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Aus dem
Heimatblatt
der ehemaligen Kirchengemeinden Landsberg Stadt und Land
Heft Nr. 51 (Dez. 2015)

Geschehnisse ab Januar 1945

Um die Geschehnisse ab dem Januar 1945 festzuhalten möchte ich für die Archive meinen Beitrag leisten. Wir wohnten in Jahnsfelde – Jancewo – im Schulhaus mit meiner Mutter, meinem Vater und meinen Brüdern Joachim, Eberhard und Wolfgang (16, 14 und 13 Jahre).

Am 30. Januar 1945 kamen russische Truppen am Abend in das Dorf. Wir hörten Gewehrschüsse im Park. Wir Kinder gingen ans offene Fenster an der Ostseite des Flures. (Mehr als fahrlässig). Danach sahen wir auf der Straße viele Pferdefuhrwerke in Richtung Westen fahren. Noch am Abend wurden alle Bewohner des Dorfes in einer Scheune im Vorwerk zusammengefasst. Der russische Kommandant hatte die Hähne der Brennerei öffnen lassen die russischen Soldaten schöpften mit allem, was sie finden konnten. Zum Schluss mussten auch noch die Mützen herhalten. Es ließ sich jedoch nicht vermeiden, dass einige betrunkenen Soldaten in die Scheunen kamen. Ein Soldat zählte die Patronen, zielte auf uns und fuchtelte der am Abzug herum. Ob er so betrunken war, dass er die Sicherung nicht lösen konnte oder uns nur erschrecken wollte, wissen wir nicht. Unser mittlerer Bruder hatte wegen der Kälte im Februar nachts den Mantel meiner Mutter angezogen. Im schwachen Licht glaubten die russischen Soldaten, mein Bruder sei ein Mädchen. Er musste sich ausziehen um zu beweisen dass er ein Junge ist. Ich habe mich geschämt, ein Junge zu sein, als ich die Angst und Not der weiblichen Bevölkerung erlebte. Langsam löste sich die Furcht des Militärs vor Sabotageakten von der Bevölkerung. Wir gingen nach einigen Tagen zu unserer Wohnung und wollten schauen, wie es dort aussieht. In der Wohnung waren deutschsprachige Personen, die von Stalin für den Aufbau der DDR vorgesehen waren. Meine Mutter fragte, wo denn unsere Teppiche geblieben waren? Als wir die Wohnung betreten durften stand an der Bodentür die Antwort: Teppiche sind in der Bodenkammer.

In den Schulräumen war bis zum Einmarsch der Russen ein Aufenthaltsraum für die nach Westen ziehenden Flüchtlinge eingerichtet. Einigen russischen Frontsoldaten kamen die Tränen, als sie die Flüchtlinge mit der Angst und den schreienden Kindern sahen. Die Räume wurden später als Lazarett benutzt. Wir richteten unsere Wohnung einigermaßen her und zogen ein. Mein Bruder ging zum Wasser holen. Auf der Straße, die am Schule Haus vorbeiführte, fuhren hintereinander Panzer und Lastwagen. Ein Lastwagen hielt an, und die Soldaten schnappten sich meinem Bruder. Die Straße war durch Glatteis rutschich so dass mein Bruder vom Auto springen konnte und sich im Park versteckte. Die Kolonne konnte jedoch nicht warten, um ihn zu suchen und musste weiterfahren. Vom Küchenfenster konnte man auf die Straße sehen. Dort kamen unter Bewachung Treiber aus unserem Ort mit vielen Kühen. Sie hielten am Schulhaus an, ein Bewacher fand auch gleich den richtigen Eingang zur Wohnung. Wir Kinder flohen auf den Boden und über die Dachluken auf das Dach. Der Bewacher suchte die ganze Wohnung ab, fand uns aber nicht. Sein Pferd war am Schulzaun angebunden und wurde unruhig, so dass er die Suche abbrach. Auf der Straße fuhr ein Panzer nach dem anderen mit Aufsätzen der Infanterie nach Westen an die Oder Front. Als wir wieder zum Wasser holen gingen, gestikuliert und riefen auf einem Panzer Infanteristen. Wir dachten erst, sie wollen uns einfangen, merkten aber bald, dass sie uns erkannten und uns grüßten. Wir hatten uns mit den damaligen russischen Gefangenen öfter unterhalten. Als wir nach der Kapitulation zu Fuß mit drei Handkarren Jahnsfelde verlassen hatten, kamen wir auch durch die Selower Höhen. Da dürften auch die damals uns grüßenden Infanteristen geblieben sein. Am Tag des Aufbruchs in den Westen umstellten morgens plötzlich russische Soldaten das Schulgebäude. Wir dachten, jetzt geht es uns an den Kragen. Doch dann sahen wir, dass russische Zivilgefangene auf den Schulhof getrieben wurden. Sie hatten bei den Deutschen arbeiten müssen. Wir fragten sie, warum sie so behandelt würden: laut Stalins Befehl müssten sie zur Umerziehung nach Russland. Nach dem morgendlichen Aufbruch kamen wir zu Fuß am Nachmittag an der Odergrenze an. An der Oderbrücke standen viele deutsche Kriegsgefangene. Die russischen Grenzbewacher untersuchten unsere drei Handwagen und fanden auch den Alkohol, den wir als Zahlungsmittel aus der Brennerei in Jahnsfelde mitgenommen hatten. Wir mischten uns unter die deutschen Kriegsgefangenen und liefen einfach auf die Oderbrücke zu. Als die Grenzsoldaten das bemerkten, schossen sie nach uns. Sie hatten wohl schon zu viel Ziel Wasser getrunken. Sie haben uns jedoch nicht getroffen. In der Stadt Küstrin (TX) auf der westlichen Uferseite übernachteten wir in einem der drei nur zum Teil zerstörten Häuser. In der Nacht wurden wir von russischen Deserteuren überfallen. Wir machten aber so ein Geschrei, dass wir Ihnen das geraubte Gepäck wieder abjagen konnten. Die Lebensmittel waren zu dieser Zeit überlebenswichtig. Wir zogen zu Fuß weiter nach Berlin. Von dort sind wir mit einem russischen Laster nach Kyritz an der Knatter zu unserem Onkel gefahren. Dort traf auch ein Brief von meinem Vater ein. Er war in Norddeutschland in englische Kriegsgefangenschaft gekommen. Die englische Luftwaffe stellte die deutschen Soldaten, die ihre Heimat östlich der Elbe hatten ein. Sie bekamen englische Militäruniformen, aber keine Waffen. Sie hatten Vorgesetzte vom deutschen Militär. Churchill hatte vor, vom Süden Europas ausschließlich mit deutschem Militär nach Norden vorzustoßen, um der russischen Armee Osteuropa zu entreißen. Als Stalin davon erfuhr, wandte er sich an die amerikanische Regierung. Die veranlasste, dass der Plan von Churchill aufgegeben werden musste. Die RAF-Gruppen wurden aufgelöst. Mein Vater konnte erreichen, dass wir von Kyritz in die britische Besatzungszone übersiedeln durften.

Von nun an ging es wirtschaftlich langsam aufwärts. Wir Kinder bekamen eine gute Ausbildung, und mein Vater erhielt wieder eine Anstellung als Lehrer.

Mitte der neunziger Jahre fassten wir den Mut, unsere alte Heimat zu besuchen. Von den fünf Familienangehörigen bin ich allein übrig geblieben. Meine Frau, meine Schwiegertochter und mein Sohn und ich fuhren zunächst nach Landsberg (Gorzów). Im Hotel Miesko ließen wir uns ein Schreiben in polnischer Sprache anfertigen. Wir fuhren dann weiter nach Jahnsfelde (Jancewo). Die Inhaberin unserer früheren Wohnung, Frau Drewing, hat uns sehr freundlich aufgenommen und uns alle Räume gezeigt. Die Kindheitserinnerungen wurden wieder wach. Nach der Rückkehr blieben wir mit der Familie Drewing in schriftlicher Verbindung. Die Familie baute die Wohnung völlig um. Beim nächsten Besuch konnten wir das Resultat mit Freude besichtigen. Die Familie Drewing hatte uns ein festliches Empfangsessen bereitet. Sie laden uns am nächsten Tag zum Essen in Schloss Mehrenlin ein. Wir haben nicht bloß die Besuchertermine in guter Erinnerung, auch die trüben Erinnerungen der Vergangenheit haben sich zum Guten gewendet. Dafür nochmals herzlichen Dank

Wolfgang Paech
Bolzweg 26
73035 Göppingen


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Erstellt am 29.08.2016 - Letzte Änderung am 29.08.2016.