Alexandersdorf
Unser Ort Alexandersdorf
(zuerst Alexandrawo)
wurde am 01. September 1613
von einem
polnischen Starosten, Alexander
Borowski, mit fünf deutschen
Siedlern gegründet.
Dies waren: Jakob Lyrett, Gustav
Witten, Jakob Dost... Die
weiteren Namen weiß ich nicht
mehr.
Der Ort teilte sich auf in Klein-
Holländer, Groß-Holländer, in
den Bergen und Eichführ. Das
Gut Eichführ wurde nach dem
1. Weltkrieg aufgeteilt und
zur Besiedlung freigegeben.
Siedler kamen aus dem Deutschen
Reich und dem ehemaligen
deutschen Korridor. Die
Letzteren mussten ihre Heimat
verlassen.
Unser Ort ist ca. 5 km lang
und die Bauernwirtschaften
sind links und rechts der Straße,
die nach Morrn führt, zu
finden.
In der Mitte des Dorfes befindet
sich unsere Schule. Unterrichtet
wurde in zwei Klassenzimmern
von nur einem Lehrer.
Wir waren ca. 70 Schüler.
In den letzten Kriegsjahren
konnte wegen Lehrermangels
nur noch an drei Tagen in der
Woche unterrichtet werden.
Unterrichtet wurde bis zur 8.
Klasse. In der Mitte des Dorfes
befanden sich auch das Pfarrhaus,
die Kirche und zwei
Friedhöfe. Der dritte Friedhof
befindet sich in den Bergen.
Leider sind nach dem 2. Weltkrieg
die Kirche abgerissen
und die Friedhöfe mutwillig
zerstört worden.
Laut Statistik hatte vor dem
1. Weltkrieg unser Ort 117
Haushalte mit insgesamt 472
Einwohnern.
Interessant wäre vielleicht
noch, dass von den Bewohnern
ein kleiner Reim gemacht
wurde, der durch den ganzen
Ort ging. Angefangen wurde
mit der Bauernwirtschaft Jacob
und beendet mit Teichmann.
Leider weiß ich nur den Anfang
und kann niemand mehr
fragen, denn die Generation
vor uns ist ja nicht mehr da.
Als Kind und in den Zeiten des
zweiten Weltkrieges waren
andere Dinge wichtiger.
Er lautete so: „Jacob wohnt
am Ende, Stürzebecher steht
im Hemde, Gohlke sitzt auf der
Fichte und sch... Redanzen ins
Gesichte, Kruschel schlachtet
ein Kalb, Kunzig nimmt es
halb, Göring geht aufs Feld
und Kujas zählt sein Geld...
usw.“
Die Frau des Pfarrers Damerow
hatte von Alexandersdorf
ein Gedicht geschrieben. Es
kann auch nach der Melodie
„An der Saale grünem Strande“
gesungen werden. Das
Heimatgedicht ist zu finden im
Heimatblatt Nr. 9 vom Dezember
1994.
Unser Ort bestand überwiegend
aus Bauernwirtschaften.
Die Handwerker gab es in der
Umgebung. In der Gaststätte
Fritz Stabenow spielte sich
das dörfliche Leben ab mit Feiern,
Tanzabenden, Film- und
Theatervorführungen, Dorftreffpunkten
und gemütlichem
Beisammensein.
Zwei Kolonialwarenhändler
waren da, Marie Wotschke,
später Elfriede Schlickeiser
und Reinhold Aleith sowie Fleischerei
Rudolf Reiche. Zum
nächsten Arzt, Tierarzt und
Apotheke mussten wir nach
Lipke fahren (ca. 15 km Entfernung).
In Lipke war auch ein
kleines Warenhaus, namens
Holle.
Auch gab es in unserem Ort
einen Standesbeamten, der
gleichzeitig
eine kleine
Landwirtschaft
hatte. Sein
Name war
Paul Scheibe.
Die Post war in
Pollychen und
die nächste
Bahnstation
(ca. 8 km) gab
es in Zantoch.
Dort befanden
sich auch
ein Arzt, zwei
Zahnärzte,
und die Sparkasse. Größere
Sachen wurden in unserer
Kreisstadt Landsberg (Warthe)
eingekauft.
Wie es auf dem Lande so üblich
ist, blühte der Dorfklatsch
zur allgemeinen Erheiterung
und zur Unterhaltung. So
lebten wir fast friedlich und
von Politik ziemlich verschont
bis zum Einmarsch der Roten
Armee (der Russen).
Wegen der drohenden Front
hatten wir schon die Wagen
gepackt. Am 29.01.1945 nachmittags
kam dann der Befehl,
den Ort zu verlassen. Langsam
leerte sich der Ort, aber
wir konnten nicht fahren, weil
mein Vater mit den Pferden
nach Schwerin unterwegs war.
Die Flüchtlinge, die nur bis
Jahnsfelde gekommen waren,
kamen nach zwei Tagen
zurück. Der Russe hatte sie
schon morgens am 30. Januar
1945 eingeholt. Von ihren
Sachen und Pferden waren sie
von den einrückenden Truppen
sofort befreit worden. Bei
uns erschien der Russe mittags
am 30.01.1945. Kämpfe
fanden nicht statt.
Mein Vater lief zur Straße und
wir schauten ihm nach, zusammen
mit unseren Berliner
Evakuierten. Dann sahen wir
die Russen kommen. Mein
Vater lief ihnen mit erhobenen
Händen entgegen. Ein Russe
machte eine Handbewegung,
dass er gehen könnte. Er
wurde dann hinterrücks erschossen.
Meine Mutter und
ich holten ihn mit dem kleinen
Handschlitten nach Hause.
Begraben haben wir ihn dann
mit Hilfe unseres Nachbarn im
eigenen Garten. Die nachfolgende
Zeit wurde für uns noch
schlimmer als der russische
Nachschub kam. Da über
dieses Thema schon so oft
berichtet wurde, möchte ich
mich hierzu nicht mehr weiter
äußern. Auf unserem Hof zog
im März die russische Kommandantur
ein. An diesem Tag
fielen drei Bomben auf unser
Gehöft. Zum Glück explodierte
nur die, die den Holzschuppen
traf. Verletzt wurde niemand,
nur die Gebäude wurden beschädigt.
Von den vier Gebäuden
stehen nur noch zwei, das
Wohnhaus und der Kuhstall mit
Schuppen.
Im Juni 1945 wurden wir
Deutschen durch die Polen
ausgewiesen. Da meine Mutter
und ich auf der russischen
Kommandantur arbeiten
mussten, konnten wir, einige
Alexandersdorfer und Fremde,
unter russischem Schutz mit
dem Viehtreck nach Kliestow
bei Frankfurt/Oder ziehen.
Dort trafen wir dann auch viele
Alexandersdorfer wieder. Nach
einigen Tagen fiel den Russen
ein, wieder nach Alexandersdorf
zu fahren, um alles abzuernten
was wir Deutschen dort
angebaut hatten. Sie suchten
Freiwillige, die mit ihnen wieder
zurückgehen wollten. Da wir
damals noch in dem irrigen
Glauben waren, dass wir ja alle
wieder nach Hause kommen,
sind einige Alexandersdorfer,
darunter auch wir, mitgegangen.
Wir sind aber nur kurze
Zeit auf unserem Hof gewesen
und wurden dann aus Sicherheitsgründen
in der Nähe der
Kommandantur, die auf Paul
Bumkes Hof war, auf Hermann
Stabenows Hof, zusammen
mit einigen Lipkern, untergebracht.
Diese waren mit dem
Viehtreck nach Alexandersdorf
gekommen. Im November
sollten die ersten Deutschen
nach Deutschland ausgewiesen
werden, meine Mutter und
ich waren auch darunter. Aber
dadurch, dass meine Mutter
an Kehlkopfdiphtherie starb,
konnte ich bleiben. Es war
zwar eine deutsche Ärztin da,
aber sie konnte meiner Mutter
nicht helfen, weil es keine Medikamente
gab.
Im Januar 1946 wurde der
nächste Treck zusammengestellt.
Wir wurden nach Landsberg
zur Hauptkommandantur
gebracht und sollten mit noch
weiteren etwa 100 Personen
mit der Bahn nach Küstrin
fahren. Als wir zur Bahn gingen,
stimmte ein Landsberger
das Lied „Nun Ade du mein lieb
Heimatland“ an. Wir weinten
alle! Da unsere Sachen nicht
mehr in den Zug passten, wurden
diese mit Lastkraftwagen
nach Küstrin transportiert. Wir
selbst wurden unter russischer
Bewachung bis nach Küstrin
gebracht. Unsere Sachen sind
wirklich angekommen, wir
glaubten nicht mehr daran.
Die Kommandanturen in
Landsberg (Warthe) und in Alexandersdorf
wurden im März
1946 aufgelöst und die letzten
Deutschen nach Deutschland
ausgewiesen.
In Küstrin verbrachten wir bei
ca. 18° Kälte die ganze Nacht
auf dem Bahnsteig. In die Unterstände
trauten wir uns nicht,
weil man uns die letzten Sachen
noch abgenommen hätte
und viel schlimmere Dinge
noch hätten passieren können.
Gegen Morgen lief der Zug
nach Frankfurt/Oder ein. Leider
konnten nicht alle einsteigen,
denn der Zug hielt nicht lange
genug. Wir kamen nach Berlin-
Weißensee ins
Durchgangslager,
wo wir untersucht
und wenn nötig,
von Ungeziefer
befreit wurden.
Von dort aus ging
es nach Gera
und dann wurden
wir für sechs
Wochen in das
Quarantänelager
Kirchhasel, bei
Rudolstadt, eingewiesen. Danach
kam ich nach Scheibe-
Alsbach, und für mich war dies
erst einmal die Endstation.
Ich kam endlich zur Ruhe und
habe erst einmal alles verarbeitet,
was mir, als 16-Jährige,
widerfahren war. Jetzt begann
die Suche nach meinem Bruder,
meinen Verwandten und
Bekannten.
An Dokumenten kann ich nur
einen Konfirmationsschein
nachweisen!
Meine ehemalige Heimat besuchte
ich dreimal, das erste
Mal war ich 1971 und das
letzte Mal 1992 dort. Von den
Bewohnern unseres Hofes bin
ich freundlich begrüßt worden.
Leider konnten wir uns nur
mit Bildern und Zeichensprache
verständigen, denn ich
kann nicht polnisch sprechen
und die Polen sprachen nicht
deutsch.
Mein Bruder, Hans Jacob,
kann leider nichts zur Dokumentation
beitragen. Er wurde
1941 zur Wehrmacht eingezogen
und war lange in russischer
Gefangenschaft.
Mit der Hoffnung, dass ich
mit meinem Beitrag etwas zu
ihrer Dokumentation beitragen
kann, verbleibe ich mit herzlichen
Grüßen
Ilse Gutschmidt
Dossestraße 13
Tel.: (030) 2 91 67 68
10247 Berlin
(geb. Jacob aus Alexandersdorf)
Erstellt am 07.09.2016 - Letzte Änderung am 07.09.2016.