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Aus dem
Heimatblatt
der ehemaligen Kirchengemeinden Landsberg Stadt und Land
Heft Nr. 48 (Juni 2014, Seite 26-28)




Alexandersdorf

Unser Ort Alexandersdorf (zuerst Alexandrawo) wurde am 01. September 1613 von einem polnischen Starosten, Alexander Borowski, mit fünf deutschen Siedlern gegründet.

Dies waren: Jakob Lyrett, Gustav Witten, Jakob Dost... Die weiteren Namen weiß ich nicht mehr.

Der Ort teilte sich auf in Klein- Holländer, Groß-Holländer, in den Bergen und Eichführ. Das Gut Eichführ wurde nach dem 1. Weltkrieg aufgeteilt und zur Besiedlung freigegeben. Siedler kamen aus dem Deutschen Reich und dem ehemaligen deutschen Korridor. Die Letzteren mussten ihre Heimat verlassen.

Unser Ort ist ca. 5 km lang und die Bauernwirtschaften sind links und rechts der Straße, die nach Morrn führt, zu finden.

In der Mitte des Dorfes befindet sich unsere Schule. Unterrichtet wurde in zwei Klassenzimmern von nur einem Lehrer. Wir waren ca. 70 Schüler. In den letzten Kriegsjahren konnte wegen Lehrermangels nur noch an drei Tagen in der Woche unterrichtet werden. Unterrichtet wurde bis zur 8. Klasse. In der Mitte des Dorfes befanden sich auch das Pfarrhaus, die Kirche und zwei Friedhöfe. Der dritte Friedhof befindet sich in den Bergen. Leider sind nach dem 2. Weltkrieg die Kirche abgerissen und die Friedhöfe mutwillig zerstört worden.

Laut Statistik hatte vor dem 1. Weltkrieg unser Ort 117 Haushalte mit insgesamt 472 Einwohnern.

Interessant wäre vielleicht noch, dass von den Bewohnern ein kleiner Reim gemacht wurde, der durch den ganzen Ort ging. Angefangen wurde mit der Bauernwirtschaft Jacob und beendet mit Teichmann. Leider weiß ich nur den Anfang und kann niemand mehr fragen, denn die Generation vor uns ist ja nicht mehr da. Als Kind und in den Zeiten des zweiten Weltkrieges waren andere Dinge wichtiger.

Er lautete so: „Jacob wohnt am Ende, Stürzebecher steht im Hemde, Gohlke sitzt auf der Fichte und sch... Redanzen ins Gesichte, Kruschel schlachtet ein Kalb, Kunzig nimmt es halb, Göring geht aufs Feld und Kujas zählt sein Geld... usw.“

Die Frau des Pfarrers Damerow hatte von Alexandersdorf ein Gedicht geschrieben. Es kann auch nach der Melodie „An der Saale grünem Strande“ gesungen werden. Das Heimatgedicht ist zu finden im Heimatblatt Nr. 9 vom Dezember 1994.

Unser Ort bestand überwiegend aus Bauernwirtschaften. Die Handwerker gab es in der Umgebung. In der Gaststätte Fritz Stabenow spielte sich das dörfliche Leben ab mit Feiern, Tanzabenden, Film- und Theatervorführungen, Dorftreffpunkten und gemütlichem Beisammensein.

Zwei Kolonialwarenhändler waren da, Marie Wotschke, später Elfriede Schlickeiser und Reinhold Aleith sowie Fleischerei Rudolf Reiche. Zum nächsten Arzt, Tierarzt und Apotheke mussten wir nach Lipke fahren (ca. 15 km Entfernung). In Lipke war auch ein kleines Warenhaus, namens Holle.

Auch gab es in unserem Ort einen Standesbeamten, der gleichzeitig eine kleine Landwirtschaft hatte. Sein Name war Paul Scheibe. Die Post war in Pollychen und die nächste Bahnstation (ca. 8 km) gab es in Zantoch. Dort befanden sich auch ein Arzt, zwei Zahnärzte, und die Sparkasse. Größere Sachen wurden in unserer Kreisstadt Landsberg (Warthe) eingekauft.

Wie es auf dem Lande so üblich ist, blühte der Dorfklatsch zur allgemeinen Erheiterung und zur Unterhaltung. So lebten wir fast friedlich und von Politik ziemlich verschont bis zum Einmarsch der Roten Armee (der Russen).

Wegen der drohenden Front hatten wir schon die Wagen gepackt. Am 29.01.1945 nachmittags kam dann der Befehl, den Ort zu verlassen. Langsam leerte sich der Ort, aber wir konnten nicht fahren, weil mein Vater mit den Pferden nach Schwerin unterwegs war. Die Flüchtlinge, die nur bis Jahnsfelde gekommen waren, kamen nach zwei Tagen zurück. Der Russe hatte sie schon morgens am 30. Januar 1945 eingeholt. Von ihren Sachen und Pferden waren sie von den einrückenden Truppen sofort befreit worden. Bei uns erschien der Russe mittags am 30.01.1945. Kämpfe fanden nicht statt.

Mein Vater lief zur Straße und wir schauten ihm nach, zusammen mit unseren Berliner Evakuierten. Dann sahen wir die Russen kommen. Mein Vater lief ihnen mit erhobenen Händen entgegen. Ein Russe machte eine Handbewegung, dass er gehen könnte. Er wurde dann hinterrücks erschossen. Meine Mutter und ich holten ihn mit dem kleinen Handschlitten nach Hause. Begraben haben wir ihn dann mit Hilfe unseres Nachbarn im eigenen Garten. Die nachfolgende Zeit wurde für uns noch schlimmer als der russische Nachschub kam. Da über dieses Thema schon so oft berichtet wurde, möchte ich mich hierzu nicht mehr weiter äußern. Auf unserem Hof zog im März die russische Kommandantur ein. An diesem Tag fielen drei Bomben auf unser Gehöft. Zum Glück explodierte nur die, die den Holzschuppen traf. Verletzt wurde niemand, nur die Gebäude wurden beschädigt. Von den vier Gebäuden stehen nur noch zwei, das Wohnhaus und der Kuhstall mit Schuppen.

Im Juni 1945 wurden wir Deutschen durch die Polen ausgewiesen. Da meine Mutter und ich auf der russischen Kommandantur arbeiten mussten, konnten wir, einige Alexandersdorfer und Fremde, unter russischem Schutz mit dem Viehtreck nach Kliestow bei Frankfurt/Oder ziehen. Dort trafen wir dann auch viele Alexandersdorfer wieder. Nach einigen Tagen fiel den Russen ein, wieder nach Alexandersdorf zu fahren, um alles abzuernten was wir Deutschen dort angebaut hatten. Sie suchten Freiwillige, die mit ihnen wieder zurückgehen wollten. Da wir damals noch in dem irrigen Glauben waren, dass wir ja alle wieder nach Hause kommen, sind einige Alexandersdorfer, darunter auch wir, mitgegangen. Wir sind aber nur kurze Zeit auf unserem Hof gewesen und wurden dann aus Sicherheitsgründen in der Nähe der Kommandantur, die auf Paul Bumkes Hof war, auf Hermann Stabenows Hof, zusammen mit einigen Lipkern, untergebracht. Diese waren mit dem Viehtreck nach Alexandersdorf gekommen. Im November sollten die ersten Deutschen nach Deutschland ausgewiesen werden, meine Mutter und ich waren auch darunter. Aber dadurch, dass meine Mutter an Kehlkopfdiphtherie starb, konnte ich bleiben. Es war zwar eine deutsche Ärztin da, aber sie konnte meiner Mutter nicht helfen, weil es keine Medikamente gab.

Im Januar 1946 wurde der nächste Treck zusammengestellt. Wir wurden nach Landsberg zur Hauptkommandantur gebracht und sollten mit noch weiteren etwa 100 Personen mit der Bahn nach Küstrin fahren. Als wir zur Bahn gingen, stimmte ein Landsberger das Lied „Nun Ade du mein lieb Heimatland“ an. Wir weinten alle! Da unsere Sachen nicht mehr in den Zug passten, wurden diese mit Lastkraftwagen nach Küstrin transportiert. Wir selbst wurden unter russischer Bewachung bis nach Küstrin gebracht. Unsere Sachen sind wirklich angekommen, wir glaubten nicht mehr daran. Die Kommandanturen in Landsberg (Warthe) und in Alexandersdorf wurden im März 1946 aufgelöst und die letzten Deutschen nach Deutschland ausgewiesen.

In Küstrin verbrachten wir bei ca. 18° Kälte die ganze Nacht auf dem Bahnsteig. In die Unterstände trauten wir uns nicht, weil man uns die letzten Sachen noch abgenommen hätte und viel schlimmere Dinge noch hätten passieren können. Gegen Morgen lief der Zug nach Frankfurt/Oder ein. Leider konnten nicht alle einsteigen, denn der Zug hielt nicht lange genug. Wir kamen nach Berlin- Weißensee ins Durchgangslager, wo wir untersucht und wenn nötig, von Ungeziefer befreit wurden. Von dort aus ging es nach Gera und dann wurden wir für sechs Wochen in das Quarantänelager Kirchhasel, bei Rudolstadt, eingewiesen. Danach kam ich nach Scheibe- Alsbach, und für mich war dies erst einmal die Endstation. Ich kam endlich zur Ruhe und habe erst einmal alles verarbeitet, was mir, als 16-Jährige, widerfahren war. Jetzt begann die Suche nach meinem Bruder, meinen Verwandten und Bekannten.

An Dokumenten kann ich nur einen Konfirmationsschein nachweisen!

Meine ehemalige Heimat besuchte ich dreimal, das erste Mal war ich 1971 und das letzte Mal 1992 dort. Von den Bewohnern unseres Hofes bin ich freundlich begrüßt worden. Leider konnten wir uns nur mit Bildern und Zeichensprache verständigen, denn ich kann nicht polnisch sprechen und die Polen sprachen nicht deutsch.

Mein Bruder, Hans Jacob, kann leider nichts zur Dokumentation beitragen. Er wurde 1941 zur Wehrmacht eingezogen und war lange in russischer Gefangenschaft.

Mit der Hoffnung, dass ich mit meinem Beitrag etwas zu ihrer Dokumentation beitragen kann, verbleibe ich mit herzlichen Grüßen

Ilse Gutschmidt
Dossestraße 13
Tel.: (030) 2 91 67 68
10247 Berlin
(geb. Jacob aus Alexandersdorf)





Kirche-Alexandersdorf


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Erstellt am 07.09.2016 - Letzte Änderung am 07.09.2016.