konnte viel lernen. Ein kleines Radio, ein „Wobbe“ konnten wir uns erst später leisten.

1951 war die 1. Bundesgartenschau in Hannover. Wir konnten es uns nicht leisten, dorthin zu fahren. Aber Vater arbeitete in der Gärtnerei Wehrmann/Stamm und Herr Stamm lud Vater und mich ein, im Lieferwagen zur BUGA 1951 nach Hannover zu fahren. Ich erinnere mich genau: Die Innenstadt lag noch großenteils in Schutt und Asche. Doch die Gartenschau an der Kuppelhalle, sie war von Bundespräsident Heuß eröffnet worden, war in den vielfältigen Facetten unseres Berufes ein wunderschönes Erlebnis. In der neu erbauten Niedersachsenhalle fanden die verschiedenen Sonderschauen statt, damals wie heute Leistungsschauen der unterschiedlichen Sparten des Gartenbaues. Auf jener Sonderschau 1951 waren besonders Neuzüchtungen von Edelpelargonien ausgestellt; Edelpelargonien waren schon das Steckenpferd meines Vaters in Landsberg gewesen. Wieder zu Hause angekommen griff Vater vorsichtig in die Jackentasche und zog einige gemopste Stecklinge hervor. Er hatte sich seiner Berufung nicht enthalten können.

Ich hatte schon in Landsberg in botanischen Werken des Vaters gelesen und viele Pflanzennamen gelernt. Einmal wöchentlich vormittags hatte ich in Herford Unterricht, am Nachmittag wurde gearbeitet. Schmidt-Schachtsiek unterstützte mich sehr. Klassenkameraden waren u. A. Jürgen Dannhaus, Wilfried Vogt. Am Schluss der Berufsschulzeit war ich Zweit- oder Drittbester in der Klasse.

Der Lehrbetrieb in Gohfeld, einem großen Dorf in Ostwestfalen, lag in der Rüscher Straße zwischen der Nord- und Südbahn. Zur Familie gehörten neben dem Gartenbaumeister Friedrich Schneider, seine Frau Johanne, der Sohn Ulrich und die kleine Tochter Gisela. Im Lehrbetrieb schied gerade der älteste Lehrling Kurt Schürmeyer aus und ging als Gehilfe nach Löhne. Der jetzt 1. Lehrling war Gerd Wiesinger, sein Vater Friedhofsgärtner in Gohfeld. Jeden 3. Sonntag hatte ich Dienst und samstags wurde bis abends gearbeitet. Das Lehrlingsentgelt war mit 30,- DM im ersten, 40,- DM im zweiten und 50,- DM im dritten Lehrjahr offiziell festgelegt. Die kleine Gärtnerei hatte 5 Gewächshäuser und Frühbeete mit vielleicht 100 Fenster und einen Laden mitten im Dorf zum Verkauf. Kultiviert wurden die üblichen Blumen und Gemüsepflanzen, Sommerblumen im Freiland, Tomaten, Gurken u. A. Wichtig war auch die Blumenbinderei zu Beerdigungen und zum Totenfest; da mussten, wenn nötig, alle ran. Auch Mutter arbeitete ab dieser Zeit teilweise in der Gärtnerei und im Laden bei Minna. Natürlich sollte auch ich alles lernen. Zum 1. Totenfest musste auch ich an den Tisch und Kranzreifen mit Grün binden. Der erste Reifen wurde eine schlimme Wurst, der 2. nicht besser. Beim 3. bekam ich was hinter die Ohren und war fortan für alle Zeit davon befreit. Mein Tagebuch habe ich sorgfältig geführt und viele zusätzliche Zettel eingefügt. Im 3. Jahr aber gefiel mir das 1. Tagebuch nicht mehr und ich habe es komplett neu geschrieben. Mein Lehrmeister sagte: „Schreib nicht so viel, ich muss das ja alles lesen“. Nach der Gehilfenprüfung stand eine „Eins“ im Gehilfenzeugnis; es hat sich also gelohnt.

Nach der Gehilfenprüfung blieb ich bis zum Jahresende 1953 als Gehilfe im Lehrbetrieb, bekam nach Tarif 99 Pfennig je Stunde und weil Friedrich Schneider großzügig war (oder nicht so viel rechnen wollte) bekam ich 1 DM/ Stunde. Schon vorher war ein weiterer Gehilfe eingestellt worden: Gustav Koch, er wurde später, 1959 Friedhofsgärtner in Gohfeld, eine Stelle, die auch mir damals angeboten wurde. In 1953 kaufte ich mir ein neues Fahrrad mit 3-Gangschaltung und machte den Führerschein, Klasse 3 und 1. Meine 1. große Fahrradtour ging nach Hamburg zur Internationalen Gartenbau-Ausstellung IGA 1953. In Hamburg bei sommerlichen Temperaturen angekommen, habe ich das mir am besten mundende Bier meines Lebens, ein Holsten- Bräu, im Dammtor-Bahnhof getrunken.

Von Januar 1954 bis März 1956 arbeitete ich im Cyclamenspezialbetrieb Friedrich Strüve in Herford, Viehtriftenweg. Weit überwiegend, auch im Winter, fuhr ich mit dem Fahrrad die 27 km morgens hin, abend zurück. Der Betrieb hatte sich auf Saatgut, Sämlinge und Fertigpflanzen von Alpenveilchen spezialisiert und belegte damals bei der jährlich in Bad Salzuflen stattfindenden Cyclamenausstellung mehrmals den 1. Platz unter den deutschen Cyclamenzüchtern. Höhepunkt war dann das Cyclamenfest im Kurhaus in Bad Salzuflen mit der Prämierung des besten Züchters; es war schon etwas besonderes, bei Strüve arbeiten zu dürfen. Etwa 10 Gärtnergehilfen arbeiteten damals bei Strüve, u. A. auch wieder Jürgen Dannhaus, (später gründete er auf dem väterlichen Grundstück in der Enger Straße eine Gärtnerei mit Blumengeschäft, welche noch später von seinem Sohn Jörg ausgebaut und erweitert wurde. Sohn Jörg war in den 80er Jahren in Hannover-Ahlem auf der Gärtnermeister-Fachschule und hörte bei mir „Technik im Gartenbau“). Werner Dierkes (alias Wilhelm Krüger), Wilfried Vogt, Wilfried Gießelmann (der später mit seiner Frau, Binderin von Breder, einen Blumenladen in Zentrumsnähe eröffnete), Siegfried Ackermann aus Bethel und Heinz Schulz (der Kleine), seiner mit der Quickli täglich aus Kirchlengern kam. Außerdem war dort Friedrich Goddemeier aus Schnathorst, Sohn des dortigen Pastors. Er studierte später, war dann beim Gartenbauverband in Hamburg und verstarb frühzeitig. In Herford war die Junggärtnergruppe ziemlich aktiv. Etwa 1955 machten wir eine große Busrundreise an Rhein, Mosel und Ahr (Rüdesheim-Koblenz- Cochem und Altenahr). Nach einem der weinseligen Abende ging es meinem Freund Jürgen Dannhaus nicht so gut; er musste nach der morgendlichen Abfahrt zum Busfenster raus….

In diesen Jahren zogen meine Eltern und ich in das Elternhaus von Hanne Schneider, ebenfalls an der Rüscherstraße. Wir hatten doch etwa 5 Jahre bei Höners gewohnt. Jetzt kaufte ich mir meinen 1. fahrbaren Untersatz, einen Motorroller NSU Lambretta, 125 ccm.

Im Winter 1956 bewarb ich mich als Gärtnergehilfe in Hannover in den Herrenhäuser Gärten, genauer, im Berggarten mit den vielen, vielen Stauden bei Prof. K.H. Meyer. Ich wollte andere Facetten meines Berufes kennenlernen; ich wollte einen Schritt in die Welt tun.

Von April 1956 (bis März 1959) arbeitete ich im Berggarten. Vorgesetzte waren (fachlich) Herr Wermke, der seine Frau in Landsberg als Berufssoldat kennen gelernt hatte, Herr Handrup (131 er GG und Gewerkschafter) für die Arbeitsorganisation, und oberster Chef war Prof. K.H. Meyer mit Wohnung und seinem Büro mit Frau Aschoff im Bibliothekspavilon Herrenhausen. Mit mir fingen eine Reihe anderer Gärtner, wie jährlich zur Sommersaison, an: Rudi Fischer (war gerade aus Stendal gekommen, mit ihm und seiner Frau Doris verbindet mich seither eine lebenslange Freundschaft), Erwin Lewandowski (volle Pulle), Karl Hatopp, Karin Drescher, Gisela Junge (in der Kemperei, beide aus Hameln) und später in den Semesterferien u. a. Elfriede Bauer (aus Heilbronn), wieder Siegfried Ackermann (war vor mir in Osnabrück, später bei Aglukon). Zum Stamm gehörten u. A.: Friedel Jahns, Karl Marquart, Karl Eckert, Kleemann, Günter Spohn, Scholzlein, Frl. Schubert und später Rudi Fahrenholz. Etwas heraus gehobene Mitarbeiter waren Frl. zu Lynar, Frl. Pürer (Pürette) und Ernst Bartens, der Fotograph mit seinem Studio im Bibliotheksgebäude über dem Büro. Meine ersten Tätigkeiten waren Arbeiten im neuen Irisgarten, im Pergolagarten, im Staudengrund, im Paradies und in den Staudenvergleichsrabatten.

Die Bepflanzung der Rabatten im Großen Garten war mehrmals im Jahr organisatorisch eine Herausforderung und große Aktion unter dem Gärtnermeister Buhk. Alle jungen und neuen Gärtner wurden zusammengezogen und eingewiesen. Die Frühstückspause hieß hier „Anbiß- Pause“. Dabei, so wurde uns demonstriert, wurde stehend der Spaten in der einen Hand gehalten, das Frühstücksbrot aus der anderen Hand verzehrt.

Hannover lag noch in Trümmern; deshalb war die Zimmersuche ein großes Problem. Die ersten 2 Nächte übernachtete ich auf dem Wohnzimmersofa in der kleinen Wohnung eines neuen Kollegen aus der Südstadt; unmöglich. Schließlich fand ich eine Schlafstatt im Männerwohnheim der Heilsarmee am Rande des Georgengartens: in der Wilhelmshavener Straße, 8 Betten in einem Zimmer. Und dann kam Waldi: Walter Richard, Sohn eines selbstständigen Gartenarchitekten aus Zürich und mit Prof. Meyer gut bekannt. Er kam also aus einer anderen Welt und sollte im Berggarten hospitieren. Aber auch Walter hatte Zimmerprobleme, er wohnte bisher im Hotel. Nun gingen wir gemeinsam auf die Suche und wurden fündig in der Haltenhoffstraße, gegenüber dem Nordstadt-KH. Unsere Wirtin, anfangs überschwenglich freundlich, war dann aber doch mit etwas Vorsicht zu genießen. Anfangs bekamen wir Frühstück, bald nur noch Kaffee, dann gar nichts mehr, fanden unsere Wirtin nachmittags jedoch betrunken an. Als Walter im Herbst nach Hause ging, fand ich im Rotkreuz-Heim am Lodyweg im Georgengarten bei Frau v. Flotho ein gutes zu Hause auf Jahre. Die meisten Bewohner waren Studenten; nach dem Ungarnaufstand im Okt./Nov. 1956 kamen viele ungarische Studenten und es wurde eine komfortable Holzbaracke dazu errichtet, in die auch ich einziehen konnte. Später, 1963-68 konnte ich wieder ins Lodyheim einziehen und wohnte einige Zeit mit Ahmed, einem muslimischen Syrer aus Aleppo zusammen.

Doris mit der Familie Tripowelska wohnte anfangs im Barackenlager Burgweg. Hier konnten wir bald die Verlobung von Doris und Rudi feiern. Rudi ging 1957 für ein halbes Jahr nach Zürich und arbeitete im Gartenbauunternehmen Richard als Gärtner. Nach seiner Rückkehr heirateten Doris und Rudi. Zum größten Schützenausmarsch der Welt an einem Montag hatten wir einen halben Tag frei, wir mussten ihn jedoch nachholen. Meinen 22. Geburtstag feierte ich mit Wermke und Frau, Fischers, Karin und einigen anderen im Cafe Wien am Ernst-August- Platz. Hightlights waren damals für mich das AKI und die Milchbar im Hauptbahnhof.

Die Staudenanzuchtgärtnerei mit Gewächshaus, Frühbeetkästen und Mutterpflanzenquartieren befand sich damals im Fürstenhausgarten (heute Kirchenkanzlei Hannover); das Außengelände betreute Herr Marquard. Zwischen Berggarten und Fürstenhausgarten entlang der Herrenhäuser Straße (heute Kunst-Hochschule) befanden sich damals noch die beiden großen Wasserhochbehälter zum Speisen der Fontainen im Großen Garten. Anfang 1957 fragte mich Herr Wermke ob ich, (mit Karin Drescher als Unterstützung; sie hatte bei Stauden- Junge in Hameln gelernt) die Staudenanzucht übernehmen wolle. Ich wollte, war mir aber doch wohl der Tragweite dieser Entscheidung nicht ganz bewusst; immerhin aber hatte ich ein wunderschönes Jahr im Fürstenhausgarten, machte ganz nebenbei meine Prüfung als Garten- und Landschaftsgärtnergehilfe bei den Herren Dr. Hülsmann und Junge.

Nach Feierabend wurden wir öfter zu freiwilligen Sondereinsätzen unter Leitung von K.H. Meier oder Herrn Wermke gerufen. Dann wurden ganze Privatgärten neu angelegt oder Pflanzungen erneuert. So in Herrenhausen bei Beindorff (Pelikan) und Dr. Bulman oder in Bemerode bei Bahlsen. Einige von uns nahmen Sonderpflegeaufträge an; ich z.B. in der Frauenklinik von Alten- Allee bei Frau Dochow.

Einen besonderen und großen Auftrag für Tage hatten wir in Langenhagen/Schwarmstedt zu besorgen. In Hannover- Döhren in der Zeiss-Straße lag der überregional bekannte Gartenbaubetrieb Beye mit seinem Betriebsleiter Ehmen. Jetzt war der Südschnellweg in Planung und die Trasse führte quer über das Grundstück; Beye sollte aussiedeln. In Langenhagen, Cananoer Straße gab es einen Staudenbetrieb Beye mit dem Betriebsleiter Wilfried Siebler. Er übernahm das gesamte lebende und tote Inventar, fing in Schwarmstedt (heute Staudenkontor) neu an und wir mussten alle Pflanzen überführen und einpflanzen. Damals war die „Grüne Woche“ in Berlin, meist per Anhalter, jedes Jahr Pflichtprogramm. Dabei lernte ich das noch zerstörte, ungeteilte Berlin gut kennen. Gute Anlaufpunkte waren meine Tanten und Onkel in Berlin-Buckow und Moabit. In einem Jahr war ich mit meinem Kollegen und Freund, Karl-Heinz Hettenhausen, Ocholt, er war Gehilfe bei Ludolf Beye und später Präsident des Gartenbauverbandes Nordwest/Bremen, zur Grünen Woche. Abends waren wir in der Hasenheide im berühmtenTanzlokal…. mit Tischtelefonen.

Im Sommer 1957 verabredeten mein Freund Jürgen Dannhaus und ich, über mehrere Etappen (Aalen, München, Comer See, Bern, Mainau und Leonberg, meist zu Gärtnergehilfenkollegen) mit meinem Roller nach Italien zu fahren. Wir fuhren los, aßen mittags in einer Gaststätte in Hammelburg und damit man mir meine Tasche, die am Roller hing, nicht klaute, nahm ich sie mit rein. Zwei Stunden später und 100 km weiter fehlte meine Tasche mit Papieren, Postsparbuch, etc. und unser 1. Ziel war noch weit. Mit Mühe bekommen wir heraus, dass wir im „Goldnen Ochsen“ waren, wir rufen an und die Tasche steht noch da. Wir bitten, sie unfrei postlagernd nach München zu schicken und sind froh!! In Aalen wartet unser Kollege Wilfried Vogt bei Kakteen-Königer auf uns. Ein Gang durch den Betrieb und wir schlafen in der Gehilfenbude nach einem Bier recht gut. Am nächsten Tag kommen wir nach München, werden von einem Gärtner-Kollegen im großen Münchner Gartenbaubetrieb Kirchner in einem Gehilfen-Verschlag versteckt. Am Morgen zur Post,- nichts da, Stadt angucken, Bavaria etc., natürlich ein Bier im Hofbräuhaus. Am nächsten Morgen zur Post,- nichts da, Stadt angucken, Englischer Garten, die Wiesn, etc. Am nächsten Morgen wieder zur Post,- nichts da, Hektik-, wieder Stadt angucken, etc. Am 4. Morgen wieder zur Post,- endlich, die Tasche ist da. Wir kommen zur Gärtnerei, um die Sachen zu holen, da empfangen uns die Koffer auf der Straße und ein lauter Krach vom Chef: „Saupreißen das, scho vier Tag do und kein Handschlag getan“! Doch wir sind schon auf dem Weg nach Innsbruck, zelten auf dem Zeltplatz direkt am Inn. Nachts brechen Gewitter und Sturm los, der Zeltplatz wird überflutet, wir können uns gerade noch retten, müssen aber umziehen.

Am nächsten Morgen überlegen wir, wie wir weiter Richtung Italien fahren. Wir wählen auf der Karte den nächsten Weg zum Comer See. Und wir Flachland-Tiroler können nicht ahnen, dass wir damit einen der höchsten Passübergänge der Alpen, das Stilfster Joch ausgewählt haben. Es ging hoch und immer höher, die Serpentinen immer enger und steiler. Schließlich Schotterstraße, Jürgen musste absteigen und schieben. Dann standen wir oben in Kälte und Schneegestöber auf 2.757 m über NN auf dem zweithöchsten Alpenpass überhaupt. Und das alles mit meiner NSU Lambretta, 150 ccm, 6,2 PS. Dann ging es auf der italienischen Seite bergab über Bormio und es wurde mit jedem Kilometer wärmer. Am Comer See entlang gibt es viele in den Fels gehauene Tunnel. Wir hatten inzwischen kurze Hosen an und fuhren nach Süden der Sonne entgegen. Geblendet konnte man im Tunnel kaum etwas sehen; entgegen kommende Fahrzeuge hatten hoffentlich Licht eingeschaltet. Plötzlich passierte es: Tropfwasser von der Tunneldecke hatte eine schmutzige Pfütze im Kopfsteinpflaster gebildet, wir rutschten, kippten und schlitterten im Dunkeln über das Kopfsteinpflaster. Wir hatten noch Glück: kein Gegenverkehr, ich hatte eine ziemliche Wunde am Oberschenkel, bei Jürgen war die Kleidung zerrissen. Doch nichts konnte uns aufhalten. Wir waren in Como, dann im schönen Tessin mit Lugano und schließlich am südlichsten Ziel unserer Wünsche: der Isola Bella, der Schönen Insel im Lago Maggiore. Hier waren wir nun wirklich in wunderschöner mediterraner Vegetation und bewunderten die Baukunst mit den Fußböden aus eingelegten Kieseln. Von Locarno fuhren wir über den St. Gotthardpass, 2.106 m über NN, jetzt nach Nordwest in Richtung Bern, der Hauptstadt der Schweiz. In Bern erwartete uns wieder ein Berufskollege, der in der kleinen Gärtnerei Schwarz arbeitete, wieder ein Cyclamen- Züchter. Hier wurden wir in der Gärtnerfamilie für 2 Tage gastfreundlich aufgenommen und bewirtet.

Über Zürich und Konstanz war unser nächstes Ziel die berühmte Insel Mainau im Bodensee. Aber oh Schreck, die Mainau präsentierte sich im Dauerregen nach den vielen sonnigen Highlights im sonnigen Süden nicht gerade optimal und es brauchte später viele weitere Besuche bei besserem Wetter, den negativen ersten Eindruck zu kompensieren.

Über die Schwäbische Alb war unser nächstes Ziel Leonberg bei Stuttgart. Fritz Markquardt war, natürlich, ein Berufskollege aus Herford, der jetzt zu Hause in der väterlichen Gärtnerei eingestiegen war. Auch hier wurden wir gastfreundlich in Kost und Logies aufgenommen. Gleich am 1. Tag, es gab natürlich viel zu erzählen, wurden wir mit dem gut schmeckenden, hauseignen Moost reichlich versorgt. Später, die Treppe zum Schlafgemach hinauf sagte Jürgen hinter mir: „Von dem Zeug wird man auch noch besoffen!“-

Wenige Tage später waren wir wieder zu Hause, Jürgen in Herford, ich in Hannover. Wir hatten eine wunderschöne, erlebnisreiche Reise, wenn auch unter damals einfachen Bedingungen erlebt.

Im November 1957 heiratete mein Cousin Ernst Pätzke (Büby) aus Stolberg in Wandlitz bei Oranienburg. Ich war eingeladen, bekam die Einreiseerlaubnis in die DDR und erlebte eine schöne Dorfhochzeit. Ein paar Tage bei meiner Tante Frieda in Zehlendorf wohnend kam mir der Gedanke, dass ich den großen Carl Foerster, Züchter vieler Staudenarten und Sorten, Autor vieler entsprechender Bücher und Nationalpreisträger der DDR in Potsdam-Bornim besuchen könnte. Meine Verwandten: Ohne Genehmigung darfst Du da nicht hinreisen! Ich ging zur VOPO nach Oranienburg, bat um Genehmigung für 1 Tag. Keine Chance: Da könnte ja jeder aus dem Westen kommen und nach Belieben in der DDR herum reisen (und spionieren). Dann hatte ich die Idee: Ich rief von der Post bei Foersters in Bornim an. Frau Foerster hörte sich alles an und fragte dann, bei welcher Vopo-Behörde ich war und sagte dann, ich solle in einer ½ Stunde noch einmal hin gehen. Ich ging und meine Reisebewilligung lag schon auf dem Tresen. Ich fuhr zu Foersters, wurde zu Tisch gebeten und wir sprachen über viele fachliche und sonstige Dinge. Und er, Carl Foerster, der Nationalpreisträger der DDR, sprach von der Knüppelzone! Einem ihm praktisch Unbekannten gegenüber!-

Werner Gabloffsky
Gödringer Straße 23
D 31157 Sarstedt
Email: werner@gabloffsky.de

Anmerkung der Redaktion:
Auch das Leben und die Ereignisse nach der Flucht gehören zum Schicksal der Kriegsgeneration. Die einfühlsamen und sehr persönlichen Schilderungen Gablowskys machen diese Zeit wieder erlebbar.
khw


zum Anfang

Erstellt am 30.08.2016 - Letzte Änderung am 30.08.2016.